Ich erzähl dir mal ein Geheimnis. Meine Branche, diese Glitzer- und Glamourwelt, glitzert nicht immer so hell, wie es scheint. Okay, das ist nicht wirklich ein Geheimnis, und wahrscheinlich wusstest du es schon vorher. Es ist sogar eigentlich ganz simpel – wenn es läuft, dann läuft es, und wenn nicht, dann nicht. Der einzige Unterschied zu anderen Branchen ist: Bei uns gucken alle dabei zu. Und nicht nur das. Wo normalerweise die Familie, Freunde und vielleicht noch Bekannte ungefragt ihren Senf dazugeben, hat in unserem Fall einfach jeder eine Meinung. Zu allem. Und seit Social Media ist die natürlich auch noch für alle Welt sichtbar.
Ich sag’s mal so: Lange Zeit kannte ich nur die eine Seite der Medaille, wenn es läuft. Alles war immer prima. Alles war gut. Mir hat man mein ganzes Leben lang gesagt: »Susan, setz doch mal die rosarote Brille ab.« Und ich entgegnete dann immer: »Nein! Setzt ihr doch mal die rosarote Brille auf!«
Ich fokussiere mich schon seit jeher ganz bewusst auf die schönen Dinge im Leben. Böse Zungen würden behaupten, ich sei naiv, leichtgläubig, unrealistisch, eine Träumerin – »Ach Susan, bei dir ist immer alles Love and Peace.« Und weißt du was? Es stimmt. Als überzeugte Positivdenkerin hab ich zwar die Ups and Downs im Leben wahrgenommen, aber irgendwie ging’s immer weiter, und ich lebte fröhlich nach der Devise:
Wenn der liebe Gott eine Tür schließt,
öffnet er woanders ein Fenster.
Das war lange Zeit mein Lebensmotto. Und so war es tatsächlich, das Leben hat viele Fenster für mich geöffnet. Auch die eine oder andere Tür geschlossen – that’s life! Allerdings hat sich bei einer Tür, die erst offen war, sich dann aber verschlossen hat, mit einem Mal alles in meinem Leben verändert.
Der Anfang fühlte sich an wie ein Traum
Was ist dein größter Traum? Hast du schon mal darüber nachgedacht? Ein eigener Laden? Heiraten? Eine Weltreise? Kinder? In deiner Firma aufsteigen? Deine Kunst ausleben?
Ich bin Schauspielerin und Moderatorin und seit 20 Jahren im deutschen Fernsehen unterwegs. Dass ich mein ganzes berufliches Leben ausschließlich von meiner Berufung leben kann, weiß ich sehr zu schätzen, das ist keine Selbstverständlichkeit. Ich bin die Blonde mit dem griechischen Nachnamen, die mit ihrer Zahnlücke meist gut gelaunt in die Kameras lächelt. Ich denke, so würde man mich beschreiben.
Ja, ich liebe meinen Job. Genau das wollte ich machen, seit ich denken kann. Das alles. In Rollen schlüpfen, durch Shows führen, Gast in Unterhaltungsshows sein, rote Teppiche, Fotoshootings. Ich wollte das volle Programm. Daraus habe ich nie ein Geheimnis gemacht. Wieso auch? Es war und ist mein großer Traum.
Vor ein paar Jahren sollte eine neue Serie auf den Markt kommen, eine tägliche Serie. Sie sollte vom Singleleben in der Großstadt handeln. Der Suche nach der großen Liebe. Es gab ein großes Casting mit mehreren Runden, und ich bekam die Titelrolle: Mila. Für mich erfüllte sich damit ein riesengroßer Traum, um nicht zu sagen: der große Traum. Hätte man mich Jahre zuvor gefragt: »Was wünschst du dir beruflich für die Zukunft? Wovon träumst du?«, dann hätte ich geantwortet: »Die Hauptrolle in einer täglichen Serie spielen, die witzig und modern ist.«
Alles passte zusammen. Wer mich kennt, weiß, dass ich ein totales Fleißbienchen bin. Viel Text lernen und über Wochen und Monate stundenlang am Set stehen – für mich kein Problem.
Das Kapitel Mila ging also los, und ich war quasi von Tag eins mit an Bord. Erst drehten wir einen Imagetrailer, um auch den Sender zu überzeugen. Geklappt! Alle waren in großer Euphorie, alle Abteilungen arbeiteten mit ganz viel Liebe am Projekt Mila. Und dann startete das Casting für die übrigen Rollen. Über mehrere Wochen spielte ich dabei mit so vielen wundervollen Kollegen, und langsam wurden wir mehr und mehr zum Team meiner Träume. Es war eine spannende Erfahrung, von Anfang an so nah an der Realisierung einer so großen Serie dabei zu sein. Alles fühlte sich surreal an, fast zu schön, um wahr zu sein. Die ersten Drehbücher waren fertig, und ich musste zu Hause beim Lesen laut auflachen. Warum erzähl ich dir das alles? Ich möchte dich einfach gerne mitnehmen auf meinem Weg nach oben, damit du besser verstehst, was dann passierte …
Bereits über ein Jahr war vergangen, und der Beginn der Dreharbeiten stand an. Mein ganzes Herzblut floss in dieses Projekt, und die Vorfreude wuchs mit jedem Tag. Ich lernte Berge von Textbüchern auswendig, und dann ging es endlich wirklich los. Die Tage waren endlos. Wenn ich nach einem langen Drehtag dann nach Hause kam, musste ich den Text für den folgenden Tag vorbereiten. Und wie das so ist bei Hauptrollen, war ich so ziemlich in jeder Szene auf die eine oder andere Weise mit dabei.
Meine Familie kam in dieser Zeit ziemlich zu kurz. Mein Mann Jakob, mein weiser Seelenpartner, der Super-Mann, liebevoll »Mapa« genannt, wuppte die Kinder, den Haushalt und seinen Job. Da er wusste, dass sich für mich hier gerade ein Traum erfüllte, hielt er mir den Rücken frei und unterstützte mich, wo er konnte.
Ich schwebte wie auf Wolken und konnte mein Glück kaum fassen. Noch nie hatte sich jobmäßig etwas so richtig angefühlt. Es gab Tage, da sagte ich zu meinen Freundinnen: »Bitte kneift mich mal, passiert das gerade wirklich?« Ihr kennt das sicher. Oftmals sagen wir: »Alles ist gut, aber …« oder »Wäre da noch diese eine Sache, dann …« Doch bei Mila war einfach alles perfekt. Es war, wie endlich die Liebe deines Lebens zu finden. Kurz vor der Ausstrahlung wurden im ganzen Land Plakate aufgehängt, mit meinem Gesicht drauf, und ich wusste: Jetzt geht’s wirklich los. Nach fast zwei Jahren Vorbereitung ging Mila on air.
