Zu Hause holte ich meine Flasche aus der Ledertasche und schenkte mir einen Schluck Tee ein. Ich trank ihn aus und legte die nassen Kleider ab. Dann ging ich nackt zum Fenster, öffnete es und setzte mich in meinen Lehnstuhl, den ich vors Fenster zog. Ich wollte schon die Musik einschalten, besann mich jedoch eines Besseren und holte stattdessen mein Handy heraus und wählte. Es läutete ein paar Mal, dann wurde abgenommen.
»Hi, Reichi, Arno da.«
»Servus.«
»Juristische Auskünfte zu haben?«
»Sicherlich. Wenn du zahlen kannst.«
»Lass die Witze. Kann man seine Seele als Sicherheit bei einem Kreditabschluss einsetzen? Hält so was vor Gericht?«
»Wie meinen?«
»Kann man einen Vertrag über eine Seele schließen? Verstößt das nicht gegen die guten Sitten?«
»Hm, weiß nicht. Wie sollte es überhaupt zu einem Verfahren kommen? Der eine hat die Seele, der andere das Geld. Der mit dem Geld wird doch nicht so blöd sein und seine Seele zurückfordern, er hat ja schließlich das Geld. Der andere wollte ja die Seele, die hat er auch.«
»Was aber, wenn er sich das anders überlegt. Das meine ich. Was ist, wenn er das Geld hat und der andere will es wiederhaben, kann er einen Prozess anstrengen?«
»Anstrengen schon, doch den wird er verlieren. Wenn das Ganze auf Papier steht. Sag bloß, du hast deine Seele verkauft.«
»Noch nicht. Kommt aber noch.«
»Wo kann man das? Ich hätte auch so was. Brauch’s nicht und würd’s verkaufen.«
»Sag ich dir später, ich weiß noch nicht sicher, ob es da nicht einen Haken bei der Sache gibt.«
»Muss es geben, sonst macht das doch niemand. Seelen gibt es nicht. Ach ja, und schau in den Spiegel. Wenn du dich nicht mehr siehst, dann hat’s funktioniert.«
Damit legte Reichi auf. Was eine Seele mit einem Spiegelbild zu tun hat, verriet er mir nicht.
Ich setzte mich in meinen Lehnstuhl, langte hinüber zum Computer, drückte auf Play, und Robert Johnson legte los, während das letzte Regenwasser draußen vor dem Fenster von den Blättern der Kastanie tropfte, in die grauen Lachen im grünen Gras.
Herinnen saß ich nackt in meinem Sessel, spürte dessen rauen Stoff auf der Haut, schmeckte das leicht bittere Aroma des kalten Grüntees auf der Zunge und hatte den Blues im Ohr. Robert Johnson war ein wandernder Bluessänger der 30er-Jahre, der im Mississippidelta herumzog, von Auftritt zu Auftritt. Nur er, seine Stimme und seine Akustikgitarre. Er singt seinen Blues über Geldmangel, Liebeskummer und Arbeitslosigkeit. Die besten Stücke sind die, in denen er über seine Wanderschaft singt, die Sehnsucht nach dem Zuhause und der Angst davor, was er finden würde, sollte er je zu Hause ankommen. Der Legende nach hatte er an einem Eisenbahnübergang um Mitternacht dem Teufel seine Seele verkauft, um der beste Gitarrist aller Zeiten zu werden. Ein faustischer Charakter, der einen langsamen Tod durch vergifteten Whiskey gestorben war. Er hatte die falsche Frau gevögelt.
Das konnte mir nicht passieren, in allem anderen sprach er mir allerdings aus der Seele. Derjenigen, die mir 500 Euro wert war.
Während ich so dasaß und grübelte, war Robert bei ›Come on, into my kitchen‹ angelangt. Ein dunkler, schwerer Blues, in dessen Slideguitar-Licks sich der Duft von verfaulten Verandabrettern, Maiswhiskey und Regen finden lässt. »You better come on«, sang Robert, »into my kitchen, it’s gonna be rainin’ outdoors.« Keine andere mir bekannte Einladung ist so unheilschwanger wie die von Robert an die unbekannte Frau, die ihm nicht unbedingt treu gewesen war. Vielleicht mit Ausnahme der von Krimhild an die Burgunderkönige. Und wie das endete, ist bekannt.
