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B
renner wollte fort, aber er kam nicht weit. Aus allen Seiten rasten Autos vorbei.
»Ich habe einen bewaffneten Ex-Polizisten im Wagen, denken Sie also nicht im Traum daran, uns was anzutun«, sagte Laurie.
Er hob beide Hände. »Ich weiß nicht, was hier vor sich geht, aber es muss sich um ein großes Missverständnis handeln. Ich bin Privatdetektiv. Ich tue niemandem etwas an, geschweige denn, dass ich jemanden töte.«
»Ich kann eindeutig nachweisen, dass Sie von Daniel Longfellow beauftragt wurden, Beweise für eine Affäre zwischen seiner Frau und Martin Bell zusammenzutragen. Und dann hat Longfellow Sie angewiesen, Kendra diese Beweise vorzulegen.«
Er zuckte mit den Schultern. »Und wenn schon? So was machen Privatdetektive nun mal.«
»Nur dass Sie Kendra nie von der Affäre berichtet haben, oder? Sie haben für sich die Chance gewittert, groß abzukassieren. Nachdem Sie ihre Aussagen aufgezeichnet haben, dass sie ihren Mann loswerden wolle, haben Sie ihn umgebracht und Kendra seitdem erpresst.«
»Sie sind ja verrückt. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Ich habe Kendra die Bilder von ihrem Mann mit einer anderen Frau nicht gegeben, weil sie doch schon völlig am Ende war. Wer weiß, was sie dann noch alles angestellt hätte.«
Bei dieser scheinbar unschuldigen Erklärung wurden seine Gesichtszüge weicher, seine Stimme klang weniger eisig. Laurie
hatte eine ganz andere Person vor sich als noch wenige Minuten zuvor. »Jeder weiß doch, dass sie kurz davor war, völlig abzustürzen.«
»Also haben Sie die Chance ergriffen und sie erpresst!«
»Hören Sie mir mal zu, Lady. So ist das nicht gelaufen.«
»Warum haben Sie alles aufgezeichnet, als sie sich über ihre Ehe ausgelassen hat?«
Er zog ein kleines digitales Aufnahmegerät aus seiner Jackentasche und hielt es hoch. »Weil ich Privatdetektiv bin, ich zeichne alles auf. Was ich nicht brauche, lösche ich wieder. Aber dann wurde der Doc umgebracht, und ich dachte, es war Kendra. Sie hatte einen Mann, der sie in die Wüste schicken wollte. Der Doc und seine Eltern wollten ihr die Kinder wegnehmen. Sie hätten sie einfach sitzenlassen, völlig mittellos.«
»Wenn Sie Kendra für schuldig gehalten haben«, fragte Laurie, »warum sind Sie dann mit den Aufzeichnungen nicht zur Polizei?«
»Weil ich weiß, wie solche Prozesse laufen. Die Polizei hätte auf diesen Indizien keinen Fall aufbauen können. Sie wäre als Täterin nicht infrage gekommen. Sie war zum Tatzeitpunkt im Haus. Das heißt also, jemand anders muss der Mörder sein. Und dann hätte man auf mich gezeigt – genau wie Sie das tun –, und ich hätte erklären müssen, warum ich von Kendra Geld bekommen habe. Ich wollte ihr doch bloß helfen. Außerdem hätte ich dann Leigh Ann Longfellows Affäre aufdecken müssen, und damit hätte ich es mir mit meinen Auftraggebern in Albany verscherzt. Ich habe mich selbst schützen müssen, aber ich bin kein Mörder.«
»Nein, aber ein Erpresser.«
Er sah sich nervös um. »Sie bringen alles durcheinander, Lady.«
»Wir haben Sie auf Film, Brenner. Ich gebe dir dann Bescheid, wenn der nächste Zahltag ansteht
. Was ist das, wenn nicht
Erpressung? Und mir sind Sie auch gefolgt. Wenn die Polizei erst mal anfängt mit ihren Ermittlungen, wird sie sehr schnell herausfinden, wo Sie sich am Montagabend aufgehalten haben. Sie haben mich vor das Taxi gestoßen und mich ausgeraubt. Das sind mindestens zwei weitere schwere Straftaten.«
Als sich im Verkehr eine Lücke auftat, sagte er: »Sie wissen doch nicht, was Sie da reden, Lady. Ich hab die Schnauze voll von Ihnen.« Er drehte sich um, lief über die Bowery und ging nach Süden davon. An der Ecke zog er sein Handy aus der Tasche und schien zu telefonieren.
»Er hat kein Geständnis abgelegt«, sagte Kendra.
»Wir haben gewusst, dass nur wenig Aussicht auf Erfolg besteht«, erwiderte Laurie. »Glauben Sie mir: Im Großen und Ganzen wird das Filmmaterial Ihnen helfen. Und wir können ihn wegen Erpressung drankriegen.«
»Was jetzt?«
Laurie sah zu Brenner, der immer noch telefonierte. Sie war nicht bereit, ihn einfach so gehen zu lassen. Sie zückte ihr Handy und rief Jerry an, der in der 5th Street geparkt hatte. »Fahr zur Bowery, bieg rechts ab und fahr dann in die 6th Street. Häng dich dran.«
Ohne Brenner aus den Augen zu lassen, rief sie Leo an. »Er kontaktiert jemanden. Ich will wissen, wohin er fährt. Wir können ihm nicht mit dem Produktionswagen folgen, aber unseren zweiten Wagen hat er nicht gesehen. Ich werde ihn mit Jerry beschatten.«
»Aber nicht ohne mich«, sagte Leo.
Sie liefen über die Bowery und in die 6th Street, wo Jerry bereits mit laufendem Motor am Bürgersteig wartete. Ein Fernglas baumelte um seinen Hals. Als sie die hintere Tür öffnete, bemerkte sie, dass die Rückbank nach vorn geklappt und der kleine Kofferraum mit Kartons und Tüten beladen war
.
»Tut mir leid, Laurie. Ich wollte schon mal ein paar Sachen nach Fire Island schaffen, wenn wir hier fertig sind.«
Brenner würde ihnen entkommen, dachte Laurie. Sie musste eine schnelle Entscheidung treffen. Jerry würde es nicht gefallen, aber wenn nur eine weitere Person sie begleiten konnte, dann war es sinnvoller, wenn das ein bewaffneter Ex-Polizist war und nicht ihr Produktionsassistent.
»Ähm … könnten wir uns deinen Wagen ausleihen? Und kann ich das da auch haben?« Sie zeigte auf sein Fernglas.