Ich stand in Millies Küche und hielt mich an einer Kartoffelpresse fest. Heute war der zweite Kochkurs, und meine Aufgabe war es, Herzoginkartoffeln zu machen. Millie kümmerte sich um das Gemüse, wobei sie mir nebenbei jeden Handgriff erklärte, Heike briet einen Rehrücken an, dass es dampfte und zischte, und Esat erklärte mir gleichzeitig, wie man ein Himbeer-Sahne-Dessert herstellte. Ich war hoffnungslos reizüberflutet.
»Du musst den Kartoffelteig mit der Spritztüte auf das Blech spritzen«, erklärte Heike über den zischenden Topf hinweg. »Die müssen so aussehen wie Hundehaufen!« Fassungslos sah ich sie an. In was war ich hier bitte hineingeraten? Und das alles nur, weil ich nicht kochen konnte!
»Die müssen in den Ofen, jetzt los!«, fügte Millie ungeduldig hinzu, und Marga, die es sich mit einer Zeitung im Sessel neben dem Esstisch bequem gemacht hatte, fing an zu lachen. »Wie eine Horde aufgescheuchter Hühner!«, rief sie.
Esat drehte sich zu ihr um. »Danke, Marga.«
»Du nicht, du bist der Hahn.« Marga lächelte ihn liebreizend an, und Esat lächelte zurück. Aber so richtig überzeugend war das nicht. Er wirkte schon seit ein paar Tagen ein wenig traurig, und ich vermutete, dass es mit seinem Studium zu tun hatte.
Fredo kam in die Küche gestiefelt. »Und was bin ich dann?«
»Der Obergockel«, ließ Marga vernehmen und hob wieder die Zeitung vor die Nase.
Fredo war neben mir stehen geblieben und griff sich das Spritzdings von der Küchentheke. »Ich zeige es dir.« Dann befüllte er das Teil geschickt mit dem Kartoffelteig, zwirbelte das Ende zusammen und spritzte eine perfekt geformte Herzoginkartoffel auf das Blech. »So macht man das.« Ich seufzte, nahm ihm die Spritztüte ab und versuchte mein Glück. Meine Herzoginkartoffel sah aus, als wäre ihr schlecht. Sie neigte sich nach links und drohte das Gleichgewicht zu verlieren.
»Fast gut«, sagte Fredo zu meinem Erstaunen, und ich versuchte es erneut. Der nächste Kartoffelhaufen war auch nicht schön, drohte aber zumindest nicht mehr umzufallen.
»So lernt man das. Man muss es probieren«, erklärte Fredo mir ernst, und ich nickte ihm zu.
»Danke«, sagte ich.
Er tätschelte mir die Schulter. »Gut!« Erstaunt sah ich von meinem Hundehaufen aka Herzoginkartoffel auf, aber Fredo marschierte schon wieder aus der Küche. Dabei hätte ich ihn gerne gefragt, was genau er damit gemeint hatte. Waren wir auf dem Weg der Dorfintegration? Mochte er uns vielleicht sogar ein wenig? Esat hatte die Szene verfolgt und stellte seine Rührschüssel jetzt neben das Backblech.
»Man denkt, er sei ein böser, schroffer Kerl. Ist er aber gar nicht. Kann er gar nicht sein, sonst würde Millie ihn nicht so sehr lieben«, flüsterte er mir zu, und ich grinste.
»Den netten und umgänglichen Anteil seiner Persönlichkeit lässt er aber nicht so oft raus, oder?«, fragte ich und machte mich an die nächste Kartoffel. Esat dachte einen Moment lang nach. »Nein. Er gibt nicht viel aufs Nettsein. Aber wen er mal in sein Herz geschlossen hat, der kann auf ihn zählen. Er kam gestern zu mir und wollte mir allen Ernstes Geld von seinem Ersparten überweisen.« Ich blickte auf. Esat sah ernsthaft mitgenommen aus, weswegen ich die Spritztüte beiseitelegte. »Vielleicht versteht er, dass dieses Studium ein Traum von dir ist.«
Esat senkte kurz den Blick. »Ich kann nicht einfach noch mehr Geld annehmen. Ich weiß gar nicht, wie ich es zurückzahlen soll. Die beiden haben schon so viel für mich getan. Ich hatte vorher in Hamburg Probleme, Anschluss zu finden. Hier war es so einfach, dabei haben mich alle gewarnt und gesagt, die Menschen seien auf dem Land zum Teil gegen Ausländer. Das hat man in Hamburg gesagt, dabei habe ich es hier so nicht erlebt.«
»Die Menschen hier mögen dich. Ich übrigens auch. Vielleicht ist es für Fredo tatsächlich ganz selbstverständlich, dir Geld zu geben. Vielleicht musst du dir nicht so viele Gedanken machen«, sagte ich, wohl wissend, dass ich gut reden hatte. Esat wollte etwas erwidern, doch da kam Millie mit wehender Kittelschürze angeprescht und begutachtete die Herzoginkartoffeln.
