V

Endlich kauerten wir im Schatten einer Thujenhecke, neben einem kleinen Gerätehäuschen. Der Rasen war frisch gemäht, es duftete nach grünem Gras und über uns schienen die Sterne. Alles war ganz still und friedlich. Eine solche Nacht sollte man mit einer schönen Frau verbringen, oder mit Bach. Es war die Zeit für Nachtigallenschlag und Zungenkuss, aber sicher nicht mit Kurti, Einbrecherkönig hin oder her.

Bis jetzt war alles gut gegangen. Die Hunde in der Nachbarschaft hatten nicht mehr gebellt, als wenn wir Eichhörnchen gewesen wären. Es waren keine Lichter und keine Sirenen angegangen, wir hatten uns nicht plötzlich im Kegel einer Halogenlampe wiedergefunden und mit der Aufforderung konfrontiert gesehen: »Bleibts stehn, dann schiaß I.«

Die Thujenhecke vor uns war die Grenze zu Kanas Reich dahinter.

Kurti atmete tief ein.

»Was ist?« Ich flüsterte.

»Gestern war die Alarmanlag ausgschaltet. Heut?« Er zuckte mit den Achseln.

Ich zuckte ebenfalls mit den Achseln und drängte mich durch die Hecke. Es kratzte ein bisschen, war gar nicht so schlimm, bis auf die Spinne, die mir übers Gesicht huschte. Gott sei Dank war es dunkel, da sah ich nicht, wie groß sie war. Als ich auf der anderen Seite herauskam, fand ich mich im Schatten eines dicken Laubbaumes wieder. Den Platz hatte Kurti gut ausgesucht. Kaum hatte ich das gedacht, war er auch schon da. Mit 69 will ich auch noch so gewandt auf allen vieren sein.

»Einbrechen hält offenbar fit«, flüsterte ich wieder.

»Und Verbrechen zahlt sich aus!«

»Wohin jetzt?«

»Wart ma amal.«

»Warum?«

»Wenn die Alarmanlag an is, dann san in zehn Minuten die Kiberer da.« Wir würden sie heraußen gut hören können und wären schnell verschwunden. Wohingegen ein Haus in einer solchen Situation eine Falle darstellt. Das würde ich mir merken. Auch Kurtis leben nicht ewig und schlussendlich muss man solche Sachen irgendwann alleine machen können.

Also warteten wir. Endlich tippte mir der alte Mann an die Schulter und wir gingen über die Wiese auf das Haus zu. Immer so, dass uns der Schatten von Büschen und Bäumen ein bisschen deckte.

Das Haus selbst war gar nicht so groß und wirkte wie ein früher Versuch, die ausgetretenen Pfade des Einfamilienhausbaus zu verlassen. Irgendwie war aber nur etwas rausgekommen, das wie drei Betonklötze wirkte, die nicht so ganz aufeinander abgestimmt waren. Ich bin kein Architekt, aber es gibt definitiv Gesetze, die regeln, welche Dimensionen Häuser haben müssen, damit Menschen sich in ihnen wohlfühlen können. Dieses Haus schien sie nicht zu haben. In R’lyeh wäre die Kleinvilla wahrscheinlich gar nicht weiter aufgefallen, aber hier in ›Spießerville‹ wirkte sie monströs. Mittlerweile standen wir in einem der Winkel, die der kleinste und der größte Block miteinander bildeten. Ein gesundes Haus sollte keine Winkel aufweisen, bei denen sich nicht sofort sagen lässt, ob sie spitz oder stumpf sind. Hatten hier mal die Großen Alten vorbeigeschaut oder nur irgendein Lovecraft-Fan seiner Obsession hemmungslos nachgegeben?

Ich schob die Frage beiseite und beobachtete Kurti. Er ging auf den Betonplatten, die als kleiner Weg rund ums Haus liefen, in die Knie und holte Haushaltshandschuhe heraus. Ein Paar gab er mir, das andere nahm er selbst. Schließlich zog er ein dünnes rechtwinkliges Stück Metall aus seinem Hemd. Es schien scharf zu sein. Vor ihm lag ein Kellerfenster, das durch ein engmaschiges Stahlnetz geschützt wurde. Eine kreisrunde Aussparung im Netz bot einem Rohr Platz. Kurti führte seine rechtwinklige Messerklinge unter die Manschette des Rohres, die dort saß, wo dieses den Knick aufwärts machte. Viel Gefühl, ein wenig Gewalt und Kurti hatte das Rohr entzwei, ohne Lärm verursacht zu haben und ohne es beschädigt zu haben. Dann fuhr er einfach in das so entstandene Loch im Gitter und öffnete die Gitterstäbe von innen. Zuletzt erfolgte eine einladende Handbewegung und ich schlüpfte hinein. Hinter mir kam Kurti, der noch alibimäßig die Sache so zusammensetzte, dass sie von außen nicht auffiel, wenn man nicht genauer hinschaute wenigstens.