Robert schloss den Song mit einer sanften Phrase, die aus dem stampfenden Blues in eine kleine, verhaltene Note führt, in deren leisem Vibrato der Song endet. Ich schaltete den Sound aus und setzte mich an den Schreibtisch, bis zum Abend ordnete ich meine Notizen, die ich vor Erichs Besuch gemacht hatte. Wie immer war das meiste davon unbrauchbar, aber so verging wenigstens die Zeit bis zum Termin bei Korkarian. Als dann die Schatten draußen länger zu werden begannen, kam eine leichte Brise durchs offene Fenster herein. Wie immer im Sommer kühlte sie nicht wirklich, sondern brachte mir die drückende Hitze nur noch mehr zu Bewusstsein. Ich stand von meinem Stuhl auf und ging in die Küche, duschen. Das Wasser war lauwarm, aber besser als nichts. Noch nass, ging ich zum Kühlschrank, holte eine Gurke heraus und schälte sie. Dann teilte ich sie in der Mitte, streute ein wenig Salz darauf, ließ ein paar Tropfen Rotweinessig darauffallen und biss in das knackige, kühle, grüne Gemüse. Ein bisschen Olivenöl wäre nicht schlecht gewesen, aber das war ausgegangen.
Schließlich zog ich mich an, ein leichtes blaues Hemd und meine dünne, braune Leinenhose. Die Schuhe waren noch immer nass, ich quatschte bei jedem Schritt. Dann schnappte ich mir meine Tasche und machte mich auf den Weg.
Draußen hatte sich die Hitze des Tages im Asphalt der Straße und in den dicken Mauern der Häuser gespeichert, alles war schon lang wieder trocken. Der Duft des Regens war verflogen, um dem Geruch der großen Stadt, die schwitzte und Müll produzierte, zu weichen. Außerdem waren viel zu viele Hunde unterwegs. Ich bog in die Tannengasse ein. Vor der Minibar, die mit einladender Leuchtreklame protzte, standen ein paar Mädchen und zeigten ihre Reize. Augenscheinlich war nicht viel los, normalerweise sind nicht alle vier gleichzeitig auf Kundenfang. Wahrscheinlich war es den Freiern auch zu heiß. Wer konnte es ihnen verdenken.
Oben am Reithofferpark saßen die Mütter mit ihren Kopftüchern noch immer auf den Bänken und knackten Sonnenblumenkerne, aber inzwischen hatten sich ihre Männer und Söhne hinzugesellt. Deren blank geputzte Autos standen auf der Straße, die Männer lehnten an ihnen und redeten. Inzwischen hatten meine Schuhe aufgehört zu quatschen, dafür begann ich mein Hemd durchzuschwitzen, alles im Leben hält sich die Waage.
Ich stand an der Kreuzung, blickte die Straße unentschlossen hinunter und holte tief Luft. Ein Moment der Schwäche, aber als ich dann in die »Korkarian Kredite« eintrat, war ich wieder gefasst. Die Computer surrten, doch es war niemand da.
»Hallo«, rief ich. Es kam keine Antwort.
Endlich machte sich hinter der Tür ein Geräusch bemerkbar und ein älterer Herr betrat das Büro. Er war zart und feingliedrig gebaut, gut einen ganzen Kopf kleiner als seine Tochter. Er trug dunklen Zwirn, gut geschnitten, ein Hemd in der Farbe ungefärbter Seide und eine grüngoldene Krawatte mit verschlungenen Mustern. Sein Haar war eisengrau, voll und gescheitelt. Die dunklen Augen wirkten so, als hätten sie viel gesehen, was sein Mund niemandem erzählen würde. Ein Mann, dem das Leben schon ordentlich eingeschenkt hatte, ohne dass er deswegen weinen würde. Wortlos wies er mir mit der Rechten, an der er einen goldenen Ring mit rotem Stein trug, einen Platz an und setzte sich. Er stützte die Ellenbogen auf dem Tisch auf, sodass er seine Finger vor dem Mund ineinander verschränken konnte. Mit der Linken drehte er den Ring mit dem roten Stein um seinen Finger.
Da er nichts sagte, begann ich zu sprechen: »Ich bin wegen eines Kredits gekommen, man hat mir gesagt, dass …«
»Weiß ich.« Er sprach hart, ganz ohne die Melodie seiner Tochter, eher so wie ein Russe Deutsch spricht, ein wenig guttural und mit ausgeprägten Reibelauten.
