Nun auf zu Shahin und seinen durchgeknallten Verschwörungstheoretikern. Irgendwie hatte ich überhaupt keine Lust. Während die Straßenzüge Wiens am Busfenster vorbeihuschten, ging mir das Gespräch mit dem Kardinal nicht mehr aus dem Kopf. Viel Feind, viel Ehr, heißt es für gewöhnlich. – Nicht dass ich das unterschreiben könnte. Feinde wie Sand am Meer und Blätter im Frühling, aber Ehre? Nun war ich auf jeden Fall dabei, es mir mit der Kirche zu verscherzen. In einem Land wie Österreich, in dem es tausend wichtige Menschen gibt, von denen 985 in Wien leben und 982 bei der allein selig machenden Kirche Mitglied sind, keine guten Aussichten.
Einbrechen. Mir graute es schon vor dem Wort. Mit Müh und Not konnte ich ein Fahrrad knacken, in meiner Jugend vielleicht auch mal einen Kaugummiautomaten. Später dann den mit den anderen Gummis. Wenn’s hart auf hart gekommen war, dann hatte ich auch meine Wohnungstüren immer ohne Schlüsseldienst geöffnet. Aber den Safe von Korkarian? Der Armenier schien mir nicht der Typ zu sein, der sich aus einem Rundbogen Karton so ein Ding selber basteln würde. Ganz sicher hatte er auch nicht bei Obi das Sonderangebot im Mai ausgenützt. Der hatte sicher einen guten. Und gute Safes sind wie die Streichquartette von Bartok, für Laien unzugänglich.
Mittlerweile war der 42B in Dornbach angekommen. Die Czartoryskigasse schlängelte sich durch liebliche Weingärten, in denen die Früchte in der prallen Sonne reiften. Kleine und größere Villen standen dazwischen und blickten auf die Friedhöfe von Dornbach und Hernals. Weinreben und Grabsteine, eine schöne Nachbarschaft. Eine der Villen befand sich zu der Zeit im Eigentum von Dr. Massu, dem Chef von Shahin. Das schmiedeeiserne Tor war geschlossen, aber für mich gab es den Hintereingang. Eine verrostete Tür, halb verdeckt von dunkelgrünen Thujen, quietschte, als ich sie öffnete. An einem verwahrlosten Werkzeughäuschen vorbei, ging ich unter Obstbäumen zum Pool. Die Betonwanne war leer, vermoderte Blätter und ein Plastiksack bedeckten den Boden. Hier war schon jahrelang keiner mehr geschwommen. Die Fenster waren blind oder mit Gardinen verhängt, so dass das gesamte Gebäude abweisend und leer stehend wirkte. Eine verrottete Hollywoodschaukel stand neben der Tür zu Shahins Büro. Ich klopfte. Mir wurde aufgetan.
»Hi, komm rein.«
Büro ist eine Untertreibung, Shahins Arbeitsstätte hat die Ausmaße eines kleinen Fußballfeldes. In der Mitte des weißen Raumes steht ein weißer Schreibtisch, auf dem sich ein weißer Computer mit weißem Bildschirm befindet. Daneben steht ein weißer Drucker und ein weißes Telefon. Vor dem Schreibtisch stehen zwei weiße Stühle und an der Wand eine Couch. Allerdings ist sie mit einem weißen Tuch abgedeckt und wird nicht benutzt. Da sie vom Schreibtisch so weit entfernt steht, dass sie kaum mehr als einen Punkt am Horizont ausmacht, stört das nicht. Neben dem Schreibtisch befindet sich ein Stapel weißes Papier. Der einzige Farbtupfer im Raum ist das Applelogo auf den Geräten.
»Machen wir uns was zu trinken, dann setzen wir uns raus in den Garten. Was ich dir zu erzählen habe, ist den Aufwand wert.«
Ich folgte Shahin durch mehrere Räume, alle weiß, alle leer, nur hier und da ein paar abgedeckte Möbel. Irgendwo hing an einer Wand ein Gemälde. Ich hätte nicht meine rechte Hand darauf verwettet, doch es sah aus wie ein Caravaggio und es zeigte Judith, die Holofernes enthauptete. Das konnte nicht das Original sein, das hing sicher in den Uffizien oder sonst wo.
Irgendwann, nach einer endlosen Anzahl kahler Räume, standen wir in der Küche. Weiß in Weiß in Weiß. So wie der Rum, den Shahin in hohe Gläser goss, die mit Eiswürfeln gefüllt waren. Dazu kam irgendwas Flüssiges, Grünes.
