Ich fuhr noch ein wenig mit den Öffis herum, das hilft beim Nachdenken, wenn die Gegend so an einem vorüberzieht. Der Ausflug ins Grüne hatte gedauert, und so war ohnedies nicht mehr viel Zeit totzuschlagen, bis sich die Leute vom KSV in der Johnstraße treffen würden. Am Meiselmarkt war viel los, es roch nach Gemüse, und ich schlenderte an den Ständen entlang. Danach überquerte ich die Hütteldorferstraße und betrat das Tivoli. Ein Vertreter der neuen Generation Kaffeehäuser, die langsam die Stelle der Alten einnehmen. Die Sitze sind nicht durchgesessen, es stehen Spielautomaten herum, und es fehlt entschieden an Tradition. In manchen sind die Ober sogar freundlich.
An einem Tisch neben der Eingangstür nahm ich Platz, bestellte einen großen Mokka und musste feststellen, dass es keine Zeitungen gab. Na ja, ein paar schon, aber nur Schund. Dass die Zeiten, in denen noch Le Figaro, der Osservatore Romano oder die New York Times auflagen, lang passé sind, war mir bewusst. Aber ohne FAZ, Süddeutsche oder Standard konnte man ja schon fast zu Hause bleiben. Also verschanzte ich mich hinter einer Krone, was allein schon vom Format her ungünstig war, und hoffte, dass niemand, der mich kennt, eintreten würde. Außerdem wirkt es seltsam, wenn man in solch einer Zeitung stundenlang liest. So viele Buchstaben finden sich dort nicht.
An der anderen Seite der Tür saßen schon ein paar Herren mittleren Alters und plauderten bei Kaffee und Himbeersoda über Herzinfarkte. Das mussten die Knaben vom KSV sein. Ich spitzte die Ohren.
»Also«, ließ sich ein Herr mit Glatze und Vollbart vernehmen, »der Hans hat sein Infarkt in anara Partie ghabt.«
»In Gewinnstellung« fielen die anderen am Tisch ein. Offensichtlich kannten sie die Story schon.
»Genau. Klappt einfach zamm, Rettung kummt und transportiert ihn ab. Schwerer Infarkt, anahalb Minuten klinisch tot und dann drei Tage künstlicher Tiefschlaf. Erster Satz vom Hans nachm Aufwochn: ›Ist die Partie gwertet worden?‹«
Alles am Tisch lacht.
»Dann sog ma eam, dass er verlurn hat. Darauf der Hans: ›Aber er hot sei Dam eigstellt.‹«
»Klare Gewinnstellung«, echoten daraufhin die anderen Herren. Alles lachte. Als sie sich noch die Lachtränen aus den Augenwinkeln wischten, trat ein älterer Herr mit gutmütiger Miene ein.
»Ah, da Willi.«
»Servas, hock die her da zu uns.«
»Hast den Samstag schon verdaut?«
Herr Willi nickte.
»Da hot’n da Bosniak vo Donaustadt ordentlich aufprackt. Gö, Willi.«
Herr Willi nickte abermals. Diesmal schon im Sitzen.
»Was brauch ma die Tschuschn, dass uns unseren Willi einihaun? Des kenn ma sölber a!«
Wieder gutmütiges Lachen.
Daraufhin wurde ernsthaft über verschiedene Probleme schachlicher Natur diskutiert, es standen Mittelspielstrategeme zur Diskussion, bis ein hagerer Herr, ebenfalls mittleren Alters, eintrat. Leicht vorgebeugt, mit Tränensäcken und tiefen Falten.
»Servas, ihr Oarschlächer«, begrüßte er die Clubkameraden, eine Zigarette anrauchend.
»Ah, da Stoß«, rief alles und freute sich.
Der Angesprochene wandte sich sofort einem Herrn zu, der bis dahin schweigend geraucht hatte.
