Tausende werden heute künstlich beatmet. Aber heißt das, daß niemand Hauch genug besäße, um ein Wort in die Sage zu führen? Die Sagen, die der Erde sich entfernen/Vom Geiste, der gewesen ist und wiederkehret. Hölderlin, Herbst.
Es ist nicht die Zeit für große Entwürfe; es ist die Zeit für das Verwerfen großer Entwürfe.
Ein Buch möge dachbildend wirken. Ein stabiler, nach beiden Seiten wasserabführender Einband bietet Schutz und Unterschlupf dem lesenden Kopf.
Schirmung, Schirmung — am Ende mochte sie nur noch unter Schwibbögen und Toreingängen verweilen.
Erinnerungen blieben nicht in ihrem Besitz, sondern wichen in einem steten Verrinnen von ihr. Tauchten nie ein zweites Mal auf, waren so unwiederbringlich wie die Tage, die Orte, die Menschen, denen sie galten. Blühzeit, sie gab es, als Gleichnis, Chiffre und Sage sich reichlich verbreiteten über Meere, Länder, Gärten, Liebesakte und selbst die Geschichte. Das war Blühzeit: zu wissen, daß kein Name auf Erden genügt, daß alles umbenannt werden will, daß Küsse nur Asche und Gärten nur Wüste sind.
Alles umbenennen!
Ich habe geschrieben rein aus Metaphernlust.
(Doch vieles ließest du in der Bosse stehen! Es blieb beim roh behauenen Satz.)
Chiffren, die Asyl gewähren den vor Kommunikation geflohenen Worten.
Glaubwürdig werden irgendwann am ehesten die Schreie aus den Klüften und Schluchten sein, aus denen die Abgestürzten der Sprache um die Hilfe der Worte flehen. Unartikuliertes ausstoßen, Unpassendes brüllen, aus Spalten und Rissen nur noch Getön.
Ein Hügel Abraum unter buckliger Plane. Hier lagern in Unordnung entsorgte Gleichnisse, auch die für sinnliche Freuden, aus der Mode gekommene Sinnbilder für das Liebes-Drunter-und-Drüber.
Meergott, farbloser Riese, der mit beißender Woge den Schlaf überfällt. Schläferin halbseitig schon Flut.
Aufflattern am Morgen, als sinke ein Vogelnetz (Träumefangnetz) über die Erwachende und sie sei im letzten Moment noch entflohen, aufgestiegen wie die Lerche hoch in die klare Verzweiflung.
Und wenn die Tage später eingeschränkt, dann gehen wir beide vom Haus beiseite in den kleinen Park und machen eine baumergebene Figur. Dann werden wir vielleicht zwei Buchen einverleibt, werden umgestaltet und verwandelt vom Herrn der Chiffren und Symbole.
Natürlich gab es auch seine Erregung, gab es seinen Zorn, seine Fassungslosigkeit. Er zuerst verkündete das Ende der Gemeinsamkeit, wie es seinem Plan entsprach. Er selbst wie am Boden zerstört, er spielte die Schmerzen nicht, täuschte zwar, aber täuschte nichts vor, sondern war es wirklich, war es noch einmal: ganz der Meine.
Doch das Andenken, das er hinterließ, es glich einem Amulett aus leicht oxydiertem, von Trübsinn geschwärztem Hochzeitssilber, und es diente mir erfolgreich zur Abwehr jeder trügerischen Erinnerung an den Mann.
Un cœur perfide. Der Mann mit dem schlechten Charakter.
Ich höre mich sagen: Komm her
und deck mich zu.
Neben mir dein Bett steht lange leer,
doch gibt es oft von deiner Stimme Widerhall.
Das leere Bett ist selbst mein nächtlicher
und schon mein halb umnachteter Gemahl,
wie’s deine Rufe wiederholt, die Fragen und das zähe Ja.
Ich finde keine bessere Verwendung der seltsamen Floskel »nicht enden wollend« als für das Zwiegespräch.
Es hat mich auch an den flüchtigen Flüchtling gefesselt, mit dem es über Tage nicht enden wollte.
Zwei, die miteinander sprechen, weben und weben. »Man weiß nicht recht, worum es uns eigentlich geht? Worum ging es uns?« Nur darum vielleicht, ein unzerreißbares Textil herzustellen aus Worten zwischen dir und mir?
Sicher ist das Maß meiner Unwissenheit, des Mangels an Sachkenntnis auf fast jedem Gebiet an dem übertriebenen Drängen schuld, immerzu irgendetwas zu ermitteln im Gespräch. Er sagte wer-weiß-wie-oft: »Ich komme gleich darauf zu sprechen«, wenn ich wieder einmal mit einer Frage vorschnellte und ihm ins Wort fiel.
Man muß einmal das feinere Machwerk solcher Unterhaltung untersuchen — die verfängliche Beiläufigkeit gewisser Bemerkungen, die Frage der Zerstreutheit, den Riß des Aussetzens, das Verlieren des Gedankens, die Hoffnung, glaubwürdig zu sprechen, die schwindende Hoffnung … die Versuchung, völlig unzusammenhängend daherzureden … das Bestreben, einen ungeahnten Zusammenhang mit plötzlich gelöster Zunge aufzudecken, Erstaunen und Bedauern im fliegenden Wechsel, erregt zu sein und im nächsten Augenblick vollkommen ermattet.
»Ich liebe deinen gereizten Ton!«, sagte mein gnädiger Ungeduldiger, der dem zerlaufenden Inhalt meiner Rede nicht länger folgte, aber die wohltuenden »Kraftvektoren« spürte, die ausgefallenen Wörter genoß … »Wie wir miteinander reden! Nein, man höre sich das an, wie wir miteinander reden!«
Ab und an kam Genugtuung auf, die die Sehnsucht durchbohrt. Die den Traumstein zertrümmert, den wir gewöhnlich versuchten über den First des Tags zu rollen. Genugtuung, die alles Widrige zu feinem Gries zerrieb. Schwebgut Zufriedenheit, das dich umkreist und abschirmt gegen jedes Verlangen, jede Herausforderung.
Sollte ich je eine Geschichte erzählen, sie verlöre sich in einem fortwährenden Stimmungswechsel, und dieser Wechsel wäre das letzte, was sich noch bewegte im Stillstand des Vermissens. Schmerz und Verbitterung, Fluch und Zorn, Sehnsucht und Enttäuschung, Begehren und Aufbegehren.
Gleichwohl schlösse ich mit einer Art happy end. Zwei halb voneinander Abgewandte, sie und er, die das Bedürfnis verbindet, gemeinsam unschlüssig zu sein und zu bleiben. Die dabei seitlich aus dem Fenster sehen, um nichts zu sehen, nur damit der Blick ein wenig Auslauf hat. Aber mit wem wäre das möglich? Wieviele habe ich versucht, zur Unschlüssigkeit zu verführen! Am Ende faßten alle irgendeinen Beschluß.
Ach, daß man mir erzählte, einer Vergeßlichen, wie ich war, als ich drinnen war in dichter Schrift, und mit ihnen, den Tänzern, den Worten … Ich habe mit den Lippen die Säume fremder Menschen berührt, wenn ich sprach, nicht mehr, nicht weniger. Ich konnte mich ihnen nicht anders verständlich machen. Ich wollte ihre Gegenwart ehren und benutzte ungewohnte Worte. Aber daß etwas Unverständliches ihnen so nahe kam, ließ sie schnell zurückweichen.