»So wird das nichts«, erklärte sie, nahm mir die Spritztüte aus der Hand und setzte in wenigen Sekunden fast zwanzig perfekt geformte Kartoffelgebilde auf das Backblech.
»Ihr zwei quatscht zu viel und passt nicht gut auf«, sagte sie streng, und wir nickten ergeben. Dieser Kochkurs war kein Spaß, so viel stand mal fest. Aber Esat konnte ja auch schon kochen.
Zum Essen kam dann auch Ben rüber. Und Holger bog, kurz nachdem wir uns am Tisch niedergelassen hatten, mit seinem grünen Trecker auf den Hof und gesellte sich ebenfalls zu uns.
Es war köstlich. Schlicht und ergreifend phänomenal. Kein Vergleich zu den Avocado-Nudeln, die es bei uns so oft gab. Oder dem Rührei. Oder dem Müsli. Das hier war wirklich eine ganz andere Nummer. Und ich hatte die Herzoginkartoffeln gemacht. Also zwei davon. Die hässlichen.
Zwei Stunden später hatten wir alles aufgegessen, den Tisch abgeräumt und die Küche geputzt. Die Kochgang war sich mittlerweile einig, dass ich eine hart zu knackende Nuss war. Mit Entsetzen hatte man zur Kenntnis genommen, dass ich ohne Rezept und mehrtägige Vorbereitung noch nicht mal einen einfachen Rührkuchen zubereiten konnte. Einfachen Rührkuchen konnten hingegen alle der Anwesenden nachts um drei im Dunkeln und ohne Waage backen. Weswegen das nächste Mal »Backen« auf dem Programm stand.
Ben und ich verabschiedeten uns schließlich und liefen zurück auf den Hof.
»Was machst du jetzt?«, fragte er, als er die Haustür aufschob.
»Schreiben«, erklärte ich düster und sah auf die Uhr. Es war erst halb vier. Ich würde die Handbremse lösen müssen. Und dann den Mut finden, meinen Text dem Verlag zu zeigen.
Zweifelnd betrachtete Ben mich. Er sah für einen Moment so aus, als wollte er etwas sagen, verkniff es sich dann aber. »Ich habe gleich das erste Telefonat mit meinem eventuell zukünftigen Therapeuten«, sagte er.
»Echt jetzt?« Ich war gerade dabei, mir die Schuhe von den Füßen zu streifen, und hielt inne.
»Ja«, erwiderte er, und ein unsicheres Lächeln machte sich in seinem Gesicht breit.
»Das geht? Per Telefon?«
Er nickte. »Das geht. Und das mache ich jetzt.«
»Finde ich grandios!«, sagte ich schnell.
Ben legte seinen Schlüsselbund auf meinen ehemaligen Arbeitstisch, der jetzt mit unserem Teller der Schätze und einem Blumenstrauß geschmückt in der Diele stand. »Martin hat ihn mir besorgt. Therapeuten sind mindestens so rar wie Hausärzte. Es gibt hier auch weit und breit keinen einzigen Psychotherapeuten. Die nächsten Angehörigen dieser Zunft sind in Husum, aber dort bekommt man bis zur nächsten Eiszeit keinen Termin. Weswegen der, mit dem ich jetzt arbeite, in Hamburg sitzt. Ich habe letzte Woche schon mal mit ihm telefoniert, und wir haben uns gegenseitig für kompatibel befunden. Heute ist das erste …« Er räusperte sich. »Therapiegespräch«, vollendete er dann seinen Satz.
»Ich bin stolz auf dich«, sagte ich und grinste Ben an, der mich aber nur mit gerunzelter Stirn betrachtete. Offenbar war er gedanklich schon bei dem gleich anstehenden Gespräch.
Ich verzog mich mit Kaffee und Laptop in den Obstgarten. Erst übersetzte ich zwei Seiten, dann wagte ich es endlich, Herrn Rogos eine Mail zu schreiben. Ich schrieb ihm, wie sehr das Buch sich verändert hatte und warum ich es genau so schreiben musste: So sah ich die Liebe. Und ich drückte meine tiefe Hoffnung aus, dass die Geschichte trotzdem noch für den Verlag interessant war.
