Nervös schaute Summer auf das Display ihres Autos und stieß ein unwilliges Stöhnen aus, als sie die Uhrzeit sah. Sie war viel zu spät dran! Die Braut würde vermutlich einen Herzinfarkt bekommen, wenn Summer nicht bald auftauchte, um sie zu frisieren. Dabei war die Verspätung nicht einmal ihre Schuld, schließlich war sie überpünktlich losgefahren, weil sie wusste, wie nervös und angespannt Bräute an ihrem Hochzeitstag waren.
Vor allem diese Braut!
Tyra Ames hatte sich bereits viermal von Summer zur Probe frisieren lassen, um die perfekte Brautfrisur zu finden, und sie hatte sehr spezielle Vorstellungen davon, wie sie an ihrem großen Tag aussehen wollte. Deshalb hatte Summer im Vorfeld so viele Frisurenmagazine wie möglich gewälzt, um ihre Kundin zufriedenzustellen. Sie konnte nur hoffen, dass Tyra nicht schon wieder ihre Meinung geändert hatte und heute etwas anderes ausprobieren wollte. Weil Summer wusste, wie unstet Tyra war, wenn es um ihre Frisur ging, war sie eben noch kurz in den Salon gefahren, um ein paar weitere Haarteile einzustecken.
Sicher war sicher.
Und dort im Salon war sie von Lorna aufgehalten worden, die ihr immerhin Tyra aufs Auge gedrückt hatte, weil Tyras Großmutter Lornas Freundin war. Wenn Summer gewusst hätte, wie zeitintensiv dieses Projekt war, hätte sie Tyra wahrscheinlich einen Korb gegeben. Sie wusste mit ihrem Tag etwas Besseres anzufangen, als in die nächste Stadt zu fahren und dort eine sehr nervöse und ziemlich anstrengende Braut herzurichten. Zum Glück war sie nicht fürs Make-up zuständig.
Summer hatte gerade Ronnys Tankstelle hinter sich gebracht, als sie aufs Gas drückte, um die verlorene Zeit aufzuholen. Kaum hatte sie die Stadtgrenze überquert, ging hinter ihr eine Sirene an.
Das war nicht sein Ernst!
Ungläubig sah sie im Rückspiegel, dass Dylan hinter dem Steuer des Polizeiwagens saß und ganz offensichtlich wollte, dass sie rechts ranfuhr. Wie hätte sie die Sirene und das Blaulicht auch sonst deuten sollen?
Mit zusammengepressten Zähnen kam sie seiner Aufforderung nach und fuhr auf den Standstreifen. Er hielt hinter ihr und stieg aus seinem Wagen, bevor er mit lässigen Schritten an die Fahrerseite ihres Corollas trat. Summer ließ das Fenster nach unten und starrte ihn finster an.
„Du hältst mich an? Ernsthaft?! Ich komme noch zu spät zu meinem Termin, Dylan.“
„Ah, deshalb der Bleifuß.“ Er räusperte sich und erklärte mit professioneller Ruhe: „Führerschein, Fahrzeugpapiere und den Versicherungsschein, bitte.“
Fassungslos starrte sie ihn an. „Wie bitte?!“
Unter der Krempe seines Stetsons sah er sie geduldig an. „Du warst zehn Meilen zu schnell, aber ich schreibe nur fünf auf, damit deine Versicherung nicht steigt, wenn du mir versprichst, ab sofort langsamer zu fahren.“
„Was?!“
„Bei fünf Meilen zahlst du nur einhundertvierundsiebzig Dollar. Bei zehn Meilen wären es zweihundertvierzehn.“
Es war sein Ernst!
