«Es ist fünf Jahre her, Mr. Carnegie, da kam ich zu einem Ihrer Demonstrationsabende. Ich ging bis zur Eingangstür des Saals – und dann blieb ich stehen. Ich wußte ja, wenn ich diesen Raum betreten und mich für den Kurs einschreiben würde, so müßte ich früher oder später eine Rede halten. Meine Hand am Türgriff erstarrte. Ich kehrte um und verließ das Gebäude. – Hätte ich doch damals schon gewußt, wie leicht Sie es einem machen, diese Angst zu überwinden, diese lähmende Angst vor einem Publikum, dann hätte ich nicht diese letzten fünf Jahre vergeudet.»
Der Mann, der diese Worte sprach, äußerte sie nicht am Wohnzimmertisch. Er richtete seine Worte an einen Hörerkreis von gut zweihundert Menschen. Es handelte sich um den Abschlußabend eines meiner Kurse in New York. Bei seiner Rede beeindruckten mich insbesondere seine Haltung und Sicherheit. Hier ist ein Mann, so ging es mir durch den Kopf, dessen berufliche Fähigkeiten ganz außerordentlich durch seine neuerworbene Ausdrucksfähigkeit und sein Selbstvertrauen verstärkt werden. Als sein Lehrer war ich begeistert zu sehen, daß er seiner Angst den Todesstoß versetzt hatte. Und ich mußte denken: Wieviel erfolgreicher und – was ja viel mehr bedeutet – wieviel glücklicher hätte dieser Mann sein können, wenn er seinen Sieg über die Angst schon fünf oder zehn Jahre früher errungen hätte.
Der Philosoph und Dichter Ralph Waldo Emerson sagte: «Angst besiegt mehr Menschen als irgend etwas anderes auf der Welt.» Wie habe ich die bittere Wahrheit dieses Wortes erfahren! Und wie dankbar bin ich, daß es mir in meinem Leben vergönnt war, Menschen von Angst zu befreien. Als ich meine Kurse begann, hatte ich kaum eine Ahnung davon, daß sich dieses Training als eine der besten Methoden erweisen würde, um Menschen von Angst und Minderwertigkeitsgefühlen zu befreien. Ich habe erkannt, daß freies Sprechen das naturgegebene Verfahren zur Überwindung von Unsicherheit und zur Entwicklung von Zuversicht und Mut ist. Warum? Weil freies Sprechen uns fähig macht, die Angst zu besiegen. Viele Jahre habe ich Männer und Frauen gelehrt, vor Zuhörern zu sprechen. Dabei habe ich ein paar Einfälle gehabt, die auch Ihnen helfen können, Lampenfieber schnell zu überwinden und in nur wenigen Wochen des Trainings Selbstvertrauen zu entwickeln.
Erste Tatsache:
Sie sind nicht der einzige, der Angst vor öffentlichem Reden hat. Statistische Erhebungen haben ergeben, daß 80 bis 90 Prozent aller Menschen, die an Redekursen teilnehmen, bei Beginn des Kurses an Lampenfieber leiden.
Zweite Tatsache:
Ein gewisses Ausmaß von Lampenfieber ist nützlich. Auf diese Weise bereitet uns die Natur darauf vor, ungewöhnlichen Anforderungen unserer Umwelt zu begegnen. Stellen Sie also fest, daß Ihr Puls heftiger und Ihre Atmung schneller wird, so lassen Sie sich nicht beunruhigen. Ihr Körper, der auf äußere Einflüsse stets lebhaft reagiert, macht sich dadurch einsatzbereit. Bleibt diese körperliche Ankurbelung in Grenzen, so verhilft sie Ihnen dazu, schneller als normal zu denken, flüssiger zu sprechen und Ihre Gedanken eindringlicher auszudrücken.
Dritte Tatsache:
Viele erfahrene Redner haben mir versichert, daß sie das Lampenfieber niemals völlig verlieren. Es überfällt sie fast jedesmal, wenn sie sich anschicken zu sprechen, und mag während der ersten Sätze ihrer Reden auch noch anhalten. Das ist der Preis dafür, daß diese Männer und Frauen Rennpferden gleichen und nicht Ackergäulen. Redner, die von sich sagen, daß sie stets kalt wie ein Eisklotz seien, lassen gewöhnlich auch andere kalt. Wer sich nicht selbst mitreißen läßt, kann auch andere nicht mitreißen.
