Die Achtziger sind also auch ein Jahrzehnt der Körper und der Körperpolitik, ihre stärksten Symboliken entfalten sich an besonderen, ungewöhnlich bekleideten oder entkleideten Körpern, an kunstvoll verwahrlosten, gestylten, geschmückten oder sonst wie zeichenhaft zugerichteten Körpern. Zu ihren prominentesten Heldinnen und Helden zählen Zombies und Pornodarstellerinnen; ihre markantesten Bilder stammen von entblößten und verwesenden Körpern, von Körperöffnungen und geöffneten Körpern und von den Körpern von Menschen, die sich auf keine eindeutige sexuelle Identität festlegen lassen wollen. In den Achtzigern wird der Körper zum Objekt des unablässigen Trainings, der Optimierung und Fitness – während der ausgemergelte Körper der Aids-Kranken zum Menetekel einer vom Untergang bedrohten Gesellschaft gerät.
Eine bestimmte Art von Körpern haben wir in diesem Zusammenhang bisher nicht betrachtet. Dabei handelt es sich um solche, die nicht mehr eindeutig der Biologie, dem Leben oder der Natur zuzuordnen sind. Es sind vielmehr technisch veränderte, verbesserte, therapierte, am Leben erhaltene Körper – oder auch Körper, die vollkommen technisch konstruiert sind. Der bekannteste von ihnen stammt aus dem Jahr 2029, mit Hilfe einer Zeitmaschine reist er in das Los Angeles des Jahres 1984. Es geht in diesem Fall um einen kybernetischen Organismus – kurz: Cyborg –, also um einen technischen Körper, der mit Haut, Haaren und anderem Zellmaterial überzogen ist und deswegen so aussieht wie ein Mensch. Freilich verfügt er über viel größere Kräfte; dafür ist seine Mimik extrem eingeschränkt, und sein Sprachvermögen besteht nur aus wenigen Sätzen.
«Terminator» heißt dieser Cyborg, und in dem gleichnamigen Film aus dem Jahr 1984 durchstreift er die Gegenwart, um eine unschuldige junge Frau zu exekutieren, die – was sie natürlich nicht weiß – eines Tages die Mutter eines Jungen sein wird, der wiederum noch später als erwachsener Mann die Befreiungsarmee der Menschen gegen einen totalitären Roboterstaat anführt. Von diesem wird der Terminator entsandt, um durch Tötung der Mutter die Zeugung des Guerilleros zu verhindern. Der Cyborg sieht also aus wie ein Mensch, aber er bewegt sich roboterhaft und stoisch; er reagiert nicht auf seine Umwelt, sondern schlägt und schießt sich durch diese hindurch; er verhält sich wie ein Computerprogramm, das – wir erinnern uns an die lobenden Worte des Hobbyprogrammierers aus der ebenfalls 1984 erschienenen Fernsehreportage «Computerfieber» – sein Ziel «mit exakter Logik, mit mathematischer Genauigkeit» verfolgt, ohne irgendwelche Erwägungen von Für und Wider, ohne jede Rücksicht auf Mehrdeutigkeiten.
Der Terminator wird von Arnold Schwarzenegger gespielt, der zwei Jahre zuvor seine erste Hauptrolle in einem Hollywood-Film erhalten hat. In «Conan der Barbar» ist er als gestählter Krieger in einer archaischen Fantasy-Welt zu sehen. Schon hier sagt er nur wenige Sätze auf, und sein Muskelspiel ist weit ausdrucksvoller als seine Mimik – insofern erscheint es nur folgerichtig, ihn in «Terminator» gleich als sprach- und gefühllose Maschine zu besetzen. Der Film wird ein enormer Erfolg, in gewisser Weise verbindet sich darin die Fitnesskultur der achtziger Jahre mit der entstehenden Technokultur der Programmierer und Hacker; die Lust am sportlich optimierten Körper wird mit den Versprechen der technischen Optimierung der Biologie versehen. Der titelgebende Cyborg wird zum Inbegriff einer neuen Generation von Wesen, die aussehen wie Menschen, aber in Wahrheit technisch optimierte Maschinen sind – oder auch Wesen, bei denen das Menschliche und das Maschinelle sich nicht mehr voneinander trennen lassen.
