Manchmal, wenn Lou ein Kreuzworträtsel machte und die Lösung nicht fand, schob sie es eine Weile beiseite, und später, wenn sie am wenigsten damit rechnete, fiel ihr die Antwort aus heiterem Himmel auf einmal ein, einfach so. Wenn sie jetzt dieselbe Strategie anwandte, vielleicht würde ihr Unterbewusstsein dann über das Problem nachgrübeln, wie sie Phil ihre erneuerte Freundschaft mit Deb beichten sollte, und ihr dann aufzeigen, was genau sie tun sollte.
Und so nahm Lou sich, nachdem sie sich von Deb verabschiedet hatte, erst einmal vor, einen Flaschenzug für ihren antiken Wäschetrockner zu besorgen. Sie fuhr einmal quer durchs Stadtzentrum zu einer kleinen Firma, die sie kannte und von der sie hoffte, dass man ihr dort weiterhalf.
»Versuchen Sie’s doch mal beim Eisenwaren-T.U.B.«, sagte der Besitzer. Mit seinen geröteten Wangen und den altmodischen Koteletten sah er wie ein Schlachter aus.
»Wo ist das denn?«
»Townend. Wissen Sie, wo der St. William’s Yard ist?«
»Neben der alten Konservenfabrik?«, versuchte es Lou.
»Kluges Mädchen. Genau da. Da werden Sie bestimmt fündig. Kein Problem.«
»Danke«, sagte Lou, nicht nur für die Wegbeschreibung, sondern auch dafür, dass er sie »Mädchen« genannt hatte. Das war ein schlichtes, aber seltenes Kompliment in letzter Zeit.
In Townend war nicht viel los. Es war einmal ein lebendiges Viertel gewesen, aber inzwischen hatte sich der Schwerpunkt des Einzelhandels auf die andere Seite der Stadt verlagert. Die Ladenmieten waren niedrig, was fliegende Billigläden anzog, die kaum zum Shoppen einluden, und die fehlende Laufkundschaft besiegelte bald ihren Niedergang. Nach fünfzig Jahren Geschäftstätigkeit hatte die alte Konservenfabrik schließlich dichtgemacht, auch wenn das Gebäude selbst noch stand. Na ja – so halbwegs zumindest – ein kräftiger Windstoß, und es würde in sich zusammenstürzen.
Lou hatte in dieser Gegend noch nie einen Eisenwarenladen gesehen, aber andererseits hatte sie auch noch nie einen Grund gehabt, einen Blick hinter die verfallene Fabrik zu werfen. Sie war überrascht, als sie einen großen Parkplatz voller Lastwagen, Kleintransporter und Autos sah.
Sie stand vor einer sehr alten Reihe von Gebäuden, bei denen es sich, nach der Anzahl der Türen zu urteilen, um vier Ladenfassaden handelte. Die zwei rechten standen leer; hinter der dritten befand sich ein relativ großes, offenbar gut besuchtes Fernfahrerlokal mit einem Schild über der Tür, auf dem Ma’s Café stand, und ganz links der Eisenwarenladen – wie aus einem Dickens-Roman, mit blank geputzten kleinen Fenstern und einem pendelnden Schild, auf dem Eisenwaren T.U.B. stand.
Lou drückte die Tür auf, und eine Glocke bimmelte. Sie trat in eine Aladinshöhle mit Holzregalen, die sich vom Boden bis zur Decke erstreckten, Kommoden und riesigen Apothekerschränken, die ihr das Gefühl gaben, als hätte sie soeben eine Zeitreise in die Vergangenheit angetreten.
»Augenblick«, kam die tiefe Stimme eines Mannes aus dem Hinterraum.
Eine Bewegung zu ihrer Rechten erregte ihre Aufmerksamkeit. Die Pfoten eines riesigen Hundes auf dem Boden zuckten im Schlaf. Er sah aus wie …
»Was kann ich für Sie tun?«
Der Mann, der Lou zugerufen hatte, kam in den Laden. Lou riss die Augen weit auf.
»Sie sind es!«, rief sie völlig überrascht.
In Jeans und Denimhemd sah er nicht so stämmig aus wie in seinem Arbeitsoverall. Und trotzdem – das Halbliterglas mit Wasser wirkte in seiner Hand wie ein Viertelliterglas, und seine Schultern sahen aus, als könnten sie im Türrahmen stecken bleiben, wenn er dagegenlief.
»In dieser Kleidung habe ich Sie gar nicht erkannt«, witzelte Lou.
»Ich glaube, Sie verwechseln mich mit meinem Zwillingsbruder, Tom«, sagte der Mann. »Großer, gut aussehender Bursche? Hat einen Containerdienst.«
Oh, verdammt. Würde sie sich vor seiner ganzen Familie zum Affen machen?
»Oh, Entschuldigung!« Lou spürte, wie ihr warm wurde, ein sicheres Zeichen dafür, dass sie errötete. »Sie sehen sich so ähnlich.«
Sie wollte so schnell wie möglich zum Geschäftlichen kommen, dann konnte sie nach Hause fahren und sich ertränken. »Ich suche einen Flaschenzug für einen hölzernen Wäschetrockner«, schlug sie jetzt einen geschäftsmäßigen Ton an. »Man hat mir gesagt, da könne ich bei Ihnen fündig werden.«
Toms Bruder wandte sich rasch ab, um ein paar Kisten in den oberen Regalen durchzusehen. Er biss sich auf die Lippe. Taten sie das alle in dieser Familie – über andere Leute lachen?
