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(I)

BAMM, BAMM, BAMM, BAMM, BAMM.

Das Klopfen an der Tür klang, als bearbeitete jemand den Rahmen mit einem Hammer.

O mein Gott, ich bin ja SO verkatert, dachte Patricia und legte sich eine Hand an den Kopf. Wider Erwarten war sie letzte Nacht doch wieder eingeschlafen, und als sie nun auf die Uhr sah, stellte sie erschrocken fest, dass es bereits Mittag war.

BAMM, BAMM, BAMM, BAMM, BAMM.

Das Klopfen machte sie wahnsinnig. Es verstärkte ihre Kopfschmerzen. Sie quälte sich aus dem Bett und vergewisserte sich, dass ihr Bademantel zugeschnürt war. Wer klopfte denn da so laut? Das ist so verdammt UNHÖFLICH!

Als sie die Zimmertür öffnete, stand sie unvermittelt einem ernst dreinblickenden Virginia State Trooper gegenüber. Er hatte die Streifen eines Sergeants auf seinen Ärmeln. »Entschuldigen Sie die Störung, Ma’am. Sind Sie Patricia White?«

»Nun, ja, aber …«

»Ich bin Sergeant Shannon von der Behörde für Drogendelikte. Ich habe ein paar Fragen an Sie«, sagte er. Der Mann hatte gräuliches Haar und wies keine Spur des örtlichen Akzents auf. Er klang eher nach der Gegend um Wisconsin, nicht nach dem Süden. In seinem Blick lag Missbilligung, dass Patricia noch nach Mittag in ihrem Bademantel herumlief. »Es wird nicht lange dauern.«

Sofort läuteten bei Patricia alle Alarmglocken. Als Anwältin musste sie bei einer solchen Ansprache eines Polizisten hellhörig werden. »Worum geht es?«, fragte sie.

»Ernie Gooder. Und Ihre Schwester, Judy Parker.«

Patricias Kopf dröhnte, sie konnte sich kaum konzentrieren. »Was zum Teufel … Ist alles in Ordnung?«

»Nein, Ma’am. Vergangene Nacht gab es Ärger«, erklärte der Officer. »Wissen Sie, wo Judy Parker oder Ernie Gooder ist?«

»Nun«, sie rieb sich die Augen. »Sind sie denn nicht hier im Haus?«

»Nein, wir haben das Haus überprüft.«

Eine weitere Alarmglocke schrillte. »Dafür brauchen Sie einen Durchsuchungsbeschluss, Sergeant.«

Er hielt ihr ein Dokument hin. »Ich habe sogar mehr als das, Ma’am. Ich habe einen Haftbefehl für Ernie Gooder. Der Richter hat ihn gerade unterzeichnet.«

Das ist doch verrückt! »Warum wollen Sie Ernie verhaften?«

»Wussten Sie, dass ein Großteil der Bootsanleger in Agan’s Point letzte Nacht abgebrannt ist? Das Bootshaus und mehr als die Hälfte der Fischerboote Ihrer Schwester?«

Der Schock lähmte Patricia. »Nein, das wusste ich nicht.«

»Die Feuerwehr ist noch dort. Es heißt, es sei Brandstiftung gewesen. Was für ein Zufall, nicht wahr? Eine Nacht nachdem jemand die Hütte der Ealds abbrennt – ein Crystal-Meth-Labor –, fackelt jemand anderes die Docks ab. Sieht aus, als ginge dieser Bandenkrieg weiter. Zumindest nehmen wir das an.«

»Aber was hat das mit Ernie zu tun?«

»Mehrere Zeugen haben ihn kurz vor dem Brand in der Nähe des Hafens gesehen.«

Patricia kämpfte sich durch den Dunst in ihrem Kopf. Moment mal. Ich habe Ernie letzte Nacht um Viertel nach drei gesehen …

»Um wie viel Uhr?«, fragte sie.

»Gegen 3:30 Uhr am Morgen.«

Gähnende Leere machte sich in ihr breit. Das klang gar nicht gut, besonders wenn man bedachte, was Ernie in der Nacht getan hatte. Er hat mich durchs Fenster beobachtet und … Aber das ergab alles keinen Sinn. »Ich verstehe nicht ganz, warum Sie hergekommen sind und nicht Chief Sutter.«

Shannons Gesicht blieb ausdruckslos. »Chief Sutter scheint ebenfalls verschwunden zu sein, genau wie Ihre Schwester und Ernie Gooder. Sergeant Trey ist gerade am Tatort.«

Zu ihren Kopfschmerzen gesellte sich Verwirrung. »Meine Schwester? Sie sagen, meine Schwester sei verschwunden? «

»Nicht offiziell, aber niemand weiß, wo sie steckt. Ihr Wagen steht in der Einfahrt, aber sie ist nicht im Haus und auch sonst nirgendwo auf diesem Grundstück. Wir nehmen an, Ernie Gooder macht gemeinsame Sache mit einer rivalisierenden Drogengang …«

»Das ist lächerlich«, fand Patricia, selbst nach allem, was Ernie letzte Nacht getan hatte.