Natürlich ist Schwarzeneggers Terminator nicht der erste Cyborg, der die Bühne der Science-Fiction betritt. In der Literatur gibt es diese Figuren schon seit den Vierzigern. In Edmond Hamiltons Pulp-Roman-Serie «Captain Future» ist der wichtigste Begleiter der weltraumbereisenden Hauptfigur ein körperloses Gehirn, das in einem Tank lebt und über elektrische Sensoren und einen Sprachprozessor mit seiner Umwelt kommuniziert – wobei Hamiltons Abenteuergeschichten jahrzehntelang weithin vergessen waren, bis man sie Anfang der Achtziger dank einer japanischen Zeichentrickversion wiederentdeckt, die auch in den USA und in Deutschland im Fernsehen läuft. Und natürlich ist der schwarz gewandete Bösewicht aus George Lucas’ «Star-Wars»-Filmen, Darth Vader, nichts anderes als ein Cyborg: Der zerstörte Körper des gefallenen Jedi-Ritters kann nur dank einer kybernetischen Rüstung überleben, zu der unter anderem eine Lungenmaschine gehört. Im zweiten Teil der «Star-Wars»-Saga, «Das Imperium schlägt zurück» aus dem Jahr 1980, wächst Darth Vader von einer mythisch-abstrakten Figur zu einem eigenständigen Charakter heran – spätestens im Finale des Films, als er dem jugendlichen Helden Luke Skywalker erklärt: «Ich bin dein Vater, Luke.»
Die komplexeste Cyborg-Geschichte des Jahrzehnts findet sich aber ohne Frage in dem Film «Blade Runner» aus dem Jahr 1982 (nach Philip K. Dicks wiederum schon 1968 erschienenem Roman «Träumen Androiden von elektrischen Schafen?»). Darin begleiten wir einen Kopfgeldjäger im Los Angeles des Jahres 2019; er soll gefährliche Maschinenwesen aufspüren und terminieren. Diese «Replikanten» sind Menschen so ähnlich, dass sie äußerlich von ihnen nicht mehr zu unterscheiden sind. Das Einzige, was ihnen zum wahrhaften Menschsein fehlt, sind Gefühle; doch ob ein Wesen wahrhaft etwas fühlt oder nicht, lässt sich nur mit Hilfe eines komplizierten Tests ermitteln. Und auch wenn die Replikanten nicht darauf programmiert sind, so beginnen sie doch nach längerer Laufzeit, Gefühle zu entwickeln. Dank implementierter, falscher Erinnerungen wissen manche von ihnen auch gar nicht, dass sie künstliche Wesen sind. So hat es der Held des Films, gespielt von Harrison Ford, immer wieder mit der Frage zu tun, ob er gerade einer Maschine oder einem Menschen gegenübersteht. Schließlich verliebt er sich in eine Replikantin, die er eigentlich doch töten sollte; und einer der Maschinenmenschen sucht seinen Erbauer auf, um sich für seine innerlich zerrissene, paranoide Existenz an ihm zu rächen.
Während der Cyborg in «Terminator» also die Zeugung des jugendlichen Helden zu verhindern versucht, ist der Cyborg in «Star Wars» selber für diese Zeugung verantwortlich, und der Cyborg in «Blade Runner» rächt sich für seine eigene Zeugung, indem er seinen Vater ermordet. Die Achtziger sind auch ein Jahrzehnt der Faszination für ödipale Komplexe; ich komme an späterer Stelle noch einmal darauf zurück.
Vor allem betritt mit dem Cyborg eine Heldenfigur die Bühne der Popkultur, die ihrem Wesen nach nicht eindeutig, nicht identisch, ambivalent ist. «Cyborgs sind kybernetische Organismen: Hybride aus Maschine und Organismus, die Welten bevölkern, die vieldeutig zwischen natürlich und hergestellt changieren», schreibt die US-amerikanische Wissenschaftstheoretikerin Donna Haraway 1985 in ihrem vielgelesenen «Manifest für Cyborgs». Für sie ist der Cyborg darum ein Spiegel der allgemeinen menschlichen Existenz ihrer Gegenwart: «Im späten 20. Jahrhundert, in unserer Zeit, einer mythischen Zeit, haben wir uns alle in Chimären, theoretisierte und fabrizierte Hybride aus Maschine und Organismus verwandelt, kurz, wir sind Cyborgs. Cyborgs sind unsere Ontologie.» Denn nicht nur in der zeitgenössischen Science-Fiction wimmele es von ihnen, so Haraway, auch «die moderne Medizin ist voller Cyborgs, Verkopplungen aus Organismus und Maschine, in denen beide als programmierbare Geräte erscheinen, die mit einer Intimität und einer Macht miteinander verbunden sind, wie sie die Geschichte der Sexualität nicht hervorzubringen vermochte».