Wir befanden uns in einer Waschküche, das verrieten Berge von Wäsche, ein Trockner und eine Waschmaschine.

»De Wappler, de ham bei der thermischen Sanierung an Schaß draht und des Rohr an der Außenwand verlegt. Im ersten Winter zerreißts des.« Kurti grinste hämisch. Nahm ich wenigstens an, denn sehen konnte ich es nicht.

Wir verließen die Waschküche schweigend und gingen eine Treppe hinauf. Fein, wenn man mit Beton baut, dann knarren die Fußböden nicht. Von der Küche ging eine Tür ins Wohnzimmer ab, und da sie nur angelehnt war, hörten wir dort einen Fernseher. Irgendwer hatte Spaß mit einem Porno. Eine andere Tür führte hinaus in den Vorraum, wo sich auch die Treppe in den oberen Stock hinauf befand. Wir folgten dieser Treppe hinauf und standen vor der Tür ins Schlafzimmer. Kurti holte einen Dietrich raus, drehte zweimal sanft und schloss die Tür mit einem leisen Klacken auf. Wir waren drin.

Das Schlafzimmer selbst war recht groß, etwa 45 Quadratmeter. Die der Tür gegenüberliegende Seite nahm ein großes Panoramafenster mit Blick auf Wien ein. Vor dem Fenster draußen gab es auch noch einen Balkon. An der einen Seite des Zimmers stand das Bett, groß und mit roter Seide bezogen, die andere Seite nahm ein begehbarer Kasten ein. Die Wand an der Türseite wurde von einem langen Einbaukasten verdeckt, und es gab auch noch ein kleines Tischchen mit zwei Stühlen, über die Herrenhemden und Sakkos geworfen waren. Über dem Bett befand sich ein Spiegel, ich hätte nie gedacht, dass es so etwas in Wirklichkeit gab. Über dem Kopfende der Lustwiese hing ein Gemälde, das einen lichten Birkenwald darstellte. Ich schaute zu Kurti, der nickte nur.

»De Leit san so was von einfallslos! Alle ham den Tresor hinter an schiachen Büld versteckt.«

Wir schoben das Bild beiseite, da gab es sogar eine Vorrichtung, die das ermöglichte, und hatten den Panzerschrank freigelegt. Kurti holte ein Stethoskop aus seinem Hemd, stöpselte es in seine Ohren, legte es an und begann zu drehen.

»So ein Blödsinn, Kurti, das geht doch nicht.«

»Sicher, der Kastn is fuffzg Jahr alt.«

»Auch damals gabs schon gute Tresore.«

»Sicher, aber de Dinger ham a Spül, des nutzt si mit jeder Benutzung ab. Vor allem, wenn ma den Code neu einstellt. Nach tausend Öffnungen klickt des wia narrisch. Des kriagst sogar du hin. Wüllst?« Er hielt mir einen Stöpsel hin. Ich nahm an. Als ich eingestöpselt hatte, drehte er langsam alle Zahlen durch, bei 99 blickte er mich fragend an.

»72?«, meinte ich halb fragend.

»Genau.«

So machten wir das noch sechsmal und das Ding war offen. Auch wenn man keine Bauklötze staunen kann, ich tat es trotzdem, schließlich hatten wir den Panzerschrank geknackt. Wenn ich gewusst hätte, wie einfach das geht, hätte ich es selber schon mal gemacht. Im Tresor befand sich nicht rasend viel. Eine Schatulle, die versperrt war, sowie zwei Aktenordner, das Notizbuch von der Schauberger und eine Knarre samt Munition. In dem Moment schlug unten eine Tür und wir hörten schwere Schritte, dann eine zweite Tür und nach ein paar bangen Minuten eine Wasserspülung, danach wieder Schritte, wieder eine Tür und schließlich atmeten wir auf.