Fassungslos schnappte sie nach Luft und griff nach ihrer Tasche, die auf dem Beifahrersitz gelegen hatte, um nach ihren Papieren zu wühlen. Missmutig murmelte sie vor sich hin: „Das gibt es nicht! Mein eigener Freund stellt mir ein Knöllchen aus! Das habe ich davon, dass ich ihm gestern Morgen nicht den Rücken waschen wollte.“
Mit einem Räuspern nahm er ihr die Papiere aus der Hand und erwiderte gut gelaunt: „Eigentlich hatte ich gestern Morgen ganz andere Absichten, als ich dich in die Dusche locken wollte, Babe.“
„Ha! Und zur Rache bekomme ich jetzt ein Knöllchen?“
„Nein, das bekommst du, weil du zu schnell warst. Heute Abend kann ich dir ja zeigen, was ich gestern eigentlich mit dir vorhatte.“
Sie zeigte ihm einen Vogel. „Darauf kannst du lange warten! Einhundertzweiundsiebzig Dollar lang, um genau zu sein.“
Keinesfalls beeindruckt oder besorgt lachte er und ging mit ihren Papieren zu seinem Streifenwagen.
Summer sah ihm nach und rief ungeduldig: „Beeil dich bitte, Officer! Mein Termin wartet!“
Er antwortete nicht.
Nervös trommelte sie gegen ihr Lenkrad und wagte es kaum, auf die Uhr zu schauen.
Als Dylan endlich wieder an ihren Toyota trat, war sie ein nervliches Wrack und funkelte ihn an. „Hättest du nicht Gnade vor Recht walten lassen können?“
„Damit ich mir nachsagen lassen muss, Knöllchen gegen sexuelle Gefälligkeiten verschwinden zu lassen? Auf keinen Fall. Hast du überhaupt eine Ahnung, wie anstrengend es wäre, wenn alle Frauen aus Hailsboro deshalb mit mir schlafen wollten?“
„Sehr witzig!“ Sie schnappte sich das Knöllchen aus seiner Hand und schnarrte diabolisch: „Eigentlich wollte ich dich mit ein paar heißen Dessous überraschen, aber die werde ich mir jetzt nicht mehr leisten können.“ Sie zischte ihm zu: „Einhundertvierundsiebzig Dollar! Du spinnst doch.“
Er ignorierte ihren letzten Satz und schaute sie lieber interessiert an. „Heiße Dessous? Kein Problem, die kann ich bestellen. Hast du etwas gegen schrittoffene Höschen?“
„Wenn du sie trägst? Nein, dann nicht“, antwortete sie zuckersüß und verengte dabei die Augen.
Sein Lachen war heiser und sexy. Das fiel ihr sogar auf, wenn sie wütend auf ihn war.
„Gut zu wissen. Darüber können wir ja heute Abend reden, wenn wir besprechen, wann du endlich zu mir ziehst.“ Dylan steckte seinen Kopf durch ihr Fenster und küsste sie sanft auf den Mund. „Fahr vorsichtig, Liebling. Wir sehen uns später bei dir.“
Und so kam es, dass Summer mit einem Knöllchen von einhundertvierundsiebzig Dollar weiterfuhr und trotz allem breit lächeln musste, denn ihr großartiger Freund hatte sie nicht nur Liebling genannt, sondern er wollte auch, dass sie bei ihm einzog.
Dylan hoffte, dass Summer nicht bereits zu Hause war, als er sein Auto endlich vor ihrer Wohnung parkte und den Blumenstrauß an sich nahm, den er heute bei Kelsey gekauft hatte.
Ganz offensichtlich wurden Blumenhändlerinnen verdammt neugierig, sobald ein Mann ihr Geschäft betrat, um Blumen zu kaufen, mit denen er seine Freundin überraschen wollte. Er hätte meinen können, dass Kelsey als investigative Journalistin oder für die CIA arbeitete, so sehr hatte sie ihn ausgequetscht. Konnte man einer Frau nicht einfach Blumen mitbringen, ohne eine spezielle Absicht zu haben? Beispielsweise brachte er Summer heute Blumen mit, weil er wusste, wie gern sie einen schönen Strauß in der Wohnung hatte und wie sehr sie sich darüber freute. Er tat es nicht, um sie endlich dazu zu überreden, bei ihm einzuziehen.