Kannst du dich daran erinnern, als Leonardo DiCaprio endlich einen Oscar bekam? Gefühlt hat in dem Moment jeder gedacht: »Endlich. Wie viele grandiose Rollen sollte er denn noch spielen, bis er endlich dieses Ding bekommt?« Ich bin nicht Leo, und der Vergleich hinkt ein wenig. Aber in etwa so intensiv war mein persönliches Gefühl, das sich überglücklich in meinem ganzen Körper ausbreitete angesichts der enormen Wertschätzung und Chance, die ich mit Mila plötzlich bekommen hatte.
Parallel dazu ging noch ein zweiter Traum von mir in Erfüllung. Ich wurde Teil der Jury von »Got to Dance Kids«, einer zauberhaften Tanzshow mit Kindern, voller Emotionen und magic moments. Ich liebe diese Art von Show, es fühlte sich wie der Himmel an, und ich konnte mein Glück kaum fassen. Mein Bauchgefühl sagte mir die ganze Zeit: »Siehst du, Susan, alles fügt sich. Darauf hast du hingearbeitet. So soll es sein.«
Doch alles kam ganz anders
Zwei Wochen bevor die erste Folge lief, hatten wir eine große Pressekonferenz, bei der die ersten drei Folgen gezeigt wurden. Das Feedback war wunderbar, die Pressevertreter sprachen davon, wie großartig und innovativ die Serie sei. Und weil uns von allen Seiten nur Positives entgegenkam, hatte ich keine Sekunde die Befürchtung, dass irgendetwas schiefgehen könnte …
Dass sich das Fernsehverhalten insgesamt verändert hat, hast du vielleicht mitbekommen. Immer weniger Menschen schauen noch zu bestimmten Uhrzeiten ein bestimmtes Fernsehprogramm. Internet und Streaming nehmen im Leben der Menschen mittlerweile einen immer größeren Raum ein. Damals war genau die Zeit des großen Wandels und Umbruchs.
Als die erste Folge von Mila lief, waren wir alle noch Feuer und Flamme. Unzählige Nachrichten trudelten ein, voller Begeisterung und Glückwünschen. Und am nächsten Morgen dann – die Quote! Damit meine ich die Einschaltquote, die von einem kleinen Prozentsatz an Zuschauern auf die Bevölkerung hochgerechnet wird. Die Quote ist in unserer Branche der Todesstoß jeglicher Begeisterung und Euphorie. Oftmals hatte ich das Gefühl, als würde man vor und nach der Quote von zwei unterschiedlichen Formaten sprechen. Als hätten die Formate plötzlich an Inhalt und Qualität verloren. Das Gleiche gilt für die Presse. Vor der Ausstrahlung wird etwas in den Himmel gelobt – und nach der Ausstrahlung ist auf einmal vom »Flop des Jahres« die Rede. Die entsprechende Schlagzeile wird dann nur noch kopiert, und kein Journalist hinterfragt sie auch nur eine Sekunde lang.
Wie sehr wünschen wir Schauspieler, Film- und Fernsehmacher uns Journalisten, die eine eigene Meinung haben, zu der sie stehen! Wo sind die Überschriften, die neue Formate loben und den Zuschauern Lust darauf machen? Aber darauf warten wir vergebens. Negativschlagzeilen funktionieren einfach besser.
Und so fallen wir kollektiv. Denn jedes neue Format, das sich nicht durchsetzt, macht es für alle anderen auch schwerer. Aus dem Grund frage ich mich immer noch, wie es sein kann, dass so viele Kollegen ebenfalls missgünstig sind und sich insgeheim sogar freuen, wenn’s mal schiefgeht. Letztendlich sitzen wir doch alle im gleichen Boot. Das wird mir für immer ein Rätsel bleiben, genau wie die generelle Missgunst in unserer Gesellschaft. Wieso wird das Fallen mehr gefeiert als das Fliegen? Es fühlt sich manchmal so an, als würden die Menschen fast darauf warten, dass etwas schiefgeht. Erst mal ordentlich den neuen Schweiger-Film auseinandernehmen – »Für Amerika hat es halt nicht gereicht« –, anstatt ihn für den Mut zu feiern, einfach mal was zu wagen und es auch durchzuziehen! Fast ein typisches Muster. Genau wie das Schubladendenken, das kein Ende nimmt. Ob in der Musik oder bei Film und Fernsehen. Wieso können wir Castingshowgewinner nicht genauso abfeiern wie Musiker, die es auf einem anderen Weg gemacht haben? Ihr Herz brennt doch für dieselbe Sache. Genau wie Schauspieler aus einer täglichen Serie nicht ganz genauso angesehen werden wie die, die Kino machen. In anderen Ländern ist das alles durchaus möglich. Fragen über Fragen. Die Gedanken mussten mal kurz raus, aber nun zurück zu Mila …
In unserem Fall war es besonders hart. Die Quote lag weit unter dem erwarteten Wert, aber noch gab es Hoffnung, und wir schauten positiv nach vorne. Eine tägliche Serie braucht eben eine gewisse Zeit, damit das Publikum sie für sich entdeckt. Aber genau diese Zeit wurde uns nicht mehr gegeben.
Die Woche war echt zehrend. Jeden Tag drehten mein Team und ich zwar voller Freude weiter, und doch lagen uns die Werte im Nacken. Ich behielt allerdings weiterhin schön meine rosarote Brille an und sagte mir: Das wird schon werden. Das Fernsehen hat sich verändert, die Menschen brauchen etwas mehr Zeit, um Programme wahrzunehmen. Und das Gute an einer täglichen Serie ist ja eigentlich, dass man als Zuschauer ohne Probleme etwas später einsteigen kann. Alles wird gut!
Aber es wurde nicht gut. Sondern viel schlimmer, als ich es mir vorstellen konnte. Nach nur zehn Tagen kam der niederschmetternde Anruf vom Sender. Ich saß gerade am Flughafen, um für die Aufzeichnung von »Got to Dance Kids« nach Köln zu fliegen. Kurz vor dem Einsteigen klingelte mein Telefon, und ich hörte dann jenen Satz, den ich immer noch ganz deutlich im Ohr habe: »Mila wird umgehend abgesetzt, heute lief die letzte Folge.«
Da war sie, die Tür. Diese riesengroße, mächtige Tür. Und diesmal fiel sie nicht leise ins Schloss. Sondern sie knallte laut und plötzlich vor meiner Nase zu. Mein Herz blieb einen Augenblick lang stehen. Ich legte auf und stieg ins Flugzeug. Ich weinte. Nicht richtig, aber mir liefen die Tränen herunter. Es fühlte sich wie eine Schockstarre an. Im Hotel angekommen, musste ich mich erst einmal sortieren und rief meinen Mann und meinen Agenten an. Meine Gefühle überrollten mich. Wut, Fragen, Enttäuschung, Trauer, Schock. Niemand konnte mir helfen.
