Wir müssen an dieser Stelle noch einmal auf die Video- und Videokassettenkultur zurückkommen; es gilt, den Eindruck zu korrigieren, dass hier lediglich Porno- und Horrorfilme erfolgreich sind. Tatsächlich gehört die meistverkaufte Videokassette der Achtziger weder zum einen noch zum anderen Genre, auch wenn das, was darauf zu sehen ist, auf Teile des zeitgenössischen Publikums wie eine Mischung aus Porno und Horror wirkt. Die Kassette heißt «Workout» und erscheint im Herbst 1981. In der Hauptrolle sieht man die Schauspielerin Jane Fonda, wie sie eine Gruppe aus willigen Tänzerinnen und einem Tänzer in grell gefärbten, eng anliegenden Synthetikbekleidungen zur Ausführung von sportlichen Übungen anleitet. Alle hüpfen und springen und recken sich und strecken sich und verrenken ihre Glieder, und zwischendurch atmen sie immer wieder tief durch. Das Trainingsprogramm, das hier exerziert wird, trägt den Namen Aerobic. Es verspricht eine Lockerung des Körpers und seine bessere Durchblutung; die Herzmuskulatur soll gestärkt werden und der Bauch und die Beine gestrafft; ein freierer Kopf gehört ebenso zu den Versprechen von Aerobic wie ein generell besseres Körpergefühl und -bewusstsein.
Wer die «Workout»-Kassette in den heimischen Videorecorder schiebt, kann die körpergefühlverbessernden Übungen auf dem Wohnzimmerteppich nachahmen. Hat man eine Haltung, eine Dehnung, eine Verrenkung nicht sofort begriffen, kann man das Band zurückspulen und sich die betreffende Übung noch einmal von vorne ansehen. So wie der Horrorfilmfreund auf die Rückspul-, Stopp- oder Zeitlupentaste drückt, um einen besonders bizarren Spezialeffekt noch einmal in Ruhe mitzuverfolgen, und der Pornobetrachter immer wieder zu einer besonders erregenden Stelle zurückkehrt – so lässt sich die neue Technik des Videos hier dazu nutzen, um sportliche Übungen nachzuvollziehen und selber ausführen zu lernen.
Oder auch – wahlweise – um noch einmal einen genaueren Blick auf die turnenden und verschwitzten Frauen und Männer zu werfen. Die Spandexkostüme, in denen sie stecken, sind so eng, dass jedes Körperdetail betont wird; sie stellen die schmalen Hüften heraus und die Beckenknochen, die Wölbungen der Scham und die Brustwarzen. Auch als erotisch unbefriedigter männlicher Jugendlicher kann man von diesen Übungen mithin profitieren: Wer Anfang der Achtziger noch keinen Zugang zu echten Pornofilmkassetten hat und sich nicht in das örtliche Sexkino traut, bekommt mit dem «Workout»-Video von Jane Fonda einen jugendfreien Ersatz. Und auch in dieser Hinsicht erweist die Vor- und Rückspultaste des Recorders nützliche Dienste: indem sie das Band immer wieder an jene Stellen bringt, an denen sich die individuell erregendsten Körperhaltungen zeigen.
Jane Fonda hat ihre Karriere in den Sechzigern unter anderem als Titelfigur in der Comic-Verfilmung «Barbarella» begonnen. Darin spielt sie eine Astronautin, die in ihrem Raumschiff durch die Galaxis reist, um mit den verschiedensten Menschen und Außerirdischen zu kopulieren und auch mit einem Roboter namens Viktor. In der dramatischsten Szene des Films wird sie von einem finsteren Planetenpriester in eine «Exzessmaschine» gesperrt, in der sie einen Orgasmus erleben soll, der so heftig ist, dass er sie tötet; allerdings ist der Orgasmus von Barbarella derart gewaltig, dass die Maschine Feuer fängt und sie sich befreien kann. Das gefährliche Gerät trägt den Namen «Durand-Durand» – eine der prägenden New-Wave-Bands der achtziger Jahre, Duran Duran, wird sich nach ihm benennen.