Natürlich würde er es sehr gerne sehen, wenn sie zusammenzögen, und sie hatten auch schon einige Male darüber geredet, aber die Blumen brachte er sicherlich nicht deshalb mit.
Und einen Antrag wollte er ihr ebenfalls nicht machen.
Dafür war es noch etwas früh, schließlich waren sie erst seit einigen Wochen zusammen.
Zwar wusste Dylan bereits seit einiger Zeit, dass Summer die Richtige war, aber er wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen und ihr stattdessen etwas Zeit geben.
Beschwingt lief er über den Gehweg zu Summers Wohnungstür und kramte in seiner Hosentasche nach ihrem Hausschlüssel, als er plötzlich Geräusche von innen hörte. Anscheinend war sie doch schon zu Hause und früher als angenommen von ihrem heutigen Termin zurück.
Gerade als Dylan an die Tür klopfen wollte, fiel ihm auf, dass ihr Toyota nicht am Straßenrand stand, obwohl Summer immer dort parkte.
Augenblicklich prickelte sein Nacken und er spannte sich an. Niemand außer ihm hatte einen Schlüssel für die Wohnung. Wer also war verantwortlich für den Krach, der aus ihrer Wohnung kam? Es musste ein verdammt schlechter Einbrecher sein, entschied Dylan, als ein weiteres lautes Geräusch erklang, als würde jemand eine Schranktür zuwerfen. Direkt über Summers Wohnung lebte ein Ehepaar, und nebenan wohnte eine Kleinfamilie, die den Krach hören und die Polizei rufen könnte.
Apropos Polizei.
Vorsichtig öffnete Dylan die unverschlossene Haustür und betrat auf leisen Sohlen den Flur, bevor er in Richtung Küche schlich, um den Einbrecher auf frischer Tat zu ertappen. Besagter Einbrecher stand in Summers Bademantel vor dem geöffneten Kühlschrank, hatte sich das nasse Haar in ein Handtuch gewickelt und summte fröhlich vor sich hin. Außerdem war der Einbrecher eine Frau.
Stirnrunzelnd betrachtete Dylan die Szene vor sich für ein paar Sekunden, bevor er sich räusperte.
„Huch!“ Erschrocken wirbelte die Frau zu ihm herum, starrte ihn fragend aus großen braunen Augen an und stieß mit einem nervösen Lachen hervor: „Du bist nicht Summer.“
„Nein, das bin ich nicht“, entgegnete er sachlich und fuhr in bester Polizistenmanier fort: „Darf ich fragen, wer Sie sind, Ma’am?“
„Ma’am“, echote sie fröhlich. „Ich bin doch keine Ma’am, Schätzchen. Mein Name ist Connie – Summers Mom.“ Gut gelaunt und keinesfalls von der Tatsache eingeschüchtert, dass sie in einem Bademantel vor ihm stand, reichte sie ihm die Hand. „Und du musst bestimmt Summers Freund sein, wenn du mit Blumen in ihrer Wohnung stehst.“
Er nickte zurückhaltend und schüttelte kurz ihre Hand. „Dylan Walker. Officer Dylan Walker.“
Kichernd hob sie die Hände in die Höhe. „Nicht schießen, Officer. Ich bin unbewaffnet.“
Ihre Art war ein bisschen … überdreht. Anders konnte Dylan sie nicht beschreiben. „Summer hat mir gar nicht erzählt, dass Sie zu Besuch kommen.“
Vertraulich zwinkerte sie ihm zu und legte eine Hand auf seinen Oberarm. „Ich wollte sie überraschen und habe deshalb nichts gesagt. Soll ich dir die Blumen abnehmen und ins Wasser stellen? Hach, ich liebe Blumen! Und diese sind besonders schön. Männer, die ihren Frauen so schöne Blumen kaufen, sind wahre Gentlemen.“
Bevor er wusste, wie ihm geschah, hatte sie ihm die Blumen abgenommen und durchforstete die Küche ihrer Tochter nach einer Vase.
