Kapitel

Gregor

NACH IHR

kein Epilog

Vergiss es. Vergiss es, das klappt nie, Mann.

Meine innere Stimme war nicht pessimistisch, sondern realistisch. Schon heute Nacht, nach der Mail an Lucy, hatte sie dasselbe gesagt. Und dennoch wollte ich nicht aufgeben.

Lucy und ich waren nicht in Berlin, nicht zum ersten Mal verliebt. Das hier war das zweite Mal und ich würde verdammt noch mal nicht dieselben Fehler begehen.

Genau das war der Grund, wieso ich gerade über den Campus streifte. Ich wollte sie nicht nur finden. Nein, ich wollte das Gespräch suchen, offen kommunizieren und mich entschuldigen. Menschlich und gleichzeitig erwachsen sein, indem ich meine Fehler darlegte und zu ihnen stand. Das Gegenteil von toxisch sein.

Fuck, auf keinen Fall wollte ich toxisch sein.

Zitternd vergrub ich die Hände in den Jackentaschen und blinzelte dabei dem Himmel entgegen.

Lieber Gott, ich glaube, ich glaube nicht an dich, aber bitte, bitte, bitte, bitte lass mich nicht toxisch sein.

Keine zehn Minuten später fand ich Lucy dort, wo ich sie vermutet hatte. Über den Bib-Tisch gebeugt, in schwarzen Stiefeln und einem Rollkragenpullover. Mit einem Kloß im Hals trat ich auf sie zu. Natürlich spürte ich diesen unsicheren Teenagerteil in mir, der weglaufen wollte, mir sagte, dass ich so was nicht auf die Kette bekam und sowieso alles im Arsch war. Doch ich schob ihn entschlossen zur Seite. Also blieb ich vor Lucy stehen und räusperte mich heiser.

Noch bevor ich den Mund aufmachte, erstarrte sie allerdings in ihrem Tippen. Ihre Hände ballten Fäuste.

»Wir müssen reden«, flüsterte sie und es war keine Frage, sondern eine leise Aufforderung. Lautlos schob sie den Stuhl zurück und erhob sich.

Was in der Bib sonst noch los war? Keine Ahnung. Ich hätte die Umgebung nicht einmal dann beschreiben können, wenn Hartmann und Krüger mich mit meinem Projekt unter Vertrag genommen hätte. Keinen Schimmer, wer panisch nach Sekundärliteratur suchte, kurz bevor es über die Weihnachtstage zurück nach Hause ging. Keinen Schimmer, wer auf den letzten Metern wieder einmal gekonnt prokrastinierte. Ich wusste nur, dass Lucy und ich plötzlich draußen standen, wo sie sich selbst umarmte. Wie vor wenigen Stunden erst in meiner Küche. Wind peitschte ihr Haar nach hinten, als sie plötzlich begann.

»Ich will das nicht.«

»W…was?«

Der Unterschied unserer Stimmlagen war überdeutlich. Sie klang gefasst, ich klang getroffen.

»Ich will nicht, dass du mir Fragen auf Liebe Lucy stellst. Ich will deine Erklärungen nicht, weil ich gestern eine gewollt hatte und du sie mir nicht geben konntest. Schon wieder. Mal wieder. Ich sage nicht, dass du dich nicht verändert hast. Und ganz ehrlich, Gregor? Ich will auch kein Drama. Ich will nicht ausrasten, dir eine Szene machen, dass du mit einer großen Geste ankommst und um Verzeihung bettelst. Ich …« Ihre Stimme brach, doch als sie die Lider aufschlug, war ihr Blick klar. Wach. Entschlossen. Sie sah mich an und blinzelte nicht einmal. Lucy war vorbereitet. Als hätte sie das hier im Kopf geübt. Und zwar nicht nur einmal. »Ich bin so müde hiervon.« Trocken lachte sie auf. »Ich weiß, dass ich nicht perfekt bin. Ich meine, mein Themesong ist this is me trying . Aber ich werde nicht, wie sonst immer, den Fehler bei mir suchen. Kannst du nicht verstehen, wieso ich mich fühle, wie ich mich fühle? Nach allem? Nachdem ich dir eine zweite Chance gegeben habe?«

Ihre Worte waren glatt und simpel, doch sie bohrten sich direkt in mein Herz. Ich spürte es schlagen, aber es konnte nicht schlagen.

Denn es brach ein bisschen.

»Natürlich«, erwiderte ich leise.

Dabei lag mein Blick nur auf ihren Augen, glasig und grau. Hinter meinen eigenen brannte es.

»Gut, dann möchte ich, dass du meine Grenzen respektierst. Ich möchte keine Nachrichten von dir. Ich möchte Abstand und meine damit nicht Pause. Ich wollte dich.« Ihre Finger verkrampften, während sie einen bestimmten Atemzug freiließ. »Ich wollte dich so sehr, Gregor.«

Ich wollte dich so sehr, Gregor.

Jedes Wort sprach sie einzeln aus, jede Silbe betonte sie.

In meinen Ohren begann es laut zu piepen. Auf meiner Zunge brannten Worte, denn ich hatte noch so viel zu sagen.

Ich will nicht, dass wir den Bach runtergehen. Ich kann uns retten. Glaub mir, Lucy. Glaub mir, ich kann das, weil ich noch nie etwas so sehr wollte wie dich und weil ich dich nicht gehen lassen werde. Nicht noch einmal.

Doch sie sah nach links, zurück zur Bib, als wäre sie hier schon lange fertig. Lucy wollte nicht bleiben. Sie wollte weg.

Lucy wollte immer noch Abstand und sie wollte, dass ich ihre Grenzen respektierte.

Also betrachtete ich sie, ein letztes Mal. Ein allerallerletztes Mal, so wie man etwas betrachtete, von dem man befürchtete, dass es einen noch Jahre später heimsuchen würde.

Ich wusste, es war vorbei.

»Abstand«, sagte ich also. »Wenn es das ist, was du willst.«

Das war eine Arschlochmasche, ich wusste es. Wieso tat ich so, als könnte sie ihre Meinung noch ändern?

Weil du das willst, weil du sie liebst.

»Ja«, erwiderte Lucy. »Ich will das.«

Sie atmete aus und ihre Schultern sackten in sich zusammen, doch sie wirkte nicht klein. Lucy war bloß müde. Als hätte sie das hier schon einmal erlebt. Die Erkenntnis darüber brachte meine Hände zum Beben. Ich brauchte Halt, wollte mich an etwas klammern, doch da war bloß ich.

»Okay«, sagte ich trotzdem.

»Gut«, flüsterte Lucy, obwohl rein gar nichts gut war.

Sie drehte sich um und steuerte den Eingang an, bis sie wider Erwarten plötzlich innehielt.

»Ach, Gregor?« Sie griff schon nach der Türklinke, als sie sich noch einmal an mich wandte. »Wegen dem Podcast können wir ja dann einfach im nächsten Jahr reden.«

Natürlich sprach sie den Podcast an. Immerhin war das hier kein tragisches Ende, selbst wenn mein Kopf es zu einem romantisierte.

Es war einfach nur ein Nach ihr , so war das nämlich als echter Mensch ohne Epilog.