»Kannst dir net vurstelln, wia i des vermiss, in der Pension.«

Nun war es an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen. Und das tat ich auch. Dazu schnappte ich mir Schaubergers Notizbuch, klemmte es unter die Achsel und sah mir schnell die Akten an, die der Tresor enthielt. War der Mühe kaum wert, da es sich nur um Kaufverträge, Maturazeugnisse und Kfz-Versicherungen handelte. In der Schatulle, die unverschlossen war, befanden sich ein paar Tausend Euro und ein Etui mit einem Diamantring. Der Ring selbst schien aus Platin, der Diamant war nicht klein, auch ein bisschen was wert. Ich packte das Geld und das Etui wieder in die Schatulle und stellte sie in den Tresor zurück. Kurti beobachtete mich schweigend.

»Des Klangeld, soll ma des net mitnehman? Is doch schad drum.«

»Kannst es dir ja nehmen, ich brauchs nicht.«

Kurti steckte sich das Zeug ein.

»Geld, das am Boden liegt, soll ma aufhebn.«

»Das am Boden des Tresors liegt, den man vorher geknackt hat, auch?«

»Boden bleibt Boden.«

»Sicher, und Dieb bleibt Dieb.«

»Du ja eh a.«

»Sicher.«

Ich zog das Notizbuch unter dem Arm hervor und gab es Kurti.

»Was soll der Scheiß? Wüllst dableibn?«

»Ex-akt.«

»Burli, du bist a klasse Kerl, aber du hast z’viel studiert. Des macht wach in da Birn.«

»Vielleicht bin ich wirklich blöd, aber auch stur.«

»Eh.«

»Verwahr das Buch an einem sicheren Ort, ich komm es morgen holen. Wenn ich nicht komme, schicks an die Kiberer. Lass Greg dich irgendwo absetzen, er muss nicht wissen, wo du wohnst. Auch sonst sagst ihm nichts. Außer, dass ich mich bei ihm meld.«

»Eh. Warum soll i des Büachl net dein Chef schicken?«

»Weil er mich dann nicht mehr braucht, was zu ähnlichen Resultaten führen könnte, wie wenn die Sache heute Nacht schiefgeht.«

»Eh. Du bist wirklich a Depp.« Damit wandte er sich der Schlafzimmertür zu.

»Sperr wieder ab.«

»Sicher.«

Kurti war hinausgeschlüpft und ich war allein. Ich nahm mir die Knarre aus dem Safe, kontrollierte, ob sie geladen war, und schloss dann die Panzerstahltür. Sie war schwer und es klickte sehr endgültig, als sie sich schloss. Wenn sich das Tor zur Hölle hinter einem schließt, klingt das sicher ähnlich. Schätz’ ich mal, denn dort war ich noch nicht. Schlussendlich zog ich mich durch die Balkontür auf ebendiesen zurück. Die Tür zog ich nur zu, schloss sie jedoch nicht. Im linken Eck war ein Plätzchen, wo man vom Schlafzimmer aus nicht gesehen werden konnte. Dorthin zog ich die Teakholzsonnenliege und machte es mir bequem. Der Schlafzimmerblick ging genau hinunter auf die Stadt, die, hinter ein paar Hügeln versteckt, einen Lichtkegel bildete. Durch einen Einschnitt waren sogar die beiden Türme des AKH zu sehen, umgeben von einer Myriade an orangefarbenen Lichtpunkten. Die Stadt war keine zehn Kilometer entfernt und doch schien hier draußen eine andere Welt zu sein, spießig zwar, aber doch ganz nett.

Ich schätzte, dass Kurti jetzt wieder durch die Hecke gekrochen war, und schickte Greg eine SMS.

»Sind im Chelsea, schon ziemlich fett, komm uns holen.«

Dann legte ich die Füße hoch und schaute in den Sternenhimmel hinauf. Ein paar Minuten später hörte ich leise ein Auto den Exelberg herunterkommen. Etwas unter dem Haus, vielleicht 250 Meter, blieb es kurz stehen, das Türenknallen war vielleicht nur eine Einbildung meinerseits, und es fuhr weiter. Gutes Auto, kaum zu hören.

Was hätte ich jetzt nicht für eine Kanne, ach was, für eine Schale guten Tees gegeben. Ein bisschen Musik dazu oder ein gutes Buch, und es wäre richtig gemütlich geworden. Aber das ging nicht. Tee hatte ich keinen dabei und Musik verbot sich von selbst, schließlich musste ich hören können, wenn Kana heimkam. Musik ging nicht, also erfreute ich mich an der Sphärenharmonie der Gestirne. Dem Chinesen aus Königsberg flößten das Sittengesetz in uns und der gestirnte Himmel über uns immer die größte Ehrfurcht ein. Mit dem Sittengesetz hab’ ichs nicht so, aber der Sternenhimmel ist wirklich cool.

