»Taste is the new skill«
Claire Silver ist eine der Frauen, die in der männlich dominierten NFT-Szene rasch für Aufmerksamkeit sorgte. Mit einem Background in Kunstgeschichte und Marketing beschäftigt sie sich seit 2017 mit NFTs. Ihre digitalen Werke entstehen unter Einsatz von künstlicher Intelligenz (engl. Artificial Intelligence/AI).252 Dabei arbeitet sie mit GAN, einem Generative Adversarial Network, in dem zwei selbstlernende Systeme miteinander konkurrieren: ein generatives Netzwerk, das Inhalte erzeugt, und ein diskriminierendes Netzwerk, das die Ergebnisse auf ihre Plausibilität hin überprüft.253 Daneben setzt sie auch analoge Techniken wie Öl, Acryl, Collage oder Fotografie ein. Das Ergebnis sind surreal anmutende Bildwelten, in denen Claire, wie sie selbst sagt, »Verletzlichkeit, Trauma, körperliche Beeinträchtigung, soziale Hierarchien, Unschuld und Göttlichkeit« thematisiert, sowie »die Rolle, die wir in einer transhumanistischen Zukunft spielen«.254 Bei Twitter folgen Claire nach nur 20 Monaten auf der Plattform 60.000 Menschen, womit sie im Schnitt jeden Tag 100 Follower gewonnen hat. Ihre Selbstvorstellung dort bringt vieles auf den Punkt, was man über Claire wissen sollte: »AI art. Prompt Engineer. #1629. Co-founder @accelerateart | Taste is the new skill |«
CryptoPunk 1629 – Ihr Profilbild – zeigt sie als frühe Anhängerin der Punks. Hinter Accelerate Art verbirgt sich eine digitale Galerie im Metaversum CryptoVoxels, die sich die Förderung junger Künstler zum Ziel gesetzt hat und die von Clair mitgegründet wurde. Und das Motto »Taste is the new skill« spielt vermutlich auf einen Vorwurf an, der Werken häufig gemacht wird, die unter Einsatz von Computerprogrammen entstehen: Worin besteht denn da die Kunstfertigkeit? Eben in der ordnenden Auswahl und Steuerung des Künstlers, kurz: im Geschmack (taste).
Claire ist auf vielen wichtigen Marktplätzen vertreten (Nifty Gateway, Rarible, Foundation, OpenSea und BrainDrops, einer speziellen Plattform für AI-generierte Kunst).256 Im August 2022 wurde eins ihrer Werke – Thixotropy – für 33.000 Dollar versteigert, worüber Claire sich auf Twitter freute. Auch Sotheby’s ist inzwischen aufmerksam geworden und versteigert ein physisches Werk mit dem Titel »Blood in the Streets, Late to the Ball«. Schätzpreis: 20.000 bis 30.000 britische Pfund.257 Das NFT gibt es nach dem Kauf des Prints von Claire dazu. Ich bin überzeugt, von dieser Künstlerin werden wir noch viel hören!
3 Fragen an Claire Silver
NFTs sind für mich
... die Ökonomisierung der Millennial-Kultur des File-Sharing. Du kannst so viel speichern und teilen, wie du möchtest, und das steigert nur die Anerkennung für das Original und seinen Schöpfer. NFTs sind unter anderem ein Mechanismus, der Künstlern Autonomie verschafft und einen dauerhaften Herkunftsnachweis für ihre Arbeit ermöglicht. Sie repräsentieren die Werte einer heranwachsenden Generation – und diese Generation wertschätzt Kreative.
Mit AI arbeite ich
... weil sie die Hürde erworbener Skills beseitigt und es jedem ermöglicht, seine innere Welt auszudrücken. Wenn Menschen die Werkzeuge erhalten, um alles Mögliche zu erschaffen, was werden sie dann wählen? Wenn weniger Können im Spiel ist, was wertschätzen wir dann an der Kunst – und an uns selbst und anderen? Wie viele von uns teilen niemals ihr Innerstes aufgrund eines Mangels an Skills, und welche neuen Perspektiven eröffnen sich uns? Das fasziniert mich.
Gute Kunst erkennt man
... daran, dass sie die Seele berührt, wenn man sie erlebt. Geschmack ist nicht greifbar und sehr persönlich, aber da der Bedarf an Skills verschwindet, wird sein Erlernen und Entwickeln die wichtigste Entscheidung sein, die man treffen kann. Geschmack ist der neue Skill.