20
Svantje wälzte sich unruhig hin und her. Im Halbschlaf streckte sie den Arm aus und fand die andere Seite des Bettes kalt und leer. »Friedrich?«, murmelte sie.
Es kam keine Antwort. Sie war mit einem Schlag wach. Draußen war es stockfinster. Also musste es nach Mitternacht sein. Svantje setzte sich auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen und tappte barfuß die Treppe hinunter, in der Hoffnung, Friedrich mit einigen Papieren beschäftigt in der Stube anzutreffen.
In letzter Zeit brachte er häufig Arbeit mit nach Hause, um bis zur späten Stunde darüber zu brüten. Doch sein angestammter Platz auf der Récamiere war verwaist.
Mit wachsender Unruhe lief Svantje in den Flur. Hut und Schuhe waren nicht da. Friedrich war nicht heimgekommen.
Ihr wurde die Kehle eng. Plötzlich war die Angst da und heftete sich wie mit Klauen an sie. Svantje versuchte, ruhig zu bleiben. Vielleicht hatte er über seiner Arbeit die Zeit vergessen, vielleicht war er eingeschlafen, wie es ihm zu Hause hin und wieder passierte.
Aber nein, tief in ihrem Inneren wusste sie, dass etwas geschehen sein musste. Sie eilte zurück ins Schlafzimmer und zog sich hastig an, dann war sie auch schon im Hof und warf einen Blick in den Stall. Pferd und Wagen fehlten, das gab ihr Gewissheit.
Unschlüssig sah sie sich um. Friedrich besaß ein Fahrrad, auf dem auch sie hin und wieder im Garten geübt hatte. Es war eine wackelige Angelegenheit, die sie eigentlich niemals in der Öffentlichkeit hatte ausprobieren wollen, doch es war schneller, als wenn sie zu Fuß ging.
Svantje hängte ihre Schwesterntasche um, dann schob sie das Rad durch das Hoftor. Umständlich steckte sie ihren Rock auf, wie sie es bei ihrer Freundin Hilde gesehen hatte, die regelmäßig fuhr, dann stieg sie in die Pedale. Wackelig ging es über Kopfsteinpflaster, doch bald hatte sie sich an das Gefühl gewöhnt. Schneller, immer schneller fuhr sie in Richtung Hafen.
Die Straßen waren wie ausgestorben, nur in dem ein oder anderen Gasthof brannte noch Licht. Ratten suchten in den Rinnsteinen nach Fressbarem, belauert von großen, räudigen Straßenkatzen.
Schon von Weitem erkannte sie den Einspänner vor dem Gebäude. Die Stute döste mit angezogenem Bein. Friedrich hatte ihr einen Hafersack umgebunden, der ihr nun leer gefressen ums Maul baumelte.
Erst aus der Nähe sah Svantje, dass die Stute nass geschwitzt war. Weißer Schaum stand unter den Gurten, und Schleifspuren im Lehm der Straße zeigten, dass Hasel die Kutsche trotz angezogener Bremse mehrere Meter vorwärtsgezerrt hatte. Der festgestampfte Grund war von den Hufen aufgewühlt. Etwas musste der Stute große Angst gemacht haben, doch nun war die Gefahr vorbei.
»Du pass auf«, flüsterte Svantje und strich dem Tier über die Stirn, dann schob sie ihr Fahrrad zum Eingang und trug es die drei Stufen hinauf, wo sie es in einem kurzen Flur abstellte. Ihr Herz klopfte, als wollte es ihr aus der Brust springen, ganz fest und hart und schmerzhaft.
Die Bürotür war nur angelehnt.
Das war nicht richtig. Kalter Schweiß bildete sich in ihrem Nacken, dazu gesellte sich das Gefühl, beobachtet zu werden. Hektisch blickte sie sich um, doch die Straße war bis auf das Fuhrwerk verlassen.
Vorsichtig schob sie die Tür auf. Es sah aus, als habe ein Wirbelsturm zwischen den Schreibtischen gewütet. Der Gestank von Lampenöl und Rauch lag in der Luft. Jemand hatte versucht, einen Stapel Papier in Brand zu setzen, vermutlich um das gesamte Gebäude abzubrennen, doch es hatte nicht gereicht. Bis auf einige Dokumente war dem Brand nichts zum Opfer gefallen. In dem schweren Perserteppich befand sich ein Loch, durch das der steinerne Fußboden zu sehen war.
