Ein schüchterner Finger Sonnenschein stahl sich durch die heruntergelassenen Jalousien, genau auf mein Auge. Nach einem kurzen Blinzeln drehte ich mich um und versuchte, weiterzuschlafen. Aber das konnte ich mir abschminken. Die Wirbelsäule war wieder beleidigt, zuerst aus dem Auto fallen und dann auf dem Boden schlafen, mit einem Buch als Kopfstütze. Das war ihr zu viel, sie protestierte heftig. Alles fühlte sich steif an und das Atmen wollte nicht so leicht gehen wie sonst. Ich drehte mich auf den Rücken und streckte mich aus. Überall um mich herum standen die Regale im Halbdunkel, deckenhoch und irgendwie mysteriös. Ein paar Lichtstrahlen drangen in den Raum und Staub tanzte in der erleuchteten Luft. Alles still, nicht mal eine Fliege summte. Keine Fliege, wunderbar. Lieber Rückenschmerzen als so ein Insekt auf der Wange und am Hals und auf den Augen, an der Stirn und sonst wo. Fliege. Schon das Wort gehört verboten.
Ich hatte mich ordentlich in Rage gebracht und versuchte, mich nun wieder zu beruhigen. Es war ja keine da, kein Grund also, mir selbst den schönen Morgen zu vermiesen. Obwohl, vom Morgen war nicht mehr viel übrig, es ging schon auf halb eins zu, wie mir ein Blick auf das Handy neben mir zeigte. Steif stand ich auf, es tat noch immer alles weh, und ging mich herrichten. Katzenwäsche und alte Klamotten, dann spazierte ich hinaus. Immer ein wenig vorsichtig wegen der Schläger von Kana, aber die tauchten nicht auf. Manchmal hörte ich Schritte auf dem Marmorboden, stöckelhart oder rindslederweich, aber immer hinter ein paar Ecken oder um ein paar Treppen verschoben. Ich begegnete niemandem.
Draußen hatte die Mittagssonne allen Schatten aufgefressen und es war grimmig heiß. Ich machte mich auf in die Josefstadt. Rund um Maria Treu, einer wunderschönen Barockkirche, gibt es jede Menge kleiner Cafés und Crêperien.
Bei der Ersten von ihnen ließ ich mich auf einem Stuhl nieder und streckte die Füße unter den Tisch. Der Innenraum des Lokals war winzig, so um die 20 Quadratfuß, und auf dem Gehsteig standen drei Tische an der Hauswand. Ein aufgespanntes Tuch spendete Schatten. Ein bisschen jedenfalls.
Ich bestellte mir Tee – man stelle sich vor, sie hatten einen netten Second Flush Darjeeling – und ein paar Palatschinken. Sorry, mittlerweile heißen die ja Crêpes. Nachdem ich schon alt genug war und auch sonst niemand auf mich aufpasste, frühstückte ich wie ein Zwölfjähriger. Einmal mit Vanilleeis, einmal mit dunkler Schokosauce. Vielleicht von der ernährungstechnischen Seite her nicht so klug, doch es schmeckte. Und wie.
Überall um das Café standen Kleinwagen geparkt, aber keine fuhren. Irgendwo oben drang aus einem Fenster leise Klaviermusik, etwas Etüdenhaftes, wahrscheinlich Liszt, doch mit dem modernen Zeug kenn’ ich mich nicht so aus. Jedenfalls sehr schön gespielt. Im Schatten der Leinwand der Crêperie schien die Hitze mehr urlaubshaft als unsympathisch, und nach einem zweiten Kännchen Darjeeling gings mir richtig gut. Vom Rücken einmal abgesehen. Der war immer noch sauer und würde es wahrscheinlich noch einige Zeit bleiben.
Während ich so vor mich hin verdaute, Tee nippte und Liszt lauschte, setzten sich zwei Damen an den Tisch vor mir. Beide im Business-Kostüm, mit Organizer Handys und Handtaschen im Wert von Zwaziland. Riesige Sonnenbrillen saßen ihnen auf der Nase, und beide waren schrecklich dünn. Sie bestellten gemischte Salate ohne Öl, dafür weiße Spritzer. Ihr Gespräch drehte sich um irgendeine Geschäftsreise nach Fernost. Zwischen den Sätzen schluckten sie den Wein wie Fische. Als ich fünf Minuten später gezahlt hatte und weiterging, saßen sie schon vor dem zweiten Glas. Da fühlte ich mich mit meinen Schoko-Crêpes richtig vernünftig. Passiert auch nicht oft, das mit dem vernünftig Fühlen.
Ich spazierte gemächlich dahin, immer Richtung Fünfhaus, als dann doch das Telefon läutete. Nummer unterdrückt.
