IV

Pünktlich um zehn Uhr stand ich vor der Blumenstockgasse 5. Drückende Nachthitze und böse Vorahnungen machten mir zu schaffen. Die Gassen rund um die Franziskanerkirche waren wie ausgestorben, was den Eindruck einer barocken Morbidität, den ich das letzte Mal verspürt hatte, noch verstärkte. Ich wusste jetzt um das Geheimnis, Tür auf, Arno rein. In nahezu vollkommener Dunkelheit stieg ich die Treppe hinauf und klopfte, mir wurde aufgetan. Veronika im Habit.

»Servus«, meinte ich fröhlich, sie legte nur den Zeigefinger an die Lippen und schüttelte sacht den Kopf. Ich trat ein und sie schloss die Türe hinter mir. Dann gings wieder den langen Gang entlang, mit den Porträts der Erzbischöfe und Kardinäle vergangener Tage. Da nur ein kleines Licht brannte, war es düster und die geistlichen Würdenträger an der Wand wirkten Furcht einflößend. Es gibt da eine kleine Story von Lovecraft, die sich auch um ein Haus mit seltsamen Porträts dreht. Mir ging es ähnlich wie dem Protagonisten dort. Endlich kamen wir an die Tür, ein leises Klopfen und ich trat ein. Schwester Veronika wartete draußen. Von Bruder Erich fehlte jede Spur.

»Linder, kommen Sie her zu mir und nehmen Sie Platz.« Ich tat wie geheißen. Solange nicht von mir erwartet wurde, seinen Ring zu küssen, sollte mir alles recht sein, so gut wie alles.

Vor dem Kardinal, auf dessen wunderschönem Schreibtisch nur eine Leselampe augenfreundliches Licht verströmte, lagen die Alibipapiere. Offensichtlich schon gut durchgesehen. Ansonsten war es dunkel im Raum, die Wände nicht zu sehen.

»Es stimmt mich froh, dass Sie Vernunft angenommen haben und die Früchte dieses Gesinnungswandels nun vor mir liegen. Ihr persönlicher Einsatz soll belohnt werden, schließlich waren Sie einigen Risiken ausgesetzt.« Pause. Ich sagte nichts. Dann gings weiter.

»Obwohl die Papiere nicht uninformativ sind, ist doch eine gewisse Unbestimmtheit zu beklagen. Ein lückenloser Nachweis lässt sich damit leider nicht führen.« Wieder eine gewichtige Pause.

»Da aber mittlerweile polizeiliche Untersuchungen andere Verdachtsmomente gegen den Herrn Korkarian zutage gefördert haben, wie wir aus sicherer Quelle wissen, vertrauen wir auf die weltliche Gerechtigkeit. Überdies ist nur ein Fall dieses Seelenschachers aufgeführt, daher wollen wir die Sache auf sich beruhen lassen, zumal der Vertragsnehmer schon vor Jahren der heiligen Mutter Kirche den Rücken zukehrte.« Er bekreuzigte sich beim Angedenken an den Toten.

»Was nun Sie betrifft, kann ich leider kein uneingeschränktes Lob aussprechen, weswegen ich auch eine jede weitere Verwendung Ihrer Person in kirchlichen Angelegenheiten, seien sie nun delikater oder gelehrter Natur, kategorisch ausschließen kann.« Antike Kirchenväter ade. Nun gut, juckte mich nicht wirklich. Bei meinem Bankkonto konnte ich mir die Dinger kaufen, wenn ich wollte. Ich machte trotzdem brav ein zerknirschtes Gesicht, schließlich galt es, den Schein zu wahren.

»Den von Ihnen gewünschten Ausdruck des Dankes pekuniärer Natur wird Ihnen Schwester Veronika aushändigen. Ich denke, damit ist alles gesagt. Sie sind entlassen.«

Ich stand auf, deutete eine leichte Verbeugung an und ging zur Tür, die sich geräuschlos öffnete, als ich herankam, und ebenso geräuschlos hinter mir geschlossen wurde. Draußen folgte ich Veronika zu ihrem Schreibtisch neben der Eingangstür, sie händigte mir einen Umschlag aus, den ich unbesehen einsteckte und mich auf den Weg machte.