Vermutlich sah er Gespenster, aber Dylan konnte den Funken Misstrauen nicht abstellen, der ihn bei ihrem Anblick überkam. „Wenn Summer nicht wusste, dass Sie zu Besuch kommen wollten, wie sind Sie dann in die Wohnung gekommen?“
„Der Hausmeister hat mir aufgemacht.“ Über die Schulter hinweg lächelte sie ihm zu. „Ein sehr netter Mann. Er hat mir nicht nur die Tür aufgeschlossen, sondern auch meine Taschen in die Wohnung getragen. Das muss der texanische Charme sein, von dem man immer wieder hört. Ich bin ja sooo erleichtert, dass Summer hier solch nette Menschen kennengelernt hat. Meine Tochter ist wirklich zu beneiden.“
„Mhm.“ Er nickte in Richtung des obersten Küchenschranks. „Die Vasen bewahrt Summer dort oben auf.“
„Danke, Schätzchen.“ Sie zog sich einen Stuhl heran und stellte sich darauf, um an den Küchenschrank zu kommen. Dabei entblößte sie einen großen Teil ihrer nackten Beine, was Dylan dazu veranlasste, abrupt in eine andere Richtung zu starren. Währenddessen plapperte Summers Mom unverdrossen weiter, ohne sich darum zu kümmern, dass sie halb nackt vor ihm auf einem Stuhl stand.
Als sie mit einer Vase in den Händen vom Stuhl stieg, atmete er erleichtert auf.
„Von einem meiner Ex-Freunde habe ich gelernt, schöne Sträuße zu binden“, erzählte sie ihm vorbehaltlos, während sie die Blumen in der Vase arrangierte. „Er hatte ein Blumengeschäft und war ein ziemlich anständiger Kerl, aber leider auch etwas langweilig. Damals war ich jung und dumm und verließ ihn für einen anderen, der ein Motorrad hatte. Heute weiß ich es natürlich besser.“ Sie seufzte und musterte ihn neugierig. „Was muss ich über dich wissen, Dylan? Bist du ein anständiger Kerl oder jemand mit einem Motorrad?“
„Ich habe kein Motorrad“, erwiderte er salopp.
„Gut zu wissen. Ich will meine Tochter nämlich nicht unglücklich sehen.“ Wieder schenkte sie ihm ein aufgesetztes Lächeln.
Dylan wollte etwas erwidern, als Summers fassungslose Stimme hinter ihm erklang. „Mom? Was … was tust du denn hier?“ Sie trat neben Dylan und starrte ihre Mutter ungläubig an.
„Ach Baby! Ich habe dich ja so sehr vermisst!“ Ihre Mom kreischte beinahe und schloss Summer in die Arme. „Wie wundervoll, dich endlich wiederzusehen! Ich saß fast vierundzwanzig Stunden in einem Greyhound, um zu dir zu kommen – so sehr hast du mir gefehlt, mein Schatz. Habe ich dir auch gefehlt?“
„Äh … ja. Du mir auch“, erwiderte Summer kurz angebunden und tätschelte zurückhaltend die Schulter ihrer Mom. Dabei blieb sie merkwürdig passiv, was Dylan keineswegs entging. „Ich … ich bin nur verwirrt, dass du hier bist. Wieso hast du nicht angerufen?“ Sie lächelte verzerrt.
„Weil ich dich überraschen wollte, Schätzchen.“ Connie lehnte sich zurück und schaute zwischen Summer und ihm hin und her. „So, ihr Süßen! Lasst uns etwas essen gehen. Ich habe einen Bärenhunger. Die Rechnung geht natürlich auf mich, solange ihr mir alles über euch beide erzählt. Ich bin schrecklich neugierig und will alles wissen.“