Vierte Tatsache:
Die Hauptursache Ihrer Angst vor freiem Reden ist lediglich das Ungewohnte der Situation. «Angst ist der widernatürliche Abkömmling von Unwissenheit und Unsicherheit», sagt James H. Robinson in seinem berühmten Buch Die Schule des Denkens. Für die Mehrzahl der Menschen ist Sprechen vor anderen eine unbekannte Erfahrung und folglich mit Angst und Nervosität verbunden. Die Kunst zu reden erscheint dem Anfänger als höchst unbegreiflich und schwierig, komplizierter als etwa das Lernen von Tennisspielen oder Autofahren. Um aus dieser beängstigenden Situation herauszukommen, gibt es nur eines: Übung, Übung und nochmals Übung. Wie Tausende und Abertausende vor Ihnen werden auch Sie erfahren, daß Sprechen vor anderen ein Vergnügen statt eines Alptraumes sein kann. Dazu müssen Sie einfach immer wieder erfolgreiche Erfahrungen sammeln.
Die Geschichte, wie Albert Edward Wiggam, ein berühmter Lehrer und bekannter Psychologe, seine Angst besiegte, ist mir stets wie eine Offenbarung vorgekommen. Er berichtet, wie schreckerfüllt er bei dem Gedanken war, in der Schule vortreten und fünf Minuten Gedichte aufsagen zu müssen. «Wenn der Tag herankam», schreibt er, «wurde ich buchstäblich krank. Immer wieder, wenn der entsetzliche Gedanke mich durchdrang, schoß mir das Blut zum Herzen, und meine Wangen brannten so schmerzhaft, daß ich hinter das Schulgebäude eilte und sie gegen das kalte Gemäuer preßte in der Hoffnung, Linderung zu finden. Auch während meiner College-Zeit konnte ich diesen Zustand nicht überwinden.
Bei einer Gelegenheit hatte ich mir wieder einmal eine Deklamation sorgfältig eingeprägt. Sie begann mit den Worten: ‹Adam und Jefferson sind nicht mehr.› Als ich vor meinen Zuhörern stand, schien alles um mich zu wogen, und ich wußte kaum, wo ich war. Irgendwie brachte ich den Mund auf und begann: ‹Adam und Jefferson sind verstorben.› Ich konnte kein weiteres Wort herausbringen, verneigte mich … und ging unter Beifallsklatschen zu meinem Sitzplatz. Der Professor erhob sich und sagte: ‹Wir sind höchst bestürzt, diese traurige Mitteilung zu erfahren, Edward, aber wir wollen unser möglichstes tun, um mit dieser Situation fertig zu werden.› Bei dem brüllenden Gelächter, das diesen Worten folgte, wäre ich am liebsten in den Boden versunken. Das letzte, was ich mir je hätte vorstellen können, war, einmal als öffentlicher Redner aufzutreten.»
Ein Jahr nach Verlassen des Colleges war Wiggam in Denver. Die politischen Kämpfe des Jahres 1896 gingen um die Freigabe des Silbers zu Prägezwecken. Eines Tages las er eine Flugschrift, in der die Befürworter des «Freien Silbers» ihre Vorschläge erläuterten. Er geriet derartig in Wut über das, was er als Irrtümer und windige Versprechungen ansah, daß er seine Uhr ins Leihhaus trug, um sich Geld zur Heimreise nach Indiana zu beschaffen. Dort angekommen, erbot er sich, einen Vortrag über gesunde Währungspolitik zu halten. Unter den Zuhörern waren viele seiner ehemaligen Schulfreunde. «Als ich begann», schreibt er, «tauchte das Bild der Adam-und-Jefferson-Rede vor meinem geistigen Auge auf. Ich würgte und stammelte, und alles schien verloren. Aber meine Zuhörer und ich schafften es irgendwie, die Einleitung zu überstehen. Durch diesen winzigen Erfolg ermutigt, fuhr ich fort zu sprechen, wie ich meinte, etwa fünfzehn Minuten lang. Zu meiner Überraschung stellte ich dann fest, daß ich anderthalb Stunden gesprochen hatte. Daraus ergab sich, daß ich zu meinem eigenen größten Erstaunen in den folgenden Jahren meinen Lebensunterhalt als öffentlicher Redner verdiente.
