In der Straßenbahn stank es nach Schweiß und Döner, mit einem Oberton von billigem Parfüm. Wobei gesagt werden muss, dass unter diesen Umständen jedes Parfüm seine Klasse verliert. Mein Hemd klebte am Holz der Sitzbank, und alles fühlte sich eklig und schmuddelig an. Was ich brauchte, war eine Dusche, ein Bett und ordentlich Schlaf. Doch nichts davon war in Reichweite. Ich holte mein Handy raus und schaute nach, ob jemand angerufen hatte. Es hatte.
»Servus, Reichi. Schon gierig auf den Seelen-Vertrag?«
Als Vollblutwinkeladvokat musste so ein Text für Reichi eine Synthese aus Schnipo, Erstkommunion und Gruppensex darstellen.
»Ach wo …«
Ich war baff, gelinde ausgedrückt. Mit so einer Reaktion hatte ich nicht gerechnet.
»Wer spricht dort und was haben Sie mit Reichi angestellt?«
»Schon gut, Arno. Mit mir ist alles bestens. Ich war bloß so neugierig, dass ich von alleine angefangen habe, ein bisschen zu recherchieren.«
»Du warst doch nicht schon etwa dort und hast unterschrieben?«
Reichi würde seine Seele bedenkenlos für 500 Euro verkaufen, nicht auszudenken, was er zu tun imstande wäre, um so einen Vertrag in Händen zu halten. Wahrscheinlich wäre nicht einmal die Seele seines Erstgeborenen in Sicherheit. In seiner Sammlung juristischer Kuriosa nähme so ein Text einen Ehrenplatz ein, zwischen niedersächsischen Regularien betreffs der Aufstellung von DWBM’s und der alt-kakanischen Stempelkissenverordnung 2412/5. Bei DWBM’s handelt es sich übrigens um Dienstweihnachtsbäume. Um die herum unter Anleitung eines erfahrenen Beamten auch Weihnachtslieder abgesungen werden dürfen. Zwanglos nach Dienstgraden geordnet, versteht sich.
»Nein. Ich dachte, lass das mal Arno machen. Morgen ist früh genug.«
»Was dann?«
Ich hörte Reichi durchs Telefon grinsen. Er spannte mich auf die Folter. Das konnte ich auch.
»Na, wahrscheinlich eh nicht so wichtig. Morgen ist früh genug.«
Da sprudelte es am anderen Ende der Leitung los.
»Ich dachte mir, dass so ein Vertrag doch irgendwem aufgefallen sein muss. Auf dem Juridicum wimmelt es doch nur so von Freaks. Und da jeder Mensch alle anderen Menschen über sechs andere kennt, dachte ich, …«
»… dass irgendjemand ja diesen Text verfasst haben muss. Und dieser Jemand muss juristisch gebildet sein, und Juristen kennen sich untereinander.«
»Itam est. Stell dir vor, da würde ein Wiener Philologe ein antikes Papyrus entdecken, von dem die Welt nichts weiß, das würden doch sofort alle wissen …«
»Reichi, lass die Späße.«
»Schon gut.«
»Also hast du die Rechtsdatenbanken, die Kommentare und die Foren durchsucht.«
»Genau. Und weißt du was?«
»Was?«
»Ich hab nichts gefunden.«
»Und deswegen machst du so ein Trara? Weil du nichts gefunden hast.«
»Ich mach so ein Trara, weil ich schlauer bin als du.«
»Wie, exakt, äußert sich das bei dir?«
»Indem ich auch die Prüfungstexte der letzten Jahre durchforstet habe, und die Übungen, Privatissima und so. Der Seelenvertrag war Gegenstand einer Klausur im Juli 2007. Durchfallquote überraschend niedrig, nur etwa 63%. Nicht so wie bei euch Geiwis, wo jeder durchkommt.«
»Genau, ihr seid die Härtesten der Harten.«
»Jawohl. Wir pressen auch noch den Kleinkindern das Weiße aus den Augen.«
Man darf die Juristen nicht verachten, lehrt doch der große Thomas die analogia entis: In jedem Samenkorn spiegelt sich das Universum. Der Aasgeier, der Schakal und die Hyäne sind wertvolle Bestandteile der großen Kette des Lebens. Dieselbe Rolle erfüllen die Juristen in der menschlichen Gesellschaft.