Im Cyborg verschwimmen also Gegensätze, die bis dahin unüberwindlich schienen: Das gilt für jenen zwischen Mensch und Maschine ebenso wie für den – allgemeineren – Gegensatz zwischen Natur und Technik oder Natur und Kultur. Was nun aber, so Haraway, nichts anderes heißt, als dass mit dem Aufstieg der Cyborgs zu einer kultur- und gesellschaftsbestimmenden Macht auch der Gegensatz zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen in Frage steht. Damit sind Cyborgs, obwohl sie aus den Feldern des Militärischen und Maskulinen stammen, auch Protagonisten und Protagonistinnen der sexuellen Emanzipation und des Feminismus. «Cyborgs sind Geschöpfe einer Post-Gender-Welt», schreibt Haraway in ihrem «Manifest für Cyborgs»: Sie sind Geschöpfe einer Zeit, in der man sich vom Glauben an den «biologischen Determinismus» verabschiedet hat, also vom Glauben daran, dass die Identität eines Menschen durch die Biologie festgelegt ist, durch die natürliche – sexuelle oder rassische – Bestimmung des Körpers. In der neuen Cyborg-Welt der Hybriden und Chimären ist es mit jeglicher Art der unhinterfragbaren Identität vorbei.
Man gelange generell zu der Überzeugung, dass Identitäten «widersprüchlich, partiell und strategisch» seien. Auch das sexuelle Geschlecht habe sich als Ergebnis einer «sozialen und historischen Konstitution» erwiesen, sodass es «keine Grundlage mehr für einen Glauben an eine ‹essentialistische› Einheit» biete. Daraus folgert Donna Haraway: «Es gibt kein ‹Weiblich›-Sein, das Frauen auf natürliche Weise miteinander verbindet. Es gibt nicht einmal den Zustand des Weiblich-‹Seins›. Dieser ist selbst eine hochkomplexe Kategorie, die in umkämpften sozialwissenschaftlichen Diskursen und anderen sozialen Praktiken konstruiert wurde.» Im «Manifest für Cyborgs» wird mithin zum Thema, was seine Autorin selber als «postmoderne Identität» bezeichnet: eine von «Andersheit und Differenz ausgehende Form» der «brüchigen Identität».
Damit wendet sich Haraway gegen jene Spielarten des Feminismus, die seit den siebziger und auch noch in den achtziger Jahren wesentlich das Selbstverständnis weiter Teile der Frauenbewegung bestimmen: also gegen den Differenz-, Öko- oder auch spirituellen Feminismus, der für sämtliche Fehlentwicklungen der Zivilisation das männliche, mechanistische, rationale Denken und die technische Ausbeutung der Natur verantwortlich macht – und dagegen das weibliche, emotionale, intuitive Denken setzt, das in ganz unentfremdeter Weise innig mit der Natur verbunden sein soll.
Die wichtigste Theoretikerin dieser Bewegung, Carolyn Merchant, legt 1980 in ihrem Buch «The Death of Nature. Women, Ecology, and the Scientific Revolution» dar, warum die Wurzeln allen Übels in der westlichen Aufklärung und der Entstehung der experimentellen Naturwissenschaften liegen. Als das mechanistische Weltbild von Forschern wie Francis Bacon und Isaac Newton zur Grundlage der Zivilisation wurde, sei damit zugleich das «ganzheitliche Denken», das die Erde als Mutter betrachtet, unterdrückt und ausgelöscht worden. Die gewaltsame Unterwerfung der Natur durch die männliche Technik ist für Merchant eine ins Planetarische gewendete Variation der Vergewaltigung von Frauen durch Männer.