Die Julinächte sind kurz, die Sonne verschwindet nie tief unter dem Horizont, daher braucht man für den Sternenhimmel wirklich eine klare Nacht, und die hatte ich. Am Nachmittag hatte es geregnet und danach war es zu schnell dunkel geworden, so dass sich noch wenig Wasserdampf in der Luft befand.

Wenn man gegen Mitternacht zum Himmel blickt, versinken die Frühlingsbilder mit Löwe und Jungfrau gerade am westlichen Horizont. Ganz tief im Osten dagegen geht mit Pegasus bereits das Erste der Herbstbilder auf, mit der schönen Andromeda im Gefolge. Doch direkt vor mir lagen hoch am Südhimmel die Sommerbilder und das breite Band der Milchstraße. In sehr klaren Nächten ist im Sommer die Milchstraße deutlich zu sehen. Sie steigt im Süden von den Sternbildern Skorpion und Schütze fast senkrecht nach oben, durch den Schlangenträger, vorbei an Leier und Schwan über Kassiopeia bis zum Sternbild Perseus im äußersten Nordosten. Der Skorpion steigt nie zur Gänze über den Horizont, aber sein Kopf, der Stachel und der riesige rote Antares sind immer zu sehen. Und das Sommerdreieck, das sogar schon in der Dämmerung sichtbar wird, das Hellste aller Bilder, mit dem Atair als Südspitze war ebenfalls deutlich auszumachen. Atair ist ein Stern im Bild des Adlers, des Vogels des Göttervaters. Kommt in diesem Fall aus dem Arabischen, wo ›al tair‹ so viel bedeutet wie der Herabstürzende.

Ich vertrieb mir die Zeit damit, all die alten Sagen durchzugehen, die da am Sommerhimmel standen. So verging die Zeit recht schnell, vor allem, als ich mich an die Gelegenheiten erinnerte, bei denen Sternenwissen wirklich brauchbar war. Einmal hatte ich einer Schönheit an der Copa Kagrana das Kreuz des Südens gezeigt. Was sie mir daraufhin gezeigt hatte, war auch nicht von schlechten Eltern gewesen. Ich lächelte bei der Erinnerung, da hörte ich einen schweren Wagen die Exelbergstraße heraufkommen. Es war so weit.

Der Wagen kam die Auffahrt herauf, ein Mann mit kichernder Begleitung stieg aus. Danach wurde der Wagen in der Garage geparkt. Neben dem Mann im Wohnzimmer vor dem Fernseher, sicherlich noch ein weiterer und die zwei Personen. Das war ganz schön viel Betrieb für meinen Irrsinnsplan. Ich biss die Zähne aufeinander. An der Situation ließ sich nichts mehr ändern. Im schlimmsten Fall musste ich einfach still und leise die Regenrinne neben dem Balkon hinunterklettern. Was sicher auch böse ins Auge gehen könnte. So was funktioniert normalerweise nie. Andererseits hatte Kurti den Tresor mit einem Stethoskop geknackt, vielleicht war ja heute die Nacht des Unfugs, die Nacht, in der alles möglich war.

Keine zehn Minuten später ging der Rummel im Schlafzimmer los. Kana schenkte sich nichts. Das klang nach jeder Menge Koks und ein paar kleinen blauen Pillen. Außerdem schien es gar kein Ende mehr nehmen zu wollen. Schließlich, nach einem Tutti, das aus der »Phantastique« von Berlioz hätte stammen können, kehrte im Schlafzimmer Ruhe ein. Ich holte die Knarre raus und machte mich bereit für meinen großen Auftritt. Leise erhob ich mich und schlich zur Tür. Drinnen war alles mucksmäuschenstill. Nur mein Herz schlug so laut, dass es bis nach Gramatneusiedl zu hören sein musste. Zweimal wischte ich mir die Hände an den Hosenbeinen trocken, denn mit glitschigen Fingern sollte man keine geladene Waffe anfassen. Da schießt man sich ganz schnell ein paar Zehen weg, und ohne Zehen kann man nicht mal mehr davonlaufen. Bis ich merkte, dass ich ja die Plastikhandschuhe trug. Es quatschte ungemütlich da drin. Aber ausziehen war auch nicht so klug.