Es gab bloß einen Moment in meinem Leben, in dem ich mich ähnlich gefühlt habe. Als ich zum ersten Mal schwanger war und ich das Baby in der neunten Woche verlor. Ich kann mich noch ganz genau an den Moment erinnern. Als wärs gestern gewesen, weiß ich, wie ich mich fühlte: Das Leben hat mir etwas geschenkt und es mir dann wieder genommen.
Wir Menschen sind ja immer am Planen, und je konkreter die Zukunft erscheint, desto sicherer fühlen wir uns. Dass die Zukunft nur eine Illusion ist, begreifen wir nicht. In meinem Fall bedeutete das: Ich hatte mein Leben mit dem Kind schon ganz klar vor mir gesehen, meine Zukunft. Und so hatte ich auch mein Jahr als Mila gesehen und alles, was damit einherging.
Heute weiß ich, dass wir immer nur das Jetzt haben und die Zukunft bloß unsere Fantasie ist. Aber selbst wenn man das weiß, ist es schwer, sich von den Bildern seiner Fantasie zu trennen. Schließlich fühlen sie sich so real an … Mit Mila war es genauso. Das Gefühl, dass man mir etwas genommen hatte, war unfassbar stark. Selten fühlte ich mich so allein und hilflos.
Rückblickend bin ich ungemein dankbar, dass ich zu dem Zeitpunkt schon meinen Mann und meine Kinder hatte. Ehrlich gesagt, weiß ich nicht, wie ich sonst mit der extremen Situation umgegangen wäre, als ich die Nachricht erfuhr. So allein in einer anderen Stadt … Alles war surreal.
Beim Dreh am nächsten Tag für die Show sprachen mich die Kids natürlich ständig auf Mila an – wie toll sie die neue Serie fänden. Das trieb mir immer wieder die Tränen in die Augen. Mit ganz viel Kraft und Professionalität hab ich diese lustige Entertainmentshow abgedreht. Die, by the way, für denselben Sender war!
Zurück in Berlin musste ich am Montag gleich wieder ans Set. Denn wenn du glaubst, das wär’s schon gewesen, irrst du. Die echte Qual ging erst jetzt los! Wir mussten nämlich vertraglich die geplanten 75 Folgen noch zu Ende drehen. Wohl wissend, dass sie kaum noch jemand sehen würde. Gesendet wurde das Ganze auf einem kleineren Sender um die Mittagszeit.
Jeden Morgen am Set zu stehen und diese wundervolle Serie mit diesem wundervollen Team zu drehen – in dem Bewusstsein, dass es vorbei war, bevor es wirklich angefangen hatte –, das nannte ich immer die Totgeburt. Das Baby austragen, obwohl ich wusste, dass es tot war. Ja, ich weiß, das klingt makaber und pathetisch, aber anders kann ich meine Gefühle nicht beschreiben. Und falls du überhaupt nichts mit unserer Branche zu tun hast, ist es sonst vielleicht schwer, das Ausmaß nachzuempfinden.
Die nächsten zwei Wochen schleppte ich mich ans Set. Schaute in die traurigen und fassungslosen Gesichter meines großen Teams, denn es ging ja nicht nur um mich und nicht nur um die Schauspielkollegen. Alle in der Kette von jetzt auf gleich arbeitslos. Auch das ist Teil unserer Realität, der Glitzer- und Glamourwelt. Jeden Morgen wachte ich auf und hoffte, dass alles nur ein Traum sei. Aber es war die absolute Realität. Mein Traum war zu Ende, bevor er wirklich angefangen hatte.
Und ohne dass ich es merkte, veränderte ich mich … Meine gesamte Energie ging dafür drauf, irgendwie zu funktionieren. Mein Kopf und mein Körper führten täglich einen Kampf. Mein Kopf, der mir immer sagte: Das kann alles nicht sein, hier passiert was Falsches. Und mein Körper, der darauf mit Übelkeit reagierte und immer schwächer wurde.
Sechs Wochen, ein einsames Haus am Meer und wir
Mein wundervoller Mann Jakob zog die Notbremse und traf damals die absolut richtige Entscheidung. Er organisierte uns einen mehrwöchigen Aufenthalt ganz weit weg, und so flogen wir direkt nach Abschluss der Dreharbeiten nach Thailand.
Diese magische Zeit war ein Geschenk, und heute weiß ich, dass wir sie niemals erlebt hätten, wäre mein Leben anders verlaufen. Diese eine lange Reise, bevor für unsere Kids die Schule losging und wir nie wieder so frei sein würden. Es war mit Abstand die schönste Reise, die ich je gemacht habe. Kein Make-up, keine festen Schuhe, nur Bikinis und ein Koffer voller Bücher. Viele Gespräche mit Jakob, viele Tränen, immer zwei Schritte nach vorne und doch wieder einen Schritt zurück.
Jakob sagt immer:
Nicht zu vergeben ist wie Gift zu trinken und zu hoffen, dass der andere stirbt.
Ein wundervolles Buch, das ich in Thailand las, ist Verzeih dir von Manfred Mohr. Es handelt von Vergebung. In dem Buch geht es darum, seinen Frieden mit Menschen und Situationen zu machen, ohne wirklich mit ihnen in Kontakt zu treten. Denn das ganze Geheimnis liegt darin, dass du mit dir selbst Frieden schließt.
Viele glauben, dass Vergeben etwas mit einer anderen Person oder der Situation zu tun hat. Deshalb tun sie sich auch so wahnsinnig schwer damit. Sie möchten unter keinen Umständen der anderen Person die Genugtuung geben. Sie glauben, vergeben würde heißen, dass sie nachgeben oder sich kleinmachen.
Aber es ist genau andersrum.
Spürst du schon beim Lesen, wie leicht diese Worte sich anfühlen?
Loslassen, Leichtigkeit, Freiheit.
Und wie hart und fest sich das Gegenteil anfühlt?
Festhalten, Schwere, Zwang.
Und so versuchte ich, die Übungen im Buch zu machen. Unter anderem gab es eine Meditation, die sich Ho’oponopono nennt, was auf Hawaiisch so etwas wie »in Ordnung bringen« bedeutet. Ich versuchte, den Menschen zu vergeben, die die Entscheidung gefällt hatten, mein Leben so drastisch zu verändern. Und ich versuchte zu verstehen, dass das keine Entscheidung gegen mich war, sondern dass ich nur ein winziges Glied in einer Kette war, die das große Ganze noch nicht fassen konnte.
Das ist auch ein wichtiger wesentlicher Teil unserer Branche, den viele unterschätzen oder auch gar nicht sehen. Sie ist unglaublich willkürlich. Für uns Künstler ist dieser Aspekt der schwerste. Oft hören wir Sätze wie: »Du darfst das nicht persönlich nehmen.« Ja, in der Theorie sicherlich richtig, aber jetzt mal ehrlich, wie soll das gehen, wenn dein Produkt du selbst bist?