 

20 Minuten später hob sich die Uni am Lueger Ring wie ein schwarzes Ungeheuer gegen den violetten Nachthimmel ab. Ich ging hinauf ins Institut und betrat mein Büro. Noch ehe ich den Lichtschalter umgelegt hatte, befiel mich ein unbestimmtes, aber starkes Gefühl einer fremden Präsenz im Raum. Die Fliege hörte ich auch summen, aber die war’s nicht. Einen Augenblick lang schossen mir Phantombilder von Muskelbergen mit Knarren durch den Kopf, doch als ich den Lichtschalter umlegte, wären mir die harten Jungs lieber gewesen. In meinem Stuhl saß Bruder Erich.

»Sei gegrüßt, Arno.«

»Hi.«

»Hast mich nicht erwartet, stimmt’s?«

»Kann man so sagen. Obwohl ich mich schon gewundert habe, wo du steckst. Du hättest selbst bei Korkarian einbrechen sollen, scheinst dich ja auf Schlösser zu verstehen.«

»Ich persönlich nicht, aber wir können auf viele Hilfsmittel zurückgreifen. Ich gehe nur durch Türen, die offen stehen. Einbrechen sollen andere.«

»Kann ich mir denken.«

Ich ging zum Schreibtisch, schnappte mir eine Schale und meine Kanne und schenkte ein. Der Tee war alt und kalt, aber gutem Sencha macht das nichts. Ich stürzte eine Tasse hinunter und setzte mich dann mit einer neuen, vollen, in den Studentensessel. So war das also. Erich war gekommen, um die Kollekte einzufordern, von dem Konto und all den Nullen konnte ich mich verabschieden. Aus der Traum. Kurz dachte ich daran, die Papiere aus dem Aktenschrank zu schnappen und einfach abzuhauen. Raus aus dem Büro, raus aus der Uni, dann raus aus Wien und irgendwo untertauchen. Einen Moment stand mir sogar die Möglichkeit eines Mordes vor Augen. Erichs Hirnschale war sicher nicht härter als die von anderen Menschen und die Teekanne recht schwer. 203 Millionen Euro stellen eine enorme Versuchung dar. Es bedurfte aller Selbstbeherrschung, derer ich fähig war, um ruhig zu bleiben. Wieder und wieder sagte ich mir mein Mantra vor: Es ist nur Geld, es ist nur Geld. Schon allein dafür hätte ich mich ohrfeigen können. 203 Millionen Euro sind nicht einfach nur Geld. Aber ganz von Anfang an, seit meinem ersten Job für Bender, hatte ich gesehen, wie andere der Versuchung erlegen waren. Von der Gier geblendet, waren sie in ihr Verderben gestolpert, entweder in den Knast oder in den Sarg. Mir sollte das nicht passieren, hatte ich mir damals geschworen. Es ist nur Geld, einfach nur Geld. Unter enormen seelischen Schmerzen ließ ich los. Jeden Nuller einzeln, es war ein harter Kampf. Innerlich heulte ich wie ein Schlosshund und knirschte mit den Zähnen. Als ich den Kampf gegen mich gewonnen hatte, lächelte ich Erich an, gute Miene zum bösen Spiel.

»Was ist denn?«

»Du hast mich reingelegt.«

»Wie kommst du darauf?«

»Veronika. Ich dachte die ganze Zeit nur an die Schweißtuch-Sache. Du hast mich ordentlich aufs Glatteis geführt. Ich hab mir seit sechs Uhr nur Gedanken darüber gemacht, dass am Ende ein schönes Kreuz auf mich warten könnte. Dass die Veronika aber auch eine Figur im Stierkampf ist, ein Ablenkungsmanöver, das ist mir erst gerade eben aufgegangen.«

Erich schien sehr glücklich.

»Aber was für eine Art Ablenkungsmanöver, Arno, wovon wollte ich dich ablenken?«

Da blieb nur mehr eine Möglichkeit.

»Von den Zugangsdaten.«

Erich nickte.

»Du warst so damit beschäftigt, darüber nachzudenken, was heute Abend passiert wäre, dass ich keine Angst haben musste, dass du einfach mit dem Geld abhaust. Dafür bist du viel zu neugierig.«

»Neugier bringt die Katze um.«

»Ist aber auch ein Zeichen für Intelligenz.«

»Wenn du jetzt dämlich grinst, und mir ironisch Beifall klatschst, dann vergesse ich mich, Erich.«

»Keine Sorge, ich bin kein Schmierenkomödiant. Aber es ist schön, dass dir das Spiel mit dem Namen aufgefallen ist. Meistens hab ich mit Idioten zu tun, die nur verstehen, was sie auch ablecken können.«

»Du Armer.«

»Du weißt gar nicht, wie arm.«

»Gutbrunn weiß nichts von der Sache, stimmt’s? Der glaubt wirklich an den Seelenschmarrn.«

»Seine Exzellenz hat wichtige Aufgaben. Ein guter Sekretär weiß, was die Aufmerksamkeit seines Meisters verdient und was nicht.«

»Er steht also nur da und macht ein gutmütiges Gesicht für die Öffentlichkeit.«

»Es sind immer die im Hintergrund, die die Fäden ziehen.«

Ich nippte an meinem Tee, dachte ein wenig nach, füllte meine Schale wieder und begann von Neuem zu sprechen.

