II

Die Wolken hatten sich verzogen, die Sonne brannte hell herunter und das Regenwasser kochte förmlich auf dem schwarzen Asphalt. Die Stadt hatte etwas von einem Dampfbad. Nur nicht ganz so sauber.

Die Augen der Weltgeschichte sahen Arno Linder auf dem Weg über den Roosevelt-Platz hinüber in die Liechtensteinstraße. Dort befindet sich ein pakistanisches Restaurant, in dem man das bezahlt, was man will, keine Fleischgerichte serviert werden und das Curry feuert wie im Punjab. Obwohl es auf dem »Zahl so viel du willst«-Prinzip basiert, existiert es schon ein paar Jahre. Auch so ein Wunder im Zeitalter der ›Geiz ist Geil‹-Mentalität, hinter das ich nie so ganz gekommen bin.

Wie immer war das Lokal voll. Studenten, Alternative und Pakistani saßen an den Tischen und schnatterten beim Schmatzen. Ganz weit hinten in der Kakafonie war leiser indischer Pop zu hören. Schweißiger Gewürzduft trieb in schweren Schwaden durch den Raum, immer im Kampf mit dem Zigarettenrauch. Alle schienen beim Essen zu qualmen. Wenn möglich, war es herinnen noch heißer als draußen. Cumin und Koriander ließen mir das Wasser im Mund zusammenlaufen, während die Hitze mir den Schweiß auf die Stirn trieb. Ich schnappte mir einen Teller und schöpfte. Rotes Erdäpfelcurry, gedünstete Brokkoli, zwei warme Chapati-Fladen und eine Kelle gelben Reis mit Rosinen drin.

Neben einem Pärchen unbestimmter Herkunft, er mit Islamistenbart, sie im Mini, fand sich noch ein Plätzchen. Doch nur, weil ich mich klein machte und den Teller auf den Schoß nahm. Er war blond und sie dunkel. Beide tranken Bier, das Tischchen war schon mit leeren Flaschen bedeckt. Sie diskutierten hitzig, ich tippte auf Arabisch. Das war eben nur ein Tipp, denn auch die Sprache beherrsche ich nicht.

Jedenfalls war das Essen gut und es blieb unten. Ich hatte meinen Magen wieder unter meinen Willen gezwungen. Ausgezeichnet.

Danach brachte ich meinen Teller zurück, den Kopf eingezogen, denn an einem Tisch saßen ein paar Leute, die ich kannte. Auf Smalltalk hatte ich jetzt gar keine Lust. Ich zahlte 12 Euro, schließlich war die Portion groß gewesen und ich hatte nichts dazu getrunken, und machte mich auf den Nachhauseweg.

Das Wort stimmte mich traurig. Zu Hause waren die Installateure, ich musste ins Institut. Weh dem, der keine Heimat hat und kein Zuhause, denn er ist ein Wanderer zwischen den Welten, immer unterwegs, nie da. Ein stetes Schreiten ohne Ankunft, ohne Ziel. Ich war schon dabei ,melancholisch zu werden, als mir aufging, dass die Sache auch ein Positives hatte. Die Bibliothek.

Eine Kanne Tee, Bachs Cellosuiten von Anner Bylsma und ein gutes Buch. 15.000 gute Bücher, um genau zu sein. Wer braucht ein Zuhause, wenn er Bücher hat. Ich beschleunigte voller Freude meinen Schritt, doch der Teufel kann einem alles vermiesen. Am Telefon war zwar nicht Luzi persönlich, aber sein rechter Arm, die österreichische Kriminalpolizei. Ich übertreibe, die Polizei der Republik ist höchstens das letzte Glied seines kleinen Fingers, aber ganz sicher rechts.

»Linder, wir müssen Sie sprechen.«

»Bei Ihnen oder bei mir?«

»Bei Ihnen.«

»Gut. In zehn Minuten in meinem Büro. Seien Sie pünktlich, sonst schreib ich Sie zur Fahndung aus.«

Den gemütlichen Abend konnte ich mir sonst wohin schmieren, aber immerhin war ich satt.