Ich schrieb Briefe, die ich nicht abschickte, einfach für mich. Das schwere Gefühl in meinem Bauch löste sich zeitweise, und in solchen Momenten war mir weniger übel.
Ich wollte unter allen Umständen diese Zeit in Thailand wahrnehmen und genießen. Die Sache ist ja die, wir können am schönsten Strand der Welt sitzen, aber uns selbst nehmen wir immer und überallhin mit. Das bedeutet, allein eine andere Umgebung wird deine Probleme nicht lösen, auch wenn wir oft den Gedanken haben, einfach wegzulaufen und dann wird alles gut.
Ich war also an dem schönsten Strand, den ich je gesehen hatte, und musste mich bewusst dafür entscheiden, ihn überhaupt zu sehen. Ich musste mich bewusst entscheiden, meine rosarote Brille aufzusetzen und die Perspektive zu wechseln. Und da war er, dieser wunderschöne Strand in all seiner Pracht! Mein Körper kribbelte, und ich fühlte mich lebendig. Das erste Mal seit Langem fühlte ich mich wieder gut.
Neue Türen und doch kein Glück
Zurück in Berlin folgte ein schöner Sommer in Bad Segeberg. Ich bekam eine Hauptrolle bei den Karl-May-Festspielen und spielte die Ellen Patterson im Schatz im Silbersee. Ich durfte reiten lernen und fühlte mich wie bei »Let’s Dance«, nur mit Pferd. Ich liebe diese Art von Herausforderung. Das ist das Tolle an meinem Beruf, die Chance, ganz neue Dinge zu lernen.
Wieder einmal befand ich mich also an einem absolut idyllischen Ort, in einem Hotel mit Blick auf einen wunderschönen See. Sonne, Natur, Reiten und täglich ein Riesenpublikum. Und wieder holte mich das inzwischen schon vertraute Gefühl der Schwere in meinem Bauch ein. Und die Stimme in meinem Kopf sagte ständig zu mir: »Ja, es ist zwar schön hier, aber eigentlich solltest du doch Mila sein.« »Mila war perfekt.« »Alles war so perfekt.« »Alles sollte doch in Wirklichkeit ganz anders sein.«
Mir wurde direkt wieder übel. Nein, Susan, nicht zuhören! Schnell eine Ablenkung, eine Freundin anrufen, Netflix gucken, egal was – Hauptsache, die Gedanken werden still. Ich versuchte, mir immer wieder gut zuzureden, aber ich spürte, wie viel Energie mich dieser Kampf zwischen Herz und Kopf kostete. Das lag natürlich vor allem daran, dass ich mir selbst kein Wort glaubte.
Ich kann mir vorstellen, dass du gerade denkst: »Wo ist ihr Problem? Es ging doch direkt weiter. Klagen auf hohem Niveau. Klingt irgendwie undankbar.« Das stimmt, in genau diesen Momenten werden wir undankbar dem Leben gegenüber.
Aber kommen wir noch mal zurück zum Lebenstraum. Ich lade dich ein, beim Lesen an deinen persönlichen Traum zu denken. Kennst du das – wenn du dich so stark auf eine einzige Sache fokussierst, dass du all die anderen wundervollen Dinge nicht mehr wahrnimmst? Genau darum geht es. Ich glaube, wir alle haben das schon mal erlebt.
Jakob sagt immer:
Es ist wie mit der Liebe.
Wenn du eine neue gefunden hast, wirst du die alte überwinden.
Vielleicht war Karl May für mich nicht die neue Liebe, die stark genug war, meine alte Liebe abzulösen. Innerhalb der nächsten drei Jahre kam allerdings auch sonst kein Angebot oder Job, der mir den Schmerz nehmen konnte.
Es folgte ein Auf und Ab. Es gab Durststrecken, aber auch viele unterschiedliche Aufträge, wunderschöne Jobs – doch genau wie beim schönsten Strand in Thailand war ich nicht in der Lage, sie als solche wahrzunehmen. Ich hatte einfach einen anderen Weg für mich vorgesehen. Der mich woanders hinbringen sollte. Und dieser Plan machte mich blind für all die anderen Wunder, die mir täglich immer wieder begegneten.
Es wurde sogar noch schlimmer. Das Auf und Ab in unserer Branche ist schon, wenn man in einer guten Verfassung ist, nicht immer leicht wegzustecken, aber sobald man emotional etwas angeschlagen oder labil ist, kann es gefährlich werden.
Nicht umsonst lesen wir fast täglich von Hollywoodstars, die wir für wahnsinnig erfolgreich und glücklich hielten, dass sie sich vor Kummer den letzten Drogenschuss gegeben haben.
Es ist eben nicht alles Gold, was glänzt
Meinen Freunden, die nicht in meiner Branche arbeiten – und das sind die meisten –, beschreibe ich es immer als einen Rauschzustand. Ein Job kommt rein, und du bist wie auf Wolke sieben, fühlst dich elektrisiert, und irgendwie schwebst du. Dann ist es wieder vorbei. Du zehrst vielleicht noch einen Augenblick davon, fällst dann aber tief. Ins Ungewisse.
Von außen ist dieser Zustand selten zu sehen. Zu gut beherrschen wir es, die Fassung zu bewahren. Bloß keine Schwäche zeigen. Das Außen hat in unserer Branche einen wahnsinnig hohen Stellenwert. Auch wenn wir uns das oft nicht eingestehen wollen und glauben, wir würden aus unserem Innersten heraus handeln. Im Grunde sind wir viel öfter fremdbestimmt.
Eigentlich ist dieses Auf und Ab normal für jeden Freiberufler, vielleicht kennst du es sogar selbst. Aber was sagte ich am Anfang? Der Unterschied besteht vor allem darin, dass unsere Branche so stark unter Beobachtung steht. Doch wer guckt eigentlich? Wer beurteilt? Vielleicht sind es letztlich doch wir selbst, die uns be- oder sogar verurteilen? Social Media hat die ganze Sache noch verstärkt. Ich liebe Instagram und konsumiere es viel zu viel. Dabei muss uns aber eins klar sein: Wir alle sehen dort vor allem unsere vermeintlichen Defizite.