»Also, wir wissen jetzt, welcher Professor den Text gegeben hat. Ausgezeichnet. Hast du, oh Schatzkammer der Weisheit, Licht des Universums, in deiner unendlichen Weisheit auch daran gedacht, mit dem Herrn zu sprechen?«
»Selbstredend.«
»Dann rede selbst, und lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.«
»Also, der Herr Professor, mit dem ich übrigens recht gut bin, kennt den Korkarian. Der kam zu ihm und wollte Rat. Den Professor hat das so amüsiert, dass er selbst den Text verfasst hat. Das heißt, der Text ist hieb- und stichfest. Der Mann ist eine Koryphäe.«
»Name und Anschrift, ich muss mit dem Typen reden.«
»Unmöglich. Erstens würde er mich verklagen, weil ich ihm Stillschweigen versprechen musste. Und zweitens wäre das Vertrauen hinüber. Ein Prozess würde mich zwar reizen, aber ich hab noch ein paar Prüfungen vor mir.«
»Komm schon, Reichi, das wäre echt wichtig.«
»Roma locuta, …«
»… causa finita. Du bist zwar nicht der Papst, aber ich akzeptiere. Kannst du nicht wenigstens herauskitzeln, woher der Armenier den Professor kennt?«
»Hab ich doch schon. Sie spielen gemeinsam Schach.«
»Bei der Hakoah?«
»Nein, beim KSV. Wieso kommst du auf die Hakoah?«
»Weil der Korkarian vermutlich Jude ist. Darum.«
»Hat er auch eine schöne Tochter?«
»Ja.«
»Arno, wach auf, du bist im Kaufmann von Venedig!«
So etwas in der Art war mir auch schon durch den Kopf gegangen. Wir alberten noch ein wenig herum, bis mich meine Sitznachbarn endgültig für übergeschnappt hielten und Reichi schließlich auflegen musste, da irgendein obskures Sommerseminar zum Thema Inquisition aus kirchenrechtlicher Sicht auf ihn wartete. Reichi so ein Seminar besuchen zu lassen, war vergleichbar damit, einem Jaguar auch noch ein Maschinengewehr in die Hand zu drücken. Wir werden uns alle noch mal wünschen, dass das nicht passiert wäre.
Meine Stimmung war ein bisschen besser als vorher. Wenigstens hatte ich jetzt einen Ansatzpunkt, etwas, das mir zuvor vollständig gefehlt hatte. Andererseits hätte ich auf die Idee mit dem Juristenkonnex auch selbst kommen können. A posteriori ist alle Einsicht leicht, aber das beruhigte mein verletztes Ego auch nicht wirklich. Schließlich kam die 43er Tram auch noch am Landesgericht vorbei, und das rief mir in Erinnerung, wer dort arbeitete. Seit dem kalten März konnte ich an dem Gebäude nicht mehr vorbeigehen, ohne an sie zu denken. Wir waren einander bei der Jagd nach einem antiken Papyrus begegnet. Leider stellte sich heraus, dass sie nicht nur für die Gegenseite, sondern auch noch auf eigene Rechnung arbeitete. Als wäre Liebe nicht so schon kompliziert genug. Schließlich hatte sie mich reingelegt und ich sie. Der Papyrus war uns dann beiden durch die Lappen gegangen. Wer zu viel will, steht zum Schluss mit leeren Händen da und einem gebrochenen Herzen.
Mir fehlten nicht nur eine Wohnung, eine Dusche und ein Bett, nein, mir fehlte Laura.