Kapitel

Gregor

PUZZLENÄCHTE

am besten, wenn dein Puzzle die Farbe von Kaugummi hat

Ich lachte die ganze Zeit.

Zu meiner Verteidigung: Alle im Studio 69 lachten.

»Hier mein Witz der Extraklasse: Was läuft in der Dämmerung durch den verschneiten Winterwald und singt Summertime Sadness ?«, fragte die Frau mit dem kahl geschorenen Kopf, während sie auf der improvisierten Bühne beschienen wurde. »Na? Keine Antwort? Mensch, Lana del Reh natürlich!«

Das Publikum prustete los.

»Gott«, murmelte Lucy neben mir, während sie an ihrem Strohhalm zog. »Es ist so grottig, dass es gut ist.«

Offensichtlich war es absichtlich schlecht. Sausaltio Sandy war die letzte Comedian des Abends.

Jepp, Lucy hatte mich zu einem Comedyabend geschleppt. Irgendwie wollte ich schon immer mal zu einem gehen. Manda hatte sogar mal die Schnapsidee, auch aufzutreten. Hat sie natürlich wieder verworfen. Jedenfalls habe ich vorhin im Zug Werbung dafür gesehen und … ja, wieso nicht? Ich glaube, es könnte cool werden. Und eine Ablenkung. Was sagst du?

Natürlich hatte ich Ja gesagt. Und ich hatte es keine Sekunde bereut. Selbst als die Show vorbei war und ich immer noch nicht wusste, was zur Hölle ich soeben erlebt hatte. Aber es spielte sowieso keine Rolle, weil Lucys Hand meine immer wieder berührt hatte und mein gesamter Körper kribbelte.

Als sie mich jetzt aus dem Lokal zog, während einige Gäste immer noch angetrunken applaudierten, war alles irgendwie gut.

»Und, Beck ?« Herausfordernd wackelte sie mit den Brauen. »Bist du bereit für den nächsten Punkt auf meiner Vergessen-Liste?«

»Sag mir, Wagner , was steht als Nächstes auf deiner Liste, von der ich nicht mal wusste, dass du sie gemacht hast?«

»Komm schon. Ich bin Lucy. Listen fertige ich wortwörtlich im Schlaf an.« Sie nickte nach links. »Wir müssen in diese Richtung. Und dann wahrscheinlich zu dir, weil deine Wohnung näher ist und ich keine Lust habe, mir weiterhin den Arsch abzufrieren. Und dann …« Plötzlich rissen ihre Augen auf. »Oh Gott, habe ich mich gerade selbst eingeladen?«

»Lucy, du kannst dich immer bei mir einladen.« Die Ernsthaftigkeit in meiner Stimme stand so dezibellaut zwischen uns, dass Lucy mich nur schweigend vom Lokal wegführen konnte.

»Wir brauchen zwei Sachen«, sagte sie wenig später, als wir die Schiebetüren eines großen Supermarkts passierten. Sie hob einen Zeigefinger. »Erstens: Giotto Zimtstern.« Nun nahm sie auch den Mittelfinger dazu. »Und ein Puzzle.«

»Ein Puzzle?«

»Hey!« Sie klopfte mir gegen die Schulter. »Es wird nicht gelacht. Und ja, wir müssen uns ein Puzzle aussuchen. Ich wollte es mal ausprobieren. Es soll entspannen.«

»Liebe Kunden, es ist einundzwanzig Uhr fünfundfünfzig. Unsere Filiale schließt in wenigen Minuten. Bitte begeben Sie sich zur Kasse.«

»Dann hoffen wir mal, dass wir unter Druck motivtechnisch gute Entscheidungen fällen.« Wie Kinder rannten wir los und … entschieden uns für das beschissenste Motiv überhaupt. Das Puzzle besaß fünfhundert Teile, war reduziert und Hubba-Bubba-Kaugummiverpackung-grellpink. An der Kasse waren wir die Letzten. Sobald wir aus der Tür getreten waren, Lucy mit den weihnachtlichen Giotto und ich mit dem fucking Puzzle unter dem Arm, begann es zu nieseln.

»Mama?«, fragte ein Kind hoffnungsvoll. »Ist das endlich Schnee?«

»Nein, Schatz. Dafür ist es noch zu warm.«

Und es war warm. Auf dem gesamten Weg zu meiner Wohnung, an roten Ampeln, als wir diesen Zebrastreifen überquerten und ich ihre Hand nehmen wollte, mich jedoch nicht traute. In meinem Treppenhaus angekommen wurde es nur noch schlimmer. Kaum mehr auszuhalten war es, als wir schließlich eintraten. Auch hier steuerten wir die Küche an, wo ich hastig meinen Laptop vom Tisch nahm. Lucys Blick brannte dabei in meinem Rücken.

