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A m folgenden Nachmittag standen Laurie und Leo in Kendras Garage. Nick, der Erste Kameramann der Sendung, saß draußen in der Einfahrt hinter dem Steuer des Transporters, während sie alle auf Grace und Jerry in dessen neuem Wagen warteten.
Lauries Handy gab einen Ton von sich. Eine SMS von Jerry. Sorry, übler Verkehr, aber wir haben den Stau hinter uns. Alle auf Gefechtsstation.
»Okay, sind alle so weit?«, rief Laurie.
Kendra starrte auf ihr Handy und zitterte sichtlich.
»Sie wollen das wirklich machen?«, fragte Laurie. »Die Alternative wäre, zur Polizei zu gehen.«
Kendra riss die Augen auf. »Nein. Dieser Typ, Brenner, hat anscheinend Beziehungen zur Politik. Ich hab doch gesehen, wie ich nach Martins Ermordung von der Polizei behandelt wurde. Ich bin überzeugt, dass irgendjemand bei der Polizei einiges in die Wege geleitet hat, damit Martins Affäre mit Leigh Ann nicht publik wurde. Ich habe immer recht gehabt, die ganze Zeit, aber ich wurde behandelt, als wäre ich verrückt.«
Laurie sah zu Leo. Sie wusste, er musste sich auf die Zunge beißen. Ihr Vater war von ganzem Herzen Polizist und hatte nicht das geringste Verständnis für Leute, die der Polizei nicht vertrauten. Laurie allerdings verstand Kendras Vorbehalte. Es konnte gut sein, dass Brenner den einen oder anderen Freund im NYPD hatte. Wenn Kendra jetzt zur Polizei ging, gab es keine Garantie, dass man ihr glaubte und annahm, Brenner habe auf eigene Faust gehandelt. Mit Verweis auf die aufgezeichneten Gespräche könnte Brenner behaupten, er habe Martin auf ihre Anweisung hin getötet, und dann könnte er für sich Strafminderung herausschlagen, indem er gegen sie aussagte.
»Ich kann aber nicht versprechen, dass es funktioniert«, sagte Laurie.
»Ich weiß«, flüsterte Kendra. »Aber ich habe keine andere Wahl, wenn ich meine Unschuld beweisen will.« Sie strich mit den Fingerspitzen über ihre silberne Halskette. Der Anhänger enthielt ein verstecktes Aufnahmegerät, das alles, was gesprochen wurde, in den Produktionswagen übertrug.
»Bereit?«, fragte Laurie. Sie schickte Kendra von ihrem Handy ein Foto. Das war der erste Schritt des Plans. Dazu hatte sie bereits die Telefonnummer von Joe Brenners Website auf ihrem Handy aufgerufen. Das war Schritt zwei.
Kendra nickte, sie wirkte jetzt sehr viel selbstsicherer. »Los, bringen wir ihn zur Strecke.«
Laurie drückte auf die Wähltaste.
Es klingelte dreimal, dann sprang die Mailbox an, wie Laurie es an einem Samstag nicht anders erwartet hatte. »Mr. Brenner, hier ist Laurie Moran.« Leo nickte ihr ermutigend zu. »Ich bin Journalistin und Produzentin bei den Fisher Blake Studios. Bei unseren Ermittlungen zum Mord an Dr. Martin Bell ist Ihr Name aufgetaucht, und wir würden Ihnen gern die Möglichkeit einräumen, Ihre Ansicht zu der ganzen Geschichte vor der Kamera zum Besten zu geben, bevor wir die Sendung ausstrahlen. Bitte rufen Sie mich so bald wie möglich an.«
Mit klopfendem Herzen beendete Laurie das Gespräch. Sowohl Alex als auch Leo hatten ihr versichert, dass Privatdetektive Anrufe direkt auf ihre Handys weiterleiteten, damit sie jederzeit die eingegangenen Nachrichten abhören konnten. Wenn sie recht hatten, hörte sich Joe Brenner in diesem Moment an, was Laurie ihm auf die Mailbox gesprochen hatte. Schweigend warteten sie. Es gab für sie sonst nichts zu tun.
Keine zwei Minuten später klingelte Kendras Handy. Sie zuckte zusammen, als würde ihre Hand in Flammen stehen, dann hielt sie das Telefon hoch, damit alle sehen konnten, dass der Anruf von einer anonymen Nummer kam.
Brenner.
Mit zitternder Stimme meldete sich Kendra. »Hallo?«
Sie beugte sich zu Laurie hin, sodass Laurie mithören konnte. »Sehr ungezogen von dir, Kendra. Hast du die Regeln vergessen? Was hast du der Produzentin erzählt?«
»Nichts«, antwortete sie. »Kein Wort über dich. Ich habe aber gerade mit Laurie Moran telefoniert. Anscheinend weiß sie von dir.«
»Warum hast du mich nicht gleich verständigt?«
»Ich hatte das Handy schon in der Hand, aber ich musste doch erst in die Garage, damit die Kinder mich nicht hören. Und dann hat es geklingelt, und du hast angerufen.«
»Dann weiß ich jetzt, wo Bobby und Mindy sind. Sehr aufmerksam von dir.«
Seine Stimme war kalt wie Eis. Laurie lief ein Schauer über den Rücken. Sie ergriff Kendras freie Hand und drückte sie.
»Bitte, ich habe nichts gesagt, wirklich nicht. Aber wir sollten uns treffen … Ich erzähle dir alles, was ich weiß. Aber ich habe Angst, dass sie die Polizei dazu gebracht hat, mein Telefon anzuzapfen.«
Mit einem Mal war die Leitung tot. Kendra sah auf das Display und fragte sich schon, ob sie kein Signal mehr hatte. Kurz darauf ploppte eine SMS auf.
Treffpunkt Cooper Triangle. In vierzig Minuten.
»Ist das eine Bar oder so?«, fragte Laurie.
Kendra schüttelte den Kopf. »Eine kleine Grünfläche vor dem Cooper Union. Dort haben wir uns schon mal getroffen.« Das Cooper Union war ein kleines Privatcollege im East Village. Laurie kannte den Ort.
Kendra öffnete das Garagentor, und Laurie und Leo stiegen in den Produktionswagen zu Nick. Sie wies den Kameramann an, wohin er zu fahren hatte, und gab Jerry Bescheid, damit er seine Route änderte. Das Cooper-Union-Gebäude war nur wenige Straßen entfernt. Sie würden längst da sein, wenn Kendra oder Brenner eintrafen. Nur so konnte ihr Plan funktionieren.