Wer von uns kennt das nicht? Wenn du kein Geld oder keine Zeit für Urlaub hast, siehst du nur noch Posts von Menschen in der Sonne oder am Strand. Hast du einen Babywunsch, ist plötzlich jede auf Instagram schwanger und sieht dazu noch blendend aus. Hast du wegen deiner Kinder schon seit Tagen keinen Schlaf bekommen, siehst du Mütter, die mit ihren Babys gemütlich auf dem Sofa schlafen. (Absolut realistisch natürlich, dass der Mann dieses wundervolle Szenario fotografiert hat. Wahrscheinlich hat er anschließend noch den Geschirrspüler ausgeräumt. NOT!) Wenn du solo bist, siehst du überall nur glückliche Paare, die sich verloben oder vor einem wunderschönen Sonnenuntergang knutschen. Ach, und natürlich wenn du gerade nicht so happy mit deinem Körper bist, siehst du nur schlanke Menschen, die mit Leichtigkeit Sport machen und glücklich in die Pizza beißen.
Bei mir war es genauso; ich habe dort zeitweise nur Kollegen wahrgenommen, die wahnsinnig viel arbeiten. Gerade in Zeiten, in denen ich das Gefühl hatte, bei mir könnte ruhig ’n bisschen mehr passieren. Dabei weiß ich ganz genau, wie »real« Instagram ist. Wenn ich dreimal irgendein Foto von einer Veranstaltung poste, fragen mich sofort alle: »Wow, du bist ja nur noch unterwegs, läuft gerade richtig gut bei dir, oder?«
Fakt ist, der Job des Schauspielers hat eine Menge mit Warten zu tun. Ob auf einen Job oder auch am Set. Das Ganze einzurichten dauert manchmal länger als die Arbeit selbst. Aus Spaß sagen wir oft unter Kollegen: »Wir werden fürs Warten bezahlt, den Rest machen wir umsonst.« Einfach weil wir es gerne machen.
Wenn du allerdings aus einem täglichen Format kommst, so wie ich, sind die Erwartungen total groß. Die Zuschauer und auch die Pressevertreter erwarten, dass es immer so weitergehen müsste. Und das erhöht den Druck enorm, ob wir wollen oder nicht. Das bedeutet, wenn du von jetzt auf gleich eben nicht mehr täglich im Fernsehen zu sehen bist und wie alle anderen Schauspieler mal mehr, mal weniger Projekte hast, empfinden es die Zuschauer so, als würdest du plötzlich überhaupt nichts mehr machen.
Das machte es nicht gerade leichter für mich. Es entwickelte sich zu einem Rechtfertigungszwang. Auf den roten Teppichen kamen immer wieder die gleichen Fragen. »Was machen Sie gerade? Gibt es neue Projekte?« Unter uns, ich kenne kaum Kollegen, die dann einfach mal antworten: »Nö, eigentlich gerade nichts.« Es verwandelt sich in: »Darüber darf ich noch nicht sprechen.« Der Klassiker. Die Angst ist einfach zu groß, dass die Außenwelt denken könnte, dass bei einem nichts läuft. Und so wird der Kreislauf in Gang gesetzt, und der Druck wächst. Ob er nun wirklich von außen kommt oder hausgemacht ist – er ist da.
Zwar ging es immer irgendwie weiter, doch mein Lebensmotto mit dem lieben Gott, der Tür und dem Fenster verblasste immer mehr.
Ein Lichtblick
Im Oktober habe ich Geburtstag, und den habe ich schon immer geliebt! Als ich klein war, erwartete mich meine Mutter am Morgen mit einem schön gedeckten Tisch. Ballons, Kuchen, Kerzen, Geschenke. Genauso mache ich es heute mit meinen Kindern. Tradition ist Tradition. Später folgten meine großen, legendären Partys. Meist waren es Mottopartys. Ach, was war das immer schön! Wir hatten: Be a Popstar, Freakshow, Gangster & Bitches, dann meine unvergessliche Bad Taste Party, Sweet 30 und Russian 33.
Seit einigen Jahren mache ich nur noch Pyjamapartys mit meinen Mädels. Mit ganz viel Süßkram, Pizza, Spielen und ganz viel Lachen. Mein persönliches Highlight im Jahr. Ich liebe es einfach, meine ganzen verrückten Freundinnen einmal im Jahr alle auf einem Haufen bei mir zu haben. Mein Herz macht dann einen riesigen Sprung. So viel Liebe liegt da in der Luft.
Da ich oft in den Herbstferien Geburtstag habe, sind wir dann meistens in Tel Aviv, meiner Lieblingsstadt. So auch in jenem Jahr. Meine Mutter wurde in Israel geboren, ebenso wie mein Mann. Wir haben eine große Verbindung zu dem Land und insbesondere zu dieser Stadt. Tel Aviv vereint für mich alles, was ich liebe. Das Lebensgefühl, die Menschen, das Klima, das Essen, die Strände.
Fast jeden Herbst ist mein halber Freundeskreis auch dort. Es ist nicht übertrieben, wenn ich sage, dass wir jeden Tag um die 50 Menschen sind, die gemeinsam am Strand Urlaub machen. Für unsere Kids ist es das absolute Paradies, weil alle ihre Freunde ja auch da sind. Die Stimmung dort ist schwer zu beschreiben, deshalb kann ich dir nur empfehlen, Tel Aviv einmal zu besuchen und dir ein eigenes Bild zu machen.
Puh, wie kriege ich jetzt die Kurve zurück zu meiner Lebenskrise, wo wir doch gerade gemeinsam Urlaub im schönsten Land der Welt machen und mit meinen Liebsten meinen Geburtstag am Strand feiern? Ach, eigentlich gar nicht so schlecht, denn genau so ist ja das Leben. Und vor allem, genau so war mein Leben. Es ging mir ja nicht durchweg beschissen. Es gab auch wunderbare, unbeschwerte Zeiten. Aber trotzdem ließen mich dieser Stein im Magen und die bösen Stimmen in meinem Kopf nie ganz in Ruhe. Und kaum war mal keine Ablenkung da, holten sie mich ein.
November oder der Moment, ab dem ich mein Sofa nicht mehr verließ
Zum Jahresende hin wurde es dann noch mal schlimmer. Ob es daran lag, dass es draußen dunkler und trüber wurde? Ich weiß es nicht. Jedenfalls ist jener Winter für mich nur noch wie ein verschwommenes Bild. Der Prozess war schleichend, und der absolute Tiefpunkt erwischte mich zwei Jahre nach Mila. Ich kam aus dem Urlaub in Tel Aviv zurück und wusste, dass ich für den Herbst noch keinen festen Dreh hatte. Bis dahin hatte ich das Gefühl der Angst, dass eventuell nichts kommen würde, mehr oder weniger erfolgreich unterdrücken können.
Und dann war es so weit. In dieser besagten Situation hat man eigentlich nur zwei Möglichkeiten (obwohl ich heute weiß, dass Option 1 in Wirklichkeit keine Option ist).
Option 1: Angst. Aus Angst wird Wut. Aus Wut wird Traurigkeit. Diese Emotionen bringen dich keinen Millimeter voran. Im Gegenteil, sie blockieren dich. Option 2: die Situation annehmen.