Vor der Tür stehend, raffte ich mein bisschen Mut zusammen, packte obendrauf eine riesige Sahnekrone Irrwitz und legte die Hand an den Knauf der Balkontür. Da begann drinnen ein leises Gespräch. Ich lauschte. Das war ein willkommener Aufschub. Vor zwei Stunden hatte mein Plan noch gut geklungen. Jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher. Mir war jede Verzögerung recht. Das Gespräch hatte leise begonnen, Typus geflüsterte Bettzärtlichkeiten, bei denen ich kein Wort verstand. Schließlich war es ein wenig lauter geworden. Nach ein paar Sätzen begann das Mädchen, die Lautstärke raufzuschrauben. Was sich schon vorher angedeutet hatte, bewahrheitete sich: Sie hatte kräftige Lungen. Kana versuchte, ruhig und besonnen zu bleiben.

»Was haast, i kann net über die Nacht bleibn?«

»Ich muss morgen früh raus und zu Hause kannst du …«

»Scheiße. Jetzt hast dein Spaß ghabt und dann haust mi raus.«

»Meine Leute werden dich heimfahren, morgen ruf ich dich an und wir gehen schön …«

»Scheiße, nein. Sicher net.« Bei den Worten war sie aus dem Bett gesprungen. Auch Kana stand auf.

»Hör zu, Iris, es ist wirklich nur mein Fehler, bitte …«

»Greif mi net an, du Scheißer.«

Es klatschte laut. Sie hatte ihm eine geschmiert. Das Mädchen war mir echt sympathisch. Dann war ein lautes Krachen zu hören, ein Stuhl fiel um, offenbar war sie ihn angesprungen. Kana brüllte wie ein Stier. Ich linste durch das Fenster hinein, sah die beiden im Dunkeln am Boden liegen, sie auf ihm. Ihre Hände lagen auf seinem Gesicht, während er sie wegdrücken wollte. Hoffentlich hatte sie starke Nägel, solche Narben konnten ganz schön übel sein. Kana brüllte vielleicht erst zehn Sekunden, da flog schon die Tür auf und die zwei Muskelberge kamen herein. Einer schaltete das Licht an, der andere zog das Mädchen von Kana runter. Ich drückte mich wieder in den Schatten. Jetzt konnte ich wieder nur zuhören.

Es begann ein Tumult, aber die beiden Leibwächter waren zu stark, nach einer Minute beruhigte sich die Situation.

»Schauts, dass sie sich anzieht, dann fahrt’s sie heim. Ich will keine Grauslichkeiten.«

»Wer bleibt da, Cheffe? Der Nevan fehlt uns jetzt«, fragte einer der Anabolikatypen. Er war Serbe.

»Der war so ein Trottel, der hätt eh nix gnützt. Für die Stund, die ihr brauchts, is des kein Problem.«

»Wenn meinen, Cheffe.«

»Aber was machen mit Gesicht? Sollen wir nicht Arzt fahren?«

»Brauchts net, i pick ma a Pflaster drauf und geh morgen.«

»Is gutt.«

Kana verließ den Raum, die anderen folgten ein paar Minuten später. Als der Wagen gestartet wurde und wegfuhr, schlich ich mich wieder ins Schlafzimmer zurück. Von dort hinaus auf den Flur. Ich warf einen Blick in das andere Zimmer. Badewanne, Alibert und Waschbecken, ein WC und ein Bidet. Dort war Kana nicht. Also die Treppe hinunter und vor die Wohnzimmertür, die aus schöner dunkler Eiche bestand, feine Tür. Sie war angelehnt und ich linste hinein. Das Wohnzimmer hatte den Grundriss eines liegenden L. Im Knick befand sich meine Tür, am Ende des langen Balkens die in die Küche. Den kurzen Balken schloss ein Fenster ab, das die ganze Wand einnahm. Der Raum maß etwa 85 Quadratmeter, schätzte ich. Können aber auch ein paar mehr gewesen sein. Die restlichen Wände waren mit Bücherregalen bestanden, ein paar Pflanzen gab es auch, sowie einen Schreibtisch. Alles wirkte bieder und gemütlich, wahrscheinlich hatte Kana es möbliert übernommen. Er selbst stand mit dem Rücken zu mir, hielt was in der Hand und schaute zum Fenster raus. Da herinnen ein wenig Licht brannte, war draußen nichts zu sehen. Kana schaute sich selbst ins Gesicht. Im Wohnzimmer musste eine altmodische Uhr hängen. Ihr Ticken war das einzige Geräusch im Haus. Ich holte die Knarre wieder raus, entsicherte und öffnete die Tür ganz. Da er mich sowieso im Fenster sehen würde, war es nicht nötig, leise zu sein.