»Servas, Puppi, heit panier i di.« Dann, zu allen gewandt. »Gegen den Wappler spü i schon seit dreißg Jahr, no nia gwunna. Aber heut, da panier i eam. Gö, Puppi.«
Der bis dahin Schweigende streifte provozierend gelassen seine Asche ab und antwortete trocken: »Wenn’st ma a Melange zahlst, Stoß, dann lass i di gwinna.«
Mit der Zeit trudelten immer mehr ein, auch Korkarian kam. Er wurde mit geziemendem Schmäh empfangen und setzte sich zu den anderen. Korkarian bestellte einen Mokka, rauchte Zigaretten aus einem silbernen Etui und warf an passenden Stellen Witzworte ein. Bei schachlichen Themen hatte er das letzte Wort, seine Analysen blieben unwidersprochen. Von Schwefeldampf und Pferdefüßen keine Spur. Aber Erichs Stimme, die ich in meinem Kopf hörte, erinnerte mich daran, dass der Teufel die Verkleidung liebt. Nachdem ein zweiter Mokka bestellt war und ich zu einer noch unaussprechlicheren Tageszeitung, als es die Krone ist, gewechselt hatte, spitzte ich wieder die Ohren.
»Und wies so kummt, spült da Korkarian uman Turniersieg mit. Braucht nur noch an halben Punkt, a Remis.«
Zigaretten wurden angezündet, es wurde am Kaffee genippt, alles bereitete sich auf eine neue Geschichte des Herrn mit Glatze und Vollbart vor. Der Erzähler saß da, auf einen ebenholzschwarzen Spazierstock mit silbernem Griff gestützt. Zwischen seinen breit gespreizten Beinen ruhte der gewaltige Bauch auf der Bank. Die Weste war halb aufgeknöpft.
»Sei Gegner ist der Hans, abgeschlagen Letzter.«
»Isser um 400 Elo schwächer wie i«, bemerkte Korkarian, in seinem russisch angehauchten Idiom.
»Wiss ma eh alle, dass er a Klass schwächer is wia du.«
»Was heißt hier eine? Zwei!« Korkarian hielt zwei Finger in die Luft. Er grinste schelmisch und sog dann an seinem Tschik.
»Da Hans hat eigentlich ka Lust mehr auf des Turnier, eh kloa, nua valurn bis dato, und bietet Remis.«
»Noch vor die Partie«, fügte Korkarian hinzu.
»Aber unsa Vardan nimmt net an.«
»Remis isse halbe Niederlage. I spiele immer für Sieg.«
»Darauf der Hans: Na wart, di hob i ma aufgschriebn. Sie setzen si ans Brettl, im Sechsten opfert der Hans a ganze Figur für Angriff, …«
»Die Königsläufer!«, erläuterte der Armenier.
»… und wia i so danebn steh und zuschau, kummt da alte Hrdy, kennts ihn eh?«
Alles nickte unter beifälligem Gemurmel wie »fast 90«, »netter Mensch«, »starker Spieler«.
»… und da alte Hrdy sagt: ›Na bummsti.‹ Und wenn der so was sagt, dann stimmt’s.«
Der Erzähler nahm einen genießerischen Schluck von seinem Kaffee, stellte ab und fuhr fort.
»Na was soll i sagn. Der Hans betoniert n Vardan a so, dass der im Dreißigsten aufgibt.«
»29.!«
»Und alles, was er braucht hätt, wär a Remis gwesen.«
»Remis isse halbe Niederlage. I spiele immer für Sieg.«
Nachdem alles gelacht hatte, Korkarian am lautesten, bemerkte ein Herr mit Blick auf die Uhr: »Meine Herren, es ist halb. Fang ma an.«
Man erhob sich und ging ins Hinterzimmer, wo die Bretter standen. An der Tür ließ sich Stoß noch einmal hören: »Heit panier i di, Puppi.« Der Angesprochene reagierte gar nicht. Von drinnen hört ich noch: »Schwarz drückt die Uhr«, dann fiel die Tür ins Schloss und sperrte mich aus.
Bis jetzt hatte noch nicht viel an Information herausgeschaut, deswegen blieb ich da. Sollte sich das bis zum Ende des Abends nicht ändern, würde ich einfach Korkarian im Dunkeln folgen. Dann hätte ich wenigstens seine Wohnung, was wieder ein paar Möglichkeiten eröffnen würde.Die im Dunkeln kann man zwar doch sehen, aber eben nicht so gut wie untertags. Es blieb nur zu hoffen, dass Korkarian nicht mit dem Wagen da war. Während ich mir verschiedene Pläne zurechtlegte, kamen immer wieder ein paar der Schacherer aus dem Hinterzimmer, heizten eine Zigarette, unterhielten sich kurz und gingen wieder zurück.
