V

Nach komatösem Schlaf erwachte ich. Das graue Licht eines gnadenlosen Morgens erfüllte das Zimmer, eines gnadenlos frühen Morgens. Meinen Magen füllte ein halber Liter Cognac. Wenn möglich, war der noch gnadenloser als der Morgen. Mehr als eine Stunde konnte ich nicht geschlafen haben. Denn wenn mich meine Erinnerung nicht trog, war es schon dämmrig gewesen, als wir zu Bett gegangen waren. Ich quälte mich hoch. Kopfschmerz war noch keiner da, der Kater schläft stets länger als sein Besitzer. Alles andere war aber schon hellwach. Die Schmerzen in Thorax und Gelenken, das Brennen der Abschürfungen am ganzen Körper und eine Legion Dämonen aus der Schnapsflasche im Magen. Stolpernd und schwindlig stelzte ich ins Bad.

Weiße Fliesen, goldene Zierleisten, weißes Porzellan und mittendrin einer, der seine Seele rauskotzte. Das war ich. Wie immer Herr der Lage und voll elegantem Esprit. Halt, Seele rauskotzen, so ein Blödsinn, die hatte ich ja verscherbelt. Außerdem schien mir das Bild aus dem Matthäusevangelium passender: »Da fuhren die bösen Geister von dem Menschen aus und fuhren in die Säue; und die Herde stürmte den Abhang hinunter in den See und ersoff.« Das hatte schon Dostojewski verwendet. Wie immer mehr als hundert Jahre zu spät, der Linder.

Als ich ein paar Minuten später Gesicht, Mund und Nase mit lauwarmem Wasser wusch, war ich zu einer endgültigen Einsicht gekommen. Wenn das, was ich da rausgekotzt hatte, meine Seele war, dann war es wirklich besser, keine zu haben. Das Zeug war echt grauslich. Wahrscheinlich war es auch klüger, nicht so viel zu trinken.

Anschließend zog ich mich an und ging. Leise, leise, leise. Hinter mir ließ ich die zu Asche und kaltem Rauch zerfallenen Träume der letzten Nacht zurück, nebst einer sanft schlafenden Frau, die mir Obhut, Geborgenheit und Interesse geschenkt hatte. Klar, dass Gott den Mann zuerst erschaffen hatte, schließlich brauchte er für sein Meisterstück ein wenig Übung.

Ohne Aufsehen zu erregen, kam ich durch die Lobby hinaus auf den Ring, wo es zwar schon taghell, aber noch nachtkühl war. Außerdem schien es geregnet zu haben. Die Straßen waren nass und glänzten. Die Passanten spiegelten sich ebenso wie die Autos. Alles wirkte klar und sauber. Die Luft roch nach Chlorophyll und Leben. Das Rauschen der Autos auf der nassen Fahrbahn fing sich in den alten Bäumen der Ringstraße, irgendwo hinten klingelte hell eine Tram.

Ich stieg ein und fuhr zur Uni. Neue Kleidung schien mir wichtig. Je näher ich der Uni kam, umso mehr schlug die Paranoia durch. Überall meinte ich Anabolikagebirge zu sehen, die hinter mir her waren. Die Leute, die dafür zu klein und zu schmächtig waren, hielt ich einfach nur für gut getarnt. Nachdem ich ausgestiegen war, beim Rathaus und nicht bei der Uni, ging ich von hinten hinein. Jede Menge Treppen Umweg, immer langsam und vorsichtig. Erstens Paranoia und zweitens Blessuren. Vor jeder Ecke blieb ich stehen und horchte. Als ob ich Gangster am Atemgeräusch von friedlichen Bürgern unterscheiden könnte. Ich horchte trotzdem.

