7. ELLIE
Der Kanzler und Horace Finton eilten auf Ellie entgegen. Sie war unschlüssig, wie sie sich verhalten sollte. Ihre letzte Begegnung war nicht unbedingt freundschaftlich gewesen. Nun kam es zu einer weiteren und sie war sich nicht sicher, auf welcher Seite die Männer standen.
„Bitte helft mir!“ Ellies Ruf war Sorge und Schutz zugleich. Sie hoffte, dass die Männer in Angesicht eines Verletzten weniger aggressiv waren. Sofern sie überhaupt derartige Absichten verfolgten. Ihre Rolle in dieser Geschichte, war für sie ohnehin so undurchsichtig, wie von jedem anderen in Iphosia.
Schon hatten die beiden Männer Espen und Ellie erreicht und gingen neben ihnen in die Knie.
„Ich bin so froh euch lebend gefunden zu haben“, freute sich der Kanzler, während sich Horace Finton die Verletzungen Espens ansah.
„Könnt ihr ihm helfen?“, fragte Ellie mit bebender Stimme. Sie spürte, wie sie am gesamten Körper zitterte. Sie konnte nicht differenzieren, ob von der Sorge um Espen oder den Anstrengungen der letzten Stunden herrührte.
„Er ist schwach“, stellte Finton fest.
Der Kanzler verzog das Gesicht und wandte sich Horace Finton zu.
„Das ist nicht weiter schlimm“, sagte Rothenschild mit leichter Verachtung in der Stimme. „Er ist ein Schattenkrieger der Königin. Überlassen wir ihm einfach seinem Schicksal. Die Tiere werden sich seiner annehmen. Wichtig ist nur, dass wir meine Enkelin gefunden haben!“
Nach diesen Worten lächelte er Ellie an, als wolle er sich für die Unterbrechung durch seinen Vertrauten entschuldigen.
„Wir lassen ihn auf keinen Fall zurück“, polterte Ellie los. „Es ist egal, was er in der Vergangenheit gewesen sein mag. Er hat mir mehr als einmal das Leben gerettet. Wer wäre ich, wenn ich nicht auch alles versuchen würde, um seines zu retten?“
Die junge Frau schob sich an Rothenschild vorbei, der ihr mit versteinerter Miene nachsah. Offensichtlich war es nicht gewohnt, dass ihm jemand widersprach. Ellie störte sich nicht daran. Für sie zählte im Augenblick nur Espens Gesundheit. Dicht neben Horace Finton ging sie in die Hocke.
„Was können wir tun?“ Ihre Stimme zitterte leicht. Sie fürchtete sich vor Fintons Antwort und fühlte, wie sich ihre Kehle zuschnürte.
Der kleine Mann blickte sie an. Sein Gesicht war schmutzig, seine sonderbare Brille beschädigt und die Augen müde. Die Selbstsicherheit, die er bei ihrer ersten Begegnung ausgestrahlt hatte, war verflogen.
Finton räusperte sich. „Nun“, sagte er, „er hat viel Blut verloren. Ich weiß nicht, wie lange er noch ohne Versorgung durchhält. Vielleicht ein paar Stunden.“
„Können wir nichts tun?“ Ellie sah den kleinen Mann nur noch durch einen verschwommenen Schleier.
„Wir müssten ihn schnell irgendwohin bringen, wo es steriles Verbandszeug und Arznei gibt. Mit den geeigneten Mitteln könnte ich seine Wunden versorgen und die Blutung stillen.“
„Bringen wir ihn nach Kesselberg!“ Der Kanzler hatte sich lautlos genähert. „Es ist der im Augenblick einzig sichere Ort in Iphosia!“
Kesselberg ist die falsche Richtung , dachte Ellie. Wenn sie sich nicht täuschte, lag es im Osten. Der Ort, zu dem Espen sie bringen wollte, war aber im Süden. Doch habe ich eine Wahl? Kann ich dem Kanzler vertrauen?
Wie sie es auch drehte und wendete, ihre Gedanken kehrten immer wieder zu Espen zurück. Ihr blieb keine andere Möglichkeit: sie mussten es versuchen.
Sie drehte sich um und blickte Darkus Rothenschild in die Augen, als hoffte sie dort die richtigen Antworten auf ihre Fragen zu finden. Aber sie fand keine.
„Lasst ihn uns nach Kesselberg bringen“, beschloss sie und war sich keineswegs sicher, damit die richtige Entscheidung zu treffen ...