Unterdessen war ich zu meinem Sophokles zurückgekehrt. Die Stunden, die Seiten und zwei weitere Mokka zogen an mir vorüber. Endlich waren so ziemlich alle Partien beendet, das Schachvolk saß redend bei Alkohol und Nikotin. Die Partie von Korkarian war noch im Gange, so wie eine zweite, von der alle sprachen. Stoß hatte seinen Gegner komplett überspielt, war einen Läufer und drei Freibauern im Vorteil. Doch der schweigsame Herr hatte sich geschickt und mit viel Glück in eine Pattsituation gerettet. Alles materielle Übergewicht nutzte Stoß genau gar nichts. Er saß noch am Brett und rechnete hoffend, doch vergebens. Einige Minuten später flog die Tür auf und Stoß kam hereingeplatzt.
»So a Schaß! Herst, so a schene Partie spiel i selten. Und dann des. Puppi, du bist a Hundling. I sauf mi zua!« Ein Mann, ein Wort.
Hinter ihm kam der immer als »Puppi« angeredete Gegner herein, ein breites Grinsen und eine Zigarette auf den Lippen. Es wurde durcheinander geredet, von Heldentaten und Missgeschicken berichtet. Von Zeit zu Zeit stand einer auf und ging kiebitzen, wie es denn in der Korkarianpartie stünde. Auch diese endete Remis, und die beiden Spieler setzten sich wieder zu den anderen an den Tisch. Ich saß jetzt fast fünf Stunden an meinem Platz, und es war noch nichts herausgekommen. So wie es aussah, würde auch von nichts anderem mehr als Schach gesprochen werden. Ich rang mich gerade zur Entscheidung durch, das Lokal zu verlassen, um draußen im Dunkeln hinter einem Auto auf Korkarian zu warten, als dieser aufstand und direkt auf mich zukam.
Ich blickte von meinem Sophokles und dem Notizbuch, in das ich ab und zu etwas hineinkritzelte, auf. So unschuldig wie möglich, was nicht viel heißen will.
»Kenn Sie doch. Waren bei mir wegen Kredit. Setz mich.«
Ich machte eine einladende Bewegung. »Gerne.«
Er setzte sich neben mich und mir fiel auf, dass er den linken Arm etwas steif bewegte. Entweder eine Entzündung im Schultergelenk oder eine Knarre im Halfter. Beides unerfreulich.
»Was wollen Sie hier? Seh ich doch, Sie hören.«
»Mit Ihnen reden.«
»Wegen Kredit morgen früh, sonst nix.« Er starrte mir hart in die Augen.
»Es geht nicht um einen Kredit …«
»Der Rest scheißt mi nix!«, zischte er mir wütend ins Ohr.
»Doch, es gibt einen Toten.«
Sofort spürte ich den Wechsel in seiner Stimmung. Er zog eine Brieftasche aus der rechten Innentasche seines dunklen Sakkos und gab mir eine Karte. Vardan Korkarian. Hagengasse 23, Tür 16. Das war mitten im Nibelungenviertel. Keine 200 Meter von seinem Büro entfernt. Ich hätte doch einfach mal probieren sollen, ihm zu folgen. Andererseits war es so vielleicht besser, denn nun stand fest, dass er eine Knarre trug. Ansonsten hätte er seine Brieftasche links getragen, wie jeder unbescholtene Bürger das auch macht.
»Jetzt gehen Sie, warten draußen. Ich trink noch was, schnell, und komm dann nach. Keiner soll Sie sehen.«
Er stand auf und ging zu den Schachspielern zurück. Ich winkte der Bedienung und zahlte, packte meine Sachen zusammen und ging hinaus in die laue Nacht. Die Johnstraße hinunter befanden sich ein paar Bäume, gepflanzt, um die parkenden Autos zu beschatten. Zwischen einem Motorrad und einem Kleinbus wartete ich genau in der Mitte zwischen zwei Laternen, im Schatten zweier Bäume. Ein paar Leute kamen vorbei, doch keiner bemerkte mich.
Nach etwa 20 Minuten, so gegen elf Uhr, kam Korkarian allein aus dem Café. Er blickte sich kurz um, wenn man nicht wüsste, dass er etwas suchte, hätte man es nicht bemerkt, und kam augenblicklich auf mich zu. Bei mir angekommen, trat er zu mir in den Schatten. Die rechte Hand in seinem Sakko.