So weiß ich aus eigener Erfahrung, was William James meint, wenn er von der Gewohnheit des Erfolges spricht.»
Tatsächlich, Albert Edward Wiggam erfuhr, daß eine der zuverlässigsten Möglichkeiten zur Überwindung verheerender Angst für jeden Redner darin besteht, immer wieder nützliche Erfahrungen zu sammeln.
Ein gewisses Maß an Angst sollten Sie als natürliche Beigabe zu Ihrem Wunsch, vor anderen zu sprechen, von vornherein erwarten, und Sie sollten lernen, eine begrenzte Portion Lampenfieber als Hilfe zum besseren Reden einzusetzen.
Wenn Sie aber das Lampenfieber überwältigt – mit Leere im Gehirn, unkontrollierbarem Zittern und Verkrampfung der Muskeln –, dann sollten Sie nicht verzweifeln. Diese Symptome sind bei Anfängern ganz normal. Fangen Sie nur an, und Sie werden schon bald das Lampenfieber auf das Ausmaß reduziert haben, das Ihnen beim Sprechen hilft, weil es Sie anregt und antreibt.
Bei einem Essen eines New Yorker Rotary-Clubs war der Hauptredner ein bekannter Vertreter der Regierung. Wir erwarteten, daß er die Tätigkeit seines Arbeitsbereiches beschreiben würde.
Er hatte kaum begonnen, da wurde schon deutlich, daß er seine Rede nicht vorbereitet hatte. Zunächst bemühte er sich, frei zu sprechen. Als das mißlang, fischte er eine Handvoll offensichtlich ungeordneter Notizzettel aus der Tasche. Diese Zettel faltete er auf und zu, knitterte und rollte sie zusammen und wurde dabei immer unfähiger, die rechten Worte zu finden. Von Minute zu Minute wurde er hilfloser und verwirrter. Doch fuhr er fort, sich abzuzappeln und sich zu entschuldigen. Dabei versuchte er, mit zitternder Hand ein Glas Wasser an die trockenen Lippen zu führen und währenddessen vernünftige Gedanken von seinem Zettel abzulesen. Er bot das jämmerliche Bild eines völlig von Angst überwältigten Mannes – und das lag an seiner äußerst mangelhaften Vorbereitung. Endlich setzte er sich hin – einer der gedemütigtsten Redner, die ich je gesehen habe. Er hielt seine Rede so, wie Rousseau es vom Schreiber eines Liebesbriefes verlangt: Er begann, ohne zu wissen, was er sagen wollte – und endete, ohne zu wissen, was er gesagt hatte.
Seit dem Beginn meiner Kurse war es meine Aufgabe, jährlich weit mehr als tausend Reden zu beurteilen. Aufgrund dieser Erfahrung wurde ein Lehrsatz meine Maxime: Nur der wohlvorbereitete Redner verdient seine Zuversicht.
Wie kann jemand erwarten, die Festung der Angst zu erstürmen, der mit mangelhaften Waffen oder gar ohne Munition in den Kampf zieht? «Ich glaube», sagte Abraham Lincoln, «daß ich nie alt genug sein werde, um ohne Beschämung zu sprechen, wenn ich nichts zu sagen habe.»
Wenn Sie Selbstvertrauen entwickeln wollen, warum tun Sie nicht das einzige, das Ihnen Sicherheit als Redner geben kann? «Wahre Liebe», schreibt der Apostel Johannes, «überwindet die Furcht.» Das gilt auch von guter Vorbereitung. Der für seine Reden berühmte Politiker Daniel Webster äußerte, daß es für ihn ebenso undenkbar sei, halb vorbereitet vor dem Publikum zu erscheinen wie halb bekleidet.
