(II)
Es war Drecksarbeit, aber genau für so etwas war Ricky Caudill wie geschaffen. Langeweile hasste er. Sein Bruder hatte letzte Nacht tolle Arbeit geleistet, skrupellos und mit genau dem Ergebnis, für das sie angeheuert worden waren. Junior hatte die Hilds auf spektakuläre Art hingerichtet und Trey hatte deren Zimmer im Stanherd-Haus präpariert.
Und heute bin ich dran.
Eine ganz simple und schnelle Aktion. Das erste Dutzend Verschwundene hatte nicht viel gebracht. So läuft das nich’, dachte Ricky. In der Folge hatten nur eine Handvoll Squatter Reißaus genommen. Also war Felps mit diesem neuen Plan angekommen, der viel umfassender war. Wenn die State Police glaubte, dass die Squatter im großen Stil Meth vertickten, würden sie sie richtig hochnehmen. Dann würde Judy auf ihre Loyalität scheißen und ihnen das Land unter dem Arsch wegverkaufen.
Problem gelöst.
Der Mond hing tief zwischen dicken Wolkenbänken. Der Pfad, dem Ricky durch den Wald folgte, war kaum zu erkennen. Heute waren nicht viele Zikaden zu hören; ihre Zeit war fast vorbei. Ricky war völlig allein und völlig im Frieden mit sich und seiner Umgebung. Noch 100 Meter oder so, dann würde er den Waldrand an der Bucht erreichen.
Er hatte einen Beutel mit seiner »Ausrüstung« dabei: zwei Flaschen vergällter Alkohol, Erkältungsmedizin, eine kleine Flasche Azeton, Streichhölzer und ein paar Gramm Crystal Meth. Das Feuer würde das meiste davon zerstören, aber es würden noch genug Spuren zurückbleiben, um die Polizei und die Feuerwehr in die richtige Richtung zu lenken. Der Plan klang wasserdicht: Man hörte ständig, dass irgendwelche Meth-Fabrikanten etwas von dem Lösungsmittel auf ihren Herdplatten verspritzten und ihre Trailer abfackelten, ehe sie überhaupt kapierten, was passierte. Und genau das würde heute Nacht auch geschehen.
Außerdem trug er ein Montiereisen bei sich.
Fast da, dachte Ricky. Am Waldrand ging er langsamer. Er musste rein und wieder raus, ohne gesehen zu werden. Das Ziel hatte er schon lange ausgekundschaftet, irgendein Squatter, ein David Wie-auch-immer, der in einem kleinen Holzschuppen am westlichen Waldrand wohnte, relativ weit weg von den meisten anderen.
Er schlich sich an und achtete darauf, dass seine Tüte nicht knisterte. Das Mondlicht färbte die Seitenwand des Schuppens leuchtend weiß. Scheiße … Er huschte schnell vorbei und versteckte sich im Schatten. Durch die behelfsmäßigen Fenster fiel kein Licht, aber er hörte Schnarchen – ein gutes Zeichen.
Gut war auch, dass hier draußen im ruhigen, friedlichen Hinterland niemand seine Haustür abschloss. Die meisten dieser elenden Squatter-Hütten hatten nicht mal Türen, nur Vorhänge oder Bretter an Scharnieren oder Plastikplanen, so wie dieser Kerl.
Ricky stellte seine Tüte mit den belastenden Materialien leise auf die Vordertreppe, dann schlüpfte er durch den Plastikvorhang.
Er kannte David Wie-auch-immer vom Sehen, vom Hafen und aus der Stadt. Mit dem Typen gesprochen hatte er noch nie, aber Ricky gab sich auch nicht mit den Squattern ab – höchstens für eine 20-Dollar-Nummer mit einem der billigen Flittchen. Davon gab es aber nicht viele. Dieser Typ sah aus wie um die 30 und war klein wie alle Squatter, aber gut gebaut, weil er sich schon sein Leben lang den Arsch abarbeitete, um Krebsfallen an Land zu hieven. Ricky dagegen war mehr Fett als Muskeln und hätte ohne Verstärkung oder ein Messer – oder in diesem Fall das schwere Montiereisen – keine Chance gegen diesen Hinterwäldler gehabt.
Außer er schläft, dachte Ricky und grinste in der Dunkelheit.
