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B renner war es gewohnt, anderen zu sagen, wo es langging. Als Kind war er auf dem Spielplatz der Boss gewesen, er hatte bestimmt, welche Spiele gespielt wurden, er hatte jeden schikaniert, der es wagte, sich ihm in den Weg zu stellen. Auf dem College hatte er genau gewusst, was er machen wollte – er wollte in den Polizeidienst. Er wollte für Recht und Ordnung sorgen und ein Abzeichen tragen, das ihm Autorität verlieh. Als sich die Ausbildung als zu mühselig herausstellte, nahm er die Sache selbst in die Hand und ging zur Army. Nach absolviertem Militärdienst war er ein sicherer Kandidat für die Polizei.
Auch nach der Entlassung aus dem Militärdienst, nachdem er einen Sergeant tätlich angegriffen hatte – Brenner war immer noch überzeugt, dass sich der andere die Prügel redlich verdient hatte –, ließ er sich nicht unterkriegen. Obwohl die Army ihn am liebsten vor das Militärgericht gestellt und ihn unehrenhaft entlassen hätte, schaffte er es, eine »nicht unehrenhafte« Entlassung zu erwirken. Als er aber aufgrund dessen bei der Polizei keine Anstellung mehr bekam, fand er eine andere Möglichkeit, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen: als Privatdetektiv. Und nachdem die Anwälte nicht mehr mit ihm zusammenarbeiten wollten, wurde er der Mann für die Politiker, falls es darum ging, gegen politische Gegner zu ermitteln.
Jedes Mal, wenn die Umstände ihn mit einer Herausforderung konfrontierten, fand er einen Weg, die Sache unter Kontrolle zu halten .
Aber jetzt verließ ihn seine Findigkeit. Unfassbar, dass sich sein brillanter Plan, den er fünf Jahre zuvor ausgeheckt hatte, gerade zerschlug. Alles hatte mit einer Routineanfrage begonnen: Ein eifersüchtiger Ehemann wollte wissen, ob ihn seine Frau betrog. Aber der Ehemann war nicht irgendjemand. Es war der Politiker und Liebling aller Bürger, Daniel Longfellow. Er hatte schon oft seinen Mandanten die betrübliche Nachricht überbracht, aber nie war ihm ein Ehemann untergekommen, den die Untreue dermaßen niedergeschmettert hatte. Er dachte schon, Longfellow würde noch in seiner Gegenwart in Tränen ausbrechen.
Jede Achtung, die er für Longfellow aufbrachte, war endgültig zerstört, als der Politiker ihn anflehte: »Unternehmen Sie was, damit es aufhört.« Brenner nannte ihm einige der besten Scheidungsanwälte der Stadt, aber Longfellow wollte nur seine Frau zurückhaben. Der Abgeordnete sagte ihm, er solle die Beweise Kendra Bell zeigen. »Sie hat Kinder. Sie wird dafür sorgen, dass er die Affäre beendet.«
Mit anderen Worten, er wollte, dass sie für ihn die Drecksarbeit erledigte. Nun, Brenner ließ sich so eine Gelegenheit natürlich nicht entgehen. Als Erstes begann er Leigh Ann zu erpressen, sobald er von den Gerüchten hörte, dass Longfellow auf den freigewordenen Sitz im Senat nachrücken sollte. Es war ein Kinderspiel. Er erzählte ihr, dass Martin Bells Frau ihn angeheuert habe, damit er ihren Mann beschattete, allerdings sei er bereit, ihr die kompromittierenden Fotos zu verkaufen, sofern der Preis stimmte. Sie war diejenige in der Ehe, die das Geld nach Hause brachte, außerdem war klar, dass sie Pläne hegte, irgendwann ins Weiße Haus einzuziehen. Zukünftige First Ladys lassen sich nicht beim Fremdgehen erwischen. Sie zahlte.