In den Siebzigern ist Fonda dann auch in sozialkritischen Filmen wie «Das China-Syndrom» zu sehen, der von einem Störfall in einem Atomkraftwerk handelt und von seiner Vertuschung durch Medien, Politiker und Wissenschaftler; auch engagiert sie sich in der Anti-Vietnamkriegs-Bewegung und im Second Wave Feminism. Ihr damaliger Mann, Tom Hayden, ist Anfang der Sechziger einer der Mitbegründer der Bürgerrechtsbewegung Students for a Democratic Society (SDS) gewesen. In den Achtzigern gehört er zum linken Flügel der Demokratischen Partei und setzt sich mit seiner «Campaign for Economic Democracy» für soziale Gerechtigkeit ein, zudem kämpft er gegen die Anfang des Jahrzehnts beginnende Gentrifizierung in den US-amerikanischen Innenstädten und für eine Deckelung der Wohnungsmieten (ich komme auf diese Entwicklung in Kapitel zwanzig zurück). Die Erlöse, die seine Frau mit ihrer enorm erfolgreichen Videokassette und dem dazugehörigen, ebenfalls «Workout» betitelten Buch erzielt, kommen Haydens sozialistischer Graswurzelarbeit zugute sowie seiner Kandidatur für den kalifornischen Senat.
Aber nicht nur deswegen hat «Workout» eine politische Seite. Generell begreift Jane Fonda ihren Wechsel von der Schauspielerin zur Gymnastiklehrerin als Fortsetzung ihrer feministischen Arbeit in den Siebzigern. Sie will, wie sie in Interviews erläutert, insbesondere Frauen zu einem positiveren Körperverhältnis verhelfen, zu einer Verbesserung ihres physischen Empfindens, zu einem tieferen Bewusstsein für ihre körperliche Natur. Darum bringt sie ihnen mit Aerobic eine Trainingsart nahe, die körperliche Ausdauer und Koordination stärkt, die lockert und entspannt und geschmeidiger macht – mit der Betonung auf Spaß und Lust. Kleine, schnell wechselnde Übungseinheiten steigern sich von niedriger zu hoher Intensität, durchweg begleitet von flotter Musik: eine Mischung aus Gymnastik und Tanz.
In «Workout» sieht man Jane Fonda als Anweisungen rufende Trainerin vor einer Gruppe von willig folgenden Frauen und einem ebenso willig folgenden, sich aber im Hintergrund haltenden Mann. Knapp anderthalb Stunden lang führen alle Beteiligten ihre Befehle aus, sie laufen auf der Stelle und lassen die Köpfe kreisen, sie legen sich auf Sportmatten, um die Beine rhythmisch auf und ab zu bewegen, stehen wieder auf, um sich vorne herunterzubeugen oder in den Hüften zu wiegen. Am Ende liegen alle noch einmal auf den Matten, ziehen ihre Beine über die Brust und den Kopf hinweg und üben gemeinsam rhythmisches Atmen. Danach springt Jane Fonda auf und ruft der Gruppe zu: «You did a great job! Don’t you feel good?»
So verschränkt sich die Lässigkeit des Disco-Tanzens der siebziger Jahre mit einer Art militärischem Drill. Zu Letzterem passt, dass die Aerobicgruppe in zwar unterschiedlich grell gefärbte, aber prinzipiell einheitliche Uniformen gekleidet ist. Zu den engen, körperbetonenden Oberteilen aus synthetischem Gewebe kommen ebenso enge synthetische Strumpfhosen und dazu noch Stulpen über den Unterschenkeln. Manchmal werden über die glänzenden Ganzkörperanzüge farblich stark kontrastierende Stringtangas gezogen; andere beschränken sich auf ein Trikot mit Spaghettiträgern und sehr hohem Beinausschnitt und legen sich dann noch einen Gürtel um die Taille; viele halten ihr wuscheliges Haar mit elastischen Frotteebändern zusammen. Diese Bekleidung aus «Bodys», «Leggins» und «Trikots» wird typisch für den Aerobic-Trend. Es verbinden sich hier also nicht nur Tanz, Gymnastik und Drill; die sportliche Ertüchtigung wird dabei auch in überdeutlicher Weise sexualisiert.
