Als Beeple’s »Everydays: The First 5000 Days« im März 2021 für 69,3 Millionen Dollar versteigert wurde, katapultierte das nicht nur den unscheinbaren Grafiker Mike Winkelmann alias Beeple auf die Weltbühne, sondern auch NFTs im Allgemeinen. Etwas, das so teuer sein kann, musste man offensichtlich ernst nehmen! Über all der Presseaufregung um den Verkaufspreis ging das Werk selbst fast unter. »Everydays« entspringt der Idee, jeden einzelnen Tag des Jahres eine Grafik zu veröffentlichen. Ja, auch an Weihnachten, am eigenen Geburtstag, wenn ein Kind geboren wird oder wenn Büffelhornträger das Capitol stürmen. Beeple als Mitbegründer der »Everdays«-Bewegung hielt mehr als 13 Jahre durch. Die 5000 Grafiken, die er in »The First 5000 Days« zu einem riesigen Bild vereinte, sind also nicht »irgendwelche« Bilder. Sie dokumentieren einen kreativen Entwicklungsprozess und sind mit ihren teilweise ironisch-sarkastischen Anspielungen auf politische Entwicklungen zugleich ein Zeitdokument. Auf Beeples Website unter https://www.beeple-crap.com/everydays gibt es ein Bildarchiv, das seine Experimente mit verschiedenen Medien zeigt – von Zeichnungen über Fotos bis zu 3D-Grafik (mit einem Programm, das verwirrenderweise Cinema 4D heißt). Nur wenige ausgewählte dieser Bilder werden auch als NFTs gemintet. Beeples Erfolg war kein One-Hit-Wonder: Auch andere Werke erzielten hohe Preise. Dazu zählt »Human One«. Das NFT zeigt einen Astronauten, der durch eine dystopische Welt, ein düsteres Katastrophenszenario, läuft. Der Clou: Seine Umgebung ändert sich mit der Tageszeit, und auch auf aktuelle Ereignisse kann der Künstler mit neuen Programmierungen reagieren. Das gilt auch für die analoge Skulptur, in der der lebensgroße Astronaut sich in einem Glaskasten bewegt. Schau es dir am besten selbst an: https://human-one.xyz/. Das NFT wurde von Christie’s für 29 Millionen US-Dollar versteigert.
Bereits im Januar 2021, einige Wochen vor dem »Everydays«-Verkauf, stellte Beeples Video-Kommentar zum Ausgang der Präsidentenwahl in den USA mit einem Verkaufspreis von 6,6 Millionen Dollar einen ersten Rekord auf. Der 11-Sekunden-Clip zeigt einen ausgeknockten Trump, der nackt und übersät von Graffiti bäuchlings auf dem Rasen liegt, während Passanten achtlos vorbeigehen.35 Auch für den Fall eines Trump-Sieges hatte Beeple übrigens ein Video vorbereitet. »Ocean Front« schließlich, Beeples Kommentar zur Klimakrise und ein Einzelbild aus der »Everydays«-Collage, erzielte Ende März 2021 einen Verkaufspreis von 6 Millionen Dollar.36 Beeple hatte 2021 also einen echten Lauf. Und man braucht keine Glaskugel, um zu wissen, dass auch seine zukünftigen Werke Rekordpreise erzielen werden. Das weiß bei Picasso schließlich auch jeder.