Kana schien ziemlich in Gedanken versunken, denn er drehte sich erst um, als ich schon ein paar Schritte auf ihn zu gemacht hatte. Er trug einen bordeauxroten Morgenmantel mit dunkelblauem Muster. Das, was er in seiner Rechten hielt, war ein geschliffenes Bleikristallglas mit bernsteinfarbener Flüssigkeit. Sein fleischiges Gesicht mit der gerundeten Nase zierten zwei Pflaster, auf jeder seiner Backen saß eins. Ein leichter Kratzer auf der Stirn war unbehandelt geblieben.

»Sie? Hätte ich mir denken können.« Er wirkte enorm beherrscht und wies mir einen Platz in der Sitzecke zu. Die stand neben der Tür im Winkel, wo sich auch ein Kamin befand, über dem tatsächlich ein Gepardenschädel hing. Wäre die Monster Glock in meiner Hand eine elegante Beretta gewesen und mein zerknautschtes H&M Jackett ein Bespoke-Smoking, hätten wir zwei gut in einen Bond Film gepasst. Ich fragte mich unwillkürlich, ob Kana die Sache ähnlich sah.

»Der Hausherr setzt sich zuerst.«

Er nickte nur und ließ sich in die Kissen plumpsen. Ich zog mir einen Schemel zurecht und setzte mich ihm gegenüber. Seine eine Hand hielt nach wie vor das Glas, die andere lag ruhig auf seinem Oberschenkel, dann wanderte sie langsam zu seiner Brusttasche. Ich schüttelte den Kopf, seine Bewegung fror ein.

»Ich will nur eine rauchen. Ich trage keine Waffe. Ehrlich gesagt, besitze ich nicht mal eine.«

»Wegen einer Knarre mach ich mir auch keine Sorgen. Wir sind ja nicht in einem Western. Mehr Sorge bereitet mir die Vorstellung, dass Sie da ein Handy drin haben könnten.«

»Das Handy liegt oben, neben dem Bett.«

»Fein.«

Mensch, was bin ich für ein Trottel, schoss es mir durch den Kopf. Jeder vernünftige Mensch hätte zuerst danach gesucht. Wieder was gelernt.

»Also darf ich rauchen?«

»Sicher.«

»Gut.« Er holte ein ledernes Etui heraus. Darin befanden sich ein paar Zigarren und Balsaholz. Nach dem üblichen Ritual, Spitze schneiden, Holz anzünden, dann langsam anrauchen, blickte er wieder zu mir. Auf die Uhr, die in die Bücherwand eingelassen war, hatte ich gute Sicht. Fünf vor drei. Die beiden waren etwa zehn Minuten weg. Er spielte auf Zeit. Die Wanduhr tickte. Die Zigarre qualmte. Entweder konnte er nicht rauchen oder war nervös. Die Uhr tickte erbarmungslos weiter.

»Hätte ich mir denken können, dass Sie auftauchen. Vor allem heute Nacht. Es scheint alles schiefzugehen.«

»Gut möglich.«

»Also, was wollen Sie?«

»Dreimal dürfen Sie raten.«

»Ich hab die Papiere nicht hier. Und wenn ich sie hier hätte, dann würd ich sie Ihnen niemals geben. Vorschlag zur Güte, stecken Sie Ihre Kanone weg und machen sich auf den Weg zu Korkarian.«

»Woher wissen Sie, dass ich für ihn arbeite?«

»Hat mir Elena erzählt.«

»Ein nettes Mädchen.«

»Kein Mädchen, eine bemerkenswerte Frau.«

»Und trotzdem heute eine andere?«

»Jede Nacht Kaviar ist auch fad.«

Es muss eine seltsame Welt sein, in der ein Mensch lebt, der zu Fischeiern und Frauen dieselbe Einstellung hat. Wie so oft dachte ich mir, dass Gott entweder nicht existiert oder wenn er doch existiert, was ich nicht glaube, muss er einen sehr exaltierten Sinn für Humor haben.

»Warum teilen Sie und Korkarian eigentlich nicht das Geld? Sie müssten sich nur einigen, ist doch nicht so schwer.«

Kana lächelte abschätzig.