»Weiß ich doch, wie Schnüffler aussieht. Lernt man in der Sojus schnell. Wer ist tot?«
»Schauberger.«
»Kenn ich nicht.«
»Sie war bei Ihnen, wegen eines Kredits.«
»Gebe viele Kredite.«
»Auch die mit den Seelen?«
Einen winzigen Moment war er unschlüssig, zögerte. Ein normaler Mensch hätte nervös gewirkt.
»Nein«, sagte er schließlich. Ein Pärchen ging an uns vorbei, bemerkte nichts.
»Zu viele Leit. Also: Sie gehen zur U-Bahn und warten vor meiner Wohnung. Ich geh zu Fuß, mach ich immer so. Keiner soll Sie sehen.«
Er machte einen Schritt zurück aufs Trottoir, ohne mir den Rücken zuzuwenden, und erst als ich ging, drehte er sich um. Netter Kerl, mit einem gewinnenden Wesen.
Ich ging zur U-Bahn und fuhr eine Station. Dann stieg ich aus und machte mich auf ins Nibelungenviertel hinter der Stadthalle. Die Gegend heißt so, weil die Gassen nach Figuren des Nibelungenliedes benannt sind. Es fahren dort wenige Autos, es ist still, und Sommerlinden verkleben mit ihren Blüten die dunklen Gehsteige. Meine Sohlen waren voll von dem Zeug, es fühlte sich an, als ginge ich durch eine Honiglache, so dicht bedeckten sie den Asphalt.
Vor der Tür zu Korkarians Haus wartete ich. Da ich langsam gewesen war, handelte es sich nur um ein paar Minuten, die ich herumstand. Dann sah ich den kleinen Armenier die Gasse herunterkommen. Er läutete zweimal kurz und schloss dann wortlos die Türe auf. Wir stiegen schweigend die Treppen hinauf, es war dunkel im Stiegenhaus und die Bleiglasfenster mit eingeätzten Jugendstilbildern wirkten bedrohlich. Aus einer der Wohnungen drangen leise orientalische Geigenklänge. Eine Solokomposition, gekonnt gespielt, die dem Instrument, dem Musiker und dem Zuhörer alles abverlangte. Irgendwo hämmerte etwas gegen ein Leitungsrohr und eine weitere Tür schloss sich klickend, als wir uns näherten. Ein Haus der Geheimnisse.
Schließlich standen wir vor Korkarians Wohnungstür, er klopfte zweimal kurz und schloss dann auf. Er trat zuerst ein, ich folgte ihm erst auf seine einladende Geste hin. In der Wohnung selbst befanden wir uns in einem kurzen Gang. Auch hier war es dunkel, angenehm kühl, und ein Hauch von Sandel war präsent. Das einzige Licht drang durch einen Türspalt am Ende des Ganges. Korkarian deutete dorthin und sagte leise: »Drinnen nehmen Sie Platz, bin gleich da.«
Ich trat auf die Tür zu, öffnete und trat ein. Korkarian klopfte an eine der anderen Türen hinter mir und begann, mit jemandem zu sprechen. Eine dunkle Stimme antwortete, leicht kehlig und resonant, wie ein Cello in einem abgedunkelten Konzertsaal. Für so eine Frau müsste man eine Violoncello-Suite schreiben, aber da gabs ja schon die von Bach, also konnte ich mir das abschminken. Seine Tochter war also auch zu Hause.
Während draußen vor der Tür die Unterredung weiterging, blickte ich mich im Zimmer um. Es maß etwa sieben mal sieben Meter, mit einer Fensterfront samt kleinem Erker. Die Fenster waren etwa wandhoch, was bei einer Raumhöhe von gut drei Metern ordentlich Glaserkosten verursachen kann. Ein schönes dunkles Parkett, das die Spuren von gut hundert Jahren Benutzung nur noch schöner hatte werden lassen, diente als Unterlage für drei prächtige orientalische Teppiche. Naturfarben, beste Wolle und doppelte Knoten. Es waren Perser. Ein kleines Tischchen mit geschwungenen Beinen, einem Kanapee und drei Stühlen stand an der rechten Wand neben einem Kamin. Links befand sich ein langes Bücherregal, dessen Mittelteil mit Glasfenstern versehen war. Die Bücher dahinter waren alt und wertvoll. Ansonsten standen auch jede Menge sehr gelesen aussehende, moderne Bücher auf dem Regal. An der Fensterfront fand sich noch ein Sekretär in eben demselben Stil wie das Tischchen und die Stühle. Das Tischchen war mit Papieren bedeckt. Computer entdeckte ich keinen. Neben der Sitzgarnitur stand eine Lampe mit Pergamentschirm, die angenehmes, weiches Licht gab. Speziell die Bilder an der Wand profitierten vom Licht, denn überragend gut waren sie nicht. Hauptsächlich Landschaften mit Hügeln, grünem Gras und grauem Stein. Dazwischen ein paar rauschende Bäche. Wahrscheinlich Armenien. Die glänzenden Holzflächen, das warme Licht und die Schönheit der Teppiche erzeugten eine angenehm heimelige Atmosphäre. Ich ließ mich in einen der Stühle sinken und wartete. Neben dem Bücherregal fand sich eine Tür, halb angelehnt. Im Raum dahinter war es dunkel.