Erbärmlicher als einem Mann in den Rücken zu schießen war es vermutlich nur, ihn wie ein Baby schlafend in seinem eigenen Haus zu erschlagen.
Als er durch das Zerrbild einer Eingangstür trat, empfing ihn noch tiefere Dunkelheit. Mondstrahlen fielen auf den Boden. Das Plastik hatte bei seinem Eintreten leicht geknistert; eigentlich nicht der Rede wert, aber höllisch laut, wenn man vorhatte, einen Mord zu begehen. Ricky biss bei dem Geräusch die braunen Zähne zusammen und machte schnell einen Schritt zur Seite, damit der Schatten ihn verschluckte und das Mondlicht ihn nicht verriet.
Er wartete, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, und sah sich um. Eine billige, schäbige, kleine Behausung, aber sie wirkte sauber und ordentlich. Viel sauberer als das billige, schäbige, kleine Haus, das er sich mit seinem nicht minder gestörten Bruder teilte.
Es gab ein paar Bücherregale, ein paar Einbauschränke und eine winzige Küche mit einem mindestens 30 Jahre alten Kühlschrank. Dort stand auch eine von diesen Mini-Herd-Ofen-Kombinationen, wie man sie in Studentenküchen fand. Perfekt, dachte er.
Seine Anweisungen waren klar: Er sollte ein paar der Erkältungspillen in einen Topf schütten und auf den Herd stellen. Für die Feuerwehr und die Cops würde es so aussehen, als hätte der gute alte David Wie-auch-immer das Zeug mit vergälltem Alkohol aufgekocht, bis es sich entzündet und die ganze Bude abgefackelt hatte. Den übrigen Kram würde er einfach rumliegen lassen und Davids toten oder zumindest bewusstlosen Körper vom Bett schleifen, damit er mit dem ganzen Rest verbrannte. Wenn Ricky es richtig anstellte, würde das Montiereisen den Schädelknochen nicht brechen, sodass es auch nicht wie Mord aussah.
Aber … Wo ist der Typ?, fragte sich Ricky.
Er konnte ihn schnarchen hören. Als er angestrengt in die Dunkelheit spähte, erkannte er nach und nach mehr.
Da ist der Penner.
Er schlief auf einer alten Pritsche. Ricky erkannte die Form seines Körpers und das kurze rabenschwarze Haar, das auf seltsame Weise dunkler als die ihn umgebende Dunkelheit wirkte.
Los geht’s, dachte er und wog das Montiereisen in der Hand. Mit kurzen, leisen Schritten tappte er los. Beim Näherkommen bemerkte er einen grob behauenen Stein, der über dem Bett des Typen hing. Ricky hatte nicht die geringste Ahnung, dass es sich dabei um einen Chrysolith handelte, von dem es hieß, dass er angenehme Träume bescherte und die Wohnstatt vor dem Bösen beschützte. In dieser Nacht erfüllte der Stein seine Aufgabe nicht besonders gut.
Noch ein paar weitere Schritte, und er stand am Kopf der Pritsche und blickte auf den dummen Trottel hinab. Das Eisen verharrte über seinem Kopf, und in diesem Augenblick sah Ricky seinen eigenen Schatten an der Wand: ein Schatten des Todes, ein Jäger in der Dunkelheit.
Dieser Anblick ließ ihn lächeln und sein Herz schlug schneller, denn in diesem Moment sah er größer aus als je zuvor.
»Wer zum …«
Die weit geöffneten Augen des Squatters schimmerten im Mondlicht. Eine Hand schoss nach oben, aber …
WUMP!
Zu spät.
Ein Schlag mit dem Montiereisen, mehr war nicht nötig. Ricky traf den Kerl am Scheitel. Es fühlte sich nicht an, als bräche der Knochen. Sauber . Ob er tot war oder nicht, war egal, denn in dem Feuer, das Ricky als Nächstes legen würde, starb er sowieso. David Wie-auch-immers Lichter waren gerade für immer ausgeknipst worden.
Da kam ihm ein makabrer Gedanke. Das Letzte, was dieser schräge Hinterwäldler in seinem Leben gesehen hat – war ich.
Das gefiel Ricky.