Endlich stand ich in meinem Büro. Weder am Schloss des Instituts noch an dem meines Büros oder eines anderen, fanden sich irgendwelche Spuren. Entweder waren sie gar nicht da gewesen oder sie waren so gut, dass sie keine Spuren hinterlassen hatten. Warum hätten sie gar nicht da gewesen sein sollen? Waren sie wirklich so dumm, wie sie gewirkt hatten? Unsicherheit machte sich breit. Ich drängte meine Befürchtungen zurück und zog mich um. Die alten Sachen stopfte ich in einen Plastiksack. Das Zeug stank nach Angstschweiß und kaltem Rauch. Eine Katzenwäsche später war ich frisch gekleidet, besser fühlte ich mich deswegen nicht. Dann machte ich mich wieder auf den Weg. Nachdem ich vorsichtig aus der Uni rausgekommen war, ging ich zum Rathauspark. Zwischen den Bäumen wurde man nicht so gut gesehen, und außerdem machten die Autos auf den nassen Straßen Lärm. Den konnte ich nicht gebrauchen, denn ich wollte telefonieren.

Zwischen den Bäumen ließ ich mich auf einer Bank nieder und wählte Mikes Nummer.

»Hi.«

»Servas.«

»Wie schauts mit meiner Wohnung aus?«

»Dauert sicher noch 14 Tag, drei Wochen.«

»Miete zahl ich dir bis dahin keine. Red mit deiner Hausverwaltung.«

»Ich zahl schon die ganze Reparatur von mein’ Geld. Des geht net.«

»Du bist der Vermieter und Eigentümer. Du hast zugelassen, dass ich in einer Wohnung ohne Schuko gelebt habe.«

»Wie meinen?«

»Ein anderer hätt dich dafür verklagt.«

»Na gut.«

»Fein.«

»Und sonst?«

»Hast du die Nummer vom Kurt?«

»Za wos?«

»Drei mal darfst du raten.«

»Aha. Genauer geht’s net?«

»Willst in Häfn?«

»Na, net wirklich.«

»Dann besser nichts mehr. Also, hast du seine Nummer?«

»Kurti hat ka Nummer, was ich waß.«

»Wo kann ich ihn treffen? So schnell wie möglich, am besten gleich.«

»Hm, im Café wahrscheinlich.«

»Gott sei Dank gibt’s da nur eins in Wien.«

»In dera Winden in der Schweglerstraßen, neben dem Schnitzelhaus und dem Computerladen. Dort, wo die Videothek is.«

»Hm.«

»Waßt wöches i man?«

»Sicher, bloß dort war ich noch nie. Bist du sicher, dass er dort ist?«

»Von um acht bis uma zwölfe, ganz sicher.«

»Danke Mike.«

»Schon guat.«

Ich stand auf und ging zu einem der Büsche und würgte. Lange kam nichts, dann Galle. Kein Hochgenuss. Außerdem ist Würgen mit einer verstauchten Wirbelsäule, die bei jedem Atemzug schmerzt, eine echte Qual. Bis jetzt hatte ich nicht geglaubt, dass man von Schmerzen ohnmächtig werden kann. Aber langsam konnte ich mir das echt vorstellen. Und wünschen tät ichs mir auch. Ich wischte mir die Galle aus den Mundwinkeln, spuckte ein wenig und machte mich dann auf den Weg.

In der Josefstädterstraße fand ich einen Blumenladen. Der war zwar noch nicht offen, doch drinnen wurde schon geputzt und dekoriert. Ich klopfte so lange penetrant an die Tür, bis mir geöffnet wurde. Bemerkenswert. Die Frau, die mir ins Gesicht schaute, war gar nicht gut gelaunt. Ich lächelte sie trotzdem an, als ob sie ein Christbaum wäre und ich ein zehnjähriges Kind. Außerdem versuchte ich, ihr meinen Atem nicht direkt ins Gesicht zu blasen.

»Was ist denn los? Sehen Sie nicht, dass wir noch geschlossen haben?«

»Es tut mir leid. Ein Notfall sozusagen.«

»Wir sind eine Schnittblumenhandlung und kein Krankenhaus.«

»So war das nicht gemeint, es geht um eine Frau.«

»Liebe erst um neun, wenn Sie lesen können.« Sie wies auf das Schild mit den gut sichtbaren Öffnungszeiten.

»Ich muss mich unbedingt bei ihr bedanken, je früher, desto besser.«

Mittlerweile waren noch zwei Angestellte hinter die Frau getreten. Beide deutlich jünger. Eine vermutlich Lehrling.