Anschaulich wird dieser Zusammenhang in einem Musikvideo, das fast zeitgleich mit Jane Fondas «Workout» erscheint. Es ist eines der ersten, das auf dem neu gegründeten Musikfernsehsender MTV für Furore sorgt, und der dazugehörige Song ist einer der erfolgreichsten des Jahres: «Physical» von Olivia Newton-John. In musikalischer Hinsicht handelt es sich um einen druckvollen, von elektronischen Instrumenten bestimmten, aber noch von der Discokultur der späten Siebziger geprägten Track – gegen Ende jedoch ergänzt um ein maskulines Solo, gespielt von Steve Lukather, dem Gitarristen der Gruppe Toto. Olivia Newton-John singt davon, wie sie einen Mann zunächst in ein «intimes Restaurant» mitnimmt und dann in einen «suggestiven Film» – alles nur mit dem Ziel, ihn schließlich ins Bett zu bekommen: «Let’s get physical, physical», heißt es im Refrain, «let me hear your body talk» – lass uns körperlich werden; ich will hören, wie dein Körper spricht.
Im Video sieht man die Sängerin in einem knappen glitzernden weißen Sporttrikot mit ebenso weißen Spandexhosen und einem Stirnband bei sportlichen Übungen. Zu Beginn dehnt sie die Hüft- und Rückenmuskulatur, dann tänzelt sie beim Singen der Strophe ein wenig zu den Beats, um sich im Refrain auf den Boden zu legen und zu den Zeilen «Let’s get physical, physical» in Seitenlage ihr linkes Bein scherenartig hoch und nieder zu bewegen, was sich nun ebenso als sportliche Dehnung betrachten lässt wie als motorische Allegorie auf die Kopulation. Zu dem – sagen wir einmal – orgiastischen Gitarrensolo von Steve Lukather fällt sie schließlich wieder zurück in die Dehnübungen vom Anfang und steigert sich daraus in Zitter- und Schüttelbewegungen hinein, die den gesamten Körper ergreifen. Am Ende der Lockerung, die diese Aerobic-Übung verspricht, lockt also nichts anderes als die volle Befriedigung und postkoitale Erschlaffung.
Bald darauf, 1983, erscheint auch ein Musikfilm, der die Verbindung von sportlicher Ertüchtigung und Sexualität, von der Optimierung des Körpers und seiner Befreiung im Tanz in abendfüllender Form variiert. In «Flashdance» wird die Geschichte einer jungen Schweißerin aus Pittsburgh erzählt, deren größter Traum es ist, an einer renommierten Tanzschule aufgenommen zu werden. Sie arbeitet hart an ihrer körperlichen Fitness und Geschmeidigkeit und an ihren selbsterdachten Choreographien und kann schließlich die Jury von sich überzeugen. Den dazugehörigen Hit «Flashdance … What A Feeling» hat Giorgio Moroder geschrieben, einer der prägenden Disco-Produzenten der Siebziger, unter anderem verantwortlich für Donna Summers «I Feel Love» und «Love to Love You Baby». Doch wo Moroder sich im Jahrzehnt zuvor noch in scheinbar endlosen, lasziv den Höhepunkt hinausschiebenden, minimalistischen Synthesizerkompositionen ergeht – dort klingt seine Musik jetzt dramatisch und zackig, als könne sie gar nicht schnell genug zum Höhepunkt kommen. Wo Donna Summer in «I Feel Love» selbstvergessen stöhnt und haucht, ist die Sängerin von «Flashdance … What A Feeling», Irene Cara, in jedem Moment hochkonzentriert, angespannt und straff. Sie lässt sich nicht treiben, und sie lässt sich mit ihrem Körper nicht in die Musik fallen. Vielmehr stürmt sie von einer Anspannung zur nächsten, hektisch und maximalistisch. Vielleicht könnte man, wenn man den Unterschied zwischen den siebziger und den achtziger Jahren in kürzestmöglicher Weise veranschaulichen will, einfach diese beiden Songs von Giorgio Moroder nacheinander laufen lassen.
