Gibt es eigentlich vollkommen selbstlose Liebe, die keiner Erwiderung bedarf? Wenn wir uns mit Hingabe unseren Herzallerliebsten zuwenden, wollen wir möglichst viel zurückbekommen, sonst werden warme Gefühle irgendwann erkalten. Freundschaften, Ehen, Partnerschaften, Familien basieren auf einem unausgesprochenen Deal: Gib und dir wird gegeben. Ausnahmen sind wohl jene besonders idealistisch oder gläubig veranlagten Menschen, die aus altruistischen Gründen jede Kreatur ins Herz schließen und nicht nach einer Gegenleistung streben – aber sicherlich lassen sie sich auch ein geheimes Hintertürchen offen. Zu dieser karitativen Gruppe möchte ich mich nicht zählen, und doch gibt es auch für mich eine große Liebe, die ich für nahezu uneigennützig halte.

 

Schon lange hatten seine Eltern auf das ersehnte Kind warten müssen. Und auch wir Großeltern hofften, zitterten und bangten mit unserer Tochter.

Um das Enkelkind kennenzulernen, setzte ich mich schleunigst in den Zug und fuhr nach Berlin. An die Reise, die Fahrt mit dem Taxi und die Ankunft kann ich mich nicht erinnern, nur an das überwältigende Glücksgefühl, als ich das Neugeborene im Arm hielt. Wir wärmten uns gegenseitig, und ich erkannte voller Stolz, dass es ohne mich diesen kleinen Menschen niemals gegeben hätte. Wir Großeltern freuten uns sehr, als unsere Tochter nach zwei Jahren mitsamt ihrem kleinen Sohn zurück in die alte Heimat zog.

Auch andere Großmütter haben das Vergnügen,

Unvergesslich bleibt mir eine kleine Reise ins Engadin – gemeinsam mit dem neunjährigen Enkelkind. Beim Abendessen im Hotel bekommt nach und nach fast jeder Gast sowie die Kellner und

Höhepunkt und Abschluss der Reise soll eine gemütliche Kutschfahrt durchs autofreie Fextal werden. Ich bin begeistert vom Alpenpanorama mit den Schneebergen im Hintergrund und will meinen Enkel dauernd auf die Schönheiten der Natur aufmerksam machen: auf grasende Kühe, Lamas, unsere braunen Freibergerpferde und das fröhliche Gebimmel der Glöckchen. Anscheinend kann ich meinen Enthusiasmus nicht mit ihm teilen.

»Oma, soll ich mal eine Geschichte erfinden?« – »Besser heute Abend, dann erzählen wir uns beide etwas Schönes vor dem Einschlafen. Jetzt wollen wir doch die Kutschfahrt genießen!« Aber er legt trotzdem los. Kapitel eins: Die Abenteuer der drei Chimären. Jede dieser Kreaturen besteht wiederum aus drei anderen Tieren, zum Beispiel Chamäleon, Löwe und Kolibri. Und da es sich um außerordentlich seltene Exemplare handelt, werden die Fabelwesen zu Forschungszwecken gefangen gehalten.

Es muss wohl Liebe sein, dass ich zwar seufze, ihn aber nicht mehr unterbreche, obwohl ich eigentlich den Zauber dieser Landschaft einatmen möchte. Mein kleiner Junge ist nicht mehr zu bremsen und berieselt mich ununterbrochen wie der plätschernde Bach, der uns so munter begleitet. Bei der Ankunft im Hotel geht es gleich weiter. Erst der Kannibalenwitz für den Portier, dann Kapitel zwei für die müde Oma: die Flucht der drei Chimären. Und ich sage immer noch nicht: »Halt endlich mal die Klappe!«

Gelegentlich gibt es jedoch Fragen, die mir zu denken geben. Als Vierjähriger wollte der Enkel bereits wissen: »Oma, wenn du dich totgelebt hast, kriege ich dann deine silberne Taschenlampe?«

Im Gegensatz zu den habgierigen Enkelkindern handeln wir Großeltern ziemlich uneigennützig,