Ist unter «guter Vorbereitung» wohl zu verstehen, daß Sie Ihre Rede auswendig lernen? Nein! Und nochmals nein! In ihrem Bestreben, sich vor dem plötzlichen Vergessen, einem Black-out zu schützen, geraten viele Redner in die Falle des Auswendiglernens. Hat er sich daran erst einmal gewöhnt, dann ist der Redner hoffnungslos an eine zeitraubende Vorbereitungsmethode gefesselt, die jegliche persönliche Wirkung auf den Zuhörer zunichte macht. Als H. V. Kaltenborn, der bekannte amerikanische Nachrichten-Kommentator, noch Student der Harvard-Universität war, nahm er an einem Vortragswettbewerb teil. Er wählte eine Kurzgeschichte aus mit dem Titel: Meine Herren, der König! Wort für Wort lernte er sie auswendig und wiederholte sie wohl hundertmal. Am Tag der Veranstaltung kündigte er den Titel «Meine Herren, der König!» an. Dann verflüchtigten sich alle seine Gedanken. Sie verflüchtigten sich – und es blieb die absolute Leere. Ihm wurde schwarz vor den Augen. In seiner Verzweiflung begann er die Geschichte in seinen eigenen Worten vorzutragen. Er war selber am meisten erstaunt, als das Komitee ihm den ersten Preis zusprach. Von diesem Tage an hat H. V. Kaltenborn nie wieder eine Rede abgelesen oder auswendig gelernt. Das ist das Geheimnis seines Erfolgs als Kommentator. Er machte sich ein paar Notizen und sprach dann ohne Manuskript frei und natürlich zu seinen Hörern.
Wer seine Reden ausschreibt und Wort für Wort auswendig lernt, verschwendet Zeit und Kraft und fordert das Unheil heraus. Unser ganzes Leben lang sprechen wir ständig spontan. Dabei brauchen wir ja auch nicht erst nach Worten zu suchen. Wir müssen uns Gedanken machen. Sind unsere Gedanken klar, dann kommen uns die Worte so natürlich und ungezwungen wie die Luft, die wir atmen.
Selbst Winston Churchill mußte diese Lektion durch bittere Erfahrung lernen. Als junger Mann schrieb Churchill seine Reden aus und lernte sie auswendig. Dann passierte es ihm eines Tages, daß er während des Hersagens einer solchen auswendig gelernten Rede vor dem englischen Parlament plötzlich den Faden verlor, keine Worte mehr finden konnte und sich mit hochrotem Kopf setzen mußte. Von diesem Tage an hat Winston Churchill nie wieder den Versuch unternommen, eine auswendig gelernte Rede vorzutragen.
Lernen wir unsere Rede Wort für Wort auswendig, so werden wir sie vermutlich vergessen, wenn wir unseren Zuhörern gegenübertreten. Selbst wenn wir sie nicht vergessen, werden wir sie wahrscheinlich trocken und mechanisch von uns geben. Warum? Weil sie dann nicht von Herzen kommt, sondern aus dem Gedächtnis. Sprechen wir in vertrautem kleinem Kreis mit anderen, dann überlegen wir, was wir sagen wollen – und sagen es, ohne mühsam nach Worten zu suchen. So haben wir es unser ganzes Leben lang gemacht. Warum sollten wir versuchen, das jetzt zu ändern? Schreiben wir aber unsere Rede nieder und lernen sie auswendig, dann mag uns geschehen, was Vance Bushnell zustieß.
Vance war Student der Kunstakademie in Paris und wurde später Präsident einer der größten Versicherungsgesellschaften der Welt. Zu Beginn seiner Laufbahn wurde er aufgefordert, auf einer Tagung von zweitausend Repräsentanten dieser Versicherungsgesellschaft das Wort zu ergreifen. Er war zu dieser Zeit erst zwei Jahre im Versicherungsgeschäft tätig, hatte dabei aber so großen Erfolg gehabt, daß man ihn für eine Zwanzig-Minuten-Rede bestimmte.
