Großstädter wissen meistens gar nicht, wie ekelhaft Geflügelkacke stinkt. Ich bin auf einem Hühnerhof aufgewachsen und kann ein Lied davon singen. Als diplomierte Geflügelwirtin hatte meine Mutter bereits vor den Protesten der Tierschützer mit der Käfighaltung Schluss gemacht, weswegen der Geruch bei uns nicht ganz so penetrant ausfiel. Aber auch unser freilaufendes Federvieh ging mir mit seinem ewigen Gackern, Scharren und den widerlichen Fäkalien ganz schön auf die Nerven. Einen krähenden Hahn hatten wir zum Glück schon längst nicht mehr, da er sich aggressiv gegen kleine Kinder verhalten hatte, und wir machten kurzen Prozess. Schlimmer als der Gestank war für mich allerdings, dass jeden Sonntag eine betagte Legehenne auf unserem Esstisch landete.
An den Wochenenden gab es etwas Abwechslung in unserem tristen Alltag, dann fielen Großstädter wie Heuschrecken bei uns ein, spazierten um den Dorfteich herum und wollten anschließend Naturalien kaufen. Meine Mutter spottete gern über die Ignoranz ihrer Kunden, die stets Eier mit brauner Schale verlangten. Aus ökologischen Prinzipien hielten sie nur diese für gesund und natürlich. Eigentlich schätzen wir Profis eher die legefreudigen Leghorns, die sowieso das gleiche Futter wie ihre Kollegen picken; die weiße Kalkfarbe ihrer Eier ist rein genetisch bedingt. Trotzdem ließen sich die Stadtmenschen nicht von ihrem Irrglauben abbringen, und bei uns tummelten sich nun hauptsächlich Welsumer und Barnevelder Rassen.
Wenn die Städter kamen, trugen meine Mutter und ich tief ausgeschnittene Dirndlkleider, die zwar in unserer Region nicht üblich sind, aber offensichtlich gut ankamen. Nachdem sie die Eierkartons in ihren Kofferraum verladen hatten, lümmelten sich die Herrschaften gern noch ein Weilchen auf der Gartenbank, tranken ein Bier, kauten mit langen Zähnen an mitgebrachten Stullen und warfen den geschäftigen Hühnern Brotbrocken zu. Sie fanden dieses Spektakel unerhört entspannend und effektiver als ein Wellness-Wochenende, Psychotherapie oder Yoga. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel, denn so wie die Großstädter uns um unsere heile Welt beneideten, so hätte ich umgekehrt gern mit ihnen getauscht. Die jungen Männer aus dem Dorf, die mich umwarben, gefielen mir wenig.
Aber eines Tages kam einer aus Berlin, zog mich neben sich auf die Bank und meinte, ein so reizendes Mädel wie mich habe er bisher noch nie getroffen. »Absolut unverbildet. Frisch und schön wie ein junger Morgen«, sagte er. Was Wunder, dass ich schon bald seine dritte Frau wurde.
Er hatte Geld, er besaß ein großes Auto, er kaufte mir überteuerte Dirndlkleider, die ich ungern anzog, und zeigte mich voller Stolz im Bekanntenkreis herum. Ansonsten verlangte er einen gepflegten Haushalt, jeden Morgen ein braunes Frühstücksei und sonntags das legendäre Huhn im Topf. Ich kam zwar seinen Forderungen zähneknirschend nach, wünschte mir meinerseits aber ein Kind.
Wenn ich meine Mutter besuchte, brachte ich meistens ein frischgeschlachtetes Huhn mit nach Hause. Kurz vor dem Schlafengehen rammte ich ihm einen silbernen Esslöffel der Länge nach durch den Leib und setzte es in einem großen Topf mit Salzwasser, Lorbeerblättern und Suppengemüse auf. Nach einmaligem Aufkochen verschloss ich den Deckel und drehte die Herdplatte aus. Durch diesen altbewährten Trick war das Fleisch am nächsten Tag weich und mühelos zu zerteilen. Haut, Flügel, Hals und Knorpel fraß der Hund, die Knochen wurden entsorgt. Mit Weißwein, Sahne, Eigelb und Geflügelfond entstand eine helle Soße. Mein Mann liebte es, wenn Spargelstücke oder Champignons zugegeben wurden, aber noch köstlicher fand er ein vorsintflutliches Rezept meiner Mutter. Bei ihr wurde das Frikassee nämlich mit Markklößchen verfeinert.