In Deutschland wird der neue Aerobic-Trend fast ohne Zeitverzug übernommen. Im September 1982 eröffnet die Schauspielerin Sydne Rome das erste Aerobic-Studio in Westberlin, es befindet sich in der Karlsruher Straße nahe dem Kurfürstendamm und trägt den Namen «Sydne Rome let’s move». Auch bringt sie eine Langspielplatte mit aktuellen Hits und anderen Stücken heraus, die einzelnen Aerobicübungen zugeordnet werden. Zum Aufwärmen wird «Auf in den Kampf, Torero» aus der Bizet-Oper «Carmen» empfohlen; zur Stärkung der Taille «Do You Really Want To Hurt Me» von Culture Club; für die Straffung des Bauchs soll «Eye of the Tiger» der Gruppe Survivor dienen, aus dem im selben Jahr herausgekommenen Film «Rocky III».
Der «Spiegel» berichtet erstmals im Januar 1983 über den Aerobic-Trend, im Ton des Erstaunens und der Exotik. «Als sei der Leibhaftige in sie gefahren, sprangen sie wieder auf, ließen die Hintern rotieren, rissen die Arme hoch, wirbelten mit den Köpfen und hüpften gummiballartig umher. Schließlich gingen alle in die Knie und sprangen wie verschreckte Frösche immer wieder in die Luft. Was der schwitzende und keuchende Haufen da kürzlich im ZDF-Sportstudio vollführte, erinnerte manchen Zuschauer an den Regentanz afrikanischer Buschmänner – es war eine Demonstration der neuesten Fitness-Mode aus den USA.»
Wenig später läuft die erste regelmäßige Aerobic-Sendung im deutschen Fernsehprogramm. In «Enorm in Form» wird die gefilmte Aerobic-Gruppe von zwei Trainerinnen geleitet, die sich gegenseitig mit «Das ist die Judith» und «Das ist die Gaby» vorstellen. Judith und Gaby können schon zu Beginn jeder Sendung vor guter Laune und Bewegungslust gar nicht an sich halten und springen und hüpfen selbst bei ihren Moderationen herum. Doch wird bei allem Spaß auch der Bildungsauftrag des öffentlich-rechtlichen Fernsehens nicht vergessen. Zwischen den Übungen blendet die Regie zu einem sitzenden älteren Mann mit grauen Haaren und einem generell vertrauenerweckenden Gesamteindruck über. Es handelt sich um einen Professor für Orthopädie und Sportmedizin; und während die Trainerinnen Gaby und Judith über keine Nachnamen verfügen, kommt der seriöse Professor seinerseits ohne einen Vornamen aus. «Prof. Dr. Rosemeyer» – wie er laut Einblendung heißt – gibt den Zuschauerinnen und Zuschauern wichtige Hinweise für das eigene Training. Zum Beispiel, dass sie nicht vergessen sollen, sich aufzuwärmen: «Durch diese Aufwärmung wird die Leistungsbereitschaft erhöht. Das ist wie beim Auto. Sie holen ja auch nicht das Auto aus der Garage und fahren sofort sehr schnell auf die Autobahn.»
Man braucht also bald keinen Videorecorder mehr, um sich im Wohnzimmer nach kompetenter Anweisung sportlich ertüchtigen zu können. Und die allgemeine Aerobic-Begeisterung führt auch dazu, dass binnen kurzem sehr viele neue Fitness-Studios gegründet werden; und dass diese Einrichtung als solche sich aus den leicht schmuddelig wirkenden Randbezirken der Zivilisation in deren Zentrum bewegt. Im Jahr 1980 gibt es etwa tausend Fitness-Studios in Deutschland, die aber wesentlich noch dem Bodybuildung und dem Erlernen und Ausüben von Kampfsportarten dienen. Ihren Ruch des Subkulturellen und Halbweltlichen verlieren sie mit Aerobic, auch weil diese Art der Fitness vor allem von Frauen praktiziert wird. Die Studios, die für diese Zielgruppe neu eingerichtet werden, erscheinen vertrauenswürdiger, freundlicher und kommunikativer. Schon die Tatsache, dass Aerobic in Gruppen unter Anleitung eines ausgebildeten Trainers oder einer Trainerin ausgeübt wird, trägt zur seriöseren Anmutung bei; auch werden die klassischen Sporträume um Bereiche ergänzt, in denen man nach dem Training noch in geselliger Runde einen eiweißhaltigen Shake trinken oder an einem Energieriegel knabbern kann. Fast zweitausend neue Studios werden in der Bundesrepublik in der ersten Hälfte der Achtziger gegründet, am Ende des Jahrzehnts gibt es über viertausend davon. Die Zahl der Mitgliedschaften wächst von rund dreihunderttausend im Jahr 1980 auf 1,6 Millionen im Jahr 1990.
