Zwei Stunden später saß ich in meinem Büro. Regentropfen schlugen hart an die Fensterscheiben und draußen war es dunkel. Herinnen brannte das Licht, der Tee zog in der Kanne und ich hatte mein letztes Hemd angezogen. Die gleichen Tropfen, die es jetzt in meinem Büro so heimelig werden ließen, hatten mich von meiner Bank vertrieben. Alles war nass gewesen, ehe ich aufgewacht war. Sommerregen kann was Wunderschönes sein, allerdings nur, wenn man Sachen zum Wechseln und ein Dach über dem Kopf hat. Vor allem das mit dem Dach ist eine wichtige Sache, die für gewöhnlich unterschätzt wird. Also war ich zurück auf die Uni gefahren. Anabolikagebirge hin oder her. Wenn schon in Unannehmlichkeiten schlittern, dann wenigstens mit Tee, und davon hatte ich noch einen schönen Vorrat im Büro.
Voller Vorfreude stand ich neben der Kanne und wartete darauf, dass ich mir eine Schale einschenken konnte. Da ging die Tür auf und jemand trat ohne Grußwort ein. Ein bisschen kleiner als ich und hager. Er trat an den Tisch, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen, und schenkte sich ohne zu fragen meine Schale voll. Dann stürzte er den Inhalt hinunter.
»Hm, Illam Feng.«
Er füllte nach. Die zweite Tasse nahm er in zwei Schlucken.
»Den magich überhauptnicht.«
Wieder schenkte er nach und setzte sich dann mit der vollen Schale in der Hand auf den Studentenstuhl.
Ich brauchte ein wenig, um mich zu erinnern, wo ich den Mann schon mal gesehen hatte. Seine zusammengezogene Sprechweise half mir auf die Spur.
»Hm, hastnähnliches Loch wieich.«
Da fiel der Groschen bei mir.
»Was kann ich für Sie tun, Herr Aronofsky?«, fragte ich, mich setzend.
»Hastwasvergessen, bei mirimBriefkasten.« Schwupps, die dritte Tasse war geleert und eine vierte nachgeschenkt. »Ahh. Tee.«
Genau. Tee. Und zwar meiner. Wenn ich mich nicht beeilte, dann blieb für mich nichts mehr übrig. Also schnappte ich mir meine Bürokanne und holte mir eine Schale aus einer der Schubladen meines Schreibtisches. Dann schenkte ich ein. Zuerst mir, dann ihm. Die Kanne behielt ich in der Hand. Sicher ist sicher.
»Was soll ich denn bei Ihnen vergessen haben?«
»Euros.«
»Und darum sind Sie hier?«
»Genau.«
»Wie haben Sie mich gefunden?«
»Ich bin Detektiv. Ein echter. Nichtsoein Amateurwie du.« Er hielt mir die Schale entgegen. Zuerst ignorierte ich seinen Wunsch, doch dann knurrte er ein wenig. Das Knurren fand erst ein Ende, als die Schale randvoll war. Genießerisch schlürfte er.
»Das heißt, Sie haben seit März nach mir gesucht und mich nun gefunden?«
»Soungefähr.«
»Und jetzt wollen Sie mir das Geld zurückgeben.«
»Genau.« Er leerte seine Schale und hielt sie wieder her, für einen Refill. Während er darauf wartete, dass ich nachschenkte, holte er einen zerknautschten Schein aus einer Hosentasche und legte ihn auf den Tisch. Es war ein Fünfziger.
Soweit ich mich erinnern konnte, hatte ich ein paar Hunderter bei ihm gelassen.
»Was ist mit dem Rest?«
»Ist draufgegangen. Spesenundso. Aber ein Aronofsky bleibt nichts schuldig.« Ich streckte die Hand aus, um den Schein an mich zu nehmen.
»Nichtsoschnell.«
»Ja?«
»Ichhabwas, könnte gutundgerne einen Fünfziger wert sein.«
»Was?«
Er hielt mir die Teeschale entgegen. Ich schenkte nach.
»Ihr Teeistleer.« Er musste es ja wissen, schließlich hatte er ihn ausgetrunken. Mir war gerade eine Tasse geblieben. »Sollteneinen neuenaufsetzen.« Ich tat wie geheißen. »Aber keinen Feng. Sencha.« Also gut, Sencha.
Während ich herumwerkelte und den Wasserkocher anmachte, ging das Gespräch weiter.
»DiekleineMila, diemachtWeltreise, mit allem Drum und Dran.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Ich bin Detektiv. Wir wissensoeiniges. Hatdichordentlich aufs Kreuz gelegt.« Dem war nichts hinzuzufügen.
»50 Euro ist mir das nicht wert.«
»Denkichmir. Aber die Anwältin, die Lignamente. Vonderweißichwas.«
»Was?« Mir zog sich der Magen zusammen.
Er streichelte den Geldschein. Ich nickte.
»SiehatnFreund. Ziemlicher Bonze, sonGeldscheissertyp. Würdmichbeeilen. Die wollnsschon zusammenziehen.«
»Und was soll ich dagegen tun?«
»AlsDetektivbist du Scheiße, aber sonst ganz in Ordnung. Keiner von den 99Prozent Vollidiotendadraußen. Wirddirschonwas einfallen.« Eine kleine Pause. »Obwohl bisschen knausrig mit dem Tee vielleicht.« Der war gerade fertig geworden und ich schenkte nach. Er stürzte die Tasse hinunter und griff sich den Schein. »Somussweiter. Onefortheroad?« Ich nickte. Er holte eine verbeulte Thermoskanne aus der Tasche und schraubte auf. Ich füllte ein. Nachdem seine Thermoskanne voll war, blieb mir gerade noch eine Tasse. Aber das war Aronofsky egal, denn er war schon draußen. Ich hörte seine Schritte auf dem Gang und dann die Institutstür. Wie hatte er die eigentlich aufgekriegt? Ach ja, der Mann war Detektiv.