Als ich fertig war, schickte ich die Mail ab, ohne sie noch einmal durchzulesen, murmelte »Scheiße«, und rieb mir erschöpft das Gesicht. Auf einmal wurde ich von einem Vogel angegriffen. Er pickte mir energisch in die Schulter und flatterte dann schnell wieder in die Krone des Apfelbaums. Von dort blickte er auf mich hinab und schimpfte.
»Äh, was?« Ich starrte nach oben. Der Vogel starrte zurück. Er war rund und dunkelbraun und hatte eine rote Schwanzfeder, die aufgeregt zuckte.
»Bist du irre?«, erkundigte ich mich besorgt. »Können Vögel Tollwut haben? Das hättest du dann nämlich ganz bestimmt.«
Der Vogel schrie mich an und flog die nächste Attacke. Hektisch sprang ich auf und rettete mich zu dem kleinen Birnenbaum, während er jetzt auf dem Rand meines Laptops saß und mich abschätzig betrachtete.
»Kack nicht auf meine Tastatur! Was habe ich dir überhaupt getan?«, fragte ich, traute mich aber keinen Millimeter näher heran. Da hatte jemand mal wirklich Energie. Geradezu Furcht einflößend. Dann flatterte das wild gewordene Vogeltier an mir vorbei, und ich duckte mich. Es landete drei Bäume weiter, und endlich verstand ich, was hier los war. Direkt unter dem Apfelbaum, wo ich nun schon seit Wochen mein Lager aufgeschlagen hatte, lag ein dicker, abgebrochener Stamm im hohen Gras. Vermutlich hatte einer der vergangenen Herbststürme ihn dorthin befördert. Und auf dem langsam vermodernden Holz hockte ein klitzekleiner, kugelrunder Babyvogel. Er gab ein leises Piepen von sich, woraufhin der hysterische Muttervogel losschoss, um wieder eine Attacke in meine Richtung zu fliegen. Erneut duckte ich mich, blieb aber, wo ich war. Ob der kleine Vogel aus dem Nest gefallen war? Suchend blickte ich in die Baumkrone, konnte aber nichts entdecken. Was tat ich denn jetzt bitte? Brauchte diese Vogelfamilie Hilfe? Zögerlich machte ich einen Schritt in Richtung des kugelrunden Vogelkindes, da flog es plötzlich nahezu senkrecht nach oben. Die Mutter kreischte wie von Sinnen, und das Federbällchen landete sicher im Apfelbaum.
»Mensch!«, rief ich. »Was für ein Aufriss! Er kann doch schon fliegen! Wirklich …« Ich atmete tief durch, kehrte zum Tisch zurück, schnappte mir meine Tasse und den Laptop und verzog mich wieder auf die Haustreppe. Hier war ich zumindest vor verrückten Vogelmüttern sicher und konnte weiter mein Manuskript anstarren. Hier hatte ich allerdings auch wieder WLAN, was dazu führte, dass ich Mails bekam – eine, die mir neue Lagerregale anpries, eine, in der mir umwerfender Sex versprochen wurde und … eine von meinem Lektor. Ich schluckte, und sekundenlang kreiste mein Zeigefinger über den Trackpad. Aber dann öffnete ich sie doch. Mit angehaltenem Atem überflog ich sie. Die Mail war höflich, aber deutlich. Ein Begeisterungssturm klang anders. Jetzt las ich sie noch einmal langsam, und mein Herz schlug mir dabei bis unter die Schädeldecke. Rogos war interessiert, aber er sprach auch ganz klar seine Bedenken aus, ob der Roman jetzt überhaupt noch ins Portfolio und somit in sein Genre passte. Deshalb bat er mich, ihm das, was ich bisher geschrieben hatte, zu schicken, um es besser einschätzen zu können.
Ich rieb mir den Kopf. Und dann tauchte Ben auf und blieb hinter mir im Türrahmen stehen.
»Wir sind wie ein kleines Kammerspiel. Unser Leben bewegt sich nur zwischen Bett, Küche und Haustreppe. Ist dir das schon mal aufgefallen?«
»Nein«, sagte ich und drehte mich zu ihm um. »Ich war auch schon im Obstgarten, da hat mich aber eine Helikopter-Vogelmutter vertrieben.«
»Hm«, brummte Ben. Dann beugte er sich in einer plötzlichen Bewegung zu mir runter, fuhr mir mit den Händen über die Haare und richtete sich wieder auf. Ich war wie erstarrt und sah ihn an.