»Es sind zahlreiche Hinweise auf den Verkauf und die Herstellung amphetaminbasierter Betäubungsmittel aufgetaucht. Meist in Zusammenhang mit den Landbesetzern, die auf dem Grundstück Ihrer Schwester im Norden der Bucht leben. Wir wissen mittlerweile, dass einige dieser Landbesetzer oder Squatter, oder was immer sie sein mögen, an einer groß angelegten Drogen-Operation unter der Leitung eines Mannes namens Everd Stanherd beteiligt sind.«

Patricia seufzte. Das ist doch irre. »Also, ich weiß nicht viel über die Squatter – es kann durchaus sein, dass einige von ihnen in diese Sache involviert sind –, aber es ist unmöglich, dass Ernie Gooder damit zu tun hat. Glauben Sie etwa, meine Schwester hat ebenfalls damit zu tun?«

»Nein, wir finden es einfach seltsam, dass sie verschwindet, während hier so viel passiert. Zwei Brände in zwei Tagen, ein Haufen vermisster Personen und Morde zwischen rivalisierenden Drogengangs.«

Was das anging, konnte Patricia kaum widersprechen. »Und wie sagten Sie? Chief Sutter ist ebenfalls weg?«

»Das ist korrekt, Ma’am. Wissen Sie, wo er stecken könnte?«

Der Tonfall von Trooper Shannon machte sie nervös. »Woher sollte ich das wissen, Officer?«

»Ich frage ja nur, Ma’am.«

»Mir scheint, Sie wollen mir etwas unterstellen.«

»Keine Unterstellungen, Ma’am. Es würde uns nur sehr interessieren, warum er nicht anwesend ist, wenn der Hafen der Stadt niedergebrannt wird. Es scheint, als hätte Chief Sutter vergangene Nacht einen Gefangenen freigelassen, einen Mann namens Ricky Caudill. Auch er ist verschwunden. Und wer hätte das gedacht – als wir Caudills Haus durchsuchten, fanden wir Crystal Meth.

Sutters Privatwagen steht nach wie vor in seiner Einfahrt, und seine Frau weiß ebenfalls nicht, wo er sein könnte. Und …« Der Mann machte eine dramatische Pause. »Das Auto der Ehefrau ist weg, gestohlen. In einer Stadt, in der seit zehn Jahren kein einziges Auto gestohlen gemeldet wurde. Meine Leute sind gerade in Sutters Haus und durchsuchen das Grundstück und seinen Privatwagen.

Und als wäre das noch nicht genug, ist auch Ihre Schwester nirgends aufzufinden. Wir wüssten schon gerne, wo sie steckt. In dieser Gegend sind in letzter Zeit sehr viele Menschen verschwunden. Mehr als alles andere interessieren uns das Wohlergehen Judy Parkers und der Aufenthaltsort von Chief Sutter und Ricky Caudill. Und natürlich werden wir Ernie Gooder bei der ersten sich bietenden Gelegenheit festnehmen.« Wieder hob Shannon den Haftbefehl hoch – eine stete Erinnerung. Dann reichte er ihr seine Karte. »Es tut mir leid, Sie so früh geweckt …« Er verstummte, blickte auf seine Uhr und hob eine Augenbraue. Dann schnupperte er diskret, als wollte er sagen: Ist das etwa Alkohol, was ich da in Ihrem Atem rieche? »Es tut mir leid, dass ich Sie belästigen musste. Aber rufen Sie uns doch bitte an, wenn Ihnen noch etwas einfällt, das uns helfen könnte.«

»Das mache ich«, sagte sie und bemühte sich um einen gelassenen Tonfall.

»Hey, Sarge!«, rief ein jüngerer Trooper hinter ihm. »Sehen Sie sich das an.«

Ohne ein weiteres Wort ging Shannon zu Ernies Zimmer, wo mehrere Beamte schwer beschäftigt waren.

Herrgott, was für ein unfreundlicher Arsch! Sie dachte darüber nach, Beschwerde einzureichen. Dann unterdrückte sie ihre anwaltliche Wut und schloss die Tür, um sich anzuziehen. Anschließend putzte sie sich die Zähne und gurgelte mit Mundwasser, um auch die letzten Beweise für den Alkoholkonsum des gestrigen Abends auszumerzen. Dann sehen wir doch mal nach, was der Auflauf in Ernies Zimmer soll …

Als sie eintrat, brauchte sie keine weiteren Erklärungen. Das glaube ich einfach nicht, dachte sie.

Ein State Trooper mit Latexhandschuhen zog kleine Tütchen Crystal Meth aus Ernies Kommodenschublade.

Viele kleine Tütchen.