»Friedrich?« Svantje eilte zu seinem Schreibtisch. Ihr Mann war nicht da, lag auch nicht dahinter, wie sie erleichtert feststellte. Was aber nur bedeutete, dass er sich woanders befinden musste.
Nun schrie sie seinen Namen, riss Türen auf und blickte in jeden Winkel. Nichts. Er war fort. »Im Lagerhaus!«, sagte sie zu sich selbst. Ihre Stimme hoch, an der Grenze zur Panik.
Sie rannte hinaus und war mit wenigen Schritten im hinteren Bau. Kaffeeduft umfing sie, intensiver noch das Balsaholz. Regalreihen, wohin man schaute, viele Meter hoch, wie ein dunkles Labyrinth.
»Friedrich? Friedrich!« Svantje tastete sich voran und stieß gegen eine Barriere aus Kisten und Säcken, die jemand aus den Regalen gezerrt, zerschlagen und aufgeschnitten hatte. Unter dem Druck ihrer Schuhe zerbrachen Kakaobohnen.
Dies war Falkenberg seniors Reich. Friedrichs Waren lagerten weiter hinten, näher am Fleet, von wo aus die Kähne und Jollen per Kran entladen wurden. Der Mond schien durch eine offen stehende Luke. Sein bläuliches Licht zeigte das gesamte Ausmaß der Verwüstung. Alles war durcheinander, ganze Regale waren umgestürzt. Panisch stieg Svantje darüber hinweg, bahnte sich mühsam den Weg. Dann hörte sie jemanden stöhnen und wusste sofort, dass es Friedrich war.
»Wo bist du?« Verzweifelt rief sie immer wieder seinen Namen, bis sie ihn endlich entdeckte. Er lag unter einem Regal begraben, jeder Balken dicker als ein Männerarm. Nur Kopf und Schultern lugten heraus. Sie roch Blut, viel Blut.
Svantje fiel neben ihm auf die Knie und bedeckte sein Gesicht, das sie im Dunkeln nur schemenhaft erkennen konnte, mit Küssen. »Was ist mit dir …? Du bist eingeklemmt, halte durch, ich hole Hilfe«, presste sie zwischen Tränen hervor.
»Svantje«, stöhnte er. »Keine Hilfe, bleib bei mir, geh nicht!«
»Aber allein schaffe ich es nicht.« Das Regal war gewaltig, dazu kamen noch Kisten und Säcke.
»Ich … ich will nicht allein sterben, bleib bei mir!« Friedrichs Stimme wurde dünn.
Sie hockte sich neben ihn. In ihrer Brust war ein gewaltiger Schmerz. Sie wollte, konnte nicht ohne ihn sein. »Ich lasse es nicht zu, hörst du?«, flüsterte sie.
Sie spürte mehr, als dass sie es sah, wie Friedrich müde lächelte.
»Ich wusste, dass du das sagen würdest, mein stures Mädchen. Aber manchmal kannst auch du nicht jeden retten.« Sein Blick war voller Liebe für sie.
Svantje stieß einen verzweifelten Schrei aus. Sie legte ihre Wange an seine, küsste und herzte ihn. Ihre Knie fühlten sich weich an, als wollten sie, dass sie sich neben ihn legte, und beinahe hätte sie es auch getan.
Doch dann gab sie sich einen Ruck. »Nein, nein, nein! Ich lasse es nicht zu, nicht du!«
Sie stand auf und begann wie von Sinnen Säcke und Kisten zur Seite zu zerren. Manche waren so schwer, dass Svantje sie an anderen Tagen wohl kaum hochbekommen hätte. Doch nun verlieh ihr die Verzweiflung Kräfte, die sie selbst nicht für möglich gehalten hätte.