Zwölf Minuten später saßen wir in meinem Büro, Molnar, Moratti und ich.

Moratti rauchte. Lucky Strike, die Marke der harten Jungs von früher. Der Mann kannte offensichtlich keine Selbstzweifel. Molnar tat nichts, sie saß nur da. Wir hatten uns begrüßt, aber jetzt war es still. Niemand sprach.

»Und?«, warf ich in den Raum.

»Es ist trostlos hier«, meinte Moratti, sich umblickend. »Bei uns leben wenigstens die Blumen. Bei Ihnen ist alles tot.«

»Sie werden doch nicht gekommen sein, um mit mir über Innenarchitektur zu sprechen.«

»Vielleicht doch.« Moratti schaute mir bedeutsam in die Augen. Er aschte in das Glas, das ich vor ihn auf den Tisch gestellt hatte. Als er sich vorbeugte, knisterte seine Lederjacke. »Kahle Wände, Pritschen und Milchglasscheiben mit Gittern. Wie klingt das?«

»Anheimelnd, doch ich hoffe, Sie laden mich vorher zum Essen ein. Ich gehe nicht mit jedem gleich nach Hause.«

Moratti nahms ganz cool, rauchte einfach weiter. Er spielte überhaupt nicht mehr den bösen Adrenalin-Macho-Cop. Da war was im Busch.

»Was mein Kollege meint, ist, wie Sie zu einem Gefängnisaufenthalt stehen?«

»Ich bin für alles offen. Aber, braucht man dafür nicht so ein, wie heißt das noch?« Pause. »Ach ja, Gerichtsurteil?«

»In der U-Haft vergeht die Zeit auch langsam.«

»Da kommt einem ein halbes Jahr wie eine Ewigkeit vor«, ergänzte Moratti.

»Wenn’s nur darum ginge, mich einzukasteln, dann täten Sie’s einfach. Also, was wollen Sie mit der Drohung erreichen?«

»Kooperation.«

»Entweder sind Sie gutherzig oder es läuft Ihnen die Zeit davon. Die dritte Alternative zu nennen, verbietet mir die gute Kinderstube.«

»Wie kommen Sie denn darauf?«

»Normalerweise wird man einfach weichgekocht, bis man antwortet.« Kooperation klingt im Polizeijargon schon fast wie Kapitulation, aber das ließ ich weg. Sie wussten, dass ich das wusste. Man kann nicht erfolgreich verhandeln, wenn man dem Gegner Salz in die Wunden streut.

»Gut. Offene Karten. Wenn Sie versuchen, uns auszutricksen, dann gnade Ihnen Gott.«

»Auch wenn’s uns dann nichts mehr bringt. Sie werden einsitzen, verlassen Sie sich drauf, und dann ist Essig mit Uni und solchen Sachen.« Moratti rauchte eine neue Lucky an.

»Was wollen Sie von mir?«

»Liefern Sie uns Beweise gegen Ihren Chef und wir lassen Sie laufen.«

Da konnte was nicht stimmen. Kein Polizist ermittelt in Österreich gegen die Kirche, schon gar nicht unter einem schwarzen Innenminister. Kein Staatsanwalt würde so einen Akt bearbeiten.

»Das ist Sexismus, Glanicic-Werffel, so sagt man wenigstens, ist eine Frau. Chefin ist die passende Flexionsform.«

»Wir reden nicht von der Uni, wir sprechen von Kana.«

»Da täuschen Sie sich. Außerhalb der Uni hab ich keinen Chef.«

»Andreas Kana. Der Sohn vom alten Kana, Leiter des Genua Instituts.«

 

»Sie denken, ich arbeite für ihn. Wie kommen Sie da drauf?«

»Einfach«, schnaubte Moratti, der nun wieder in sein normales Rollenbild zurückfiel. »Schauberger recherchiert in einer heiklen Sache gegen Kana, Sie treten auf, Schauberger wird ermordet, es gibt einen weiteren Todesfall. Wir schauen uns Ihre Akte an, danke übrigens für den Hinweis, und alles fügt sich schön zusammen.«