Diese Art der ganzheitlich-ökofeministischen Kritik eines universalen patriarchalisch-technischen Ausbeutungszusammenhangs erfreut sich in den achtziger Jahren insbesondere auch in den feministischen Arbeitsgruppen der Grünen in Deutschland großer Beliebtheit. So wird etwa 1986 auf dem Kölner Kongress «Frauen & Ökologie. Gegen den Machbarkeitswahn» des grünen Arbeitskreises Frauenpolitik ein vollständiger «Ausstieg der Frauen» aus dem männlich-kapitalistischen Wirtschafts- und Technologiesystem gefordert. Durch Subsistenzwirtschaft und Selbstversorgung sollen sich Frauen «von den globalen kapitalistischen Märkten abkoppeln und aus den herrschenden gesellschaftlichen Naturverhältnissen ausklinken», wie die Soziologin Christa Wichterich diesen Ansatz rückblickend zusammengefasst hat.
Diese vollständige Verweigerung gegenüber den herrschenden Verhältnissen und ihrer technischen Produktionsmittel mitsamt der Utopie eines Rückzugs in eine vormoderne, archaische, naturnahe Welt ähnelt jener, die wir bereits in Form der grünen Fundamentalopposition gegen die Computertechnologie kennengelernt haben. Vertreter des Chaos Computer Clubs wandten ein, dass die Verweigerung gegen technische Innovationen letztlich nur die «Herrschaftspolitik» unterstütze, die sich diese Innovationen als «Herrschaftsinstrumente» zunutze mache. Ebenso wird auch der Öko- und spirituelle Feminismus schon in den achtziger Jahren dafür kritisiert, dass seine «pauschale Technikfeindlichkeit» – so noch einmal Christa Wichterich – letztlich nur «vorkoloniale und vorkapitalistische Gesellschaften idyllisiere». Und mehr noch: Mit der Gegenüberstellung von «ganzheitlichen, emotionalen, intuitiven» Frauen und «rational-mechanistischen» Männern wird letztlich nur jener scheinbar unverrückbare Geschlechterdualismus reproduziert, auf dem die Herrschaft des Patriarchats gründet.
Der überkommene Ökofeminismus ist also seinem Wesen nach antimodern – während die Spielart des Feminismus, die Donna Haraway in ihrem «Manifest für Cyborgs» entwirft, auf euphorische Weise hypermodern sein möchte. Es gehe darum, die technische Erweiterung und Optimierung von Körpern zu «genießen» und als Mittel der Befreiung zu begreifen, schreibt Haraway.
«On ne naît pas femme: on le devient», so hat es schon etwas mehr als dreißig Jahre zuvor Simone de Beauvoir formuliert, im ersten Satz ihres Buches «Das andere Geschlecht». «Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es», heißt es in der deutschen (unfreiwillig maskulinisierenden) Übersetzung, und weiter: «Kein biologisches, psychisches, wirtschaftliches Schicksal bestimmt die Gestalt, die das weibliche Menschenwesen im Schoß der Gesellschaft annimmt. Die Gesamtheit der Zivilisation gestaltet dieses Zwischenprodukt zwischen dem Mann und dem Kastraten, das man als Weib bezeichnet. Nur die Vermittlung eines Anderen vermag das Individuum als ein Anderes hinzustellen.»
Der berühmte Satz von Beauvoir steht auch am Beginn eines feministischen Essays, der kurz nach Haraways «Manifest für Cyborgs», im Jahr 1986, erscheint. In ihren «Variationen über Sex und Gender» geht die damals dreißigjährige US-amerikanische Philosophin Judith Butler der Frage nach, wie sich die «Gestaltung» der sexuellen Identität durch die «Gesamtheit der Zivilisation» zu den körperlichen Gegebenheiten verhält, die Menschen – scheinbar vor jeglicher kultureller Prägung – als männlich und weiblich identifizieren. Aus der anatomischen Prägung entspringt, was man als biologisches Geschlecht oder auch «Sex» bezeichnet; auf der anderen Seite steht das kulturelle Geschlecht: «Gender».