»Vertrag habe ich aufgesetzt, ist hier.« Er öffnete eine Ledermappe, die ich bisher nicht bemerkt hatte, und entnahm ihr ein paar Seiten Papier, von einer Klammer zusammengehalten.
»Lesen Sie durch, dann unterschreiben. Hier und hier.« Er zeigte mir die Stellen. »Dann können Sie gehen, mit dem Geld.«
»Wenn ich die Raten nicht bezahlen kann, …«
»Dann gehört Ihre Sicherheit uns«, unterbrach er mich unwirsch. »Steht alles da drin.« Mit der Ringhand wies er auf das Papier.
»Wie viele derartige Kredite …«, haben Sie laufen, wollte ich fragen, aber wieder ließ er mich nicht aussprechen.
»Das hier ist Vertragsunterzeichnung, kein Interview. Schreiben Sie oder gehen Sie. Kein Problem für uns.«
Ich holte meinen Füller heraus und unterschrieb, zweimal. Die Feder kratzte auf dem schlechten Papier.
»Dann brauchen wir noch Name, Anschrift. Passport und Meldezettel haben Sie schon hier?«
»Sicherlich.« Einmal hatte ich wenigstens mitgedacht und kramte die Papiere aus meiner Ledertasche. Ich legte sie auf den Tisch. Er drehte sich um und rief etwas in einer Sprache, die ich nicht kannte, nach hinten. Seine Tochter kam heraus, nahm die Papiere und grüßte freundlich.
»Guten Abend. Wird alles kopiert, ist gleich erledigt.«
Dem Vater war das gar nicht recht. Noch ehe ich ein ›Guten Abend‹ erwidern konnte, fuhr er sie rüde an. Wieder in der Sprache, die ich nicht kannte. Sie antwortete nicht, nickte nur und war hinten verschwunden. Derweilen blickte ich angestrengt auf den Vertrag, bloß um ihr nicht nachzuschauen. Ihre Hinteransicht war sicher genauso schön wie die Front, allerdings wollte ich ihr nicht noch mehr Schwierigkeiten machen. Ein paar Minuten vergingen, eisiges Schweigen herrschte, dann kam die Tochter zurück, tat so, als wäre ich Luft, und legte meine Papiere vor ihren Vater. Der sagte kurz etwas zu ihr, worauf sie eine Tasche von ihrem Arbeitsplatz holte und wortlos hinausging.
Der Mann sah nochmals meine Dokumente durch, verglich die Unterschriften von Pass und Vertrag, händigte mir dann ein Exemplar aus. Anschließend öffnete er eine Schatulle, entnahm ihr fünf Hunderter, zählte sie erst für sich, danach für mich auf den Tisch. Ich ließ sie noch liegen und setzte erneut zu einer Frage an.
»Ist es schon vorgekommen, dass jemand seine Sicherheit nicht ausgelöst hat?«
»Wie gesagt, das ist kein Interview. Sie haben schon unterschrieben, nehmen Sie das Geld und gehen Sie.«
Ich hatte nicht vor zu gehen, deswegen sah ich ihn einfach weiter stumm an. Er hatte auch überhaupt nicht die Absicht zu antworten. So kam es, dass wir uns anstarrten. Es war heiß und stickig in dem Büro, mein Nacken war nass wie eine Katzennase. Schließlich gab ich auf, nahm Geld, Vertrag und einen kleinen Rest Würde, packte alles in meine Tasche und ging hinaus. Mein »Auf Wiedersehen« würdigte er keiner Antwort.