»Du hattest die Kontrolle über deine Frisur verloren«, erklärte er trocken und hockte sich neben mich.
»Der Verlag möchte die ersten Kapitel haben«, sagte ich tonlos.
»Das erscheint mir sinnvoll zu sein«, sagte Ben.
»Aber jetzt ist die Geschichte so anders. Das hat nichts mehr mit dem zu tun, was ich ihm damals verkauft habe.« Die plötzliche Panik ließ meine Stimme ganz dünn werden.
»Sei mutig und schick’s ihm einfach. Gibt eh keine Alternative«, sagte Ben trocken. »Ich bleibe hier bei dir sitzen. Du schaffst das.« Ich schüttelte den Kopf. »Doch, Lucy. Das ist dein Buch. Das ist, was du schreiben kannst. Wenn er es dann nicht mehr will, wird sich etwas anderes finden.«
Mit zitternden Fingern tippte ich eine Mail, hängte das Manuskript an und schickte es weg.
»Und wie war es bei dir?«, fragte ich dann.
»Das Telefonat war gut«, sagte er. »Ich … denke, dass mir das helfen wird. Es wird dauern. Alles braucht halt seine Zeit.«
Ich lag im Bett, und mir war warm. Das Haus hatte beschlossen, die brütende Hitze des Tages endlich auch durch die dicken Lehmwände des Fachwerks zu lassen, und nun waren es im Schlafzimmer mindestens dreißig Grad. Helmut hatte sich auf dem Boden der Länge nach ausgestreckt. Ich drehte mich zum meinem Laptop, der aufgeklappt auf dem Nachttisch stand, und checkte zum zehnten Mal meinen Mailaccount. Aber Rogos hatte natürlich noch nicht zurückgeschrieben.
Irgendwann schaltete ich die kleine Nachttischlampe aus und lauschte Helmuts sanftem Schnarchen. Und nachdem ich mich siebenmal hin und her gewälzt hatte, schlief ich schließlich ein.
Der Mond warf sein fahles Licht ins Zimmer und brachte die Enten auf meinem Laken auf sonderbare Weise zum Tanzen. Das Haus knarrte. Es klang müde, so als würde es nach dem heißen Tag auch keine Ruhe finden. Ich drehte mich zur Seite, und da lag Tausendschön, auf dem Kopfkissen neben mir zusammengerollt, wie Füchse das zu tun pflegten.
»Ist dir so nicht zu warm? So eingerollt wie eine Wurst?«, fragte ich sie und drückte mein Gesicht fester in mein eigenes Kissen.
»Nein. Ist prima«, antwortete die Füchsin, ohne jedoch den Kopf zu heben oder auch nur das Maul zu bewegen. Was ja klar war. Füchse konnten nicht sprechen. »Ich dachte, wir sollten uns mal unterhalten«, sagte sie, nachdem wir eine ganze Weile schweigend dagelegen hatten.
»Ja, bitte. Das ist mir recht«, erklärte ich. »Du musst mir da auch noch was erklären. Kommst du, um Glück zu bringen? Oder zeigst du dich nur Menschen, die glücklich sind?«
Sie schien einen Moment lang nachzudenken. »Macht beides keinen Sinn, merkst du selbst, oder?«
»Aber Dorle und Millie …«, setzte ich an, doch die Füchsin lachte nur.
»Die Menschen machen sich immer alles passend. Dorle hat sich eingebildet, dass sie immer gerade besonders glücklich war, wenn ich sie besucht habe. Und Millie ist so furchtbar abergläubisch.«
»Ah«, sagte ich matt. »Ich dachte, das wäre so eine nette, kleine magische Geschichte. Wie ein Märchen.«
»Lucy, kommen wir zum Punkt. Du bist feige.«
Ich schwieg, erschüttert über diese harten Worte.
»Liebe ist nicht wie ein Knall. Sie schleicht sich an, auf Zehenspitzen, und wenn man nicht drauf achtet, überfällt sie einen von hinten.« Sie klang, als wüsste sie, wovon sie sprach. Also ich zumindest wusste das sehr genau.