Schließlich ächzte das Regal, vom Gewicht befreit. Svantje kauerte sich wieder neben Friedrich. Er hatte die Augen geschlossen, öffnete sie aber, sobald sie ihn berührte. »Svantje, da bist du ja«, sagte er schwach. »Ich kann kaum noch atmen.«
»Wo tut es weh?«, fragte sie konzentriert. Sie durfte nun nicht in Panik verfallen. Angst verursachte Fehler, und Fehler konnte sie sich in dieser Situation nicht leisten.
»In der Brust. Vorhin hat auch mein rechtes Bein fürchterlich geschmerzt, aber jetzt nicht mehr. Jetzt spüre ich es nicht mehr«, sagte er und klang erleichtert.
Svantje schluckte. Sie wusste sofort, was seine Worte bedeuteten. Es war zertrümmert. Wenn er überleben würde, war sein Bein wahrscheinlich trotzdem verloren.
»Du musst wach bleiben, hörst du? Denk an unsere Kinder, sie brauchen dich. Ich brauche dich!«
Friedrich nickte angestrengt.
»Ich bin in der Nähe«, versicherte Svantje, als sein Blick panisch wurde, weil sie Anstalten machte aufzustehen.
Kurz überlegte sie, das Pferd auszuschirren und herzubringen, damit es ihr half, das Regal zu entfernen. Doch es würde ihr nie gelingen, die Stute durch das Trümmergewirr zu führen.
In den benachbarten Häusern brauchte sie nicht nach Hilfe zu suchen, denn es waren allesamt Verwaltungs- und Lagergebäude. Also musste sie sich selbst helfen.
»Hebel«, flüsterte Friedrich schwach.
Ja, genau das brauchte sie. Alles in ihr drängte zur Eile. Sie lief umher, suchte im Mondschein nach möglichen Hilfsmitteln.
Schließlich hatte sie einen Balken und eine Eisenstange parat. Beide schob sie jeweils auf einer Seite von Friedrich unter das umgestürzte Regal und nutzte zwei robust aussehende Überseekisten als Stützen.
Dann begann der Kampf gegen das immense Gewicht des Lagerregals. Svantje drückte ihre Schulter unter die Metallstange, stemmte sich mit aller Kraft dagegen und verrückte die Kiste nach vorn in die entstehende Lücke. Dann setzte sie die Stange wieder ab und wiederholte es mit dem Balken auf der anderen Seite und der zweiten Kiste.
Zentimeter um Zentimeter kämpfte sie sich voran. Ihre Oberschenkel brannten und zitterten, die Arme fühlten sich an, als würde jeden Moment etwas reißen, aber sie machte weiter. Sie würde so lange kämpfen, bis sie gewann oder Friedrich … nein, daran mochte sie nicht einmal denken.
Er stöhnte kläglich, und Svantje hätte vor Schreck beinahe die Eisenstange fallen lassen. Hastig setzte sie ihre Last ab und war sofort bei ihrem Mann.
Doch was wie der letzte Atemzug geklungen hatte, war zu ihrer Erleichterung der erste freie ohne ein Gewicht auf der Brust gewesen. Friedrichs Gesicht war schmerzverzerrt, Tränen glänzten in seinen Augenwinkeln. Svantje gab ihm einen hastigen Kuss, dann widmete sie sich ihrer Aufgabe mit neuem Elan.
Was sich anfühlte wie eine kleine Ewigkeit, waren vermutlich nur Minuten, dann endlich hatte sie es vollbracht. Das Regal war so weit angehoben, dass sie im Zwielicht Friedrichs Füße erkennen konnte. Das rechte Bein war merkwürdig angewinkelt, der Hosenstoff klebte feucht an der Haut.
»Wir haben es geschafft«, keuchte sie und rang einen Augenblick nach Atem. »Ich ziehe dich jetzt heraus, Friedrich, aber es wird wehtun.«
»Ja«, sagte er leise und schloss die Augen. Svantje fasste ihn unter den Armen und zog. Sie schaffte zwei Schritte. Friedrich schrie erbärmlich. Svantje fiel auf ihr Gesäß und hielt ihren Mann in den Armen. Sein Kopf sackte zur Seite, der Körper hatte jegliche Spannung verloren und fühlte sich ungleich schwerer an als zuvor.