Ähnlich bekannt wie Beeple ist Pak, ein rätselhafter Künstler, der virtuos mit digitalen Möglichkeiten und mit seiner wachsenden Anhängerschaft spielt. Ob sich hinter »Pak« (früher »Murat Pak«) ein Team, eine Einzelperson, Mann oder Frau verbirgt, ist bis heute unklar. Viele Werke sind spielerische Kooperationsangebote mit offenem Ausgang. Bei den »Lost Poets« beispielsweise erwarb der Käufer leere Seiten, die erst im Kaufprozess gefüllt wurden. Diese Pages konnten später gegen »Poets«, digital generierte Porträts, getauscht werden – wodurch sich der Wert der immer knapperen, nicht getauschten Pages erhöhte. Zusätzliche Pages konnten Besitzer im Austausch für Worte an ihre Poets »verfüttern« oder aber verbrennen. Diese Zerstörung belohnte Pak mit der von ihm kreierten Kryptowährung »Ash«, also Asche. Ist das nun Ironie oder ernst gemeint? Auch Werke wie »The Title« wirken wie ein spöttischer Kommentar zum Kunstmarkt: Pak versah dasselbe Werk mit unterschiedlichen Titeln und verkaufte es zu verschiedenen Preisen (siehe Abbildung). Paks Bekanntheit steigerte sich enorm, als Sotheby’s im April 2021 seine Kollektion »The Fungible« versteigerte und in einer zweitägigen »Open Edition« mit unbegrenzter Verkaufsmenge knapp 17 Millionen Dollar einnahm. Auch hier erwies sich Pak als Meister kluger Schachzüge: Zuvor hatte er über Twitter allen »Global auction houses« ein Angebot gemacht, Sotheby’s schlug zu und hat es sicher nicht bereut.
Im Dezember 2021 schließlich brach Pak mit »The Merge« alle bisherigen NFT-Rekorde, den von Beeple eingeschlossen. Zwei Tage lang konnten insgesamt 266.445 »Massen«-Anteile auf Nifty Gateway gekauft werden. Pak-Sammler erhielten Einzelanteile für 299 Dollar, Neueinsteiger zahlten 400 Dollar. Alle sechs Stunden stieg der Preis um 25 Dollar, und sogar Mengenrabatt gab es: Pro zehn Anteile gab es einen kostenlosen elften obendrauf, pro 1.000 waren es sogar 300 Gratiszugaben. Parallel wurde ein laufend aktualisiertes Käufer-Ranking veröffentlicht und dem Top-Käufer am Ende das Kunstwerk »Alpha Mass« geschenkt. Das erinnert schon fast an eine Kirmesversteigerung, bei der es die Yucca-Palme kostenlos obendrauf gibt, wenn man fünf Topfpflanzen kauft. Insgesamt erzielte die A(u)ktion 91,8 Millionen Dollar, und das von Käufern, die zum Zeitpunkt des Kaufs nicht genau wussten, was auf sie zukommen würde, sondern nur, dass sie die ominösen Massen »verschmelzen« konnten. »The Merge« sei »ein Spiel, das Narren, Fans von Kryptowährungen und NFTs sowie zunehmend von dieser Welt faszinierte Kunst-Begeisterte in seinen Bann zieht«, urteilte das Portal Artmarket.com.37 Mancher rauft sich da die Haare: Sind solche Preise gerechtfertigt? Oder ist einfach zu viel Geld im Umlauf, das angelegt werden will? Die gleiche Frage wird und wurde immer wieder gestellt – 1961, als ein Aristoteles-Porträt von Rembrandt für 2,3 Millionen Dollar den Besitzer wechselte. 1987, als van Goghs »Schwertlinien« ihrem Besitzer 53,9 Millionen Dollar einbrachten. Oder 2006, als Klimts »Frau in Gold«, das Jugendstil-Porträt von Adele Bloch-Bauer, für 135 Millionen Dollar versteigert wurde. Alle Gemälde waren zu dieser Zeit die teuersten der Welt.38 Die Momentaufnahme zeigt, wohin die Reise auf dem Kunstmarkt geht: Deine Großeltern haben völlig recht, es wird tatsächlich alles teurer! Doch ernsthaft: Was macht den Wert großer Kunst aus? Große Kunst hat ihren Preis, aber ist ein hoher Preis ein Garant für große Kunst? Natürlich nicht, denn nüchtern betrachtet ist der Kunstmarkt eben genau das: ein Markt, der von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Über Wertfragen wird gestritten, solange es Kunst gibt. Echte Kunst verändert Sehgewohnheiten, berührt, fasziniert, verunsichert, provoziert, gibt Rätsel auf. Sie experimentiert, beschreitet neue Wege, besitzt Tiefe. Das ist vage genug, erklärt, warum Heerscharen von Experten darüber diskutieren und sich längst nicht immer einig sind. Hinzu kommt, dass man als Künstler erst einmal auffallen muss, um groß herauszukommen. Es braucht Kontakte, Fürsprecher und gelungenes Selbstmarketing. Leg diese Messlatte an Beeple oder Pak an, und du verstehst, warum sie es ganz nach oben geschafft haben. Und wer erst einmal dort angekommen ist, wird ganz selten entthront. Weitere NFT-Künstler, die in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit und teilweise sehr hohe Preise erzielt haben, stelle ich dir in der folgenden Übersicht vor. Und das Porträt eines Newcomers, der die Regeln des Marktes sehr genau verstanden hat, findest du am Ende dieses Kapitels: Marco Mori.