Das war eine Auszeichnung für Vance. Er wußte, er würde dadurch an Ansehen gewinnen. Aber unseligerweise schrieb er seine Rede auf und lernte sie auswendig. Vierzigmal übte er sie vor einem Spiegel ein. Er hatte jede Einzelheit festgelegt: jeden Satz, jede Geste, selbst den Gesichtsausdruck. Alles war seiner Meinung nach tadellos vorbereitet.
Doch was geschah? Als er sich erhob, um zu beginnen, überfiel ihn die Angst. Er sagte: «Meine Aufgabe heute ist es …» und verlor den Faden. In seiner Verwirrung trat er zwei Schritte zurück und versuchte noch einmal anzufangen. Wieder verlor er den Faden. Abermals trat er zwei Schritte zurück und versuchte es von neuem. Diese Vorstellung wiederholte er dreimal. Das Podium war etwas über einen Meter hoch, es war nicht durch ein Geländer gesichert, und zwischen Podium und Wand befand sich ein breiter Zwischenraum. Als er daher zum viertenmal zurücktrat, stürzte er rückwärts vom Podium und verschwand in der Versenkung. Die Zuschauer brüllten vor Vergnügen. Das erstaunlichste an dieser Geschichte ist, daß die Anwesenden glaubten, dies alles sei so geplant gewesen. Noch heute sprechen alte Mitarbeiter von dieser Galavorstellung.
Aber wie stand es mit dem Redner Vance Bushnell? Er selbst bekannte mir, daß es das beschämendste Ereignis seines ganzen Lebens gewesen sei. Er fühlte sich so blamiert, daß er ein Entlassungsgesuch schrieb. Doch seine Vorgesetzten wollten ihn nicht gehen lassen. Sie stellten sein Selbstvertrauen wieder her, und in späteren Jahren wurde Bushnell einer der erfolgreichsten Redner seines Unternehmens. Doch hat er nie wieder eine Rede auswendig gelernt. Machen Sie sich seine Erfahrung zunutze!
Ich habe zahllose Männer und Frauen gehört, die eine auswendig gelernte Rede von sich gaben, doch erinnere ich mich an keinen einzigen Redner, der nicht lebendiger, mitreißender, einfach menschlicher gewirkt hätte, wenn er diese memorierte Ansprache in den Papierkorb geworfen hätte. Dabei wären möglicherweise einige seiner Gedanken verlorengegangen. Vielleicht wäre er auch vom Thema abgeschweift, aber er wäre zumindest menschlich gewesen.
Abraham Lincoln hat einmal gesagt: «Ich mag keine ‹eingeweckte› Predigt anhören. Höre ich einem Prediger zu, dann sehe ich ihn gern in Aktion, als wehrte er sich gegen einen Bienenschwarm.» Lincoln wünschte sich einen Redner gelöst und angeregt. Kein Redner wird je den Eindruck erwecken, als erwehre er sich eines Bienenschwarms, wenn er bemüht ist, sich seiner auswendig gelernten Worte zu erinnern.
Welches ist denn dann die richtige Weise, eine Rede vorzubereiten? Ganz einfach! Durchforschen Sie Ihr Leben nach eindrucksvollen Erfahrungen, aus denen Sie etwas gelernt haben, und sammeln Sie Ihre Gedanken, Ihre Ideen, Ihre Überzeugungen, die Sie aus diesen Erfahrungen gewonnen haben. Echte Vorbereitung bedeutet, über seinem Thema gleichsam zu brüten. Dr. Charles Reynold Brown hat es in einer eindrucksvollen Vorlesungsreihe an der Yale-Universität so ausgedrückt: «Brüten Sie über Ihrem Thema, bis es reift und anschwillt ….. dann bringen Sie alle diese Gedanken zu Papier, nur in ein paar Stichworten, nur um sie festzuhalten ….. notieren Sie sie auf einzelnen Zetteln – Sie werden erfahren, daß es leichter ist, diese Einzelnotizen in die richtige Reihenfolge zu bringen, wenn Sie darangehen, Ihr Material zu ordnen.» Das klingt gar nicht nach einem mühevollen Unterfangen, nicht wahr? Ist es auch nicht. Es erfordert nur ein wenig Konzentration und sinnvolles Denken.