Bald schon ekelte ich mich vor diesem Gericht und mochte es kaum noch anrühren, während mein Mann sich die ganze Woche darauf freute. Besonders die Klößchen habe ich verflucht, denn dafür musste ich Röhrenknochen kaufen und ihren glibberigen Inhalt herauskratzen. Es war eine umständliche Prozedur, bis ich die fettigen Einlagen endlich fertig hatte.
Irgendwann begann ich, auch meinen phlegmatischen Mann zu verabscheuen. Ich dachte gelegentlich an unseren alten Hahn, mit dem meine Mutter nicht viel Federlesen gemacht hatte. Auch mein Gatte war nicht mehr der Jüngste, und der erhoffte Nachwuchs ließ aus naheliegenden Gründen auf sich warten. Beim Gassigehen mit dem Hund hatte ich einen jüngeren Typ kennengelernt, der mir wesentlich besser gefiel als mein Alter. Aber noch hatte ich nicht den Mut, irgendwelche Konsequenzen daraus zu ziehen.
Da ich Zeit für meinen neuen Freund abzweigen wollte, pflegte ich das Kochen etwas zu verkürzen. Um das sonntägliche Frikassee schneller auf den Tisch zu bringen, fror ich das Huhn aus der mütterlichen Haltung erst einmal ein und kaufte im Supermarkt ein fertiges Grillhähnchen. Unser Hund fraß die krosse braune Haut noch lieber als die bleiche der gekochten Hühner, und die hellen Fleischteile unter der knusprigen Oberfläche unterschieden sich nicht wesentlich von den selbst zubereiteten. Sauce hollandaise aus der Tüte, Champignons aus der Dose und Markklößchen von der Metzgertheke vervollständigten das Schnellgericht. Mein Mann merkte es nicht, lobte mich über den grünen Klee und behauptete, so gut sei mir das Sonntagsmahl noch nie gelungen. Ich hatte nach wenigen Anstandshappen bereits genug, er aber nahm dreimal – und zwar im Schweiße seines Angesichtes. Ermattet warf er sich schließlich aufs Sofa, tat einen bedrohlichen Schnaufer und verlangte nach seinen Herztabletten. Mir kam wieder in den Sinn, wie hart man bei uns im Dorf über jene urteilt, die beim Arbeiten frieren und beim Essen schwitzen.
Immer wieder schüttelte ich den Kopf über die kulinarische Ahnungslosigkeit meines Mannes. Meine zuvor so mühsam zubereiteten Gerichte waren vergebliche Liebesmüh gewesen, denn anscheinend war er mit Junkfood ebenso glücklich. Allerdings war er nicht in allen Dingen so unbedarft, wie ich glaubte. Eines Tages äußerte er den berechtigten Verdacht, dass es einen Nebenbuhler gab.
Bevor er sich scheiden ließ, wollte ich lieber zur reichen Witwe werden.
Am nächsten Sonntag bohrte ich mit einem Schaschlikstäbchen feine Löcher in die Markklöße und füllte sie mit winzigen Digitalis-Tabletten. Es schmeckte meinem Mann wieder einmal phantastisch, doch seine Zunge stieß verwundert auf eine ungewohnte Konsistenz im Inneren der Klößchen.
»Gefüllt?«, fragte er voller Bewunderung. »Mit was?«
»Mit klitzekleinen Oliven und Kapern«, antwortete ich.
»Raffiniert!«, sagte er. Das war sein letztes Wort.
Inzwischen bin ich reich und schwanger. Seit neuestem überfällt mich häufig ein maßloser Heißhunger nach Hühnerfrikassee. Doch mein zweiter Mann steht auf Döner.