»Sie denken doch nicht, dass ich Marianne umgebracht habe?«

»Sicher nicht. Das waren die Leibwächter von Kana. Einer von ihnen hat eine Vorliebe für Messer. Doch Sie haben da mitgespielt.«

»Unser Angebot: Wir halten Sie raus und Sie liefern uns die Beweise. Andernfalls schlüpft uns Kana durchs Netz, aber wir haben Sie. Man kann jeden Beweis so biegen, dass er Sie belastet.«

»Nur der Neugier halber: Warum sammeln Sie nicht selbst die Beweise und kassieren dann Kana und mich?«

»Schauberger hat zwei Jahre recherchiert, die Zeit haben wir nicht mehr. Kana ist kurz davor abzuhauen.«

»Warum nehmen Sie Kana dann nicht einfach in U-Haft, bis Sie die Beweise auf dem Tisch liegen haben?«

»Sind Sie so dumm oder tun Sie nur so? Wir sind in Österreich. Kana hat Protektion, kein Staatsanwalt verbrennt sich da die Finger, wenn wir nichts Definitives vorlegen können. Sein ganzes Geschäft beruht nur darauf, dass sein Vater Verbindungen hatte. Die haben ihm die ganze AMS-Schuldverschreibungssache erst ermöglicht. Wenn Kana hops geht, haben wir einen Skandal, der die Hälfte des ÖVP Parlamentsklubs betrifft. Wir tanzen da auf ganz dünnem Eis.«

»Aber offensichtlich sehr gut.« Ein bisschen Lob kann nicht schaden. »Weiß der Staatsanwalt überhaupt, in welche Richtung Sie beide ermitteln?«

Moratti und Molnar grinsten.

»Der glaubt, wir wären hinter ein paar Bastlern her, die Nazi-Maschinen nachbauen.«

Nun lachten wir alle drei.

»Und auch da hat er Angst, dass wir der FPÖ auf die Zehen steigen«, meinte Molnar.

»So ein Weichei«, knurrte Moratti.

»Da kann er auch nichts dafür. Seitdem die Staatsanwälte weisungsgebunden sind, bestimmt die Justizministerin, wo ermittelt wird. Da kann es sich keiner leisten, bei den Politikern anzuecken«, erläuterte Molnar.

»Also welche Art von Beweis brauchen Sie?«, fragte ich .

»Schauberger hatte ein Notizbuch, das wäre das Beste. Wir nehmen jedoch alles, was Ihnen so in die Hände fällt.«

»Warum sind Sie so sicher, dass in dem Notizbuch Verwertbares drinsteht?«

»Weil Schauberger einen Tag vor dem Mord bei uns war. Sie hat uns ein paar Sachen gezeigt. Einen Tag länger und sie hätte eine Kopie hinterlegt, für den Fall ihres Ablebens. Das ist sich leider nicht mehr ausgegangen.«

»Und was ist mit Buehlin?«

»Das war nur Zufall. Die Psychologen meinen ganz klar, dass das im Zusammenhang mit seiner Sozialpsychose steht. Tragisch, aber für den Fall irrelevant.«

Wir unterhielten uns noch ein Weilchen recht entspannt, dann brachen die beiden auf. An der Tür zum Institut verabschiedeten wir uns, Molnar ging als Erste, sodass mir Moratti ungehört zuflüstern konnte: »Wenn du Scheiße baust, erschieß ich dich auf der Flucht.«

Nachdem ich die Tür abgesperrt hatte, ging ich zurück ins Büro. Dort zog ich mir ein T-Shirt an und hängte meine Hose über eine Lehne. Mittlerweile war es dunkel geworden, ich ging in die Bibliothek, hörte Bach und las ein wenig. Hauptsächlich doch zermarterte ich mir das Hirn, bis ich klarer sah. Dann schlief ich ein, den Kopf auf einem dicken Folianten und mit einem Glücksgefühl im Bauch.