»Warum hast du mich da hineingezogen? Wenn ich nur einigermaßen durchblicke, dann hättest du viel effektivere Werkzeuge gehabt als mich.«

»Nicht unbedingt. Du hast drei Vorzüge, Arno. Die wiegen schwer.«

»Komm, schmeichle mir, welche sind das?«

»Du bist allein, machtlos und neugierig. Ich musste mir keine Angst machen, dass du irgendetwas gegen uns verwenden könntest, egal was auch passieren würde. Im schlimmsten Fall würde dich niemand vermissen. Du bist aber so neugierig, dass ich mir sicher war, dass du genau der richtige kleine Stoß sein würdest, der erforderlich war, um alles ins Laufen zu bringen.«

»Wenn ich so machtlos und allein bin, wie du sagst, dann könnten wir doch ein wenig über die Sache plaudern.«

»Ein bisschen. Alles werde ich dir nicht erklären.«

»Ist mir bewusst. Du hast also mit Korkarian und Kana Geschäfte gemacht. Die haben dich zeitweilig ein wenig ausgetrickst und das Geld auf den Caymans versteckt. Dann hast du Schauberger, die Kripo und mich in die Sache hineingeführt, gleichzeitig Korkarian und Kana gegeneinander aufgehetzt, so dass sie nervös wurden. Die Polizei hast du dazu verwendet, um sie aus dem Verkehr zu ziehen. Während ich dir die Papiere so besorgte, dass niemand wirklich weiß, wem die Millionen tatsächlich gehören.« Kurze Nachdenkpause.

»Also hast du die Polizisten gebraucht, um die beiden anderen aus dem Verkehr zu ziehen. Du konntest aber nicht riskieren, dass die Kripo die Zugangsdaten findet, denn dann wäre sicher etwas an die Öffentlichkeit gesickert. Dazu hast du mich gebraucht. Warum aber hast du mit den beiden überhaupt Geschäfte gemacht?«

»Die Frage kannst du dir ruhig selbst beantworten.«

Wieder nahm ich einen Schluck Tee, dann lag alles klar vor mir.

»Es ging die ganze Zeit nur um die Maschine. Du hast das Geld nur gebraucht, um in das Spiel mit Kana und Korkarian und den drei Haunebus einzusteigen. Mit dem Geld hast du dich eingekauft, gleichzeitig aber auch einen Keil zwischen die beiden getrieben, so dass du sie manipulieren konntest.«

»Divide et impera.«

»Hm. Dann stammt auch die Idee mit dem Seelenschacher von dir, das hast du gemacht, damit Schauberger und ich überhaupt einsteigen konnten. Kana hast du es als Möglichkeit dargestellt, unerkannt eingreifen zu können. Und dein Hintergedanke war, so durch Schauberger und mich Druck auszuüben, dass die beiden nervös wurden. Und wer nervös wird, macht Fehler.«

»So in etwa. Obgleich sich die ganze Sache nicht streng geplant entwickelt hat, sondern ich einfach die Möglichkeiten ergriffen habe, die sich mir boten. Zuerst musste ich einen Weg finden, wie Kana Buehlin ein bisschen Geld zukommen lassen konnte, ohne selbst in Erscheinung zu treten. Sonst wäre Buehlin sofort abgesprungen. Kana fand die Idee gut und Korkarian war einverstanden, weil er so wirklich einmal den Juden spielen konnte. Später dann stellte sich heraus, dass die Idee glänzend war, weil ich sowohl die Schauberger als auch dich in den Fall reinschleusen konnte.«

»Ohne dass deine Partner Verdacht schöpfen würden, dass du gegen sie spielen könntest.«

»Genau. Ich hatte nur ein wenig Angst, dass du selbst auf die Verbindung kommen könntest. Vor allem, nachdem du mir beim Stopfer erzählt hattest, dass es nur zwei Kreditnehmer gibt.«

»Wieder einmal waren da zu viele Bäume im Wald, für mich auf jeden Fall. Was mich aber noch mehr ärgert, ist, dass ich dich unterschätzt habe.«