»Linder, ja bitte.«
»Servas, Burli.«
»Hi, Kurti. Was gibt’s? Ich dachte, du hast kein Handy?«
»Eh, bin in so an Tschuschnshop, da wo ma halafonieren a kann.«
»Also.«
»Hab ma des Haus angschaut, am Nachmittag muaß i wieda hin. Tät gern drüber redn.«
»Sicher.«
»Sitz im Kotanko.«
»Gut.«
Schon wieder das Kotanko. Es blieb mir auch gar nichts erspart. Ich machte mich auf, schnappte mir eine Tram und war dann bald draußen im 15ten. Im Kotanko saßen Kurti und der Chef am Tresen. Die Bedienung stand dahinter. Alle rauchten und tranken Bier. Ich bestellte einen Mokka, der wurde mir auch gemacht, doch das Wasserglas war verdächtig klein. Ich schnüffelte. Schnaps. Alles schaute mir gebannt zu.
»Ich hätt lieber ein Glas Wasser dazu.«
»Wie wüllst’n die schwarze Suppn owawürgn ohne Schnaps?« Für den Chef schien da eine vertraute Weltordnung Risse zu kriegen.
»Ok.« Was soll man machen. Ich zuckerte meinen Kaffee ausgiebig und nippte. Er war richtig gut und ich schwer überrascht.
»Wegn an Bruch«, setzte Kurti an. »Des schaut so aus. De Hittn hat a super Anlag. Is so modern, die kenn ich gar net gescheit. De spült alle Stickln, wenn’st wüst, kannst aussuchen, ob in Dur oder Moll. A Wahnsinn.«
Er nahm einen Schluck von seinem Bier und schüttelte sich eine Zigarette heraus. Als er sich Feuer geben wollte mit seinem alten Zippo, hatte die Bedienung auch schon eine im Mundwinkel und Kurti gab ihr zuerst Feuer. Dann rauchte er selbst an.
»Leut hat der a umastehn. Drei. Zwa gehen immer mit ihm mit, ana bleibt immer zrück.« Er nahm einen Zug.
»Stellt das ein Problem dar?«
»Also, horch zua.«
In dem Moment ging die Tür auf und ein Mann im Muskelshirt, mit Halbglatze und Playboy-Anhänger in Gold um den Hals, stürzte herein. »Jon Porno«, begrüßte er die Anwesenden. Alles nickte. Ich brauchte Zeit, um den Gruß zu entschlüsseln. Endlich ging mir ein Licht auf: buon giorno, nur mit vertauschten Anfangslauten. Ich hatte gerade einen aussichtsreichen Kandidaten für die Geschmacklosigkeit des Jahres ausgemacht.
Er zeigte mit Zeigefinger und Daumen etwa eine Spanne und stellte sich an den Tresen. Sofort stand der Schnaps da und er kippte ihn hinunter. Dann war er wieder draußen. Sechs Euro lagen auf dem Tresen. Zurück blieben eine zweifelhafte Parfümnote und ein leeres Wasserglas.
»Dem seine Madln tuan mia lad«, meinte der Chef.
»Is a Oarsch«, pflichtete Kurti bei.
»Hab gehert, hat er Wickl mit die neie Girtel-Boss. Geht ihm an Kragn«, verlieh die Bedienung ihrer Hoffnung Ausdruck.
»Scho, Wickl hat er an, aber der überlebt des.«
»Is a Oarsch.«
Damit war das Thema erledigt. Zurück zum Bruch.
»Dem seine Leit san ziemliche Wappler, was i so gsegn hob. Des i ka Problem. Leise miaß ma halt sein.«
»Sicher.«
»Die Alarmanlag is echt guat, mit Laser und solchen Zeigs. Kost 20.000 Euro, mit Einbau, circa.« Er kniff ein Auge zu, so als ob er eine Entfernung abschätzen würde. Außerdem hatte er tatsächlich ›Laser‹ gesagt, mit einem deutschen ›a‹, keinem amerikanischen. Hatte ich noch nie gehört.