»Hier haben wir’s ja schon«, sagte der Bruder, streckte seinen Arm ungefähr dreieinhalb Meter hoch aus und holte eine Kiste herunter. Lou hätte ein Steigeisen und eine Sauerstoffflasche benötigt, um so weit hochzukommen.
»Gott, das ging ja schnell«, bemerkte sie. »Ich hätte nicht gedacht, dass Sie wüssten, wo Sie das hier drinnen finden sollten.«
»Alles hat seinen festen Platz, und an dem ist es auch«, sagte der Bruder und tippte sich seitlich an die Nase, als hätte er sie soeben in ein großes Geheimnis eingeweiht.
Der Mann war das genaue Ebenbild von Tom. Sie hatte im Laufe ihres Lebens schon etliche Zwillinge getroffen, aber nur einmal eineiige. Sie war mit Robert und Robin Ramskill auf die Grundschule gegangen. Die Lehrer hatten ihre Mutter gebeten, sie mit irgendwelchen Erkennungsmerkmalen zur Schule zu schicken, da sie sich immer als der jeweils andere ausgaben, daher hatte sie witzigerweise jedem von ihnen einen Pullover mit einem »RR« darauf gestrickt.
»Sie werden einen einfachen und einen doppelten Flaschenzug brauchen, wenn die Sache funktionieren soll. Ich nehme an, Sie wollen ihn hoch- und herunterfahren und nicht nur zur Dekoration aufhängen.«
Lou nickte, und Toms Zwillingsbruder holte ein Stück Schnur aus einer Schublade. Er zog es durch die Rolle des Flaschenzugs, um ihr zu zeigen, wie sie ihn aufhängen musste. Es sah gar nicht so schwierig aus, wenn man ein bisschen mitdachte.
Der namenlose Besitzer des Eisenwarenladens hatte große, fleischige Hände, ordentlich geschnittene Nägel und sagte jetzt: »Das macht dann drei Pfund fünfzig, bitte!«
»Das ist alles?«, fragte Lou, die damit gerechnet hatte, mindestens einen Zehner hinblättern zu müssen.
»Sie können mir gern mehr geben, wenn Sie wollen, aber so viel kosten sie nun mal«, sagte er lächelnd. »Ein Pfund für den einzelnen und zwei Pfund für den doppelten. Und fünfzig Pence für den Keil hier, den brauchen Sie auch.«
Lou warf einen Blick auf Toms Bruder, aber seine Miene war völlig ernst. Sie sahen sich zu ähnlich, und für einen Moment schoss Lou der Gedanke durch den Kopf, dass Tom vielleicht gar keinen Bruder hatte und der Mann, der vor ihr stand, tatsächlich Tom war. Aber damit hätte er den Spaß ein bisschen zu weit getrieben, dachte sie dann.
Lou reichte ihm einen Fünfpfundschein, den er ins Licht hielt, um ihn zu inspizieren. Durch und durch frech, empörte sich Lou. Sie hasste es, wenn die Leute das taten. Im Allgemeinen eingebildete kleine Scheißer, die eine gefälschte Queen nicht mal erkennen würden, wenn sie Augenbrauen wie Noel Gallagher hätte. Und auch wenn sie und Tom diesen kleinen Witz mit dem Falschgeld gemacht hatten, wusste sie nicht, wie sich dieser Typ, den sie gar nicht kannte, dieselbe Freiheit herausnehmen konnte.
»Ist das Clooney?«, fragte Lou, während sie ihr Wechselgeld mit einem kühlen und konzentrierten »Danke« entgegennahm. Sie war mehr als enttäuscht, dass er schlief. Wenigstens er hätte sie nicht so zum Totlachen gefunden.
»Nein, das ist sein Bruder aus demselben Wurf«, sagte der raubeinige Mann. »Die Kinder meiner Schwester haben den ganzen Vormittag mit ihm gespielt, und jetzt ist er fix und fertig.«
Er hat sogar dasselbe Augenzwinkern wie Tom, dachte Lou, auch wenn sein Umgang mit Fremden für ihren Geschmack etwas zu vertraulich war. Als er nach hinten in sein Büro verschwand, um einen Quittungsblock zu holen, schlich sie sich hinaus. Sie hatte fürs Erste genug von Leuten, die sich über sie amüsierten.
Auf Lou warteten zwei Anrufe, als sie nach Hause kam. Einer war von Michelle, die sagte, sie wolle sich nur schnell melden, solange Craig im Bad sei, und ja, er sei da und sie würden sich prächtig amüsieren. Der andere war von ihrer Mutter, die sagte, Victorianna würde mit ihrem Edward zu irgendeinem Dinner gehen und der Vizepräsident der Vereinigten Staaten sei ebenfalls anwesend (großer Gott – nein). Der verdammte Keith Featherstone hatte noch immer nicht angerufen.
Lou versuchte den Gedanken zu verscheuchen, was gar nicht so leicht war, aber jetzt würde sie ihn bis Montag sowieso nicht mehr erreichen. Sie begann, Phils Abendessen in Angriff zu nehmen: eine schaumige Erbsensuppe, Lammfilet und einen Biskuitkuchen mit selbst gemachter Vanillesauce.
Sie musste Phil in guter Stimmung haben für das, was sie ihm sagen würde.