Alle drei schauten mich an. Die Chefin streng, die beiden anderen neugierig.

»Kaufen Sie Ihrer Dulcinea die Blumen doch an einer U-Bahn-Haltestelle. Billiger sins dort auch.«

»Ich brauche wirklich einen schönen Strauß. Mit allem Drum und Dran.«

»Viele Frauen bevorzugen Geldgeschenke.«

»Nein, diese Dame nicht. Außerdem hat sie mir sehr geholfen und ich will mich bedanken.«

Die Ältere der beiden Angestellten, Mitte 40 etwa, stieß ihrer Chefin heimlich in die Rippen.

»Na gut. Kommans herein. Aber schnell. Die Leut müssn S net sehng. Sonst wolln des alle!« Nicht auszudenken, sie würde dann vielleicht sogar ein gutes Geschäft machen. Katastrophe.

Hinter mir wurde die Tür geschlossen. Drinnen roch es nach Wasser und Blumen.

»Was solls denn sein?« Die drei Frauen umringten mich.

»Die Dame ist Ende 40, sehr elegant und geschmackvoll.«

»Die Mutter Ihrer Freundin? Schwiegermama?«

»Nein, meine Chefin.«

Die zwei Jüngeren pfiffen unisono durch die Zähne, was der Chefin sehr missfiel.

»Werden wir schon was finden für die gnädige Frau.« Die Chefin verschwand durch eine Tür nach hinten. Die Ältere der beiden Angestellten begann, irgendwelche Blumen, Blätter und Ähnliches aus den Vasen zu nehmen. Sie tat es sehr exakt und mit Sorgfalt, obwohl ich kein System erkennen konnte. Sie schien genau zu wissen, was sie tat.

»Die Chefin tut nur so, eigentlich is sie ganz a Nette. Seit der Fischer bei uns einkauft …«, der Lehrling hielt die Nase hoch in die Luft. »Sind Sie verliebt in Ihre Chefin?« Sie wurde bei der Frage sogar ein bisschen rot. An den Rändern der Ohren zumindest. Die Blumenpflückerin hinten hatte ihre Ohren verdreht wie ein Luchs.

»Hm.« Schlagartig wurde mir bewusst, dass die Kleine gar nicht so weit daneben lag.

»Nein, ich will mich nur bei ihr bedanken«, wiederholte ich stur.

Die beiden Frauen warfen sich einen Blick zu. Der sprach wirklich tausend Worte.

Schließlich kam die Chefin zurück, mit irgendeinem Katalog und zeigte der anderen was. Dann flüsterten beide, und zwei Minuten später stand ein wunderschöner Strauß in Blau, Weiß, Silber und Grün vor mir. Fast mehr ein Garten als ein Strauß.

»Sollen wir vielleicht noch eine Rote dazustecken? Für alle Fälle?«

Sogar ich weiß, dass rote Rosen eindeutig sind.

»Nein danke, so ists sehr schön.«

»Wolln Sie noch eine Karte dazuschreiben?«

»Nein, ich denke, die Blumen sagen das Nötige.«

Alles nickte.

Mir wurde eine Rechnung ausgestellt, sie belief sich auf etwa 75 Euro. Als ich zahlte, fragte ich naiv: »Inklusive Zustellung?«

»Zustellservice könnten wir leider keinen anbieten. Das müssen Sie leider selber erledigen.«

»Das ist schlecht.« Erstens hatte ich keine Lust, mit dem Gewächshaus durch Wien zu laufen, und zweitens wollte ich unbedingt zu Kurt.

»Kann man da gar nichts machen?«

Die drei sahen sich an. Dann sprach die Jüngste: »Gebns den Strauß her. Ich bin mit dem Fahrrad da, wohin soll ich ihn bringen?«

Ich nannte Hotel, Adresse, Namen und Zimmernummer. Dann gab ich ihr die restlichen 25 Euro vom Hunderter. Ich war ihr wirklich dankbar. Mit einem Blumenstrauß anklopfen. Wenn mich Glanicic-Werffel gesehen hätte. Ich wäre gestorben. Einfach so.

Das lag also hinter mir und ich machte mich auf, Kurti zu treffen.