»Mojito. Rum mit Pfefferminze, bei der Hitze der Hammer. Hab ich aus Kuba, als ich mit Massu dort war.«
»Was habt ihr dort gemacht?«
»Fidel brauchte ein paar Kleinigkeiten.«
»Die schießen oder fliegen?«
»Beides.«
»Hmmm. Das ist wirklich gut.« Der Mojito war nicht zu stark, die Pfefferminze frisch, und alles eiskalt. Zwar kein Tee, aber auf seine Art auch nicht schlecht.
»Sicher, den Rest füllen wir uns in eine Thermoskanne und nehmen’s mit raus.« Gesagt, getan. Zehn Minuten später saßen wir auf der hinteren Terrasse der Villa im Schatten auf der verrosteten Hollywoodschaukel. Vor uns lag der Pool, hinter dem Pool ein paar Obstbäume, hinter den Obstbäumen Weingärten und dahinter die Friedhöfe. Hinter den Friedhöfen lag die Stadt. Bei uns im Schatten war es angenehm, da sich sogar eine kleine Brise regte. Draußen in der Sonne flirrte die Luft über dem Pool, die Farben glitzerten und die Blätter der Weinreben strahlten in millionenfachen Abstufungen von Grün. Irgendwo wurde gemäht und es hing der Duft nach trocknendem Gras in der Luft.
»Ich will mich nur noch schnell ankicken, dann erzähl ich’s dir.«
»Kick mich auch an, sei so gut, ja?«
»Sicherlich. Ist mir eh aufgefallen. Warum wolltest du das letzte Mal nichts?«
»Sabbatical.«
»Wassndas?«
»Versuch der Selbstreinigung. Tut gut.«
»Dann solltest du lieber den Tee lassen. Das wär besser für dich. Das bisschen Kiffen hat noch niemandem geschadet.«
»Tee ist harmlos.«
»Quatsch mit Soße, der bringt dich noch mal in die Klapse.« Shahin hatte die Zunge zwischen den Zähnen, als er fertig rollte. Dann gab er sich Feuer und heizte an. Nach einem ersten Zug blies er langsam aus.
»Musst du nicht arbeiten?«
»Ach, momentan ist das nicht so wichtig. Sommerloch. Kann ich auch noch morgen machen.« Nach einem weiteren Zug reichte er mir den Joint und begann.
»Also, interessierst du dich noch für die Hohlwelttheorie?«
»Na ja, es geht.«
Das Strahlen verschwand aus Shahins Augen und er fiel ein wenig in sich zusammen.
»Schade.«
»Sicher interessiere ich mich noch dafür, bloß ist es so, dass mir momentan alles andere um die Ohren fliegt. Ich brauch ein Notizbuch, hab jedoch keine Ahnung, wo es steckt. Ich soll einen Safe knacken, weiß aber nicht, wie man das macht. Und noch ein paar andere Kleinigkeiten.«
Dazwischen hatte ich auch einen Zug genommen, aber vorsichtig. Wenn Shahin ankickt, dann fallen die meisten schon aus dem Sattel. Mir kribbelte es schon ein wenig unter der Hirnschale, und ich gab den Joint zurück. Shahin füllte die Gläser erneut. Thermoskannen sind kolossal praktisch. Sie halten Tee heiß, Drinks kalt, und ich kannte mal wen, der schmuggelte Koks in der Zwischenwand.
»Komm, erzähl mir schon von der Hohlweltsache.«
»Also, pass auf. Ist schon ewig her, dass ich mich damit beschäftigt habe. Damals gabs noch kein Internet. Als du das letzte Mal weg warst, hab ich ein bisschen recherchiert. Weißt du was?«
»Nein.« Shahin zog die Hand mit der Tüte wieder ein.
»Nein.«
»Hä?«
»Gib mir den Joint, dazu ›Ja‹, aber ›Nein‹ zu ›Weißt du was‹.«
»Ach so.« Den Joint behielt er und zog.