So wird Fitness, die individuelle körperliche Ertüchtigung, in den achtziger Jahren zu einem eigenständigen, prägenden kulturellen Feld; auch wenn die Begeisterung für das ursprünglich trendsetzende Aerobic schnell wieder abflaut. Jedenfalls wird die Sendung «Enorm in Form» im ZDF nach einem Jahr durch eine neue Gymnastikshow ersetzt, die auf einem anderen, ebenfalls aus den USA herüberkommenden Trend aufbaut: dem sogenannten Breakdance, der seit den frühen siebziger Jahren im Feld der jungen Hip-Hop-Kultur entstanden ist. Die Breakdance-Übungen werden von der – mittlerweile mit einem Nachnamen ausgestatteten – Aerobic-Trainerin Judith Jagiello gemeinsam mit dem Pantomimen und Tänzer Werner Eisenrieder alias Eisi Gulp durchgeführt. Beide kombinieren die bereits bekannten gymnastischen Lockerungsübungen mit den eckig-roboterhaften Bewegungen des Tanzstils und gelegentlich auch mit spektakulären «Power Moves», also akrobatischen Einsätzen, bei denen die Tänzer sich auf dem Rücken drehen («Backspin») oder gar auf dem Kopf («Headspin»).
Freilich leiden diese Bewegungsarten – im Unterschied zu Aerobic – darunter, dass sie sich vom unausgebildeten Publikum so gut wie nicht nachvollziehen lassen. Weswegen der weiterhin die Rolle der sportmedizinischen Autorität ausübende Professor Rosemeyer bereits in der ersten Folge sagt: «Unsere jungen Zuschauer möchte ich warnen! Probieren Sie nicht die spektakulären Figuren ohne Anleitung aus, die in den Zeitungen abgebildet sind. Die Übungen werden Ihnen auf Anhieb nicht gelingen, auch wenn Sie noch so sportlich sind.» Das ist vielleicht nicht der richtige Ansatz, um ein größeres Publikum für diese neue Sportart dauerhaft zu begeistern. Jedenfalls verschwindet die «Breakdance»-Sendung bereits nach wenigen Folgen wieder aus dem Programm.
Andere Fitness-Trends, die auf dem Aerobic-Modell basieren, sind erfolgreicher. Manche davon bauen direkt auf dem Original auf, wie etwa das Step Aerobic, bei dem die typischen Bewegungsabläufe an einem Podest oder einer Treppenstufe ausgeführt werden, was eine besondere Straffung von Po und Beinen verspricht. Oder das Tae Bo, das gegen Ende der Achtziger erfunden wird und das Hüpfen und Tänzeln mit karateartigen Schlag- und Trittbewegungen kombiniert. Beim sogenannten Bodypump hantiert man zusätzlich noch mit Hanteln; hier wird also der Bogen wieder zurück zu den Martial Arts der Siebziger geschlagen. Großer Beliebtheit bei jüngeren Menschen erfreut sich schließlich das Inline-Skating, eine neue, schnellere und sportlich anspruchsvollere Variante des überkommenen Rollschuhfahrens, bei der die Rollen unter den Schuhen nicht paarweise angebracht sind, sondern nach dem Vorbild von Schlittschuhen in einer Viererreihe. Die 1982 gegründete Firma Rollerblade hält fast über das gesamte Jahrzehnt hinweg das Produktionsmonopol auf diese Hochgeschwindigkeitsschuhe.
