Nun geht sie, zündelrote Lacktropfen fallen von den gespreizten Fingern. Quasten mit Puder glühen auf den Fliesen.
Sie fürchtet, wo immer sie geht und steht, mit ihren Kleidern Feuer zu fangen.
»Es sind überall Leute unterwegs, die einen anzünden wollen.«
Kythera und Toteninsel
sowie der Charme einer milden Verwechslung von beiden.
Denn hier wie dort sah man auf den Himmel herab.
Zurückgeblieben allein auf Aphrodites Eiland, im Exil der verzauberten Sprache, die all den Badeschaumgeborenen widerlich sein muß, weil sie nur ein elitäres Gezücht erkennen, das den Anspruch des Unmitteilbaren erhebt.
Der männliche Mann, dem eine Frau im Vorübergehen das sexuelle Etwas von der Stirn wischt.
Sie empfindet ein Unwohlsein nicht ihres Körpers, sondern ein Unwohlsein ihres Charakters. Das ist wie der Leerschlag, den seines Glückes Schmied setzt zwischen zwei Schlägen, die das Werkstück formen.
Nur Sprache, die glüht, kann geschmiedet werden.
Meine Nabelschau betrachtet den bräunlichen Abschlußwirbel der seligen Unselbständigkeit. Ein Knoten, der die Seele daran hindert, auszubrechen in ein unbelebtes Gelände.
Leide und meide. Im Vermeiden eine Championikin. Ich habe mehr sein gelassen als ein Ungeborenes.
Der erste, zufällige Drang zu schreiten schafft eine innere Einrichtung, die den Drang zu schreiten in Abständen erneuert. Wir schreiten einen Kreis aus und haben bereits einen Regelkreis geschaffen, ein Steuerteil, das von Mal zu Mal das Bedürfnis weckt, im Kreis zu gehen.
Gäbe es unter den Worten eines, das wie die Rose wär unter den Blumen, so stünde beherzt alles Drumherumreden still.
Augenblicke von Allentfallenheit, absolute Entbilderung, gestohlene Herzensgüte, geplünderter Brustkorb.
Geh auf jeden, der dir gefällt, so zu, als hättest du ihn mit einem Bekannten verwechselt. Gewinne ihn dir mit Hilfe der Aufklärung des Irrtums.
Ich denke oft, wie es ist, mitten auf der Straße geohrfeigt zu werden. Sei es, daß mich jemand verwechselt, sei es, daß er mich erkannte. Dieses plötzliche aus der Blickbahn Gehauenwerden des Kopfs, wenn die schlagende Hand auf die Wange trifft. Diese Wucht eines jähen Erduldens beschäftigt mich mehr als jedes andere Vorausgefühl.
Das große und schlimme Vielleicht. Vielleicht habe ich mal mit diesem Mann zu Abend gegessen. Ich kannte ihn. Vielleicht nur mit ihm gesprochen? Der Mann ist mir bekannt. Ich seh ihn vor mir. Aber stand er je vor mir? Vielleicht kannte ich ihn nur vom Hörensagen. Aber vom Hörensagen kenn ich ihn so gut, daß ich mir einbilde, ich hätte mal mit ihm zu Abend gegessen.
Es gelingt nicht, neben Warten und Suche ein drittes Existenzial zu finden. Also schrieb ich in der Einleitung zu Gertrud Vormwegs (meinen) Regen-Gedichten:
»Es gibt das Warten und es gibt die Suche. Anders kann sich der Mensch nicht zu seinem Raum verhalten. Entweder er bleibt an seinem Ort und wartet, bis alles vorüber ist. Oder er geht hinaus und sucht, bis alles verschwunden ist.«
Tatsächlich herrscht im UNTEREN Saal die reine Finsternis. Nur SIE mit dem mondweiß leuchtenden Schlüsselbein erhellt die gästeleere Tafel mit hundert halb abgegessenen Tellern.
Sie sagt: »In aller Verschwinden — ich.«
Die Sieben Zurschaustellungen ihrer Blöße: die volle Lippe, die schlanken Hände, die starken Brüste, die leichte Hüfte, der runde Hintern, die empfindliche Grotte, die langen Beine. Und morgen: die schlechten Zähne, die gichtigen Finger, die entmutigten Brüste, die spitzen Beckenknochen, die trockene Grotte, die Schenkeldellen, die Wasserbeine.
Alle Probleme zu früh gelöst. Man hätte sich bei jeder Angelegenheit, die sich aufdrängte, die nach Urteil und Lösung rief, viel länger aufhalten müssen. Man hätte viel länger unschlüssig bleiben sollen! Man hätte das an ihr Unbegreifliche entdecken und nicht gleich abweisen sollen.
Wer war man denn groß? Eine Tauschhändlerin von Erwartung in Erinnerung. Nur ein Umschlagplatz von zweierlei unerfüllter Zeit.
Das Maß seiner Taille bewahrt mein Arm, der sie fest umschloß. Das Nie-Wieder ist sicher verzehrender als das Noch-Nicht, an das ich meine Jugend vergab. Der ist es noch nicht, den ich suche, hieß es da über einen nach dem anderen. Aber der nun fortging, der war es, den ich suchte.
Ein wenig tiefer zurückgekehrt als nur von nebenan, steht sie vor der verlassenen Couch, der unbegreiflichen. Sie überblickt das Möbel in ganzer Länge, von links nach rechts, die leere Fläche. Von der Kälte seiner Abwesenheit beschlägt die Pupille. Als sie sieht, daß die Kuhle auf dem weichen Leder gut erhalten blieb, nach Wochen noch, durchzuckt es ihren Leib, der eben noch, dort, eben noch den Mann ins Polster drückte. Und wiederum ermißt sie ihrer beider Verschwundensein, nochmals von links nach rechts es überblickend. Wie ein Rind auf abgegraster Weide steht sie nichts begreifend vor der leeren Raufe.
Als sie von ihren Qualen einer fremden Frau erzählte, antwortete die: »Aber meine Qualen erreichst du nicht. So schön ich bin — und dann das …« Sie öffnete ihre Lippen, und eine überlange Zunge rutschte heraus. Hinter dem eigentlichen Zungenkörper befand sich ein muskulöser Fleischstrang und schob den ganzen Lecker, wie es in der Jägersprache heißt, bis tief unters Kinn herab.
Darauf Elissa, als ob sie den realen Schreckensanblick mit der Vision eines noch größeren Schreckens überbieten wollte:
»Wir leben stürzend. Umstürzend, tief hinabstürzend, grundstürzend. Weißt du das?! Wir tun einen Sturz unser Lebtag. Es ist Sturz, nichts als Sturz, wie wir hier stehen und gehen. Verstehst du? Ich will sagen: Egal, ob einer sitzt, steht oder sich paart, wir sehen ihn in jeder Haltung kopfüber in die Tiefe sausen. Sausesturz, Atemsturz, Niederfahrt, Nacht und Nieder, tief unten, Finsternis, bis auf ein sachtes Grubenlicht.«
»Es geht nicht wieder aufwärts, sondern geradewegs in die Tiefe?«
»Du verstehst mich. Es geht niemals vorwärts, es geht nicht geradeaus, nicht aufwärts, sondern abwärts.«
»Das ist eine Vision.«
»Sehr gut. Du verstehst mich.«