»Also, da gibt’s ein Forum.«
»Für alles gibt’s ein Forum.«
»Ja, aber das heißt ›hohle Welt‹, und da diskutieren sie nur über solche Sachen. Ich dachte immer, das ist tot. Nein, es gibt tatsächlich Leute, die daran glauben. Die Uni Innsbruck hat erst dieses Semester Messungen auf der Europabrücke durchgeführt, unter Prof. Gerhard Österle, um einen Spinner aus dem Forum zu widerlegen! Im Jahr 2010 tauchen solche Sachen immer noch am Rande der wissenschaftlichen Welt auf! Der Blödsinn ist offensichtlich nicht totzukriegen, vermehrt sich im Internet wie Bakterien. Ich find’ das super!«
»Wild.«
»Guter Stoff?«
»Sowohl als auch.« Der Joint zog mächtig rein, aber die Neuigkeiten waren ein wenig harmlos. Momentan hatte ich ganz andere Probleme als ein paar Internetfuzzis. »Weißt du, Shahin, die Leute glauben den größten Blödsinn, man muss ihn nur laut aussprechen.«
»Hat schon der Führer gesagt.«
»Was??«
»Die Leute glauben eher eine große Lüge als eine kleine Wahrheit. Das ist noch nicht alles. Ich hab mich da gleich angemeldet und mitdiskutiert. Da geht es nicht nur um die Hohlwelttheorie, die ganze Sache mit der Antarktis wird auch behandelt. Außerdem …«, Shahin nahm noch einen Zug, »geht’s da um Alchemie.«
»Alchemie?«
»Ja, genau.«
»Du meinst, da gibt es Leute, die Blei in Gold verwandeln wollen?«
»Metaphorisch schon.«
»Die Welt ist voller Spinner.«
»Nein, nicht ganz. Wien ist voller Spinner.«
»Ich weiß: Du bist schon zehn Jahre hier und schüttelst noch immer täglich den Kopf.«
»So hab ich das gar nicht gemeint.« Shahin schenkte nach und machte sich daran, einen zweiten zu bauen. Mir kribbelte es schon in den Füßen, die Farben draußen in der Sonne hatten noch mal eine Stufe an Intensität gewonnen und das Blut rauschte in meinen Ohren. Gegessen hatte ich auch noch nichts. Vernünftig sein kann jeder, dachte ich mir, und nahm noch einen Schluck Mojito.
»Wir sollten nachfüllen. Im Kühlschrank hab ich noch mehr vom Pfefferminzsaft.«
»Tu das.« Shahin stand auf und ging hinein. Ich räkelte mich auf der Schaukel und stöpselte meinen iPod ein. Bis Shahin zurückkam, ginge sich sicher ein Song aus. Jetzt konnte mir nur eine helfen. Big Mama.
Gemeinsam mit Lightnin’Johnson hatte sie in den 60ern das Album Mighty Crazy aufgenommen. Leider bis auf den heutigen Tag nur in steinernem Mono erhältlich, doch das tut dem Songmaterial überhaupt keinen Abbruch. Alle Songs sind voll überwältigendem Blues, aber ich hatte maximal für einen Zeit. Meine Wahl fiel auf Big Mamas Hymne Ball’n Chain. Der Song beginnt mit einem ausufernden Solo von Lightnin’, das alles beinhaltet, was den Blues ausmacht. Zarte, kleine Töne ebenso wie das enthemmte Röhren der Verzweiflung, getragen von einem schleppenden Beat, dem die Kanonenkugel anzumerken ist, die er an eiserner Kette hinter sich herzieht. »Sittin by my window, looking out at the rain«, sang Big Mama und schon war ich bei ihr in Texas, in irgendeinem kleinen Knast. Das Chili auf der Pritsche war kalt und scharf und der Marschall hinter seinem Schreibtisch voll wie eine Strandhaubitze. Draußen schlugen schwere Regentropfen auf die staubige Dorfstraße und verwandelten den betonharten Lehm in knietiefen Matsch. Drinnen hatten Big Mama und ich schweren Liebeskummer, aber der Blues half. Der Blues hilft immer.
Stunden später, als Mama »Thank you« ins Mikro hauchte, kam Shahin aus der Küche zurück, die Thermoskanne frisch gefüllt. Er ließ sich neben mir auf der Hollywoodschaukel nieder, schenkte uns beiden nach. Danach zündete er sich die Tüte an.
»Wo waren wir?«, fragte Shahin nach dem ersten Zug.
»Wien ist voller Spinner.«
»Ach ja, bin seit zehn Jahren hier und immer noch schüttele ich täglich den Kopf.«
»Spezifischer wolltest du mir was von Alchimisten erzählen.«
»Ach ja. Das ist so: Ich hab im Internet recherchiert und das Forum gefunden. Da hab ich mich gleich angemeldet. Was die alles posten, das glaubst du nicht. Da gibt’s Threads über diese Nazi-Maschinen, von denen ich dir erzählt habe, mit dem Implosionsantrieb. Diese Typen sitzen zu Hause rum, meistens wohnen sie noch bei Mutti, und schrauben wie verrückt. Dann posten sie das im Internet. Immer so, dass keiner genau weiß, was sie machen, weil sie alle paranoid sind. Alle haben irrsinnige Angst davor, dass ein anderer die Maschine zuerst zum Laufen bringt. Ist das nicht völlig abgefahren?«
»Schon. Wie die alten Alchimisten.«
»Genau.«
»Und weißt du was?«
»Nein.«
»Sind alles Wiener. Fast jedenfalls. Ihr Ösis spinnt alle. Ich sag nur: Schwarzenegger, Mozart und Hitler.«
»Du hast Fritzl vergessen.«
»Ja, der muss auch auf die Liste.«
Wir saßen ein wenig da und starrten in die Mittagssonne hinaus.