Am langlebigsten und am prägendsten für die Individualisierung des Sports in den achtziger Jahren wird gleichwohl jene Bewegungsart sein, die man ohne dauernde Anweisungen von Trainerinnen und Trainern außerhalb geschlossener Räume durchführt und die man in dieser Zeit in Deutschland noch zumeist als «Trimm-Dich-Laufen» bezeichnet: das später sogenannte Jogging. Bis in die Siebziger hinein, schreibt der Historiker Jürgen Martschukat in seinem Buch «Das Zeitalter der Fitness», «hatte kaum jemand daran gedacht, nach Feierabend noch eine Runde zu drehen, um sich etwas Gutes zu tun und fit zu werden oder zu bleiben». Das ändert sich in den Achtzigern, nun wird der konditionsstärkende Dauerlauf zu einem massenbegeisternden Phänomen. Man läuft abends allein oder zu zweit um den Block oder, falls man in einer günstig gelegenen Wohnlage lebt, durch einen nahen Park. Man beginnt für Marathonläufe zu trainieren, eine Form der körperlichen Verausgabung, die noch bis tief in die siebziger Jahre nur etwas «für einige wenige Fanatiker» war, wie Jürgen Martschukat schreibt: «1970 gingen beim New-York-Marathon gerade einmal 126 Männer und eine Frau an den Start.» Der erste deutsche «Volksmarathon» wird 1974 in Westberlin veranstaltet, damals erreichen 234 Läufer und zehn Läuferinnen das Ziel. Bei dieser noch niedrigen Beteiligung bleibt es die gesamten Siebziger hindurch, erst am Anfang des folgenden Jahrzehnts wachsen die Zahlen deutlich. 1981 nehmen knapp 2600 Läuferinnen und Läufer teil, 1989 sind es dann schon 13500.
In den USA hat diese Entwicklung bereits etwas früher begonnen. Hier wurzelt sie auch stärker in der Alternativ- und Gegenkultur, in dem Wunsch nach einem anderen Körperbewusstsein und nach dem – wenigstens vorübergehenden – Ausstieg aus den Zwängen des Alltags. In Magazinen wie «Runner’s World» werden die Effekte des Dauerlaufens wie eine religiöse oder spirituelle Erfahrung beschrieben, als Erweckungserlebnis oder Bewusstseinserweiterung, nicht unähnlich der Wirkung psychedelischer Drogen. In Deutschland sieht man die Sache wie stets nüchterner und fürchtet sich vor allem vor den Gefahren, die das Jogging mit sich bringen könnte. So legt der «Spiegel» kurz nach dem Beginn der allgemeinen Jogging-Begeisterung dar, warum die jetzt überall zu beobachtenden Dauerläufer typischerweise unter einer «Zwangsstörung» leiden. Die «Wurzel des Lauf-Kults», so heißt es in einem Artikel aus dem März 1983, liege in dem «Bemühen, auf dem Umweg über die Sucht eine persönliche Identität zu finden und zu sichern». Somit wiesen die vornehmlich männlichen Jogger die gleichen Krankheits- und Persönlichkeitsstörungs-Symptome auf wie magersüchtige Frauen: «Die Persönlichkeit dieser Männer, ihr Lebensstil und ihre Vorgeschichte zeigten immer wieder die Charakteristika von Patientinnen, die wegen Anorexia nervosa halb verhungert in die Klinik kommen.»
Doch auch wenn man durch seine Leidenschaft für das Laufen nicht gleich zum Fall für den Psychiater wird, so steckt in der «Lauf-Manie» nach Ansicht des «Spiegel» mindestens «eine Art von höherem Selbstbetrug»: Jogger seien «unterwegs, um ihrem Tod davonzulaufen». Wenn man es etwas weniger dramatisch formuliert, ist da natürlich etwas dran: In den Achtzigern wird das individuelle und kollektive Rennen zum Sinnbild dafür, dass die Menschen ein Gegengewicht setzen wollen gegen die Erschlaffung und Verfettung des Körpers, die sich bei sitzenden Bürotätigkeiten unweigerlich irgendwann einstellen.