Die zehn bekanntesten Künstler |
|
Aaron Penne |
Penne ist leitender Mitarbeiter bei Art Blocks, Ingenieur und Künstler. Bekannt wurde er vor allem durch seine »Apparitions«, digital generierte Bilder, die dynamische Wellenformationen zeigen. Eines aus meiner eigenen Sammlung zeigt die Abbildung weiter unten. Werke von Penne wurden bei Sotheby’s versteigert und in namhaften Museen weltweit ausgestellt. Die Info-Plattform https://cryptoart.io beziffert den bisherigen Umsatz seiner Werke auf 6,3 Millionen Dollar. Penne gehört zu den Künstlern, deren Werke mit vierstelligen Preisen auch für Normalbürger noch erschwinglich sind.39 |
Beeple |
Der Grafiker Mike Winkelmann, dessen Werke regelmäßig Rekordpreise erzielen. Ausführlich dazu oben im Text. |
Dmitri Cherniak |
Der kanadische Computerwissenschaftler Dmitri Cherniak wurde bekannt durch seine Serie »Ringers«, die rasch Millionenpreise erzielte. Auf den streng komponierten und teilweise Pop-Art-bunten Bildern wird eine Schnur auf vielfältige Weise um kreisförmige Strukturen geführt. Im Oktober 2021 wurde eines dieser Werke für 6,9 Millionen Dollar verkauft.40 Wie bei allen anderen Top-Künstlern erkennt man auch einen Cherniak auf den ersten Blick. |
Erick Snowfro |
Erick Snowfro, bürgerlich Erick Calderon, ist der Gründer und CEO von Art Blocks, dem führenden Marktplatz für Generative Art. Er lebt in Houston (Texas) und ist zugleich als Künstler bekannt für seine »Chromie Squiggles« – 9.700 fröhlich-bunte Schläuche, die in Bewegung sind und dabei permanent die Farben wechseln. Die Chromie Squiggles waren das Art-Blocks-Startprojekt und gleich erfolgreich: Der Preis für eines dieser Werke ist inzwischen fünfstellig. |
FEWOCiOUS |
Victor Langlois alias FEWOCiOUS ist ein erst 19-jähriger Shooting-Star, der in knallbunten und zugleich inhaltlich düsteren Porträts seine beklemmende Kindheit und sein Coming-out als Transperson verarbeitet. Sein unverwechselbarer Stil brachte bei einer Auktion im Juni 2021 die Seite von Christie’s zum Absturz, so groß war das Interesse an seiner Sammlung »Hello, I’m Victor (FEWOCiOUS) and This Is My Life«. Er ist zugleich der jüngste Künstler, dessen Werke dort bisher versteigert wurden, und das für Millionen von Dollar.41 |
Hackatao |
Ein italienisches Künstlerpaar, das kleinteilige Schwarzweißzeichnungen im Tattoo-Stil mit bunten Elementen verschmilzt, flimmern lässt und so ebenfalls eine sehr eigene Handschrift entwickelt hat. Hackatao ist eine Verbindung von »Hack« (eindringen, hacken) und »tao« (als Verschmelzung der Gegensätze Ying und Yang). Mit 4.000 verkauften Werken soll das Duo bislang rund 25 Millionen Dollar erzielt haben.42 Mit der Serie »Queens + Kings« schufen sie im Winter 2021/22 eine Serie von 6.900 Avataren, deren Merkmale die Besitzer unter dem Motto »Hack the Royals« individuell anpassen konnten – eine Neuheit bei Profile Pics. Zusätzliche Traits wurden auf OpenSea angeboten.43 |
Justin Aversano |