»Vielleicht ah a bissl mehr.«
»Und sonst?«
»A Wahnsinnstür hat er a, mit an Superschloss.«
»Unknackbar?«
»Nix is unknackbar. I kriag alles auf, die Frage ist nur, wie schnell und wie leise. So a Tür dauert, oder is laut. Kannst dir aussuchen.«
»Andere Möglichkeiten?«
»Wie wichtig isses denn?«
»Sehr.«
»Hab i ma scho denkt, dass der an Haufen Marie daham hat.«
»Da geht’s nicht um Geld.«
»Horch zua, Burli, der Papa sagt da was: Es geht immer nur ums Geld. Nur Scheine sind feine.«
»Alarmanlage ist top, Tür ist unknackbar und ein Mann im Haus. Das schaut nicht gut aus.«
»Burli, i hab scho an Kreisky auf sein Nachttisch gschissn. Glaub ma, da kumma scho eini.«
»Wie?«
»Die Tir is supa. Sicher, aber is der Rahmen a so guat? Mit an Oarsch Rahmen ist die beste Tir nix wert. An Hebel und zwanzg Sekunden später steh ma vorn Tresor.«
»Den wir erst finden müssen, mit einer Wache im Haus.«
»I kenn die Hittn, war scho amal drin. Der Tresor is oben in da Wand, damals wars des Schlafzimmer.«
»Und warum soll der noch immer dort sein?«
»Weil die Leit bequem san und geizig. Wenn a Tresor scho fixfertig in die Wand einglassen is, baut kana an neichn ein.«
»Ist der Rahmen der Tür so schlecht?«
»Waas i no net. Ohne Baufirma-Kontakt seh ma des erst, wenn ma dafurstehn.«
»Wie wollen wir überhaupt davorstehen, bei eingeschalteter Alarmanlage kommen wir nie dorthin, weil wir dann schon den Bewegungsalarm auslösen werden.«
Kurti lächelte verschmitzt und klopfte an sein leeres Glas. Es wurde nachgeschenkt. Dann ein tiefer Zug.
»A Wahnsinnshitzn hat’s.«
»Is die Klimaerwärmung. Sicher.«
»Is mir wurscht, z’haß is z’haß.«
»Schauns, Herr Kurti, dafür schmeckt das Bier wenigstens.« Kurti nickte anerkennend. Dann wieder ein tiefer Zug. Das neue Glas war fast leer.
»Die Technik is a Hund. So schauts aus.«
»Wie meinst du das?«
»Der Herr Kurti meint«, antwortete die Bedienung, »dass beste Alarmanlage noch lang keine Garantie ist. Gibt so viele Fehler. Schlechte installiert, irgendwo schlechte Kontakt oder so. Aber meistens gar nicht richtig eingschaltet.« Sie lächelte Kurti zu, er zwinkerte zurück.
»Nachdem zum dritten Mal a Blattl oder a Katzerl den Alarm ausglöst hat, drahn’ s de meisten ab.« Er zündete sich eine neue Zigarette an.
»Normalerweis«, fuhr er fort, »ka ma des kalibrieren, braucht aber a gwisse Zeit, bis as richtig eingstellt ist. Die meisten Firmen wissen a gar net, dass des geht, oder tuans sich’s net an. Is nämlich a Haufen Arbeit. Und je nachdem wie der Alarm eingstellt ist, rebelliert dann entweder die Polizei oder die Nachbarn.«
Da mischte sich der Zeitung lesende Chef ein: »Wie der Bsoffene am Grüst beim Kunsthistorischen« – er meinte das weltbekannte Kunsthistorische Museum am Ring, – »aufiklettert is, hat er einfach des Fenster eingschlagn …«
»…nix da, war offen, weil so heiß war damals, …« korrigierte die Bedienung.
»und die Saliera mitgnummen. Die Alarmanlag war abgeschaltet, weil sie jede Nacht dreimal losgangen is.«
»Genau«, nickte Kurti, »die Technik is a Hund. Bei de Geräte wird investiert, aber beim Arbeitsaufwand gspart.«
»Also, du meinst, man könnte …«
»… in die Schatzkammer einsteign und die Kaiserkrone fladern. Sicher, ka Problem. Nua: Des Graffl is nix wert. A bissl a Goldblech und schlechte Stana. Verklopfn kannst as net, wal des niemand nimmt. Und alle san hinter dir her. Viel schlimma als die Kibera san dabei aber die Versicherungsgesellschaften. Mit de is as a ka Gspaß.«
Kurti schien da schon seine Erfahrungen gemacht zu haben, also gab ich den Traum auf. Für einen Augenblick hatte ich mich schon mit der Kaiserkrone des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation auf dem Kopf gesehen, wie ich in meinem Lehnstuhl saß und Musik hörte. Schade eigentlich.
»Wie gehen wir nun weiter vor?«
»Hängt alles von dir ab. Probiern kemmas, Garantie gibt’s kane. Apropos, hamma scho an Fahrer?«
Ich nickte nur.
»Hängt alles davon ab, wie wichtig des is. Geht’s um was, mach mas, geht’s um nix, lass mas bleibn, dann is des Risiko z’groß.«
»Dann machen wirs.«
»Fein. Z Tod gfirchtet is a gsturbn.«
»Ist mir recht.«
»I triff no wen, der was mir a bissl an Zund gebn kann. Waaßt eh, Wissen ist Macht. Danach schau i ma die Hittn no a bissl an. I steh dann so umma 11 am Kreisverkehr.«
Ich nahm mein Schnapsglas und trank aus. Der Kaffee war schon den Weg alles Irdischen gegangen. Als ich meine Geldtasche herausholen wollte, klopfte der Chef auf den Tresen, ohne den Blick aus der Zeitung zu nehmen. Die Rechnung ging aufs Haus.