Während Aerobic also für die Verweiblichung der sportlichen Ertüchtigung steht, ist das Laufen – ob es nun «Trimm-Dich-Laufen», «Jogging» oder «Running» genannt wird – zunächst die bevorzugte Aktivität des Mannes in mittleren Jahren, der auf diese Weise versucht, seinen körperlichen Verfall aufzuhalten oder wenigstens zu verlangsamen. Dieser Mann will sich nicht damit abfinden, dass seine jugendliche Straffheit und Erscheinung – wie noch in der Generation der Eltern – während der in den Vierzigern ohnehin einsetzenden Midlife-Crisis verschwindet. Die wachsende Begeisterung für das Laufen hat also unter anderem damit zu tun, dass die möglichst endlose Verlängerung der Jugend zu einem erstrebenswerten Ziel wird. Es tritt ja nun auch erstmals eine Generation in das mittlere Lebensalter ein, die in den sechziger und siebziger Jahren in den damals erblühenden Jugendkulturen sozialisiert worden ist; in einer Zeit, in der man sich in programmatischer Weise von der Generation der Eltern absetzen wollte: «Ich will nicht werden, was mein Alter ist», sang die Berliner Rockband Ton Steine Scherben 1972. «I hope I die before I get old», hatte es schon 1965 in dem epochalen Song «My Generation» der britischen Gruppe The Who geheißen.
Das wäre denjenigen entgegenzuhalten, die den Wunsch nach körperlicher Fitness allein als Symptom der Unterwerfung unter die «neoliberale Leistungsgesellschaft» betrachten – so wie es auch Jürgen Martschukat in seinem Buch «Zeitalter der Fitness» tut. Für ihn zielt die Individualisierung des Sports allein auf die Erzeugung von «Normkörpern», deren Besitzer in ihrer geschmeidigen Verwertbarkeit umso mehr den Anforderungen eines entfesselten Kapitalismus genügen. An diesem Beispiel, so Martschukat, könne man mithin studieren, wie der Trend zur individuellen Optimierung einhergeht mit dem Verschwimmen der Grenze zwischen dem privaten und dem beruflichen Leben. Die Forderung nach ständiger und entfesselter Leistungsbereitschaft und -fähigkeit im Beruf greife in den Jogging- und Running-Trends über auf die gesamte Lebensgestaltung. Der «Ausdauersportler», schreibt Martschukat, sei geradezu der «Idealtyp des neoliberalen Selbst». Er sei «Teil einer Kultur und Bewegung, fühlt sich dabei aber unabhängig und selbstbestimmt. Er ist auf den eigenen Körper fokussiert, um sich insgesamt und zu einem besseren und erfolgreicheren Menschen zu machen. Er investiert beständig in sich und ist um Gesundheit, Selbstoptimierung und Leistungsfähigkeit bemüht.»
Diese Beobachtung hat sicher ihr Recht, trifft aber nur die eine Seite eines dialektischen Prozesses. Die andere Seite besteht gerade darin, dass Fitness dabei hilft, aus vorgezeichneten biographischen Mustern auszubrechen. Indem man sich einen gesunden und sportlichen «Normkörper» verschafft, wehrt man sich gegen unverrückbar scheinende Biographien, in denen die Körperlichkeit in einem bestimmten Alter auf andere Weise – im Sinne eines unausweichlichen Verfalls – normiert war: Fitness hat immer auch etwas mit Emanzipation und Empowerment zu tun.
Das gilt übrigens auch für Aerobic. Eines der ersten Musikvideos, das aus dem Umfeld dieser Gymnastikbewegung kommt und etwa zeitgleich mit «Physical» von Olivia Newton-John im Herbst 1981 erscheint, zeigt die Soulsängerin Diana Ross bei einem ausgiebigen Workout. Das dazugehörige Lied trägt den Titel «Work That Body», und Diana Ross teilt darin mit, dass sie jeden Morgen nach dem Aufwachen erst einmal ihre Übungen macht, um sich das Stück Torte vom Vorabend wieder abzutrainieren: «Reach 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8/Stretch 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8/Push 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8.» Im Ergebnis ist sie so «tight», straff, dass alle Männer sie anstarren: «all the men around / begin to stop and stare» – und das, obwohl sie zu diesem Zeitpunkt schon siebenunddreißig Jahre alt ist und zwei Kinder zur Welt gebracht hat. Eine Frau kann also – das ist die Botschaft des Songs – auch dann noch sexuell attraktiv und körperlich souverän sein, wenn sie schon Mutter ist. Das ist allerdings eine Qualität, die in den «Normkörpern» der vorangegangenen Generationen nicht vorgesehen war.