Doch er lebte und atmete, und wenn in seinem Inneren nicht mehr zerstört war als einige gebrochene Rippen, würde er weiterleben.
Svantje war so erleichtert, dass sie weinen musste. Sie wand sich unter Friedrich hervor, arbeitete sich unter Tränen ins Büro zurück und holte einige Lampen.
Es war Friedrichs Glück, dass er ohnmächtig war, als sie sein Bein untersuchte. In der Mitte seines Oberschenkels klaffte eine tiefe Fleischwunde, der Knochen war gebrochen, Holzsplitter steckten im Fleisch.
Nun war sie froh, ihre Schwesterntasche von zu Hause mitgebracht zu haben. Zwei Stunden lang arbeitete sie voller Konzentration, dann war Friedrich versorgt. Sie streckte sich dicht an ihn geschmiegt neben ihm auf dem Boden aus. Sie musste sich ausruhen, nur einen Moment lang, dann könnte sie weitermachen.
Sie lauschte seinem rasselnden Atem und schloss die Augen.
Schritte, dann wurden Rufe laut.
Svantje schreckte auf, als jemand sie an der Schulter fasste und wach rüttelte, und blickte in ein braun gebranntes, faltiges Gesicht. Es war der sechzigjährige Hainer, ein einfacher Lagerarbeiter, der schon seit einer Ewigkeit für die Falkenbergs arbeitete.
Der sonst stets fröhliche Mann musterte sie besorgt. »Frau Falkenberg, geht es Ihnen gut? Was ist passiert?«
»Wie spät ist es?« Svantje rieb sich die Augen, jede Bewegung tat weh.
»Fünf, meine ich.«
»Grundgütiger, ich bin eingeschlafen. Friedrich muss ins Krankenhaus, liegend!«
Heiner war ein praktisch veranlagter Mann, einer, der Probleme anpackte, statt darüber zu reden. »Ich besorge einen Leiterwagen«, sagte er knapp.
Eine halbe Stunde später ruckelte Svantje mit Friedrich auf einem Pritschenwagen in Richtung Klinikum.
Friedrich schlief, als Svantje zurück ins Krankenhaus kam. Sie schlich auf Zehenspitzen hinein, um ihn nicht zu stören. Ihn zu sehen war wie Balsam auf ihrer Seele. Auch wenn sein Gesicht vom Schmerz gezeichnet war, würde er leben, und das war das Einzige, was im Moment zählte.
Sie war nur kurz nach Hause gefahren, um sich um die Kinder zu kümmern. Beide wussten nun Bescheid. Clemens war in der Schule, und Karoline würde am Nachmittag mit ihm zu Besuch kommen. Bis dahin würde Svantje nicht mehr von der Seite ihres Mannes weichen.
Vorsichtig fühlte sie seine Stirn mit dem Handrücken. Er hatte kein Fieber, aber noch war eine Entzündung möglich.
Sie setzte sich an seine Seite, fühlte sich wie in einem Kokon, Friedrich und sie, eingesponnen, geschützt. Doch was sie auf den Straßen gesehen und gehört hatte, ließ sie nicht los.
Sie zitterte. Es kam in Wellen und schüttelte sie so sehr, dass sie am liebsten für immer in diesem Kokon ausgeharrt hätte.
Zwei Stunden vergingen, bis Friedrich schließlich aufwachte. Er blickte sich panisch um, beruhigte sich aber sofort, als er seine Frau sah.
Svantje drückte seine Hand. »Alles wird gut«, sagte sie. »Wie fühlst du dich?«
»Besser.« Seine Stimme war rau.
Sie hob seinen Kopf an und flößte ihm etwas Wasser ein. »Und ein zweites Mal verdanke ich dir mein Leben.« Er lächelte müde, der Schmerz machte die Geste bitter.
»Ich kann mir nicht vorstellen, ohne dich zu sein. Der Moment, als ich dich fand … Ich dachte, du wärst tot!« Sie hielt inne, fühlte einen Moment lang wieder diese lähmende Kälte des Verlusts.