»Du solltest mehr Chandler lesen. Der Auftraggeber ist immer der Böse.«

»Die Dinge, die direkt vor der eigenen Nase liegen, die übersieht man immer.«

»Warum aber dein Interesse an der Maschine?«

»Komm, Arno, das verstehst du nicht? Ich bin doch ein wenig enttäuscht.«

»Ich bin müde, verrat’s mir einfach. Wirtschaftliches Interesse kann keines dahinterstecken, wenn das Ding funktioniert, ist es eine Art perpetuum mobile, und auf so etwas kann man kein Patent anmelden. Auch nicht, wenn’s funktioniert, jeder Bastler könnte es kopieren.«

»Richtig. Die Maschine erzeugt Strom. Sehr wenig, aber gleichmäßig. Anscheinend unbegrenzt, was sie zu einer Art perpetuum mobile macht. Das aber widerspricht dem Energieerhaltungssatz, nach dem die Summe der Energie im Universum konstant ist.«

»Wenn die Maschine funktioniert, bleibt also nur eine Möglichkeit übrig: Das Universum muss unendlich sein.«

»Genau. Das aber ist unmöglich, da nur Gott unendlich ist, die Schöpfung aber endlich. Sonst wären wir beim Pantheismus und damit bei der Gottlosigkeit.«

»Wenn also die Maschine funktioniert, dann ist das quasi eine Art Anti-Gottesbeweis.«

»So kann man es auch sehen. Ich sehe es allerdings so: Die Maschine ist das Böse. Wenn sie für etwas ein Beweis ist, dann für die Existenz des Gegenspielers. Da Gott die erste, unbewegte Ursache ist, auf der alles ruht und durch die alles ins Sein tritt, kann jeder Beweis von der Nichtexistenz Gottes nur eine Täuschung des Verführers sein.«

»Sozusagen ein zweiter Apfel.«

»Sehr schön gesehen. Ich dachte immer mehr an ein zweites goldenes Kalb, aber der Apfel trifft es besser. Wir haben nur verhindert, dass die Menschheit, nachdem sie sich selbst des Paradieses verwiesen hat, nun auch noch ihrer zweiten Heimat verlustig geht. Arno, diese Maschine ist das Böse, innerhalb weniger Tage hat sie fünf Opfer gefordert. Ich kenne ihre Geschichte besser als du, diese fünf sind nur Tropfen, verglichen mit denen, die schon gestorben sind und die noch sterben würden.«

»Aber der Tod von Menschen hat euch doch nie so gekümmert. Ihr seid keine Humanisten. Solange die Seele gerettet ist, ist alles andere zweitrangig.«

»Wer an diese Maschine, deren reine Existenz schon ein Anathema ist, seine Seele verliert, der verliert sie auch vor Gott in Ewigkeit. Wer mit dieser Maschine in Kontakt kommt, der spielt ein Spiel, bei dem er seine Seele als Pfand einsetzt. Aus kleinlicher, hartnäckiger Gewinnsucht. Meist ohne es auch nur zu ahnen.« Erich bekreuzigte sich.

»Neumann ist also einer deiner Männer.«

»Nein, er ist ein einfacher, alter Mann, der von nichts weiß und der deshalb nicht in Gefahr ist. Er wird beobachtet, und da er keine Kinder hat, wird nach seinem Tod alles der Kirche zufallen. Wir haben so viel Zeit zu warten.«

»Jetzt, was hast du mit mir vor, nachdem ich dir die Akte gegeben habe?«

»Keine Sorge. Wir behalten dich im Auge, solange du dich ruhig verhältst, wird dir nichts geschehen. Aber vergiss die Maschine.«

»Wenn Neumann keiner deiner Leute ist, wie bist du dann auf die Sache draufgekommen?«

»Über die Jahrhunderte sind Menschen immer wieder dem Versucher und seinen Einflüsterern erlegen, wir halten seit jeher unsere Augen offen. Gleich, ob es sich um Alchimisten, Philosophen oder Theosophen handelt, die Kirche sieht alles.«

»Ich habe nur noch eine Bitte.«

»Lass hören.«

»Eine alte Dame, deren Sohn wieder im Gefängnis sitzt, kümmer dich um sie.«

»In der Holochergasse?«

»Genau.«

»Soll sein. Und jetzt sei so gut und gib mir die Papiere, es ist schon spät und ich bin müde.«

Zwei Minuten später saß ich allein in meinem Büro. Ganz allein. Die Fliege war verschwunden.