3. Kann digitale Kunst nicht trotz NFT weiterkopiert werden?

Wozu braucht es einen NFT, wenn ich mir eine digitale Collage, ein Video oder ein Foto trotzdem weiterhin einfach herunterladen kann? Diese Frage wird häufig gestellt, gern kopfschüttelnd nach dem Motto, die spinnen, die Römer – äh, NFTler. Das mit dem Herunterladen stimmt, jedenfalls meistens. Dass beispielsweise ein Foto aus der Serie »Twin Flames« von Justin Aversano mir gehört und zwischenzeitlich für hohe sechsstellige Eurosummen gehandelt wurde, hindert dich nicht daran, es runterzuladen, auszudrucken und daheim über dein Sofa zu hängen. Dasselbe könntest du allerdings auch mit einem Foto der Mona Lisa tun. Gehört dir deswegen die Mona Lisa?

In der NFT-Szene macht man sich über Menschen, die so argumentieren, als »Right click and save as« lustig, entsprechend der Tastenkombination, mit der man digitale Inhalte auf dem heimischen Computer speichern kann. Der Digitalkünstler XCOPY widmete diesen Skeptikern sogar ein ironisches Porträt (siehe Abbildung). Cozomo de’ Medici, einem bekannten NFT-Sammler und Influencer, war das Werk im Dezember 2021 1.600 Ether (ETH) (zum damaligen Zeitpunkt rund 5,8 Millionen Euro) wert. Klingt nur dann verrückt, wenn man nicht weiß, dass XCOPY einer der Stars der Szene ist, einen unverwechselbaren Stil hat, Unikate von ihm hoch gehandelt werden und dieses aufgrund seiner schon fast fröhlichen Farben aus dem Rahmen fällt. Hinter Cozomo de’ Medici soll sich übrigens der Rapper Snoop Dogg verbergen, wie nach langem Rätselraten im Herbst 2021 bekannt wurde. Inzwischen kommen daran schon wieder Zweifel auf. Womit du schon einen Eindruck bekommst, dass diese Szene wirklich anders tickt als die ehrwürdige klassische Kunstwelt.

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XCOPYs Right-Click and Save As Guy (Screenshot des NFT-Marktplatzes OpenSea4 (13.07.2022)

Doch zurück zur Ausgangsfrage: Was nützt dir der Besitz eines virtuellen Gutes, zu dem auch andere Zugang haben? Ganz unverblümt gesagt: Angeben kannst du trotzdem damit, und das in Zeiten von Social Media mehr denn je. So einen NFT als Profilbild bei Twitter sehen eben ein paar mehr als die Rolex an deinem Handgelenk. Und ja, das kann man peinlich oder gar verwerflich finden, in der Realität kommunizieren wir alle aber unseren sozialen Status darüber, was wir anhaben oder anderweitig zur Schau stellen. Wäre dem nicht so, gäbe es keine Luxusmarken, stimmt’s? Auch das ist im Grunde nicht anders als bei einem traditionellen Kunstwerk. Würde dir die Mona Lisa gehören und du hättest sie dem Louvre lediglich als Dauerleihgabe überlassen, hinge neben der berühmten Dame vermutlich ein Messingschild mit deinem Namen – zumindest, wenn du so tickst wie 90 Prozent aller Menschen. Und je digitaler unsere Welt wird, desto mehr gleicht sich der Besitz digitaler Güter dem »echter« Güter an. Im Verlauf dieses Buches wirst du noch sehen, dass viele Menschen sich längst in digitalen Metaversen zu Hause fühlen, in denen sie sich mit anderen (bzw. deren Avataren) treffen, Land kaufen, Häuser einrichten und ihre digitale Kunstsammlung ausstellen.

Wir möchten Dinge besitzen und sie zeigen. Und je selbstverständlicher digitale Welten werden, desto selbstverständlicher wird auch der digitale Besitz. Digital Natives und netzaffine Menschen, die schon seit Jahren Geld für Fortnite Skins ausgeben oder sich nichts sehnlicher wünschen, als einen blauen Haken bei Instagram, wundern sich weit weniger darüber als ihre Eltern oder Großeltern. Wer mit Computerspielen aufgewachsen ist und in den Fantasiewelten bereits virtuelle Gegenstände erobert oder erworben hat, zuckt auch bei virtueller Kunst nicht mit der Wimper. Und er kennt sich vielleicht auch schon mit Kryptowährungen aus, dem dominierenden Zahlungsmittel für NFTs (mehr dazu unter Punkt 6).