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K endra Bell hatte ihre Tasche über die Schulter geworfen und vergrub die Hände tiefer in den Taschen ihres anthrazitgrauen Cardigans von Escada. Er war aus Kaschmir, hatte einen Schalkragen und einen Schärpengürtel und war ihr viel zu groß, denn er reichte ihr fast bis zu den Knien. Das erste Weihnachtsgeschenk von Martin, sie hatte es bekommen, als sie noch Medizin studierte.
Bis zum heutigen Tag war es ihr liebstes Kleidungsstück, sie fühlte sich darin kuschelig und sicher und wie zu Hause, auch wenn sie wusste, dass nichts – und schon gar kein Kleidungsstück – sie vor dem Mann schützen konnte, den sie heute Abend treffen sollte.
Es war über eine Woche her, dass sie ihm von der Sendung erzählt hatte. Sie hatte ihm versprechen müssen – nach einer gegen ihre Kinder gerichteten Drohung –, dass sie gegenüber den Produzenten kein Wort über ihn verlieren würde. Aber natürlich genügte ihm das nicht. Natürlich verlangte er mehr, weil er wusste, dass er es bekommen würde.
Seit Tagen hatte sie das Geld zur Seite gelegt, es war bereit zur Übergabe. Über das Wochenende war sie derart nervös gewesen, dass sie gegen die Regeln verstoßen und ihn angerufen hatte, aber die Nummer, die er ihr gegeben hatte, existierte nicht mehr. Wie viele Wegwerfhandys verbrauchte der Typ im Jahr bloß?
Heute aber, während ihrer Mittagspause, klingelte ihr Handy. Der Anruf kam von einer anonymen Nummer. Sofort verkrampfte sie sich – sie wusste, dass er es war. »Wir treffen uns an der Greene und Houston Street«, befahl er. »Nordostecke, unter dem Gerüst. Bring das Übliche mit.«
Mit anderen Worten, bring das Geld.
Als sie sich der Kreuzung näherte, verstand sie, warum er diesen Ort gewählt hatte. Der gesamte Block war abgerissen, damit darauf ein neues Gebäude errichtet werden konnte, von dem gerade mal die Baugrube ausgehoben war. Die Baustelle war von einem Gitterzaun umgeben, und der Bürgersteig wurde von einem Gerüst überdacht. Kein normaler Fußgänger hielt sich an dem düsteren, menschenleeren Fleck auf. Aber ihr blieb keine andere Wahl.
Dort wartete er schon auf sie und hatte die Kapuze über den vermutlich immer noch kahl rasierten Schädel gezogen. Sie konnte kaum glauben, dass es derselbe Mann war, der ihr für kurze Zeit an der Theke im Cover Gesellschaft geleistet hatte – »Mike«, wie er sich damals genannt hatte, ihr verständnisvoller Zuhörer.
»Die Sendung«, sagte er. »Was läuft da ab?«
»Sie wissen nicht mehr als die Polizei vor fünf Jahren«, sagte sie. »Sogar weniger, soweit ich das sehe.«
»Du weißt, was ich dir gesagt habe. Was auf dem Spiel steht. Ich werde nicht zögern, mir Bobby und Mindy zu schnappen, wenn es sein muss.«
Sie zitterte in ihrem warmen Cardigan. »Bitte«, flehte sie verzweifelt, »ich verspreche, das wird nicht nötig sein.« Ihr Atem kam abgehackt.
»Reiß dich zusammen«, zischte er und riss heftig an der Tasche, während sie versuchte, den Riemen von der Schulter zu nehmen.
Als er die Tasche in der Hand hielt, gab er ihr einen Zettel, auf den zehn Ziffern gekritzelt waren. »Meine neue Nummer. Ruf mich an, wenn die Sendung abgedreht ist … oder falls vorher irgendwelche Überraschungen auftauchen. Versuch nicht, mir was zu verheimlichen.«
»Das mach ich nicht, ich schwöre.«
Sie kam sich vollkommen hilflos vor, als er ging. Sie würde nie frei von ihm sein. Er hatte sie völlig in der Hand.