38. ELLIE
Nur dumpfe Geräusche drangen an Ellies Ohr, alles um sie herum schien in Zeitlupe zu laufen. Sie starrte wie gebannt an die Stelle, an der eben noch Telen gestanden hatte. Es schien, als könne sie nicht begreifen, was sie da eben gesehen hatte. Warum sollte sie auch. Schließlich war es vollkommen abwegig. Warum sollte Espen Telen töten? Es gab keinen Grund dafür.
Langsam drehte Ellie den Kopf und sah Anna, die tränenüberströmt auf dem Boden kniete. Dicht neben ihrer Schwester stand Espen, das Buch mit der rechten Hand umklammert. 
Ellie presste die Lider aufeinander, sie spürte Tränen aufsteigen und öffnete die Augen wieder. Ein Teil von ihr hoffte, dass Telen wieder dort bei ihnen stehen würde, aber das tat sie nicht.
Annas Schluchzen war das erste, was Ellie wieder hörte. 
„Espen, was hast du getan?“ Ellies Blick war nun wieder ganz klar und sie schaute den Mann, dem sie doch so sehr vertraute, fassungslos an. Espen starrte in die Weite. Sein markanter Unterkiefer trat ein wenig hervor, man sah förmlich seine Anspannung. Langsam drehte er den Kopf und blickte Ellie so kalt an, dass sie erschreckte.
„Komm zu mir, Anna“, wies sie ihre kleine Schwester an. „Hörst du nicht? Komm weg von ihm!“
Harsch packte Ellie Anna am Arm und zog das Mädchen hinter sich.
„Was ist los mit dir, Espen?“
Wieder erhielt sie keine Antwort. Espens Augen ruhten auf Ellies Gesicht, ihr Ausdruck erlangte Wärme zurück. Ellie schluckte und trat einen Schritt auf ihn zu. Sie streckte ihren Arm nach ihm aus, doch bevor sie ihn berühren konnte, wich er zur Seite.
„Nicht“, zischte er.
Ellie zuckte zurück.
„Ich frage dich noch einmal: Was ist los mit dir? Warum hast du das getan?“, fragte Ellie mit fester Stimme. Sie war selbst überrascht, dass ihrer Stimme kein Zittern zu entnehmen war. „Antworte mir!“
Espen lachte bitter.
„Ich habe dich gesehen, Ellie. Ich wollte gestern zu dir gehen und mit dir reden. Ich wollte dir etwas sagen und meinen, vielleicht letzten Abend in diesem Leben mit dir verbringen.“ Sein Blick wanderte wieder in die Ferne, während er sprach. „Eine Weile stand ich unten und habe dich beobachtet. Ich konnte meinen Blick nicht abwenden, als du draußen auf der Terrasse an der Brüstung standst. Du warst so schön und wirktest so zerbrechlich. Ich wollte nur zu dir. Ich wollte für dich da sein.“ 
„Espen …“
„Lass mich ausreden, Ellie! Wenn du wirklich wissen willst, was mit mir los ist, dann lass mich ausreden.“
Ellie nickte und Espen fuhr mit düsteren Klang in der Stimme fort: „Dann sah ich ihn. Er war an deiner Seite. Nicht ich. Er war dort, wo ich hätte sein sollen. Er hat dich mir weggenommen, Ellie. Und du hast es zugelassen.“
„Espen, ich verstehe nicht was Du sagen willst. Du weißt doch, dass ich Kellan liebe. Du wolltest mir sogar helfen, ihn zu finden. Ich weiß nicht, was Du mir sagen willst.“
Erneut drang ein bitteres Lachen aus Espens Kehle, sein Blick war voller Schmerz, als er Ellie in die Augen sah. „Vielleicht liebst du ihn, aber ich liebe dich. Siehst du das denn nicht? Ich hätte alles für dich getan, ich hätte dich zu meiner Königin gemacht. Aber du lässt mich allein, du lässt mir keine andere Wahl.“
„Espen …“, versuchte Ellie erneut ihn zu erreichen. Doch der Schattenkrieger wandte sich von ihr ab. Wenige Schritte brachten ihn zur Brüstung. Er drehte sich noch einmal um und ließ sich fallen.
„Nein!“ Ellie stürmte auf den Balkon, packte die hölzerne Balustrade und blickte suchend in die Tiefe. Unten erkannte sie Trane Saiz, der Telens Kopf auf seinem Schoß bettete. Doch von Espen fehlte jede Spur.