Sollten Sie Ihre Rede proben, nachdem Sie sie in eine gewisse Ordnung gebracht haben? Aber ganz gewiß. Das ist eine todsichere Methode, und sie ist einfach und wirkungsvoll. Benützen Sie die Gedanken, die Sie gesammelt haben, in der täglichen Unterhaltung mit Ihren Freunden und Bekannten. Anstatt über die letzten Sportereignisse zu sprechen, lehnen Sie sich beim Mittagessen einfach über den Tisch und sagen etwa folgendes: «Weißt du, Tom, ich habe neulich etwas Ungewöhnliches erlebt. Das würde ich dir gern erzählen.» Tom wird Ihnen höchstwahrscheinlich gern zuhören. Achten Sie auf seine Reaktionen. Hören Sie auf seine Antworten. Möglicherweise steuert er einen für Sie wertvollen Gedanken bei. Er weiß ja nicht, daß Sie Ihre Rede proben, das ist auch nicht wichtig. Aber vermutlich wird er sagen, daß ihn diese Unterhaltung interessiert hat.
Allan Nevins, der hervorragende Historiker, rät Schriftstellern ähnliches: «Suche dir einen Freund, der sich für das betreffende Thema interessiert, und trage ihm deine Meinung vor. Auf diese Weise wirst du erkennen, welche Tatsachen du zu erläutern versäumt, welche Gesichtspunkte du dir nicht klargemacht hast. Und du wirst entdecken, welches die für deine Geschichte brauchbarste Form ist.»
Sie werden sich erinnern, daß dieser Satz im ersten Kapitel in der Absicht gebraucht wurde, die richtige Einstellung zum Erlernen der Kunst der Rede ganz generell zu finden. Dieselbe Regel läßt sich auf die spezielle Aufgabe anwenden, der Sie sich jetzt gegenübersehen: jede Gelegenheit zum Sprechen zu einer erfolgreichen Erfahrung werden zu lassen. Drei Wege führen zu diesem Ziel: Begeistern Sie sich für Ihr Thema. Halten Sie Ihre Gedanken von negativen Einflüssen frei. Halten Sie sich selbst eine Anfeuerungsrede.
Nachdem Sie Ihr Thema gewählt, den Stoff geordnet und Ihren Vortrag schließlich durch die Unterhaltung mit Ihren Freunden geprobt haben, sind Ihre Vorbereitungen noch nicht beendet. Sie müssen von der Wichtigkeit Ihres Themas ganz und gar überzeugt sein. Sie müssen die Einstellung erlangen, die alle wirklich großen Gestalten der Geschichte beflügelt hat: den Glauben an Ihre Sache. Wie entfachen Sie das Feuer des Glaubens an Ihre Botschaft? Durch die Erforschung aller Einzelheiten Ihres Themas, indem Sie tiefer eindringen in seinen Gehalt und indem Sie sich fragen, was Sie tun können, damit Ihre Zuhörer durch Ihre Worte überzeugt werden.
Wenn Sie sich beispielsweise vorstellen, Sie würden grammatikalische Fehler machen oder in der Mitte Ihrer Ansprache plötzlich schon am Ende sein, so wäre das ganz gewiß eine Vorstellung, die negativ auf Sie zurückwirken, die Ihr Selbstvertrauen aufheben könnte, ehe Sie noch begonnen haben. Vor allem ist es wichtig, während Sie darauf warten, beginnen zu können, Ihre Aufmerksamkeit von sich selbst abzulenken. Konzentrieren Sie sich auf das, was die anderen Redner sagen, schenken Sie ihnen Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, und Sie werden kein übermäßiges Lampenfieber entwickeln.
Ein Redner, der nicht von seiner Aufgabe ganz und gar erfüllt ist, wird immer Augenblicke des Zweifels erleben.