Ich saß noch nicht lange da, als sie eintrat. Mit fließenden Bewegungen voller Grazie kam sie aus dem dunklen Zimmer. Geräuschlos wie die Zeit selbst setzte sie ihre Schritte, sicher und elegant. Ihre klaren Augen leuchteten, und auf dem dunklen Haar glänzte das matte Licht. Ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, den Kopf stolz erhoben, spazierte sie an mir vorbei, wie es die Göttin Ishtar mit einem liebeskranken Käfer gemacht haben würde, so weit stand sie über mir.
»… aber sprich nur ein Wort und so wird meine Seele gesund«, schoss es mir durch den Kopf, doch sie würde nie mit mir sprechen. Als ich noch dasaß und um meine Fassung rang, war sie am Kanapee angekommen, sprang mit einem herrlichen Satz auf die Sitzfläche und rollte sich auf einem goldenen Kissen ein. Sie bedeckte das Näschen mit dem buschigen Schwanz und war sofort eingeschlafen, oder tat zumindest so.
Der Kontrast zwischen ihrem anthrazitfarbenen Fell und dem dunklen Gold des Kissens war atemberaubend. So eine Perserkatze hatte ich noch nie gesehen. Da blitzte es hinter dem buschigen Schwanz kurz bernsteinfarben auf, ganz egal war ich ihr doch nicht. Doch das Auge war sofort wieder verschwunden, sodass ich mich fragte, ob ich nicht einer Halluzination erlegen war.
In dem Moment trat Korkarian ein. Seine Füße steckten in bequemen Hausschuhen aus weichem Leder, ansonsten trug er die gleiche Kleidung wie beim Schach. Einen dunklen Anzug, ein elfenbeinfarbenes Hemd und eine schmale, gemusterte Krawatte. Er setzte sich zu mir, etwa eineinhalb meiner Armlängen entfernt. Dabei blieb er aufrecht und behielt beide Beine auf dem Teppich, hellwach war das Treffendste, was sich über ihn sagen ließ. Die Katze auf dem Sofa ignorierte uns beide, so wie es eine römische Patrizierin mit ihren Sklaven gehalten haben würde.
»Also, wer ist tot?«
»Schauberger ist ihr Name gewesen.«
»Sagte ich doch schon, kenn ich nicht.«
»Sie war bei Ihnen wegen eines Seelenkredits.«
»Nein.«
»Vielleicht …«
»Nein.«
»… lassen Sie mich ausreden. Die Dame war knapp 30, exotische Schönheit halb-afrikanischer Abstammung.«
»Ausgeschlossen. War keine Negerin da.«
Es hätte nun überhaupt keinen Sinn gemacht zu fragen, ob er sich ganz sicher wäre. So einem wie Korkarian passieren keine leichten Fehler, und wenn er gelogen hatte, dann würde er auch dabei bleiben. So einfach war das. Also musste ich etwas riskieren.