Die begriffliche Unterscheidung von Sex und Gender findet sich vereinzelt schon seit den sechziger Jahren in soziologischen Texten. Zum ersten Mal systematisch ausgearbeitet wird sie 1975 in einem Essay der feministisch-lesbischen Theoretikerin Gayle Rubin. In ihrem Essay «The Traffic in Women» beschreibt sie das «sex/gender system» als «die Vorkehrungen, durch die ein Gesellschaftssystem biologische Geschlechtlichkeit in Produkte menschlicher Aktivität transformiert und innerhalb deren diese transformierten Sexualbedürfnisse befriedigt werden». Nur wenn man diese «Vorkehrungen» analysiere, könne man das ganze Ausmaß der sexuellen Unterdrückung verstehen. Denn diese bestehe ja nicht einfach nur darin, dass Frauen von Männern unterdrückt werden. Vielmehr organisiere sich die Gesellschaft überhaupt um den vermeintlich unverrückbaren Unterschied von Frauen und Männern herum. Dabei werden alle Menschen, ob sie wollen oder nicht, dazu gezwungen, sich einer Seite dieses Gegensatzes zuzuordnen.
Das bedeutet unter anderem, dass ein Menschenwesen, das die anatomischen Merkmale einer Frau besitzt, nur dann als normal gilt, wenn es ein Menschenwesen begehrt, das die anatomischen Merkmale eines Mannes besitzt. Lesben, so Rubin, seien in diesem Sinne gar keine Frauen, weil ihr Begehren sich nicht auf Männer richte – und also auch nicht auf die biologische Reproduktion der Gattung und deren kulturelle Institutionen wie Ehe und Familie. So stünden Lesben – und alle anderen Menschen, deren Begehren nicht den Vorgaben der heterosexuellen Matrix folgt – außerhalb des angeblich allumfassenden sexuellen Dualismus.
Mithin werden sie von den herrschenden patriarchalischen Strukturen ebenso unterdrückt wie von den Vertreterinnen des spirituellen, Differenz- und Öko-Feminismus, die behaupten zu wissen, worin die «Natur der Frau» besteht. Ihnen hält Gayle Rubin entgegen: «Wir werden nicht als Frauen unterdrückt. Wir werden dadurch unterdrückt, dass wir Frauen sein müssen. Die feministische Bewegung sollte von etwas Größerem träumen als nur davon, die Unterdrückung von Frauen zu beenden. Sie sollte davon träumen, alle obligatorischen Sexualitäten und sexuellen Rollen zu überwinden. Der Traum, den ich am dringlichsten finde, ist der von einer androgynen und Gender-losen (wenn auch nicht Sex-losen) Gesellschaft, in der die sexuelle Anatomie eines Menschen keine Rolle dafür spielt, wer man ist, was man tut und mit wem man Liebesbeziehungen eingeht.»
Judith Butler schließt 1986 an diese Gedankengänge an. Doch versucht sie, ihre Kritik am «sex/gender system» noch weiter zu treiben. Für sie greifen Autorinnen wie Simone de Beauvoir und Gayle Rubin zu kurz, wenn sie beschreiben, wie biologische Geschlechtlichkeit in gesellschaftliche Zwangsverhältnisse transformiert wird – denn dabei, so Butler, gehen auch sie immer noch davon aus, dass es natürliche Unterschiede gibt, die den kulturellen Unterschieden vorausliegen. Wenn man in dieser Weise «Gender als kulturelle Interpretation von Sex definiert», dann reproduziert man Butler zufolge nur ein weiteres Mal den überkommenen Gegensatz zwischen Biologie und Technik, zwischen Natur und Kultur – in dem ja wiederum nichts anderes steckt als der Gegensatz zwischen dem Weiblichen und dem Männlichen, den die feministische Theorie überwinden sollte. Darum möchte Butler stattdessen zeigen, dass die Behauptung, es gäbe einen «natürlichen» sexuellen Unterschied zwischen den Menschen, nichts anderes als eine kulturelle Zuschreibung ist. Demnach existiert in Wahrheit keine «reine Natur» – es sei denn, die Menschen kommen zu einem bestimmten Zeitpunkt in einer bestimmten Kultur überein, etwas zu einer reinen Natur zu erklären.