Er ging wieder nach draußen und schnappte sich die Tüte. Die Streichhölzer wanderten in eins der Küchenregale, zusammen mit dem Azeton und der ersten Flasche Alkohol. Dann nahm er einen kleinen Kochtopf von der Wand, stellte ihn auf den Herd und warf eine Handvoll Tabletten hinein.
Jetzt muss ich nur noch den Redneck ausm Bett holen, die andre Flasche Alkohol ausschütten und alles abfackeln.
Ricky mochte Feuer. Schon als Kind hatte er es gern angesehen – als er das Haus seiner Mutter und seines Stiefvaters angesteckt hatte, mit ihnen darin. Die Schlampe hatte’s verdient, dafür, dass sie ihren Macker Junior und mich hat … Er beendete diesen Gedanken nicht, aber es sollte reichen zu sagen, dass Feuer ihm ein Gefühl von Sieg vermittelte. Er fühlte sich dann transzendental … nicht dass er eine Ahnung hatte, was das bedeutete.
Mit einiger Mühe zerrte er den Squatter von der Pritsche und legte ihn auf den Boden. Seine Brust schien sich nicht zu heben und zu senken, also nahm Ricky an, dass er tot war. Es wäre spannender gewesen, den Penner lebendig zu verbrennen, aber manchmal ließ sich das nicht ändern.
Auf dem Küchentresen stand ein Einmachglas mit etwas, das wie eingelegte Eier aussah. Scheiße, ja! Ich liebe eingelegte Eier! Als Kinder hatten er und Junior sie am liebsten gegessen und ihre Mom hatte ständig welche gemacht. Bevor sie angefangen hatte, so viel zu trinken, und jede Nacht umgefallen war, sodass ihr Stiefvater einfach in ihre Zimmer kommen und …
Aber das ist eine andere Geschichte.
Er schraubte das Glas auf und wollte sich ein Ei nehmen, aber …
Heilige SCHEISSE!
Der Gestank traf ihn wie ein Faustschlag ins Gesicht.
Das stinkt ja schlimmer als ’n Haufen toter Hunde.
Voller Ekel stellte er das Glas zurück.
»Daddy?«, hörte er da.
Erschrocken fuhr er herum.
Verdammt!
Da war noch jemand in dem Schuppen.
Wie ein Scheinwerfer leuchtete ein Mondstrahl sie an. Ein Mädchen im Teeniealter, wie er annahm – das war bei diesen Squatter-Mädchen immer schwer zu sagen, weil so viele von ihnen früher reif wurden als andere Mädchen.
Als wäre hier irgendwas im Wasser.
Aber im Grunde war Ricky das egal. Er war von Haus aus völlig durchgeknallt, und jetzt – ganz aufgekratzt und hibbelig, weil er diesem Cracker in seinem eigenen Bett den Schädel eingeschlagen hatte und als Nächstes dessen Behausung in ein Freudenfeuer verwandeln würde – war er sogar noch viel durchgeknallter .
Sein Blut schien zu kochen und die Aufregung trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Seine Hose fühlte sich im Schritt auf einmal zu eng an.
»Du bist nich’ mein Daddy«, stellte sie in diesem seltsam verschliffenen Clan-Dialekt fest. Dann warf sie einen besorgten Blick auf die leere Pritsche.
Der Typ lag hinter Ricky im Dunkeln. Sie sieht ihn nicht, dachte er. Jetzt erkannte er auch ihre Pritsche, die in einer dunklen Ecke des Schuppens stand.
»Ach, Herzchen, mach dir keine Sorgen um dein’ Daddy. Er is’ unterwegs, was erledigen, un’ kommt bald zurück. Wir sin’ gute Kumpels, er un’ ich.«
Die Unterlippe des Mädchens zitterte. Nicht dass Ricky sich ihre Unterlippe ansah – er betrachtete den Rest von ihr, und sein Verlangen wuchs immer weiter.
»Aber ich hab dich noch nie gesehn«, sagte sie.
»Oh, ähm, das is’, weil ich un’ dein Daddy zusammen auf ’nem Schiff arbeiten tun.«
O ja, Ricky war völlig durchgeknallt, schon klar. Und was geschah mit dem Mädchen?
Nun, machen Sie sich keine Gedanken darüber, was er mit dem Mädchen anstellte, ehe er den Schuppen anzündete und im Dunkel der Nacht verschwand.