Auch Jane Fonda ist 1981, als ihr «Workout»-Video erscheint, bereits weit in ihren Vierzigern. Ein Umstand, der ihr von dem anonymen, aber mutmaßlich männlichen Autor eines weiteren, im Frühjahr 1983 erschienenen «Spiegel»-Artikels über das Aerobic-Phänomen mokant vorgehalten wird: «Drei Vorturnerinnen hat sich die Nation erwählt, nicht mehr die Jüngsten, nicht mehr die Schönsten, doch alle von weit her: Jane Fonda, 45, aus Kalifornien, früher zur ‹schnurrenden Sexkatze abgestempelt›, die als Nymphomanin ‹Barbarella› nackt durch den Weltraum schwebte; Sydne Rome, 38, gehandelt als ‹Hollywoodstar› und wegen ihrer hervorragendsten Attribute einst unverhüllt im ‹Playboy› aufzublättern; schließlich Marlene Charell (bürgerlich: Angela Mieps aus Winsen an der Luhe), 38, die im Pariser Lido als ‹Bluebell girl› Männerherzen brach.» Allein diese Passage zeigt, welches emanzipatorische Potenzial in der Fitness-Welle der Achtziger steckt: Nun können auch Frauen, die nach Ansicht der männlichen Journalistik «nicht mehr die Jüngsten, nicht mehr die Schönsten» sind, zu sportiven Sexsymbolen aufsteigen – und das auch noch in körperbetonenden, superengen synthetischen Outfits.
Weit über die kurze Konjunktur des Aerobic hinaus bleibt die dazugehörige Bekleidung populär. Man findet sie bald auch in den damals noch trendsetzenden Katalogen von Versandhäusern wie Otto, Quelle und Neckermann. Bis heute zählen Leggins, Stulpen, enge Kostüme in grellen Farben aus synthetischen Stoffen und natürlich die Schweißbänder über der Stirn zu den Modeinnovationen, die das Bild der Achtziger am nachhaltigsten prägen. Sie werden in dieser Zeit auch auf der Straße getragen, bei Partys oder im Klassenzimmer; sie sind an stilbildenden Popstars wie Madonna zu sehen, die rund um ihr Album «Like A Prayer» von 1989 am liebsten in engen schwarzen Radlerhosen aus Spandex und einem schwarzen Tanktop auf die Bühne geht.
Mitte des Jahrzehnts ist es gleichwohl ein schwuler Mann, der die körperbetonende Ästhetik der Aerobic-Kostüme zu seinem persönlichen Individualstil erhebt; dabei handelt es sich um den Sänger der Gruppe Queen, Freddie Mercury. Er zwängt sich für seine Konzerte und Videos mit Vorliebe in Hosen aus Spandex oder auch in Ganzkörperkostüme, die durch übergroße Dekolletés seine buschige Brustbehaarung zur Geltung bringen. Er schlüpft in die von sportlichen Frauen und von weiblicher Sexualität geprägte Bekleidung, um darin einerseits weiblicher zu wirken und andererseits männlicher, denn unter dem engen Synthetikstoff zeichnen sich natürlich in überdeutlicher Weise seine Geschlechtsteile ab. Dazu passend wechselt Mercury bei den Konzerten von Queen zwischen ballerinaartigen Trippelschritten und überaus männlichen Gesten wie – «We will rock you!» – der gereckten Faust. Man könnte auch sagen: Indem er seinen Körper in die gleichermaßen künstliche wie sexualisierende Sportbekleidung der Achtziger-Jahre-Fitness-Trends zwängt, bringt er auch die Künstlichkeit sexueller Inszenierungen zur Erscheinung; ähnlich wie Grace Jones und Annie Lennox dies mit der Anverwandlung des Schulterpolsters tun. So wie die Trainingsprogramme des Fitness-Jahrzehnts den Körper als gestaltbares Material erscheinen lassen – so eignet sich der Spandexträger Freddie Mercury die Ästhetik dieser Trainingsprogramme an, um damit zu zeigen, dass auch Sexualität nichts «Natürliches» ist, sondern etwas, das man erschafft und gestaltet. Womit wir zu dem zweiten großen männlichen Cross-Dresser der achtziger Jahre kommen: Prince.