Man sieht die Verbindungen zwischen dem Gedankengebilde Judith Butlers und dem Donna Haraways, auch wenn Butler sich an keiner Stelle in ihrem Text ausdrücklich auf das «Manifest für Cyborgs» bezieht. Doch liegt auch ihrer Theorie die Diagnose zugrunde, dass die Grenzen zwischen dem Natürlichen und dem Menschengemachten, zwischen der Natur und der Kultur verschwimmen. Oder besser gesagt: dass diese Grenzen schon immer künstlich errichtet wurden, was man aber erst jetzt, in der anbrechenden Ära der Technisierung des Lebens, zu begreifen beginnt.
Butler möchte sexuelle Identitäten jeglicher Art als Ergebnis von «Konstruktionen» beschreiben – nicht zufällig wählt sie dafür einen Begriff, der aus der Sphäre der Technik und der Ingenieurswissenschaften kommt. Konstruiert werden ja nicht Körper und Organismen, sondern Schaltkreise und Maschinen. In der modernisierten Variante der feministischen Theorie, die Judith Butler hier vorschlägt, ist die sexuelle Identität also etwas Technisches; aber damit eben auch etwas, das jederzeit umgebaut oder neu konstruiert werden kann. «Frauen haben keine Essenz, kein Wesen», so beschließt sie ihre «Variationen über Sex und Gender», «und dementsprechend haben sie auch keine natürliche Bestimmung. Tatsächlich ist das, was wir als Essenz oder als materielles Faktum beschreiben, lediglich eine forcierte kulturelle Option, die sich selber als natürliche Wahrheit verschleiert.»
Vier Jahre später, 1990, erscheint Judith Butlers Buch «Gender Trouble». Dieses macht sie zu einem akademischen Star und trägt wesentlich zur Durchsetzung der neuen wissenschaftlichen Disziplin der «Gender Studies» bei, deren Wirkung bis in unsere Gegenwart reicht. Die Entwicklung dieser Theorie nachzuzeichnen, ihre inspirierende Kraft, aber auch die vielfältigen Einwände dagegen – das wäre die Aufgabe einer Untersuchung, die sich den gedanklichen und kulturellen Entwicklungen der neunziger und nuller Jahre widmet. Interessant für unsere Zwecke ist einstweilen der Umstand, dass bei Butler ebenso wie bei Donna Haraway mit der naturgegebenen sexuellen Identität auch das Konzept der Identität selber in Frage steht.
Das heißt aber zunächst auch nichts anderes, als dass emanzipatorische Politik neu gedacht werden muss, weil ihr schlicht das vertraute Kollektivsubjekt abhandengekommen ist. Für die traditionelle Frauenbewegung, für den spirituellen, Öko- und Differenz-Feminismus, war es selbstverständlich, dass das politische Ziel in der Befreiung der Frauen von patriarchaler Unterdrückung besteht. Wenn es nun die Frau als solche, die Frauen als solche gar nicht gibt – wen gilt es dann zu befreien? «Wer aber ist gemeint, wenn ich von ‹uns› spreche?», fragt Donna Haraway in ihrem «Manifest für Cyborgs». «Welche Identitäten stehen zur Verfügung, um einen so mächtigen politischen Mythos, genannt ‹uns›, zu begründen, und was könnte die Motivation sein, sich diesem Kollektiv anzuschließen?» Das ist nun wieder weit weniger klar, als es in den Siebzigern schon einmal schien.