»Sie sind ein Idiot. Solange ich die Beweise habe, hebt er nicht ab. Sobald ich die Beweise vernichtet habe, ist das Geld auch weg, mitsamt dem alten Juden.«

Ich lachte innerlich. Das war das klassische ›Gefangenen-Dilemma‹ aus der Spieltheorie. Zwei verhaftete Einbrecher müssen nur schweigen, um je zu einem Jahr verurteilt zu werden. Da beide durch Beschuldigung des Partners hoffen freizukommen, werden beide zu zehn Jahren verurteilt. Zusammenarbeit und Vertrauen führen zum sicheren Erfolg, Misstrauen und Egoismus sind immer stärker, schließlich verlieren alle. Das ganze menschliche Leben scheint darauf aufzubauen.

»Er ist kein Jude, sondern Armenier.«

»Den Bären bindet er allen auf. Die Leute sollen glauben, dass er bloß so tut. Aber in Wirklichkeit stimmt das gar nicht.« Der Banause strich die Asche von seiner Zigarre ab und rauchte weiter. »Es scheint, Sie arbeiten noch nicht lange für ihn. Sie werden schon noch Ihr blaues Wunder erleben, der Kerl ist eine Maske, hinter der nur Masken stecken. Wenn ich Sie nicht in die Finger kriege, rat’ ich Ihnen: Schnappen Sie sich das Geld, das Sie beide vereinbart haben, und dann nichts wie weg.«

»Dazu brauch ich noch was von Ihnen.«

»Das Notizbuch? Wie gesagt, es ist nicht hier, und wenn es das wäre, würd’ ich’s Ihnen nicht geben.« Er trank sein Glas aus, hob es hoch und blickte mich fragend an: »Darf ich nachfüllen?«

Ich nickte.

»Für Sie auch?«

Ich schüttelte den Kopf. Allein beim Gedanken an Cognac drehte sich mir der Magen um. Er stand auf, ging zur Bar und füllte nach. Dann setzte er sich wieder brav. Neben dem Schnapsgluckern tickte nur die Uhr. Drei nach drei.

»Sie sollten langsam gehen, meine Leute werden bald wieder da sein.« Er nahm lässig einen Schluck.

»Hab schon noch genug Zeit, keine Angst.«

»Wie oft soll ich es noch sagen: Das Notizbuch ist nicht hier.«

»Ich weiß, dass es nicht hier ist.«

»Sie werden mich erschießen müssen, weil ich Sie sicher nicht in mein Büro bringen werde.«

»Gar nichts muss ich. Ich weiß auch, dass das Notizbuch nicht dort ist.«

»Warum wollen Sie das wissen?« Er grinste selbstgefällig.

»Weil ich vor dreieinhalb Stunden den Tresor oben, hinter dem Schlafzimmerbild, geknackt habe.«

»Da war nichts drin.«

»Sicher.« Der Trottel. Ich hielt ihm seit mittlerweile 20 Minuten die eigene Knarre unter die Nase und er bemerkte es nicht. Die ganze Zeit hatte ich darauf gewartet, aber es fiel ihm nicht auf. Schade.

»Der Tresor ist unknackbar. Sie wollen nur, dass ich aufstehe und nachsehen gehe, damit Sie dann bei geöffneter Tür über mich herfallen können. Schlauer Plan, doch ich bin zu clever.« In der Tat, schlauer Plan.

»Die Kombination ist« – und ich ratterte die Zahlen herunter. Sein Gesichtsausdruck verwandelte sich. Die feiste, rosa Selbstzufriedenheit in seinem Gesicht verschwand hinter einem bleichen Grau.

»Woher?«, krächzte er.

»Geheimnis.«

Er brauchte ein bisschen, um das zu verdauen.

»Warum sind Sie dann noch hier?« Einen Moment Pause, dann: »Haben Sie das Notizbuch noch dabei? Wir könnten fifty-fifty machen?«

»Wenn ich das Notizbuch habe, brauch ich keine fifty-fifty«, äffte ich ihn nach.

»Korkarian wird Ihnen niemals so viel zahlen. Er ist Jude.«

»Schlagen Sie sich langsam die fixe Idee mit dem Armenier aus dem Kopf. Ich verfolge nur Eigeninteressen.«

»Wie sind Sie überhaupt in die Sache hineingeschlittert?«

»Wegen der Seelenkredite. Ab dann dachten alle so lange, dass ich was wüsste, bis es mich selber interessiert hat.«

»Dieser Scheißkredit. Schuld sind immer nur die kleinen Fehler, die man macht. Die großen bleiben immer unbestraft.«

»Sie haben Buehlin diesen Kredit nur gegeben, damit er nicht wusste, von wem er das Geld hatte, um weiterzumachen?«

»Genau. Ich bat Korkarian um den Gefallen, weil ich damals große Hoffnungen hegte.«