»Du kannst natürlich einfach so weitermachen, aber du wirst merken: Dieses Gefühl geht nicht von alleine weg. Das ist kein grippaler Infekt. Das ist Liebe«, erklärte sie mir ernst, und ich war erstaunt, was für schwierige Worte sie kannte. Immerhin war sie ein Fuchs. »Bringt auch nichts, ihm dein Buch nicht zu zeigen. Das ist, nimm es mir nicht übel, total albern.«
Ich räusperte mich. »Ben bringt mein Herz dazu, schneller zu schlagen. Wenn er lacht, möchte ich auch lachen. Ich kannte das bisher nicht. Ich wusste nichts darüber. Ich habe Liebesfilme gesehen und Liebesromane gelesen, aber ich habe es nicht verstanden. Nicht gefühlt. Denn das hier ist ganz anders.«
»Dann sag es ihm.«
Ich lachte auf. »Damit mache ich alles kaputt.«
Die Füchsin erhob sich. »Das denkst du nur. Aber ist es wirklich so? Mag platt klingen, aber man muss immer auf sein Herz hören.«
Mit diesen Worten sprang sie vom Bett und schwebte aus dem Fenster.
»Platt? Ich würde sagen, das klingt wie ein bescheuerter Kalenderspruch«, rief ich ihr hinterher. Und dann wachte ich auf.
Ich hatte einen furchtbar trockenen Mund, und meine Augen brannten. Verwirrt setzte ich mich auf. Der Mond schien nicht durchs Fenster. Es war bewölkt. Ein wenig benommen setzte ich mich an den Rand des Bettes und sah hinaus. Dann rieb ich mir das Gesicht. Was war das denn bitte für ein irrer Traum gewesen? Ich schluckte, und mein Hals schmerzte. Ich brauchte ein Glas Wasser. Oder einen Tee. Ja, Tee. Ich brauchte unbedingt einen Tee. Ich hievte mich hoch und wankte die Treppe ins Erdgeschoss hinunter. Leise Stimmen waren aus der Küche zu hören.
»Hallo?«, krächzte ich, verstummte aber sofort wieder, denn die Halsschmerzen waren wirklich furchtbar. Als ich die Tür aufschob, entdeckte ich Helmut und Ben, die auf dem Sofa saßen und Die drei ??? hörten.
Sie sahen auch nicht viel besser aus, als ich mich fühlte. »Ich glaube, ich werde krank. Und ich habe ganz komische Dinge geträumt«, verkündete ich.
»Komm zu uns«, sagte Ben und klopfte neben sich auf das Sofa. Ich ging hinüber und ließ mich neben die beiden plumpsen. »Was hast du geträumt?«, fragte er und legte mir die dicke Decke über die Knie. Mittlerweile war mir wirklich kalt.
»Kann ich nicht drüber sprechen«, sagte ich.
»Unanständige Träume?«, erkundigte Ben sich mit einem Grinsen. Ich schüttelte den Kopf und spürte, wie mir die Tränen kamen.
»Lucy. Hattest du einen Albtraum?« Wieder schüttelte ich den Kopf. »Dann lass uns mal den Halsschmerzen auf die Schliche kommen. Darf ich dir in den Mund gucken?«
Ich nickte und öffnete artig den Mund, während Ben die Taschenlampe an seinem Handy aktivierte. Damit leuchtete er mir in den Rachen, und es war mir nur ein bisschen peinlich, weil das Zähneputzen ja schon ein wenig länger her war.
»Darf ich mal nach dem Lymphknoten tasten?«
Wieder nickte ich, und jetzt berührte Ben ganz sanft die zarte Haut an meinem Hals. Suchend tasteten seine Fingerspitzen sich vor, während er die Augen geschlossen und den Kopf leicht geneigt hatte. Ich wollte ihn küssen. Jetzt. Stattdessen schluckte ich die Tränen hinunter.
»Ich vermute, du hast ein wenig geschnarcht. Das kann die Schleimhäute schon mal austrocknen, und dann hat man Halsschmerzen.«
Energisch schüttelte ich den Kopf. »Ich schnarche nie.«
»Dann ist ja gut. Aber ich glaube nicht, dass es ein Infekt ist. Dein Hals sieht ganz normal aus, und deine Lymphknoten sind nicht zu ertasten.«
»Es ist bestimmt ein grippaler Infekt«, beharrte ich. Der würde nämlich vorbeigehen. So war das im Leben. Infekte gingen vorbei, die Liebe nicht so einfach.
Ben lachte. Es war dieses tiefe, rollende Lachen, das jedes Mal ein Kribbeln in meinem Bauch auslöste. »Okay. Dann ist die beste Medizin, jetzt mit uns Drei ??? zu hören. Auf ärztliche Anordnung.«
Ich nickte stumm, dabei hätte ich ihm so gerne von Tausendschöns Besuch erzählt. Und dass ich auf mein Herz hören sollte. Und dass ich mich das einfach nicht traute. Doch dann legte Ben mir den Arm um die Schulter, und ohne weiter nachzudenken, lehnte ich mich an ihn und schloss die Augen.