»Ich hab mit ihr gesprochen, kurz vor ihrem Tod. Sie war Journalistin und hinter einer Story über Sie her.«
»Sehen Sie, einer solchen Person hätte ich nie gegeben Kredit. Keine Presse, schlecht fürs Geschäft. Und ich erkenne diese Leute an ihrer Nasenspitze.«
»Aber mir haben Sie auch einen gegeben.«
»Ich wusste schon. Doch der ewige Gott, in seiner Weisheit und Güte, hat mich mit einer Tochter gesegnet.«
Mittlerweile war die Schönheit auf dem Kanapee aufgewacht, oder hatte zumindest beschlossen, nicht mehr zu markieren, und war über den Tisch, dessen Platte sich in gleicher Höhe wie Korkarians Schoß befand, auf eben denselben geklettert. Nun drückte sie ihren kleinen Kopf in seinen Bauch. Er kraulte sie mit der Linken hinter den Ohren, was die Katze entzückte. Sofort begann sie zu schnurren und ihre Krallen auf seinen Oberschenkeln ein- und auszufahren. Ihm war das egal, er verzog dabei keine Miene.
»Muss ma in Kauf nehmen, wenn ma Katze hat, kaputte Hosen. Ist mit Katzen wie mit Töchtern.« Abrupt wechselte er das Thema. »Was geht mich also Tote an?«
»Sie hat über Sie recherchiert …«
»Sagt sie!«
»… sagt sie, aber jetzt ist sie tot. Außerdem hatte sie ein Notizbuch, ich konnte einen kleinen Blick hineinwerfen. Da waren Seiten über Seiten mit Informationen, und überall dazwischen Ihr Name.« Kleine Notlüge, außer Korkarians Namen, der Adresse von Buehlin und ein paar Füllworten hatte ich in der Eile so gut wie nichts lesen können.
»Na und?«
»Die Kripo ermittelt, die werden das Notizbuch finden. Dann kommen Sie zu Ihnen.«
»Habe nichts zu verbergen.«
»Ich habe einmal für jemanden gearbeitet, der hatte seine Finger auch in Ihrer Branche drin.«
»Wer?«
»Bender.«
»Der sitzt jetzt auf Ibiza.«
»Menorca, doch das ist egal. Ich habe damals gelernt, dass all diese kleinen Kreditsachen irgendwo einen schwindligen Hintergrund haben.«
»Das kann Ihnen getrost egal sein.«
»Mir schon, aber den Kriminesern nicht. Auch wenn es nicht zur Anklage reicht, fürs Geschäft ist so was überhaupt nicht gut.«
»Dann haben Sie also Notizbuch. Wollen mir verkaufen.«
»Nein, ich hab es nicht. Das kann sich noch ändern.«
»Können ja dann wieder einmal vorbeikommen. Vielleicht interessiert es mich.« Die Katze hatte genug, stand auf, sprang zu Boden und kehrte in das dunkle Zimmer zurück. Ihr Schwanz war voller Selbstvertrauen aufgerichtet, wie eine Fahne. Mich hatte sie überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.
»Dann. Jetzt ist es mir egal.« Korkarian strich sich zurückgebliebene Katzenhaare von der Hose.
»Wenn Sie mir sagen, was es mit den Seelenkrediten auf sich hat, kommen wir ins Geschäft.«
»Zuerst Notizbuch, dann wir sehen weiter.«
Er stand auf, hielt Abstand und wies zur Türe. Als ich an ihm vorbei war, folgte er mir. Immer mit Abstand. Draußen im Gang war es dunkel und still. Schließlich schloss sich die Wohnungstür hinter mir und ich stand im Stiegenhaus. Von seiner Tochter hatte ich nichts zu Gesicht bekommen. Wollte er nicht, dass sie von meinem Besuch wusste? Wer hatte nun eigentlich gelogen, die Schauberger oder Korkarian, war sie bei ihm gewesen oder nicht? Und wenn sie nicht dort gewesen war, wie hatte sie mich dann gefunden, woher von Buehlin gewusst? Wenn Korkarian nicht bluffte, dann wollte er das Notizbuch, gut. Das gab mir wenigstens etwas in die Hand, entweder Informationen für Erich oder Geld für mich. Nur finden musste ich es.
Mit diesen Gedanken und jeder Menge anderer Grübeleien war ich das Stiegenhaus hinuntergegangen, beim Haus hinaus und dann zur U-Bahn. Ich erwischte noch gerade die letzte um halb eins und fuhr zurück zur Uni. Ich hirnte wie ein Verrückter, drehte alle Fakten um, fügte sie zusammen, wieder und wieder, aber es wollte nichts dabei herauskommen. Aus meiner Denkerei fand ich erst wieder in die Wirklichkeit zurück, als ich vor der Tür zum Institut stand und den Schlüssel in der Hand hielt.