Jakob sagt immer:
Es ist, wie es ist, und es ist das, was du daraus machst.
Dieser Spruch hängt übrigens seit einiger Zeit groß bei uns im Wohnzimmer und erinnert mich täglich daran.
Gut, ich wählte damals Option 1. Die Stimmen in meinem Kopf wurden immer lauter. »Es ist vorbei«, »Du wirst nie wieder so glücklich sein«, »Das war eine einmalige Chance, die wirst du nie wieder bekommen«, »Vielleicht liegt es doch an dir« … Meine Welt wurde immer grauer. Morgens stand ich mit meinen Kindern auf, machte einen auf gute Miene, wir frühstückten wie jeden Tag gemeinsam. Bevor sie zur Schule gingen, drückte ich sie fest.
Und dann – Stille. Ich kuschelte mich aufs Sofa unter die Decke, machte Netflix an, und so verging der Tag, bis meine Jungs um 16 Uhr nach Hause kamen. Dieser Ablauf wiederholte sich wie eine Dauerschleife. An den Nachmittagen gab es manchmal Playdates oder Sportprogramme der Kids. Die Abende verbrachte ich mit meinem Mann, zuweilen mit Freundinnen oder mit meinem Laptop und meinen Serien.
Man will nicht nur glücklich sein,
sondern so glücklich wie die anderen.
Und das ist deshalb so schwer,
weil wir die anderen für glücklicher halten,
als sie sind.
Man sah mir meine Niedergeschlagenheit und Traurigkeit nicht immer an, es sei denn, man kannte mich sehr gut. Doch meinen engsten Freundinnen konnte und wollte ich nichts vormachen. Obwohl mir meine Sorgen immer unangenehm beziehungsweise peinlich waren und ich deshalb nicht häufig darüber sprach.
Da saß ich zum Beispiel mit meinen liebsten Mädels zusammen. Die eine erzählte, dass sie keinen Mann fand, die andere fühlte sich wahnsinnig unwohl in ihrem Körper, die nächste konnte nicht schwanger werden, und wieder eine andere wusste nicht, wie sie ihre Miete zahlen sollte. Ja, und dann kam ich. »Bei mir im Job läuft es nicht so, wie ich es mir erträumt habe.« Wenn ich mir vorstellte, diesen Satz auszusprechen, stellte ich mir auch die Reaktion meiner Freundinnen darauf vor: »Sei froh, dass du eine so tolle Ehe hast«, »Und zwei gesunde Kinder«, »Und eine wunderschöne Wohnung«, »Keine Geldsorgen«, »Du bist schlank«, »Du wirst geliebt«, »Du bist gesund« … »Und du beschwerst dich wegen deines Jobs???«
Ich gebe zu, keine meiner Freundinnen hat jemals so reagiert. Sie wären nicht auf die Idee gekommen. Aber die bösen Stimmen in meinem Kopf waren lauter, und ich glaubte ihnen. Ich fühlte mich noch schlechter, weil ich das Gefühl hatte, dass ich mich gar nicht schlecht fühlen dürfte. Ein Teufelskreis!
Natürlich wissen wir alle, dass für jeden die eigenen Probleme die schlimmsten sind, und natürlich vergleichen wir uns selten mit jenen, denen es schlechter geht. Mila war ein Spiegel, ein Spiegel von etwas, das ich anschauen musste, um es zu verstehen. Ein Sinnbild dafür, dass ich in meinem Leben etwas grundlegend ändern musste. Nur wusste ich zu diesem Zeitpunkt weder, dass es so war, noch was ich verändern musste.
Die Lösung ist niemals im Außen
Wir wissen grundsätzlich niemals, wie es wirklich in jemand anderem aussieht. Wir wissen maximal so viel, wie die Person uns zeigt. Ich kehrte nur zu Hause mein Innerstes wirklich nach außen. Mein Mann bekam die volle Breitseite ab. Und er kann wirklich viel aushalten. Vom Typ her ist er der klassische Fels in der Brandung. Einer, den andere fragen, wenn sie ratlos sind oder etwas brauchen. Jakob ist immer zur Stelle. Und er liebt das auch. Er liebt es zu helfen. Was für diese Art von Mensch allerdings das Allerschlimmste ist: nicht helfen zu können.
Jakob wusste irgendwann auch nicht mehr weiter. Er hatte mir viel Zeit gegeben, viel Verständnis gehabt, mir vieles abgenommen, und oft redeten wir nächtelang durch. Aber wir drehten uns im Kreis, und oft endete alles im Streit.
Ich wollte nicht einsehen, dass ich selbst etwas ändern musste. Suchte immer weiter die Lösung im Außen. Wann klingelt endlich das Telefon? Wann kommt der Wahnsinnsjob, der mich wieder so glücklich macht wie damals? In meinem Kopf immer die gleichen Gedanken – Was kann ich schon tun?, Ich bin machtlos, Ich kann nur warten, Niemand versteht mich, Es wird nie wieder so, wie es war, Warum hab ich dies und das nicht anders gemacht?
Dann ging die nächste Stufe los.
Ein Kampf, den wir nicht gewinnen können
Kennst du solche Momente? Du liegst im Bett und kannst nicht einschlafen, weil deine Gedanken dich nicht zur Ruhe kommen lassen. Du denkst an Situationen aus der Vergangenheit und überlegst, wie sie ausgegangen wären, wenn du dies oder jenes anders gemacht hättest. In deiner Fantasie läuft alles wunderbar glatt. Großartige Bilder schießen dir in den Kopf – und plötzlich ist da dieser Schmerz im Bauch, weil es eben nicht so abgelaufen ist und du absolut nichts dagegen tun kannst.
Diese Momente kommen immer wieder, meist wenn du gerade einen ruhigen Moment für dich hast und dich eigentlich entspannen willst. Und plötzlich sind sie wieder da, die fiesen Stimmen. Also muss schnell eine Ablenkung her. Nicht hinhören. Lieber Netflix, einen Wein trinken, etwas essen oder Freunde treffen. Nur nicht den Schmerz fühlen. Nur nicht wirklich hinsehen.
Faktisch wissen wir ja alle, dass wir die Vergangenheit nicht ändern können, und trotzdem verschwenden die meisten von uns so viel Energie auf diese Art von Gedanken. Noch heute passiert es mir im Hinblick auf Kleinigkeiten. Und weil ich ja eine Frau bin, spreche ich meine Gedanken meist laut aus, was mein Mann niemals verstehen wird. Aber er ist ja schließlich ein Mann. Wir Frauen müssen eben einfach kommunizieren.