Friedrich seufzte. »Aber ich lebe. Dank dir.«
Svantje richtete sich auf, zwang sich zu einem Lächeln und drückte seine Hand. »Du hast drei gebrochene Rippen, dort, wo du getroffen wurdest, und Prellungen, aber keine Flüssigkeit in der Lunge, das ist gut.«
»Mein Bein?«, fragte Friedrich. Er sprach seine große Befürchtung, es zu verlieren, nicht aus.
»Der Oberschenkelknochen ist gebrochen, und es gab Splitter. Auch deine Hüfte ist zumindest teilweise betroffen. Es wird lange dauern, und du wirst vielleicht niemals wieder laufen können, ohne zu humpeln.«
»Aber ich werde wieder laufen.« In seinen Augen blitzte neu erwachter Lebensmut.
»Ja, das wirst du.« Svantje küsste ihn auf die Wange. »Du solltest dich jetzt ausruhen, schlafen.«
»Nein«, sagte er entschlossen. »Ich schlafe, wenn du nicht mehr hier bist.«
»Ich bleibe, solange du willst. Sicher wird später auch noch die Polizei mit dir sprechen wollen.«
»Sie werden diese Randalierer nicht finden und wahrscheinlich auch nicht finden wollen«, sagte er mit großer Gewissheit.
»Fühlst du dich bereit, mir zu berichten, was geschehen ist?«
Friedrich trank noch etwas, dann begann er seinen Bericht. Er hatte das Büro verwüstet vorgefunden, den Brand bereits erloschen. Also hatte er im Warenhaus nachgesehen. So leise war er hineingeschlichen, dass er drei Gestalten dabei beobachten konnte, wie sie alle Waren mit kyrillischer Aufschrift durch das Hintertor des Lagers direkt ins schmutzige Wasser des Fleets warfen. Von dort waren sie auch mit einem kleinen Ruderboot gekommen. Sie lachten, während sie seinen Besitz zerstörten, das war ihm besonders in Erinnerung geblieben. Als sie schließlich anfingen, die Regale umzukippen, hatte er sich bemerkbar gemacht. Bewaffnet mit einem Knüppel war er ihnen entgegengetreten.
»Doch da war noch ein vierter Mann, den ich nicht gesehen hatte. Er schlug mich nieder. Als Nächstes erinnere ich mich an deine Stimme, den Schmerz und die Angst, die ich hatte, dass sie dir auch etwas antun könnten.«
»Aber die Kerle waren schon fort. Hast du sie erkannt?«
»Nein, es war zu dunkel, und sie hatten sich Tücher vorgebunden.« Er schwieg kurz, dann sah er sie an. »Wie steht es um das Lager?«
»Dein Vater kümmert sich um alles.«
»Viel ist wohl nicht mehr übrig.« Friedrich seufzte und schien es augenblicklich zu bereuen. Jeder tiefe Atemzug musste ihn schmerzen, so sehr, dass kein Mittel dagegen ankam.
Svantje biss mitfühlend die Zähne aufeinander und hielt seine Hand, bis die Schmerzattacke vorüber war. »Es wird reichen. Das wird es immer, solange ich nur die Kinder und dich habe. Ich komme aus einfachen Verhältnissen, Friedrich.«
»Das weiß ich doch«, sagte er und musterte sie aufmerksam. Wie so oft fühlte es sich an, als könne er bis in ihre Seele schauen. »Was noch?«, fragte er nach Momenten des Schweigens.
»Russland hat Ostpreußen überfallen«, brach es aus ihr heraus. »Andere sagen, der Kaiser habe Russland den Krieg erklärt, Friedrich. Es zerreißt mich. Draußen feiern die Menschen, und die jungen Männer stehen Schlange, um sich freiwillig zu melden.«
Friedrich war aschfahl geworden. Svantje erwiderte seinen starren Blick, als sei er das Letzte, was ihren freien Fall noch aufhalten konnte.
Sie hielt seine Hand und er die ihre.
»Krieg«, sagte er leise, während draußen die Glocken zu läuten begannen, ein unheilvoller, stetig lauter werdender Chor.
»Krieg«, formte Svantje mit den Lippen, dann legte sie die Stirn an seine Wange, hatte keine Worte mehr.