Es ging langsam auf den Mittag zu, im Bus wurde es immer heißer und draußen im Sonnenlicht glühten die Farbtupfer in den staubigen Straßen. Häuser, kleine Parks, noch mehr Häuser und viele Mädchen in kurzen Röcken zogen am Fenster vorbei. Im Ohr hatte ich die ›Sketches of Spain‹, von Miles Davis und Gil Evans. Eigentlich keine meiner Lieblingsaufnahmen, aber heute hatte es mir »Solea« angetan. Wieder, wieder und immer wieder drückte ich Repeat. Das pompöse, orchestrale Intro, der durchgehende lebhafte, punktierte Rhythmus und die spanisch-stolze Trompete von Miles passten genau in meine Stimmung. Irgendwann stieg ich um, wartete ein bisschen, stieg wieder um und ging dann zu Fuß. Schließlich stand ich in der Servitengasse, vor der Haustür 17. Einen Moment musste ich mich besinnen, um wieder draufzukommen, warum ich eigentlich hier war. Ach ja, Buehlin. Ich stoppte Miles und läutete. Sofort summte der Türöffner. Ich wurde misstrauisch. Das letzte Mal hatte Buehlin dafür eine gefühlte Viertelstunde gebraucht. Ich war schon so weit, meinen Verdacht abzuschütteln, als ich im Augenwinkel zwei parkende Autos vor der Haustür wahrnahm. Sie waren dunkelblau-silbern. Mit einem roten Streifen. Und auf den Türen stand geschrieben: Polizei. Mein Herz tat einen Sprung, das Adrenalin verdrängte schlagartig Alkohol und THC. Die Haustür war schon hinter mir ins Schloss gefallen, also konnte ich nicht mehr umkehren. So ging ich also betont ruhig auf Buehlins Wohnung zu. Als ich um die Ecke kam, sah ich schon das gelbe Absperrband. Dahinter einen Uniformierten, der Schmiere stand. Ich ging lässig an ihm vorbei zum Stiegenabsatz. Sobald ich außerhalb seines Sichtbereiches gelangt war, blieb ich stehen und lauschte. In Buehlins Wohnung schien eine Kompanie zugange zu sein. Viele Stimmen, alle sprachen durcheinander. Es war nichts zu verstehen.
Ich stieg ganz hinauf unters Dach, stellte mich in einen dunklen Winkel und wartete. Es wunderte mich, dass nicht das ganze Haus auf den Füßen war, um der Polizei zuzusehen. Vielleicht waren alle im Urlaub. So stand ich also im Dunkeln und wartete, bis ich wieder unverdächtig an Buehlins Wohnungstür vorbei konnte. Nur nicht auffallen.
Da läutete mein Handy. Mit einem Reflex, der Spiderman alle Ehre gemacht hätte, riss ich das Handy aus der Innentasche meines Jacketts und drückte den grünen Knopf.
»Ja.«
»Hier Moratti, Kripo Wien Zentrum.«
»Was kann ich für Sie tun?«
»Wo halten Sie sich momentan auf?«
»Im neunten.«
»Warum sind Sie nicht in Ihrem Büro?«
»Das geht Sie gar nichts an.«
»Hören Sie gut zu, Linder. Mein Sinn für Humor ist begrenzt. Normalerweise lache ich ausschließlich, wenn wir Uni-Lektoren verhaften.«
»Gut, dann haben wir denselben Sinn für Humor. Da lach ich nämlich auch.«
Moratti brüllte irgendwas, das die Boxen meines Handys überforderte. Dann raschelte es ein wenig und seine Chefin meldete sich.
»Wie lange brauchen Sie zum Kort?«
»Viertelstunde.«
»Ich gebe Ihnen 20 Minuten. Akademisches Viertel ist keines drin. Dann schreibe ich Sie zur Fahndung aus.« Und aufgelegt.
Ich beruhigte mich kurz und schlich dann die Treppe hinunter. An dem Uniformierten vorbei, der den friedlichen Ausdruck einer Mumie im Gesicht trug, zur Tür. Mir fiel auf, dass es diesmal zwar immer noch nach Kohlsuppe stank, aber nicht mehr nach dem beißend scharfen Laborgeruch aus Buehlins Wohnung. Draußen auf der Straße machte ich mich so klein als möglich, ging an ein paar Polizisten in weißen Mänteln vorbei und überquerte die Straße Richtung Kanal. Im Fadenkreuz von Kirche und Polizei, dabei stoned und völlig ahnungslos. Das sah überhaupt nicht gut aus. Ich hatte schon mal bessere Karten gehabt und doch verloren.