Also sage ich öfter mal Dinge wie: »Mist, hätte ich doch bloß heute Morgen schon eingekauft.« Oder ich vergesse etwas zu Hause und rege mich den ganzen Tag darüber auf. Das sind zwar keine großen Sachen, aber sogar diese kleinen Situationen sind dann in der Masse riesige Energieräuber. Klar, gegen einmal laut aussprechen ist ja nichts einzuwenden, aber wenn es einen nicht mehr loslässt, dann wird es zu Energieverschwendung.
Und jetzt denk mal an große Situationen, was dann in deinem Kopf und Körper passiert. Dann fängst du an, immer wieder zu diesem einen Moment zurückzukehren …
Manchmal hilft eine kleine Kindergeschichte, um besser zu verstehen, was wir uns oft völlig unbewusst antun.
DER VOGEL UND DAS NEST
Zwei Vögel bauten ihre Nester direkt neben einem großen schönen See. Es dauerte lange, und sie gaben sich viel Mühe. Kaum waren sie fertig, kam die Flut und riss beide Nester mit sich fort.
Der eine Vogel war erleichtert, dass ihm nichts passiert war, und flog davon. Der andere wurde unglaublich wütend und wollte sich rächen; er nahm sich vor, den Fluss auszutrocknen!
Tage, Wochen und Monate vergingen, und der kleine Vogel flog immer wieder zum Fluss, nahm etwas Wasser in seinen Schnabel und spuckte es außerhalb wieder aus.
Eines Tages kam der andere Vogel mit seiner Familie angeflogen und sah den erschöpften kleinen Vogel und fragte, was er denn da mache. Der kleine Vogel hatte kaum noch Kraft zu sprechen und sagte nur: »Ich werde den bösen Fluss austrocknen.«
Der andere Vogel schaute ihn an und sagte: »Schau dich um, kleiner Vogel – der Fluss ist noch der gleiche wie damals. Und nun schau dich selbst an, du bist müde, traurig und erschöpft. In der ganzen Zeit hättest du, genau wie ich, ein neues Nest bauen können.«
Ein glasklarer Wintermorgen
Es wurde Dezember, die Tage wurden kürzer, und nicht mal Weihnachten oder wie bei uns zu Hause Weihnukka – eine Mischung aus Weihnachten und dem jüdischen Fest Chanukka – konnte meine Laune heben.
Normalerweise liebe ich diese Zeit. Dann höre ich den ganzen Tag Weihnachtsmusik, der Weihnachtsbaum steht schon seit Anfang Dezember, wir backen Kekse, und alles fühlt sich gemütlich und warm an. Aber nicht in diesem Jahr.
Ich erinnere mich an einen wunderschönen Wintertag, trocken, sonnig und kalt. Jakob hatte die Kinder gerade zur Schule gebracht, und eigentlich fährt er dann weiter ins Büro. Aber er kam noch mal zurück. Ich lag wie immer unter meiner Kuscheldecke im Wohnzimmer, Serie an und Käffchen in der Hand.
Jakob stand in der Tür und schaute mich an und sagte: »Guck mal, wie schön es draußen ist. Wir gehen jetzt spazieren.« Ich liebe es, spazieren zu gehen, aber an dem Tag musste ich mich echt aufraffen. Ich schlüpfte in eine Jogginghose, zog eine dicke Jacke über, Mütze und Sonnenbrille auf, und raus ging’s. Auf dem Weg holten wir uns einen leckeren Cappuccino und liefen zum Park. Es war leer, knapp neun Uhr früh. Der See war unfassbar klar, die Sonne strahlte durch die kahlen Bäume hindurch, sogar ein paar Enten waren noch da und zogen ihre Kreise. Schweigend gingen wir eine ganze Weile Hand in Hand.
Jakob sagte dann, wie wunderschön dieser Tag doch sei und was für ein Glück wir doch hätten, einfach so spazieren gehen zu können. In dem Moment kamen mir unter der Sonnenbrille die Tränen. Ich wollte es am liebsten verbergen. Zu viel und zu oft weinte ich in letzter Zeit völlig grundlos. Kennst du das? Wenn aus dem Nix ständig diese Tränen kommen? Jakob war ganz ruhig, machte mir keine Vorwürfe, nahm die Situation einfach an.
Klar gab es vorher schon mal Situationen, in denen er sagte, ich solle mich mal zusammenreißen, ich würde übertreiben oder nicht mehr klar denken. Und mit allem hatte er ja auch recht. In solchen Momenten will man das natürlich nicht hören und vergräbt sich noch mehr in Selbstmitleid.
Doch dieser Moment war anders. Ich glaube, deshalb kann ich mich auch so gut an ihn erinnern. Während vieles aus der Zeit für mich nur noch verschwommen und etwas ungreifbar ist, sehe ich diesen gemeinsamen Spaziergang glasklar vor mir. Ich weiß noch genau, wie mein Körper sich anfühlte, irgendwie schwer. Und meine Augen taten mir weh vom vielen Weinen.
Plötzlich sagte Jakob: »Ich kann nicht mehr. Ich weiß einfach nicht mehr, wie ich dir helfen soll.« Diesen ernsten Ton schlägt er nur ganz selten an, und deshalb bekam ich sofort eine Gänsehaut. Ich verstand unmittelbar, was er mir mit diesen Sätzen sagen wollte. Er war am Limit, mit seinen Kräften am Ende.
Für mich war es eine Art Wachrüttler! Ich wachte wie aus einem Schlaf auf und mit einem Schlag war alles in meinem Kopf völlig klar. Ich sah auf den See, drehte mich zu ihm und sagte, dass ich all das Schöne sehen, aber nichts fühlen würde. Dabei liefen mir wieder die Tränen. »Ich will das alles auch nicht mehr, aber finde keinen Weg raus. Ich will mein Glück zurück!«
Und Jakob spürte, dass ich das Vertrauen verloren hatte. Das Vertrauen, dass alles gut wird und das Leben sich um einen kümmert, wenn man loslässt. Er sagte: »Es wird Zeit, dass du deine rosarote Brille wieder aufsetzt, damit du dein Leben wieder aus einer anderen Perspektive siehst.« Und dann sagte er: »Weißt du noch, unser Wunder vor zehn Jahren?«
Jetzt – die Kraft der Gegenwart
Vor knapp zwölf Jahren kam zum ersten Mal der Babywunsch in mir auf. Von einem Tag auf den anderen war er da. Ich hatte zwar schon sehr früh gewusst, dass ich eines Tages eine eigene Familie gründen wollte, aber der richtige Wunsch kam dann ganz plötzlich. Und die meisten Frauen da draußen kennen dieses Gefühl, wenn man mit einem Mal nur noch Schwangere mit runden Bäuchen und Kinderwagen sieht. Man fragt sich: Waren davor schon so viele da, oder wo kommen sie plötzlich alle her?
