Vor Elenas Haus waren wir in ihren kleinen Wagen gestiegen. Der mitternachtsblaue Fiat hatte sich im Laufe der Sonnenstunden aufgeheizt, so dass zu einem Saunaerlebnis nur noch Handtücher, Schmerbäuche und ein Aufguss fehlten. Meine Leinenhose klebte schweißnass am Beifahrersitz und alle 30 Sekunden musste ich mir einen Tropfen von der Nasenspitze wischen. Die geöffneten Fenster und der Fahrtwind halfen auch nichts. Aber mit einer verkauften Seele im Sündenregister konnte ich mich nicht früh genug an die Höllenhitze gewöhnen.
Der kleine Fiat kämpfte sich die Johann-Staud-Straße hinauf ins Grüne. Der Asphalt war vielfach geflickt, an ein paar Stellen ausgewaschen, und so rumpelte das kleine Auto ordentlich. Auf den freien Flächen neben der Straße wurde eifrig gegrillt. In der einsetzenden Dämmerung ließ sich zwar nicht mehr allzu viel ausmachen, aber Kebabs riecht man auch im Dunkeln. Immer wieder musste Elena stehen bleiben, um Kinder über die Straße zu lassen, manche mit Fahrrädern, manche mit Fußbällen, und alle prächtig gelaunt.
Oben im Wald war es dann still. Wir stiegen aus und gingen zu dem vereinbarten Treffpunkt. Unter ein paar Eichen setzten wir uns auf einen gefällten Baum und warteten. Hier an der Westseite des Hügels ging ein wenig Abendluft, und wenn es auch nicht wirklich kühl war, so doch angenehmer als in der kleinen Höllenkiste.
Wir saßen da und starrten wortlos in die zunehmende Dunkelheit hinaus. Es war zwar schon halb zehn vorbei, doch es rührte sich nichts, bis auf die Zeiger meiner Uhr und die Baumblätter über uns in der Brise. Das Warten machte die Sache auch nicht besser. Wohl an die hundert Mal wollte ich aufstehen und zum Auto zurückgehen. Doch irgendwie blieb ich sitzen. Neugier vielleicht, Dummheit sicherlich. Es fühlte sich an wie im Wartezimmer beim Zahnarzt. Man sitzt dort und wartet, hofft jeden Moment auf die Sprechstundenhilfe, die einem sagt, dass man den Termin verschieben müsse. Tief drinnen weiß man doch, dass es kein Entkommen gibt.
Endlich hörten wir Motorenlärm, langsam näher kommend. Dann das Knirschen von Gummireifen auf Kieselsteinen. Schließlich Türengeräusche. Satt und volltönend, Klangerlebnis Luxusschlitten. Wäre ich Sherlock Holmes gewesen, hätte ich am Klang die Marke erkannt, vielleicht sogar die Nummerntafel. Ich bin kein Holmes, Watson ist ein Idiot und außerdem ist mir Koks zuwider.
Es waren mehrere Personen, die da auf uns zukamen, gar nicht gut. Es hielt uns nicht mehr auf dem Baumstamm und wir standen auf. Drei Schatten bewegten sich durch die Dunkelheit unter den Bäumen. Ein Mensch und zwei Bären. Die Bären einen Schritt hinter dem Typen. Als sie uns ausmachten, blieben die Schläger stehen und der Typ machte noch ein paar Schritte. Dann hielt auch er. Die Versicherungsagentur »Brute Force Assured« im Hintergrund hatte jeweils die rechte Hand unter ihre Jacke geschoben. Der Raum zwischen dem Mann und uns maß etwa zwei Meter. Zu den Versicherungsagenten vielleicht fünf. Oder auch nur viereinhalb. Egal. Mir war schwummerig. So fühlt man sich also auf dem Präsentierteller.
Der Mann vor uns maß etwa einsachtzig, war ziemlich fleischig und sicher nicht älter als Mitte 30. Sein Anzug schien ein dunkles Lavendel, Ton in Ton mit Krawatte und Hemd. Ich hasse solche Typen. Vor allem dann, wenn sie mehr Trümpfe in der Hand halten als ich. Was momentan einfach war, denn mein Blatt war leer. Seine linke Hand hatte er lässig im Hosensack versenkt, das Gesicht im Schatten einer Eiche. Schwer zu sagen, wie er aussah. Morgen im hellen Tageslicht würde ich an ihm vorübergehen, ohne ihn wiederzuerkennen.
»Gut, dass Sie da sind.« Arroganz, Bauernschläue und nicht wenig Gier. Die Stimme wenigstens konnte ich mir merken.
»Ich habe nicht wenig Zeit und auch ein bisschen Geld in die Sache investiert, Frau Korkarian. Ich denke, es ist verständlich, dass ich ein wenig energisch bin, wenn es um die Wahrung meiner Interessen geht.«
»Sicherlich. Das sehe ich ein.«
»Das freut mich. Wären Sie von Anfang an so vernünftig gewesen wie jetzt, dann hätten wir uns einiges erspart. Sie und ich.« Eine kleine Pause. »Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse.«
»Wir haben beide gespielt und Sie gewonnen. Gern verliere ich nicht.«
»Ich denke, das lässt sich einrenken. Was sagen Sie zu einer Wiedergutmachung?«
»Welcher Art?« Elena flirtete, was das Zeug hielt.
»Ein nettes Essen und dann sehen wir weiter?«
»Da sage ich nicht nein.«
Der Lavendeltonträger nickte, und schneller, als ich schauen konnte, hielt mir der eine seiner Bodyguards seine Knarre unter die Nase und der andere fixierte mir die Hände auf dem Rücken. Elena und der Kerl gingen Arm in Arm zum Wagen. Dort ließ der Fahrer den Motor an und ab gings ins Partyleben.
Zurück blieb ich mit den beiden Bären und der Gewissheit, wieder einmal von einer Frau reingelegt worden zu sein. Wenigstens hatte ich so einmal ein Menschenopfer miterlebt. Auch nicht schlecht.
Die beiden Kerle schleppten mich, nachdem wir ein wenig gewartet hatten, auch zur Straße. Zuvor hatte der eine sein Handy rausgeholt und ein paar Knöpfe gedrückt. Als wir vorne an der Straße angekommen waren, kam auch schon ein unauffälliger Lieferwagen, weiß mit Firmenaufschrift, und die beiden stiegen mit mir ein. Hinten in den Laderaum. Wohin die Fahrt ging, wusste ich noch nicht. Ganz sicher nicht ins Vergnügen.