Er wird sich fragen, ob er überhaupt das ihm gemäße Thema gefunden hat und ob es seine Zuhörer interessieren wird. Er wird sogar darüber nachdenken, ob er nicht sein Thema wechseln sollte. In solchen Zeiten, wenn die Zweifel so stark werden, daß sie Ihre Zuversicht zu vernichten drohen, sollten Sie sich selbst eine Anfeuerungsrede halten. Sagen Sie sich in klaren und kräftigen Worten, daß Ihre Rede genau die richtige für Sie ist, kommt sie doch aus Ihrer eigenen Erfahrung, Ihrer persönlichen Lebensanschauung. Sagen Sie zu sich selbst, daß Sie ein größeres Recht haben, gerade diese Rede zu halten, als jeder andere Anwesende, und daß Sie Ihr Bestes tun werden, um diese Rede vorzutragen. Unsere heutigen Psychologen bestätigen, daß Motivierung, die auf Autosuggestion basiert, eine der anspornendsten und wirksamsten Lehrmethoden ist – selbst wenn sie simuliert wird. Um wieviel wirksamer muß dann eine eindringliche Anfeuerungsrede sein, die auf Tatsachen gegründet ist!
Der Psychologe William James schreibt: «Zwar scheint die Handlung dem Gefühl zu folgen, doch tatsächlich stehen Handlung und Gefühl in Wechselwirkung zueinander. Ändern wir unser Handeln, das unter unmittelbarer Kontrolle des Willens steht, so können wir indirekt auch die der Willenskontrolle nicht unterstehenden Gefühle ändern.
So werden wir auf einem souveränen, freien Weg zurück zu Heiterkeit und Frohsinn geführt – falls unsere natürliche Fröhlichkeit uns einmal verlassen hat –, wenn wir uns freudig aufrichten und handeln und sprechen, als sei die Freudigkeit schon in uns. Falls dieses Verhalten Sie nicht aufrichtet, so gibt es nichts, was Ihre Fröhlichkeit wiederherstellen kann.
Darum rate ich Ihnen: Wollen Sie sich mutig fühlen, so handeln Sie, als seien Sie mutig, und eine Woge des Mutes und der Zuversicht wird die Woge der Angst hinwegschwemmen.»
Wenden Sie den Rat an, den Professor James erteilt. Um vor einer Zuhörerschaft Mut zu entwickeln, handeln Sie, als seien Sie schon mutig. Selbstverständlich wird jede derartige Bemühung hinfällig, wenn Sie unvorbereitet sind. Doch vorausgesetzt, daß Sie wissen, worüber Sie sprechen wollen, treten Sie mit Schwung vor, und tun Sie einen tiefen Atemzug. Besser, atmen Sie 30 Sekunden tief durch, ehe Sie Ihrem Auditorium gegenübertreten. Die größere Menge Sauerstoff wird Ihnen Tatkraft und Mut einflößen. Ein bekannter Sänger pflegte zu sagen, die Nervosität verflüchtige sich, wenn der Atem so sei, daß «man auf ihm sitzen kann».
Richten Sie sich zu Ihrer vollen Größe auf, und blicken Sie Ihren Zuhörern in die Augen. Und dann beginnen Sie so zuversichtlich mit Ihrer Rede, als schulde jeder einzelne Ihnen Geld. Stellen Sie sich einfach vor, das sei der Fall. Stellen Sie sich vor, diese Menschen seien zusammengekommen, um Sie um ein Darlehen zu bitten. Die psychologische Auswirkung dieser Vorstellung wird Ihnen nützen. Falls Sie Zweifel hegen, ob das eine sinnvolle Philosophie ist, sollten Sie sich nur ein paar Minuten lang mit den Teilnehmern eines unserer Kurse unterhalten, die diese Ratschläge konsequent befolgt haben. Da das aber schwer möglich ist, hören Sie statt dessen einen Mann, der stets als ein Symbol des Mutes angesehen wurde. Zunächst ängstlich und schüchtern, wurde er durch Übung bald kühn und selbstsicher. Es war der kraftvolle, mitreißende Präsident der Vereinigten Staaten, Theodore Roosevelt.
«Ich war ein kränklicher und linkischer Junge», bekennt er in seiner Autobiographie, «sehr nervös und voller Mißtrauen gegen meine eigene Stärke. Unermüdlich und mühselig mußte ich mich üben, nicht nur um meine körperliche Schwäche zu überwinden, sondern auch um Seele und Geist zu stärken.»