»Wie kommst du drauf, dass das alles Wiener sind?«
»Wer?«
»Na, die Alchimisten.«
Shahin schaute mich verdattert an.
»Welche Alchimisten denn?«
»Na, die im Forum.«
»Ach so. Weil ich einen von denen kenne. Der hatte so ’ne Signatur unter seinen Postings, die mir bekannt vorkam. Da hab ich ihm eine PM geschickt, und es stellte sich heraus, dass wir uns realiter kennen.«
»Von wo?«
»Von den Feldgrau-Foren.«
»Wehrmacht?«
»Hmm. Haben paarmal gemeinsam ein Bier getrunken. Völlig kirre, der Typ. Er sagte, dass fast alles Wiener sind.«
»Also gibt’s in Wien eine Alchimistenszene. Lauter kleine graue Männer, paranoid wie Newton, basteln sie an ihren Maschinen, während Mutti im Nebenzimmer häkelt.«
»Genau. Da gibt’s noch mehr. Ich hab meinen Bekannten getroffen und der hat mir was gesteckt. Er bastelt selber nicht, liest nur so mit. Vor einiger Zeit, da kam eine richtige Aufbruchsstimmung in die Szene, weil ein Investor auftauchte.«
»Ein Investor? Der letzte Investor in der Alchimistenszene war Kaiser Rudolph in Prag, der einen von den Typen zum Finanzminister gemacht hat. Vor knapp 400 Jahren.«
»Das war noch ein Politiker mit Visionen.«
»Wenn’s funktioniert hätte …«
»Jaja.«
»Also, du willst mir erzählen, dass da wer versuchte, in die Bastler zu investieren.«
»Genau. Die haben ja alle kein Geld und manchmal steht alles für ein Jahr still, weil sich einer 500 Meter Kupferdraht oder solche Kleinigkeiten nicht leisten kann. Mit einem Mal hatten alle Kohle, ein bisschen jedenfalls. Die Szene hat Riesensprünge gemacht.«
»Aber als das nichts wurde, die Ergebnisse auf sich warten ließen, gab der Typ auf, und jetzt sind wieder alle pleite.«
»Genau.«
»Weißt du, wie der Investor heißt?«
»Nein, hab meinen Freund auch gefragt, der kann sich jede Panzerschraube merken, aber Namen? Keine Chance.«
»Kann ich den mal treffen?«
»Wenn ich mitgeh, vielleicht. Glaub nur nicht, dass das viel bringt.«
»Nicht so schlimm. Werd ich mich einfach mal unter den Alchimisten umhören. Da wird sich schon noch einer erinnern können.«
»Wenn man sein Leben neben Töpfen verbringt, die mit kochendem Quecksilber gefüllt sind, ist das zweifelhaft.«
»Das war früher. Ich bin mir sicher, das ist mit den Alchimisten dasselbe wie mit den Hexen. Heutzutage ersetzen die veganen Hexen Froschlaich für die Flugsalbe auch durch Quinoa.«
»Woher hast du das?«
»Hagezussa TV.«
»Wassn das?«
»Die Hexensendung im freien Fernsehen. Kommt nach Mehmet Keser Show und vor New Ordner.«
»Hast du Fernsehen?«
»Nein, aber ich bin trotzdem up to date.«
Wir schütteten den Rest, der in der Thermoskanne verblieben war, noch in unsere Mägen, dann machte ich mich auf den Weg. Zwar mit schon ziemlich getrübtem Bewusstsein, aber glücklich.
Endlich eine weiterführende Spur. Mein nächstes Ziel war Buehlin, der würde todsicher noch wissen, wer da investiert hatte. Er war zwar auch durchgeknallt, jedoch schon noch von dieser Welt. Die Fahrt dauerte, und da ich in meiner Hochstimmung nicht länger warten wollte, holte ich mein Handy raus und wählte eine Nummer.
Eugen war damals aus Wien weggezogen, weil ihn der Ruf einer Anwaltskanzlei aus dem fernen Liechtenstein erreicht hatte. Gesucht wurde ein verlässlicher Mann als Aktenvernichter. An denen herrscht im kleinen Fürstentum stets Bedarf, aber nach der großen Finanzkrise versuchen noch mehr als sonst, ihre Spuren zu verwischen. Und da die EU auch langsam Druck auf das Bankgeheimnis macht, laufen die Shredder 7-24.