Das war gar nicht gut gelaufen. Ich hatte zwar meine Seele gegen 500 Euro eingetauscht, aber erfahren hatte ich rein gar nichts. Außer, dass die Tür massiv und das Schloss gut war, ohne Spezialwerkzeug und jede Menge Erfahrung unknackbar. Noch dazu lag die Tür direkt auf die Märzstraße hinaus, irgendwer würde da immer vorbeikommen. Drinnen entging nichts den Argusaugen der Videokameras. Safe hatte ich keinen gesehen, doch es gab sicherlich einen. Wenn schon die Türen so gut waren, dann Gnade mir Gott beim Eisenschrank. Vielleicht hatte er die Daten irgendwo elektronisch gesichert, aber das war ungewiss, und da ich die Tür nicht ohne großes Risiko angehen konnte, war das ohnehin belanglos. Vielleicht war in seiner Privatwohnung was zu finden. Doch wie das herausfinden? Der Knabe war nicht mehr grün hinter den Ohren, allein war eine Beschattung fast nicht machbar. Ich hatte so was mal für Bender durchgezogen, mit Fred und ein paar anderen. Wir waren zu sechst gewesen, mit Autos und allem, aber es hatte gar nicht gut funktioniert. Ich war allein, hatte kein Auto, das bedeutete, es würde nur funktionieren, wenn er einen Heimweg hatte, den er zu Fuß ginge. Dann könnte ich ihn jeden Abend einen Block weit verfolgen, um am nächsten Tag dann dort zu warten, von wo ich einen guten Überblick auf den Punkt hätte, an dem ich ihn am Abend zuvor sausen hatte lassen. Dann wieder einen oder zwei Blocks weiter, bis ich schließlich vor seiner Haustür stehen würde. Dann untertags in seine Wohnung einbrechen, wobei ich nur hoffen konnte, dass Mama Korkarian nicht mehr lebte, weil sonst immer wer zu Hause sein würde. Alles in allem keine verlockenden Aussichten. In Gedanken vertieft war ich bis nach Hause gekommen. Vor meiner Wohnungstür kam mir zu Bewusstsein, dass ich hungrig war, aber ich hatte keine Lust mehr, irgendwohin zu gehen. Ich wollte mich in meiner Wohnung vergraben und ein bisschen herumgrübeln. Irgendwas musste doch zu machen sein.
Ich zog mich aus, hängte meine Sachen über einen Kleiderbügel und setzte mich mit einer Schale Tee in meinen Stuhl. Es war noch immer viel zu heiß, ich dachte fieberhaft nach, wollte zu keinem Ergebnis kommen, und der Sencha half auch nichts. Da hatte ich meinen Verstand im Studium geschärft, Erfahrung bei zwielichtigen Typen gesammelt, meine Seele verkauft, und, wie sagte Faust: »Hier sitz’ ich nun, ich armer Tor, und bin so klug als wie zuvor.« Dabei war ich gar nicht auf der Suche nach der Weltformel, sondern nur hinter ein paar Adressen her. Ich wollte mich gerade in Selbstmitleid ertränken, als es an der Tür klopfte.
Schnell schlüpfte ich in eine Shorts und ein T-Shirt und ging zur Tür. Das musste nun der Pudel sein. Ich öffnete, doch vor der Tür stand kein Pudel, sondern eine junge, sehr schlanke Frau. Etwa in meinem Alter, in Jeans und T-Shirt, mit einer Segeltuchtasche, die sie um die Schultern gehängt hatte. Sie trug ihr krauses, lockiges Haar sehr kurz. Der Teint war dunkel, die Augen groß und die Haltung stolz. Ihre Nase, die Stirn und die vollen Lippen verrieten, dass eines der Elternteile wohl aus Ostafrika stammte. Ich tippte auf Äthiopien. Schmuck und Schminke waren nicht ihr Ding.
»Entschuldigen Sie die späte Störung, ob Sie mir wohl ein paar Minuten Ihrer Zeit opfern könnten?« Ihre Stimme war sanft, die Aussprache sehr klar und ohne den geringsten Anflug von Akzent.
»Sicherlich. Wenn Sie hereinkommen wollen.« Ich öffnete die Tür und bat sie herein. Sie schüttelte jedoch nur kurz den Kopf.
»Lieber nicht.«
»Aber ich habe doch gar keinen Drudenfuß an der Tür hängen.«
Sie starrte mich kurz verständnislos an.
»Vergessen Sie’s, ich hab nur einen bizarren Sinn für Humor.«
»Ich habe heute noch nicht gegessen. Wenn Sie wollen, lade ich Sie zum Abendessen ein. Als Ausgleich für die Störung und ein paar Fragen.« Sie lächelte mich an. Ich war baff.
»Wenn Sie wollen, sehr gerne. Nur einen Augenblick, bis ich was Passendes angezogen habe.«
Ich schloss die Tür und suchte mein Gewand heraus. Während ich in das schweißklamme Hemd fuhr, hämmerte mir ein Gedanke im Kopf herum: In was für eine Sache hatte ich mich da bloß wieder hineingeritten?