Glücklicherweise hat er uns aber auch mitgeteilt, wodurch er sich veränderte. «Als Knabe», schrieb er, «las ich einen Abschnitt in einem der Bücher von Marryat, der mich stets beeindruckte. In diesem Abschnitt erläutert der Kapitän eines kleinen englischen Kriegsschiffes dem Helden, wie man Furchtlosigkeit erlangt. Er sagt, daß fast jeder Mann zu Beginn einer Unternehmung Furcht empfindet. Doch der Kurs, dem er folgen soll, ist das feste ‹Sich-selbst-in-die-Hand-Nehmen›, aus dem heraus er handeln kann, als habe er keine Furcht. Führt er das lange genug durch, verwandelt es sich von einem bloßen ‹Als-ob› in ein ‹Tatsächlich›, und der Mann wird im wahrsten Sinne furchtlos, weil er geprägt wurde durch das Praktizieren der Furchtlosigkeit, als er sie noch gar nicht empfand. Das war die Theorie, die ich mir zu eigen machte. Ich wandte sie auf alles mögliche an, vor dem ich anfänglich Furcht empfand, angefangen bei Grizzlybären bis zu tückischen Pferden und Banditen. Und indem ich handelte, als verspürte ich keine Furcht, verschwand die Furcht nach und nach. Diese Erfahrung werden andere auch machen, wenn sie sie nur suchen.»
Die Überwindung der Angst vor dem Reden überträgt sich in ungeahntem Ausmaß auf alles, was wir tun. Wer sich in diesem Punkt überwindet, verändert sich auch sonst. Als Lohn für seinen Sieg über die Angst wird ihm ein reicheres und erfüllteres Leben geschenkt.
Ein Vertreter schrieb mir: «Nachdem ich ein paarmal frei vor den anderen Kursteilnehmern gesprochen hatte, fühlte ich, daß ich es nun mit jedem aufnehmen konnte. In diesem Gefühl näherte ich mich eines Morgens der Tür eines ganz besonders schwierigen Einkäufers. Ehe er noch ‹Nein› sagen konnte, hatte ich meine Muster schon auf seinem Tisch ausgebreitet, und er gab mir einen der größten Aufträge, die ich je erhielt.»
Eine Hausfrau berichtete einem meiner Kursleiter: «Ich hatte Angst, die Nachbarn einzuladen aus Furcht, daß ich es nicht fertigbekäme, die Unterhaltung in Gang zu halten. Nachdem ich an einigen Kursabenden teilgenommen und vor den anderen Teilnehmern gestanden hatte, faßte ich mir ein Herz und gab meine erste Einladung. Es war ein großer Erfolg. Ich hatte keine Schwierigkeit, die Gäste zu interessanten Gesprächen anzuregen.»
Bei einem Abschlußabend sagte ein kaufmännischer Angestellter: «Ich hatte Angst vor den Kunden; dadurch meinten sie, ich wolle mich ständig entschuldigen. Nachdem ich im Kurs einige Male gesprochen hatte, stellte ich fest, daß ich mit mehr Haltung und Sicherheit sprach, und ich vermochte plötzlich Einwänden mit größerer Bestimmtheit zu begegnen. Bald nachdem ich begonnen hatte, vor den Kursteilnehmern zu sprechen, stiegen meine Abschlüsse.»
Alle diese Menschen machten die Erfahrung, daß es leicht ist, auch andere Ängste und Befürchtungen zu überwinden und dort Erfolg zu haben, wo man zuvor versagt hat. Auch Sie werden erkennen, daß das Sprechen vor anderen Sie befähigen wird, allen täglichen Anforderungen mit der Sicherheit zu begegnen, die aus echtem Selbstvertrauen entspringt. Mit einem neuen Gefühl der Beherrschung der Dinge werden Sie die Aufgaben und Schwierigkeiten des Alltags bewältigen. Was zuvor eine Kette unlösbarer Probleme war, kann zur beglückenden Aufforderung werden, dem Leben einen neuen Wert abzugewinnen.