Einbildung, Beck. Du überdramatisierst, weil du das nicht in deinem Manuskript hinbekommst. Das nennt sich Kompensation.

Allerdings hatte die Stimme unrecht. Denn gerade, als ich das Gerät weglegen wollte, hörte ich Lucy.

»Du schuldest mir immer noch dein Manuskript.«

»W…was?« Langsam drehte ich mich um, während mein Puls raste.

»Wieso guckst du denn so erschrocken?« Glucksend vergrub Lucy die Hände in den Pulloverärmeln. »Wir haben darüber geredet, weißt du nicht mehr? Du schickst mir einen von deinen Werkstatttexten, wenn ich dir das Porträt von Emma zum Testlesen gebe. Du hast es sogar letzte Woche vorgeschlagen. Schon vergessen?« Sie legte den Kopf schief.

»Oder warte«, sagte sie, bevor ich etwas erwidern konnte. »Lass es uns jetzt gleich machen.« Sie fischte ihr Handy aus der Tasche und tippte ein paarmal darauf herum. »Okay, fertig. Jetzt du. Schick mir was von dir.« Euphorisch nickte sie zu meinem Laptop.

Nervös begann ich, mit dem rechten Fuß auf den Boden zu klopfen, bevor ich den Laptop zögerlich hochfuhr und wahllos ein Doc anklickte, das ich für die letzte Textwerkstatt abgegeben hatte.

In der Zwischenzeit hatte Lucy damit begonnen, die Mengen an Proteinpulver und Supplements auf meiner Fensterbank zu mustern. »Krass«, kommentierte sie. »Du könntest ja einen eigenen Laden damit aufmachen.«

»Ach was, das ist nichts«, erklärte ich, während ich mit zitternden Fingern nebenbei auf Senden und anschließend auf Herunterfahren klickte. »Das meiste davon geht viel zu schnell leer. Vor allem Isoclear, das dann wiederum ständig ausverkauft ist.«

»Isoclear?«

»Ist so was wie ein Proteinshake, nur in der Eisteeversion. Schmeckt am besten.«

»Du bist richtig drin in diesem Fitnessgame, oder?« Mit geschlitzten Lidern überflog Lucy die Etiketten erneut. »Ist das nicht manchmal anstrengend?«, fragte sie zögerlich. »Die Disziplin? Das Gym? Darauf zu achten, dass du genug Protein zu dir nimmst?«

»Nicht wirklich. Es ist alles automatisiert.«

»Und wieso hast du damit angefangen?« Lucy schluckte, weil ihr klar sein musste, dass es eine riskante Frage war.

Du warst der Grund. Immer nur du. Und ich weiß, du würdest es nicht mögen, das zu hören, weil du mir dann vorwerfen würdest, es wäre ein Filmsatz – was es auch ist. Doch es macht ihn nicht weniger wahr.

Ich wollte kein Lauch mehr sein, für voll und ernst genommen werden.

Ich wollte nicht, dass andere Männer meine Oberarme musterten und mir mit ihrem Blick indirekt mitteilten, dass ich mal ein richtiger Mann werden sollte.

Ich wollte mich selbst weniger hassen.

»Hatte viele Gründe«, fasste ich wahrheitsgemäß zusammen. »Ich war so unsicher damals. Natürlich ist nicht alles plötzlich besser, wenn dein Bizeps endlich vorhanden ist, aber meistens fühle ich mich besser, wenn ich trainiere, und das ist irgendwie die Hauptsache, oder?«

Lucy sagte lange nichts, bevor sie schließlich nickte. »Ja.« Ihr Blick lag nur auf mir. »Das ist die Hauptsache.«

Meine Deckenleuchte war billig und hässlich, doch Lucy sah so wunderschön darunter aus. Meine Finger zuckten. Ich musste etwas anfassen, ich wollte sie berühren, meinte damit nicht ihre Haut, sondern ganz kitschig ihr Herz.

»Also«, sagte ich heiser. »Puzzeln wir jetzt?«

»Klar«, antwortete sie mir. »Mit Fleabag

»Nah«, überraschte ich mich selbst. »Hab eine bessere Idee.«