Eugens Job bestand darin, mit ID Card das Gebäude am Hauptplatz von Vaduz zu betreten, nach Gesichtskontrolle hinauf in den dritten Stock zu fahren und sich dort den Wagen zu schnappen. Das dritte Stockwerk ist ganz aus Glas und bietet einen herrlichen Blick auf das Fürstenschloss und die Südwest-Schulter der Drei Schwestern. Mit dem Wagen geht Eugen dann zum Tresor, öffnet dort mit einem Code, der täglich geändert wird, das Schloss. Er hat dann 8,75 Sekunden Zeit, um den Tresorraum zu betreten und die Tür hinter sich zu schließen. Sonst wird ein Alarm ausgelöst. Der ganze Tresorraum besteht aus glänzendem Edelstahl. Dann hat er 42,31 Sekunden Zeit, um aus den vorherbestimmten Fächern die Akten auf seinen Wagen zu schlichten und die Tür wieder zu öffnen. Sonst wird ein Alarm ausgelöst. Anschließend hat er wieder 8,75 Sekunden Zeit, um die Tür zu öffnen und zu schließen. Widrigenfalls wird Alarm gegeben. Dann schiebt er seinen Wagen in den Schredderraum und lässt die Maschinen ihre Arbeit tun. Auch hier gibt es ein Zeitlimit. Etwa 20 Minuten. Dann beginnt die Prozedur von Neuem.
»Stör ich?«
»Kaviar, du?«
»Hast du ein paar Minuten Zeit für mich, oder gibt’s dann Probleme?«
»Passt schon, die Maschine läuft gerade. Hab noch« – ich hörte ihn auf die Uhr blicken – »17,23 Minuten Zeit.«
»Gut. Ich hab ein seltsames Anliegen, extra seltsam.«
»Lass hören.«
»Unter den Wirtschaftstreibenden in Österreich, gibt’s da wen, den du für fähig halten würdest, in Alchemie zu investieren?«
»Arno, bist du stoned?«
»Ja, schon. Wieso?«
»Dann ist eh alles in Ordnung. Wenn’s nicht der Fall gewesen wäre, hätte ich mir Sorgen gemacht. Da gibt’s ein Problem, ich unterliege der Schweigepflicht.«
»Hab’ ich mir schon gedacht. Aber ich will ja auch gar nichts über eure Klienten wissen. So ein Spinner wird bei euch sicher nicht genommen.«
»Meinst auch nur du. Was da für Typen auftauchen, ist einfach unfassbar. Ich frag’ mich nur immer, wie die zu ihrem Geld gekommen sind. Können ja nicht alle alles geerbt haben.«
»Wahrscheinlich nicht. Also, kannst du mir den Gefallen tun?«
»Wenn’s nicht unter Verschwiegenheit fällt, dann schon.«
»Hättest du ad hoc einen Verdächtigen?«
»Hmm. Alchemie.« Er dachte kurz nach. »Was meinst du mit Alchemie? Blei in Gold verwandeln?«
»Nein, nicht wirklich. Es geht da eher um irgendwelche durchgeknallten Nazimaschinen, die alternative Energiequellen abgeben sollen.«
»Sonnenlicht und so? Ökoquatsch?«
»Nein, irgendwelche esoterischen Sachen, blicke da selbst nicht so ganz durch.«
»Du suchst verhaltensauffällige, leicht kriminelle Unternehmer, die hinter dem schnellen Geld her sind.«
»Genau.«
»Weißt du was, ich werd ein bisschen nachdenken und ein paar Leute in der Kanzlei fragen. Ich mail dir dann eine Liste.«
»Nein, das geht nicht. Hab momentan keinen Internetzugang.«
»Pleite?«
»Nein. Doch, schon. Jedoch nicht deswegen. Meine Wohnung wird repariert.«
»Dann halt auf der Uni.«
»Da hat alles zu und in meinem Büro hab ich nicht mal einen PC.«
»Dann geh halt zu der Informatikverwaltung. Die ist im NIG. Die Leute da sind echt freundlich. Du, ich muss aufhören, die Maschine ist in 11,19 Minuten so weit, und ich muss noch unbedingt eine heizen.«
»Gut, Eugen, aber beeil dich mit der Liste.«
»Sicher. Wenn ich was finde, kann’s aber nicht versprechen.«
Als Eugen auflegte, war noch das Rascheln eines Chesterfield-Päckchens und das Klicken eines billigen Plastikfeuerzeugs zu hören gewesen.