23. DARKUS ROTHENSCHILD
Die Wut ebbte allmählich ab. Vieles hatte Darkus Rothenschild seinem Vertrauten Horace Finton zu verdanken. Nicht nur, dass er ihm beim Angriff auf Elora das Leben gerettet hatte, sondern auch durch die Vielzahl an Informationen. Sie hatten durch das Netzwerk des kleinen Mannes viel erfahren. So wusste der Kanzler von der Gefangennahme seines Stiefsohnes Kellan und von der Rückkehr seiner Enkeltöchter Ellie und Anna in ihre eigene Welt.
Doch nun hatte ihm jener enge Vertraute offenbart, dass er die Mädchen zurückgeholt hatte! Dieser Fehler war unverzeihlich. Die Federkönigin würde nicht aufhören, den Mädchen nach dem Leben zu trachten. Zu gefährlich waren sie für die Königin, da sie in der Lage waren, Arien Tulsa vom Thron zu stoßen.
Auch wenn der Kanzler keine Schuld an der Rückkehr der Mädchen trug, so fühlte er sich dennoch für sie verantwortlich. Er musste alles dafür tun, die Federkönigin daran zu hindern.
Mit versteinertem Gesicht schritt Darkus Rothenschild auf die Zimmertür zu. Als er sie öffnete stand ihm Horace Finton gegenüber. Die Brille des kleinen Mannes war leicht verbogen. An seiner Wange klebte getrocknetes Blut. Doch was den Kanzler mehr beunruhigte, war das Auftreten seines Vertrauten. Er zitterte am gesamten Körper.
„Was ist geschehen?“, herrschte ihn Darkus Rothenschild an. Schreckliche Szenarien geisterten durch seinen Kopf.
„Die Mädchen“, stammelte Finton. „Die Mädchen sind in Gefahr!“
Erleichtert atmete Rothenschild aus. Er hatte mit einer weitaus schlimmeren Nachricht gerechnet. So lange sich die Mädchen nur in Gefahr befanden, war noch nichts verloren. Für einen kurzen Atemzug wollte der Kanzler erneut auf seinen Vertrauten losgehen, unterließ es aber. Es war zu spät und würde nichts ändern. Was er nun dringend benötigte war ein Plan.
„Wo sind sie?“, fragte Rothenschild.
„In Avrannah!“ Bei jedem Wort zuckten Fintons Augen nervös hinter dem Brillengestell. „Sie suchen mit Begayien nach Kellan.“
„Bei Begayien“, wiederholte Rothenschild nachdenklich. „Das ist gut. Er ist kein Freund der Federkönigin. Warum, um alles in der Welt, habt Ihr sie nur hierhergeholt, Finton?“
„Ich dachte, es wäre ein guter Zug gegen Arien Tulsa. Sie hat uns alles genommen und in den Mädchen fließt königliche Kraft. Sie könnten sie bezwingen ...“
„Sie sind doch noch Kinder!“ Der Kanzler schnaubte verächtlich. „Wie kann man nur so dumm sein? Es ist doch offensichtlich, dass Tulsa die Mädchen fürchtet und sie beseitigen will.! Sie waren doch in der anderen Welt sicher! Woher wusstet Ihr überhaupt wie sie zurückkommen könnten? Unser Portal ist zerstört ...“
„Ihr wisst, dass auch in mir magisches Blut fließt“, erklärte Finton. „Ich kann die Präsenz des magischen Buches spüren und wusste, dass sich eine Seite nicht auf unserer Welt befand. Daher war es für mich logisch, dass die Mädchen die Seite mitgenommen hatten und sie als Portal nutzen konnten.“
„Wo ist die Seite jetzt?“
„Wieder hier.“
„Verdammt!“ Darkus Rothenschild blickte nachdenklich zu Boden. Er schob die Gedanken hin und her, versuchte einen Plan auszuarbeiten, wie er den Mädchen helfen konnte. Doch es schien in seiner Lage, in der er all seiner Macht und Möglichkeiten beraubt war, nahezu unmöglich.
„Noch weiß die Königin nicht, dass die Mädchen hier sind“, schlussfolgerte er. „Sie kann sicherlich die Präsenz der Seite spüren, aber sie hat keinen Anhaltspunkt, wo sie suchen soll. Das verschafft uns etwas Zeit.“
Darkus Rothenschild zwängte sich an seinem Vertrauten vorbei und eilte in den Gang. Nach einigen Schritten blieb er jedoch stehen und wandte sich um. Es war mehr eine Ahnung, die ihn dazu trieb. Er sah seinen Vertrauten noch immer an der Tür stehen, wo er betreten zu Boden blickte.
„Finton?“, rief Rothenschild im zu. „Was habt Ihr getan?“
Hilflos sah der kleine Mann auf. In seinem Blick konnte der Kanzler Ratlosigkeit lesen. Etwas, was er zuvor selten bei ihm gesehen hatte. Horace Finton war durch und durch bekannt dafür, auf alles eine Lösung zu wissen. Doch nun schien ihm diese Eigenschaft abhandengekommen zu sein.
„Ich habe einen Fehler gemacht“, antwortete er zögerlich. „Ich fürchte, die Königin weiß, wo sich die Mädchen befinden.“
Darkus Rothenschild hatte mit einem Mal das Gefühl, eine unsichtbare Hand würde nach seinem Herzen greifen und erbarmungslos zudrücken.
In diesem Augenblick kehrte aber auch der Kampfgeist in ihm zurück. Er musste sein eigen Fleisch und Blut schützen. Koste es was es wolle!
„Worauf warten wir dann noch?“