»Warum anonym bleiben? Wenn Sie als Wohltäter aufgetreten wären, …«

»Bin ich ja auch, bei den anderen. Aber nicht bei Buehlin.«

»Warum?«

»Weil ich das Gefühl hatte, der Typ hat da was am Kochen. Leider hat er es nicht mehr fertiggebracht. Letzte Woche hat er sich erschossen.«

»Ich weiß. Warum anonym bleiben?«

»Man hat mehr Handlungsspielraum. Ich hätte es sofort erfahren, wenn er erfolgreich gewesen wäre. Alle diese Spinner hätten mich angerufen. Dann hätte ich Buehlin die Maschine abgekauft, oder wenn er nicht gewollt hätte, Gewalt eingesetzt. So oder so war es mir wichtig, dass er von mir nichts wusste.«

»Wieso überhaupt investieren?«

»War doch bloß ein Hobby. So wie Lotto spielen. Ich hab 5.000 Euro ausgegeben. Wenn es funktioniert hätte, wär Bill Gates gegen mich ein Armenhäusler gewesen. Ich hab gezockt.«

»Und warum haben Sie Schauberger ermorden lassen?«

»Hab ich gar nicht. Das war Nevan, der Trottel. Sollte ihr nur ein bisschen Angst machen.« Kana schüttelte den Kopf.

»Eigentlich wollte ich ihn gleich loswerden, aber dann traten Sie auf den Plan und ich dachte, das trifft sich gut. Aber das hat er auch noch vermasselt. War sein letzter Fehler.«

»Er ist tot?«

»Genau.«

»Wo?«

»Es gibt viele Baustellen in Wien. Betonfundamente sind eine feine Sache. Da sieht niemand mehr nach, wenn mal das Haus draufsteht.« Beliebte Methode, denn momentan ist Baukrise und wenn man den richtigen Leuten einen Schmattes zahlt, schauen die nicht genau hin, was da in den Müllsäcken steckt, die verarbeitet werden. Ein halbes Jahr später steht der fertige Bau und niemand kann mehr nachschauen, auch wenn man wollte. Experten zufolge sollen in den Fundamenten des neuen Westbahnhofs schon so viele schwarze Müllsäcke stecken, dass die Statik dadurch leicht beeinträchtigt wird. In 10.000 Jahren kommen dann ein paar Archäologen, die der Meinung sein werden, dass unsere Zivilisation daran geglaubt habe, die Menschenopfer hätten den Fundamenten mehr Sicherheit gebracht.

Die Uhr tickte. Es ging auf halb zu. Ich musste mich beeilen.

»So, trinken Sie aus.«

»Wieso?«

»Ich muss Sie fesseln.«

»Warum?«

»Hopp!« Ich hielt ihm die Knarre ins Gesicht. Er zögerte einen Moment. Doch irgendwie schien er zu bemerken, dass ich ihn nicht allzu gerne hatte. Also leistete er Folge. Ganz kurz musste ich mit mir selbst kämpfen, um ihm nicht einfach so grundlos die Pistole ins Gesicht zu schlagen. Sogar ich habe Prinzipien. Auch wenn sie schon etwas eingerostet sind und meistens aus dem Secondhand-Laden in der Schandekstraße stammen.

Oben im Schlafzimmer schnürte ich ihn ein wenig zusammen. Nicht fest, nur so, dass er sicher nicht telefonieren konnte, bis seine Leibwächter zu Hause sein würden. Ein bisschen knebelte ich ihn auch. Leise war besser. Dann öffnete ich den Tresor und legte die Knarre zurück an ihren Platz. Anschließend schloss ich die Tür und deckte ihn mit der rotseidenen Bettdecke zu. Vielleicht brachte das noch mal zehn Minuten zusätzlich, bis Kanas Leute entdecken würden, dass ihr Chef gar nicht ruhig schlummerte. Die zehn Minuten würde ich bei dem, was ich noch so vorhatte, gut brauchen können. Auch wenn ich hoffte, ihm Sand in die Augen gestreut zu haben. Es würde keinen guten Eindruck bei Korkarian hinterlassen, wenn mitten in unsere Verhandlungen über Schaubergers Notizbuch Kana mit seinen Gorillas auftauchen würde.

Schließlich verließ ich das Haus auf dem normalen Weg. Die schwere Stahltür, die mit dem unknackbaren Schloss, fiel hinter mir zu. Allerdings bemerkte ich, dass der Rahmen in der Wand ein wenig zitterte. Ich bin kein Experte, aber die Tür schien sich aushebeln zu lassen.