Justin Aversano ist der bekannteste Fotokünstler im NFT-Space. Einem breiteren Publikum bekannt wurde er durch seine Serie »Twin Flames« – 100 Fotos von Zwillingspaaren aller Altersgruppen und Kulturen. Sotheby’s und Christie’s versteigerten Werke, sein Name wird inzwischen in einem Atemzug mit Größen wie Cindy Sherman und Ansel Adams genannt.44 Seinen wirtschaftlichen Erfolg nutzte Aversano auch, um Quantum Art, einen Marktplatz für NFT-Fotokunst zu gründen. Inzwischen ist mit »Smoke and Mirrors« eine neue Fotoserie von ihm erschienen. Siehe auch Porträt im Kapitel »Die 5 exklusivsten Communitys«. Aversano lebt in Los Angeles. |
Pak |
Rätselhafter Digitalkünstler, der sich immer wieder überraschende Aktionen einfallen lässt. Mehr oben im Text. |
Tyler Hobbs |
Wie viele im Bereich Generative Art aktive Künstler kommt auch der Texaner Tyler Hobbs von der IT. Aufsehen erregte vor allem seine Serie »Fidenza«, in der ein Code eine Vielfalt verblüffend organischer Strukturen, verschlungener Strände und Rechtecke erzeugt. Seiner eigenen Aussage nach geht es Hobbs genau darum: die Grenzen zwischen und auch die Verschmelzung von Technischem und Menschlichen auszuloten.45 Fidenza #313 (»The Tulip«) wechselte im August 2021 für 3,3 Millionen Dollar (1.000 Ether) den Besitzer. Erstanden hatte es der Verkäufer zwei Monate zuvor für nur 0,58 Ether.46 Auf seiner Website gibt Hobbs einen Überblick seines vielfältigen Werkes, das inzwischen ganze Hauswände ziert.47 |
XCOPY |
Ein anonymer Londoner Künstler, dessen rauer Stil ebenfalls unverwechselbar ist: meist schwarzgrundige Bilder mit flimmernden, grob skizzierten Neon-Motiven. Seinen »Right-click and Save As Guy« hast du weiter oben schon kennengelernt. Andere Werke heißen beispielsweise »Death Dip«, »Some Asshole« oder »All Time High in the City«. Das ist ein Bild in Schwarz und Blutrot, auf dem der Tod einen Banker in einem Kahn an einer düsteren Skyline vorbeirudert. In der griechischen Mythologie Bewanderte werden an den Fluss Styx denken, über den ein Fährmann die Todgeweihten in das Reich des Hades bringt. Anfang 2022 wurde dieses Unikat für knapp 2,5 Millionen US-Dollar verkauft. Erschwinglicher sind Werke aus größeren Serien, von denen ich einige besitze (siehe Abbildung weiter unten). Insgesamt wird der Umsatz mit Werken von XCOPY (übrigens ein MS-DOS-Befehl) auf knapp 60 Millionen Dollar geschätzt.48 |
Ich kann hier natürlich nur einen kleinen Teil der Kunstszene abbilden. Diese zehn Künstler sind einige meiner vielen persönlichen Favoriten, die dir zugleich einen Eindruck von der Vielfalt der digitalen Kunst vermitteln. Wenn du weiter stöbern willst, kannst du dich beispielsweise durch Aufstellungen wie die folgenden anregen lassen:
Top 20 NFT Artists in the World 2022 (https://www.nftyink.com/top-20-nft-artists-in-the-world-2022)
The 30 Most Influential NFT Creators Right Now (https://futureparty.com/stories/nft-artists-creators/)
Fortune NFTy 50 (https://fortune.com/nfty-50/)
A Handpicked List of the 55 Top NFT Artists in 2022 (https://web3.hashnode.com/a-handpicked-list-of-the-55-top-nft-artists)
Bedenke bei all dem: Der Kunstmarkt ist hochgradig volatil (unbeständig, schwankend). Niemand besitzt eine Glaskugel, die sichere Prognosen erlaubt und sowieso sind Prognosen schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Jenseits etablierter Künstler einen Newcomer zu entdecken erfordert viel Recherche, solide Erfahrung und auch ein Quäntchen Glück. Es gilt also das im NFT-Space verbreitete Motto »dyor«. Für Normies: »Do your own research«, mach dich selbst schlau!