Die Situation mit Kendra war etwas komplizierter. Als er sie zum ersten Mal in dieser Bar traf, wusste er nicht recht, wie er es angehen sollte. Aber er wusste, dass ihr Mann stinkreich war und sich ihm hier ebenfalls die Gelegenheit bot, kräftig abzusahnen. Wer hätte damit gerechnet, dass sie ihm ihr Herz ausschüttete und der Doc wenige Tage darauf umgebracht würde? Es war, als wäre ihm das Geld in den Schoß gefallen. Wie sein Großvater immer gesagt hatte: »Wenn dir eine gebratene Ente ins Maul fliegt, stellst du keine Fragen. Du isst sie.« Zwei Frauen, zwei Einnahmequellen – und keine der beiden kam dahinter, dass dieser Waschlappen Longfellow ursprünglich die ganze Sache ins Rollen gebracht hatte.
Jetzt musste er Leigh Ann noch einmal die Daumenschrauben anlegen, aber nicht wegen des Geldes.
Sie war erkennbar wütend, als sie ausstieg, trotzdem sah sie sich um, aus Angst, erkannt zu werden. Es standen an verschiedenen Sportplätzen weitere Wagen, Insassen waren allerdings keine zu sehen. Die nachmittäglichen Fußball- und Baseballpartien liefen bereits.
»Sie können mich nicht einfach so am Wochenende anrufen und verlangen, dass ich mich spontan mitten im Nichts einfinde. Zum Glück ist Daniel im Büro, sonst …«
»Ihr Mann muss seine Freunde bei der Polizei oder der Staatsanwaltschaft anrufen und sich von denen eine ›Du kommst aus dem Gefängnis frei‹-Karte geben lassen.«
Sie sah ihn verächtlich an. »Sind Sie völlig übergeschnappt? So was gibt es nur in drittklassigen Krimis. Im richtigen Leben funktioniert das nicht.«
Wäre Brenner ganz der Alte gewesen – der, der alles unter Kontrolle hatte –, hätte er bemerkt, dass sie nicht unsicher und nervös wirkte, wie es sonst bei ihren Gesprächen der Fall war. Vielleicht wäre ihm klargeworden, dass es einen Grund gab für ihr neu gefundenes Selbstvertrauen.
»Doch, genau so funktioniert es. Ständig. Der Sprössling irgendeines Senators wird angehalten, weil er betrunken durch die Gegend kurvt, und, huch, auf einmal verschwinden die dazugehörigen Unterlagen. Irgendein Kongressabgeordneter wird mit Drogen am Steuer erwischt, und der Beweismittelbeutel in der Asservatenkammer bekommt Beine. Irgendjemand zieht immer die Strippen, und das muss jetzt Ihr Mann, der tolle Hecht, für mich erledigen.«
»Ich kann das nicht tun«, sagte sie. »Daniel weiß von Martin doch gar nichts. Er glaubt immer noch, er wäre nichts anderes als ein Kindheitsfreund gewesen. Wie um alles in der Welt soll ich meine Beziehung zu Ihnen erklären?«
Er konnte sich ein Lachen gerade noch verkneifen. Sie war so clever und doch so dumm. »Glauben Sie mir, Leigh Ann, er kennt mich. Er war es, der mich angeheuert hat, nicht Kendra. Er weiß von Ihnen und Martin. Er weiß es schon die ganze Zeit.«
Wie vom Donner gerührt starrte sie ihn an. Nach einer Weile sagte sie: »Aber das wird er nie tun – selbst wenn es möglich wäre. Dafür ist er viel zu prinzipientreu.«
»Genau, und deshalb müssen Sie ihn darum bitten. Er wird spuren, weil er Sie liebt und alles tun würde, um Sie aus Schwierigkeiten rauszuhalten. Ich kenne ihn. Er würde sich für Sie opfern.«
Sie richtete den Blick zu Boden und schien darüber nachzudenken, dann sah sie zu den Spielern auf den angrenzenden Fußball- und Softballfeldern. Und dann ging ihr Blick zu dem Wagen, der teilweise von Bäumen verdeckt wurde.
»Ich habe Angst, dass mich jemand erkennt. Unterhalten wir uns in Ihrem Wagen weiter.«
Er drückte auf die Fernbedienung, schloss den Wagen auf und nahm hinter dem Steuer Platz. Als sie neben ihm auf dem Beifahrersitz saß, sagte sie: »Sie haben recht. Danny liebt mich wirklich. Und deshalb kann ich es nicht zulassen, dass Sie uns alles kaputt machen.«
Sie griff in ihre Tasche und zückte eine Waffe.