Ich war 28 Jahre jung, arbeitete extrem viel und wollte nun ein Baby. Relativ schnell fing ich an, mich wahnsinnig unter Druck zu setzen, schließlich hatte ich einen genauen (Zeit-)Plan. Dass man Pläne in Bezug aufs Kinderkriegen ganz schnell vergessen kann, wurde mir dann auch klar. Es wollte einfach nicht klappen.
Was mit Leichtigkeit und Spaß anfing, wurde immer verkrampfter. Ich lebte nur noch von Zyklus zu Zyklus. Machte weniger Sport, trank keinen Alkohol und dachte immerzu nur daran, was gut für das Baby wäre, das noch nicht einmal da war. Ein typischer Zustand, an dem man ganz klar sehen kann, wie sehr man sich mitunter vom Leben im Jetzt wegbewegt. In einem solchen Zustand lebt man nur noch für das eine Ziel, und alle wunderbaren Dinge, die einem dazwischen widerfahren, sind zweitrangig, denn der Kopf sagt immer wieder denselben Satz: »Erst schwanger wird alles gut, erst schwanger wirst du glücklich.«
Und plötzlich war es da, das kleine rosa Kreuz auf dem Schwangerschaftstest. Es war Sommer, und ich fuhr mit dem Fahrrad von meiner Ärztin direkt in einen Buchladen. Dort kaufte ich ein Papabuch, verpackte es zu Hause richtig schön und traf mich mit Jakob in einem sonnigen Café. Er packte sein Geschenk aus, und wir lagen uns glücklich in den Armen.
Schwanger, was für ein wundervolles Wunder! Das Geheimnis drei Monate für mich zu behalten fiel mir wirklich ungeheuer schwer, viel zu sehr liebte ich es, alles Glück mit meiner Welt zu teilen. Und so erzählte ich es in der siebten Woche nur ein paar ganz engen Freundinnen. In der neunten Woche dann die Schocknachricht: Das Herz schlägt nicht mehr …
Dieser Tag hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich stieg auf mein Fahrrad und fuhr weinend nach Hause. Noch heute denke ich manchmal am ausgerechneten Geburtstermin daran. Es folgten im selben Jahr zwei weitere Fehlgeburten. Schwanger wurde ich tatsächlich immer relativ schnell, nur bleiben wollte das Baby in meinem Körper nicht. Die Angst wurde immer größer, dass ich eventuell niemals eigene Kinder haben würde.
Zum Jahresende flogen wir zum ersten Mal nach Thailand. Einer von Jakobs engsten Freunden gab uns damals ein Buch mit: JETZT! Die Kraft der Gegenwart von Eckhart Tolle. Was für eine Entdeckung. Abwechselnd lasen wir darin und tauschten uns intensiv darüber aus. Es war absolut spannend, wie sich jeder von uns mit seinen ganz eigenen Themen angesprochen fühlte, als würde der Autor nur zu einem selbst sprechen.
Es war das allererste Mal, dass ich etwas in dieser Richtung las. Damals nannte ich es spirituell, heute würde ich sagen Persönlichkeitsentwicklung. Dieses Wort war mir damals noch kein Begriff, und so las ich einfach und konnte gar nicht fassen, wie sehr mich dieses Buch genau im richtigen Moment gefunden hatte.
Für Jakob war es sogar noch ein Stück extremer. Ich würde behaupten, dass er seitdem absolut angekommen ist. In ihm lebt sowieso eine alte Seele. Insofern war dieses Buch für ihn eine Bestätigung all dessen, was sowieso schon in ihm war. Nun hatte er die richtigen Worte dafür. Bei mir war es etwas anders – ich verstand, was im Buch stand und war auch davon überzeugt, nur mit der Umsetzung hatte ich noch meine Probleme.
Als Jakob meine Hand nahm und direkt mit meiner Seele sprach
Eines Abends saßen wir in Thailand am Strand und sprachen über meine Ängste. Jakob nahm meine Hand und schaute mir ganz tief in die Augen. Er sagte mit ruhiger Stimme: »Was wäre, wenn ich dir hier und heute verspreche, dass du innerhalb des kommenden Jahres schwanger sein wirst? Und wir ein Baby haben werden. Was würdest du anders machen, wenn du es mit absoluter Gewissheit wissen würdest?«
Noch heute bekomme ich eine Gänsehaut, wenn ich an diesen Abend denke. Ich überlegte und lachte erst. Doch er schaute mich absolut ernst an, blickte immer noch eindringlich in meine Augen. Ich sagte, ich würde mich entspannen und all die Dinge genießen, die ich erst mal nicht mehr machen könnte, wenn ich schwanger wäre. Ich würde wieder mehr Sport machen und feiern, mal was trinken und einfach mein Leben genießen!
Was glaubst du, was dann passierte? Ja, ich wurde sehr bald schwanger, und unser Wunder ist heute zehn Jahre alt.
Ist das schon das Geheimrezept? Dem Leben vertrauen?
Tief in mir wusste ich, das ist der Weg
Doch als ich Jahre später abrufen wollte, was zehn Jahre zuvor schon einmal funktioniert hatte, konnte ich es nicht mehr. Weil ich am falschen Ort suchte. Wieder einmal war ich nur im Außen. Suchte dort die Antworten und Erlösung. Nach innen zu schauen ist ja auch so viel schwieriger! Viel zu sehr sind wir daran gewöhnt, uns abzulenken, wenn es brenzlig wird.
Es ist so, als würde man immer wieder ein Pflaster auf eine Wunde kleben, aber die Wunde nie mal wirklich an der Luft abheilen lassen. Aus Angst, wir könnten wieder gegen den Schmerz stoßen. Doch unter dem Pflaster hat die Wunde keine Chance zu heilen. Und in einem Moment, in dem wir es nicht erwarten, löst sich das Pflaster wieder, und die Wunde schmerzt mehr denn je.
Meine Mama sagte immer:
Lieber ein Ende mit Schrecken
als ein Schrecken ohne Ende.
Zurück zu jenem Wintermorgen im Park, als Jakob zu mir sagte, dass er nicht mehr wüsste, wie er mir helfen könne. Das war der Tag, an dem ich begriff, dass ich etwas ändern musste. Niemand konnte diese Aufgabe für mich übernehmen. Zwar gibt es Menschen, die können dir eine Tür öffnen, aber hindurchgehen musst du schon selbst.
Mit einem Mal wusste ich: Mich abzulenken, wie ich es bisher getan hatte, würde mein Leid nur verlängern. Ablenkung ist ein Pflaster, das eine Zeit lang tröstlich und hilfreich sein kann. Aber auf die Dauer nützt uns diese Passivität wenig. Wir müssen selbst aktiv werden und Verantwortung übernehmen. Und so traf ich eine Entscheidung – ich riss das Pflaster einfach ab!
Das Leben verläuft nicht gradlinig und Heldenreisen schon gar nicht. Jede Krise bietet dir die Chance, deine Komfortzone zu verlassen.