19. YLWAN
Obwohl Ylwan normalerweise nichts lieber mochte, als ganz an bei der Königin zu verweilen, hatte er es dieses Mal verdammt eilig so viel Abstandwie möglich zu ihr zu gewinnen. Natürlich war ihm die Macht Arien Tulsas bewusst, aber sie hatte diese zuvor nicht gegen ihn eingesetzt. Zum ersten Mal spürte er etwas in seinem Leben, dass über das Gefühl einer einfachen Bestrafung hinausging.
Ylwan hatte nackte Angst!
Nie zuvor war sie so kalt zu ihm gewesen. Nie zuvor hatte er ihre Macht am eigenen Leib zu spüren bekommen. Nie zuvor hatte er in ihren Augen lesen können, dass sein Leben für sie keinen Wert besaß.
In ihm zerbrach etwas.
Er hatte sich immer neben Arien Tulsa auf dem Thron gesehen. Er wollte mir ihr das Land regieren und jeden Widersacher in einen grausamen Tod schicken. Doch nun schien er selbst zu ebendiesem Widersacher geworden zu sein.
Während er die Gänge des Palasts entlangeilte, fragte er sich immer wieder, warum sie ihn derart hasste. War es, weil er auf eigene Initiative handelte, um das Reich zu schützen? Musste er tatsächlich jedes Mal nachfragen, bevor er einen Schritt wagte? Oder hatte er eine Person getötet, deren Ableben die Federkönigin selbst verursachen wollte?
Ylwans Körper schmerzte noch immer unter der Folter, die sie ihm angetan hatte. Jeder Schritt fiel ihm schwer und doch wollte er so schnell wie möglich weg. Er machte sich nicht die Mühe, den Gruß der Wachen zu erwidern, denen er auf seinem Weg begegnete. Sie waren ihm ohnehin zuwider. Menschliche Hüllen, Marionetten der Königin. Nicht mehr, als mechanische Wesen, wie sie auch der Kanzler hätte erfinden können. Sie waren so austauschbar.
Doch er, Ylwan, war anders. Er hatte von Anfang an seinen eigenen Weg genommen. Natürlich tat er, was der Königin gefiel - aber auf seine Weise. Er hatte ihr dabei so oft geholfen.
Weshalb sieht sie es nicht?
Die Schuld trugen die Anderen. Seine Handlanger waren allesamt unfähig. Ylwans Wort allein reichte der Federkönigin nicht. Sie brauchte Beweise.
Der glatzköpfige Mann wusste genau, was er zu tun hatte. Er musste Tanner Chera aufspüren und von ihm einen Beweis für den Tod der Mädchen verlangen. Und wenn er ihre Leichname selbst vor der Königin Füße werfen musste.
Das Licht der Morgensonne blendete ihn, als er hinaustrat. Er befand sich auf einer der oberen Plattformen des Palasts. Hier war er mit seinem Albino-Ravener gelandet. Das Tier war noch immer dort.
Seelenruhig hockte das weiße Wesen im Schatten eines Baumes. Es hatte den Kopf auf den Boden gelegt und blickte auf, als es seinen Herrn kommen hörte.
Mit zusammengepressten Lippen schwang sich Ylwan auf den Rücken des Tieres. Er war entschlossen keine weiteren Fehler zuzulassen. Nur auf diese Weise konnte er wieder der Königin und seinem eigenen Ziel näherkommen. Doch dazu brauchte er ein Geschenk für sie. Am besten präsentierte er ihr die Köpfe der beiden Mädchen auf einem Silbertablett …