Für Haraway ergeben sich aus dieser neuen Unklarheit ebenso neue Möglichkeiten des politischen Handelns, etwa wenn mit dem Verschwinden des Kollektivsubjekts «Frau» auch dessen verdrängte Ausschlussmechanismen an Wirkung verlieren. Denn in Wahrheit hat es sich bei «den Frauen», für deren Rechte die ältere Frauenbewegung stritt, nicht nur – wie Gayle Rubin erläutert – wesentlich um heterosexuelle Frauen gehandelt, sondern auch – wie Haraway ergänzt – um weiße Frauen aus der Mittelschicht: «Die Kategorie ‹Frau› schloss alle nicht-weißen Frauen aus, ‹schwarz› negierte alle Nicht-Schwarzen ebenso wie alle schwarzen Frauen», weil die schwarze Emanzipationsbewegung der sechziger und siebziger Jahre von Männern beherrscht wurde und also wesentlich auf die Befreiung von schwarzen Männern abzielte. Im Umkehrschluss bedeutet das: Wenn man die politischen Emanzipationsbewegungen von ihren überkommenen Identitätsbildungen befreit, dann kann man auch denjenigen Menschen eine Stimme verleihen, die bislang mehrfach diskriminiert und aus dem Diskurs ausgeschlossen wurden; dann können sich auch neue Chancen zur Bildung von Koalitionen ergeben und damit eine noch breitere Basis für das politische Handeln. «Affinität statt Identität», heißt das bei Haraway. Mit einem Begriff, den schon Shuhei Hosokawa, der Theoretiker des «Walkman-Effekts», verwendet, der aber erst in unserer Gegenwart wirklich gängig geworden ist, ließe sich sagen: In der Ära der Cyborg-Kultur und der brüchigen Identitäten wird das Verständnis von Emanzipation erstmals intersektional.
So öffnet sich im feministischen Denken der mittleren achtziger Jahre, im Cyborg-Feminismus von Donna Haraway und in der Gender-Theorie von Judith Butler, eine Perspektive, die das identitätskritische Denken von Michel Foucault aufgreift und über es hinausweist. Während Foucault das schöpferische Potenzial der Sexualität betont und die Wonnen der stetigen Selbstneuerfindung, hoffen die Feministinnen auf die Selbstneuerfindung politischer Kollektive im Kampf gegen eine ungerechte Gesellschaft. Es sollen Kollektive sein, in denen die unterschiedlichsten Identitäten und Formen des Begehrens, aber eben auch die unterschiedlichsten Diskriminierungserfahrungen gleichermaßen eine Stimme erhalten und bei aller Verschiedenheit sich doch im gemeinsamen Kampf gleichberechtigt verbinden.
Dass dabei ausgerechnet die Cyborgs als utopische Protagonisten erscheinen, findet Donna Haraway in ihrem «Manifest» selber absonderlich, schließlich sind sie «Abkömmlinge des Militarismus und des patriarchalen Kapitalismus». Aber verbindet sie das nicht gerade mit der Computertechnologie, die dem militärisch-industriellen Komplex entspringt – und die in den achtziger Jahren ebenfalls zum Medium einer befreiten Kommunikation und der wahrhaft demokratischen Aneignung von Wissen zu werden verspricht? «Illegitime Abkömmlinge sind ihrer Herkunft gegenüber häufig nicht allzu loyal», kommentiert Haraway: «Ihre Väter sind letzten Endes unwesentlich.»
Der erste weibliche Cyborg betritt die Bühne der Popkultur am Ende der Achtziger. Es handelt sich um die Geheimdienst-Majorin Motoko Kusanagi. Sie ist die Heldin in dem Manga «Ghost in the Shell», dessen erste Episoden der Zeichner Masamune Shirow 1989 veröffentlicht. In seinem Japan des Jahres 2029 besitzen die Cyborgs nur noch winzige organische Anteile. Ein paar Hirnzellen bergen in einem ansonsten vollständig maschinellen Körper die menschliche Identität. Aber auch diese lässt sich manipulieren, darum muss Motoko Kusanagi nun gegen einen übelwollenden Hacker kämpfen, der alle Cyborgs in seine Gewalt zu bringen versucht. In Shirows Vision taugen die Cyborgs kaum noch als symbolische Figuren für die Befreiung von der Natur; vielmehr versuchen sie, in einer vollständig technisierten Welt den letzten Rest ihrer natürlichen Identität zu verteidigen und zu bewahren.
Donna Haraways utopische Hoffnung findet in «Ghost in the Shell» ihr dunkles Gegenbild: Hier hat sich das militärisch-industrielle Patriarchat einmal mehr als Herr der Geschichte erwiesen. Was in dieser Zukunft von den Männern und Frauen, von den Menschen noch bleibt, das sind bloß Geister in Hüllen. Oder um noch einmal Michel Foucault zu zitieren, aus seinem Frühwerk «Die Ordnung der Dinge»: Es ist eine Zukunft, in der die Menschen verschwinden «wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand».