Nach den Cyborgs müssen wir nun noch ein letztes Mal auf die Zombies zurückkommen. Wir haben gesehen, wie das «Thriller»-Video von Michael Jackson jenem Genre, das in der ersten Hälfte der Achtziger zum bevorzugten Symbol für die Verrohung der Sitten und die Verderbnis der Jugend geworden ist, recht eigentlich erst mit einer jugendfreien Variante zum massenkulturellen Durchbruch verhilft. Wenigstens ebenso groß ist freilich die öffentliche Wirkung eines anderen Zombiefilms, der zwei Wochen vor «Thriller», am 20. November 1983, seine Premiere im Fernsehen erlebt. Die Zombies, die darin gezeigt werden, steigen zwar nicht aus Gräbern empor. Aber auch sie sind lebende Tote, von allen Arten des körperlichen Verfalls ergriffen. Sie schreiten langsam und mit leeren Blicken in langen Reihen hintereinander her, sie haben schwärende Wunden, bluten aus den Genitalien und eitern aus den Gesichtern; die Haare fallen ihnen aus, ebenso wie die Zähne. Sie ernähren sich zwar nicht von Menschenfleisch und auch nicht von menschlichen Gehirnen. Aber sie wollen den Menschen, denen sie begegnen, alles wegnehmen, was diese besitzen; denn sie haben selber nicht einmal das Nötigste, was sie brauchen, um als Untote zu überleben.
«The Day After» heißt der Film, der vom US-amerikanischen Sender ABC ausgestrahlt wird. Über hundert Millionen Zuschauer und Zuschauerinnen sitzen an diesem Abend vor den Geräten, das ist die höchste Einschaltquote, die bis dahin jemals mit einem Fernsehfilm erzielt wurde. Die Zombie-Apokalypse, die hier zu sehen ist, wird von dem Regisseur Nicholas Meyer inszeniert, der zuvor mit dem Science-Fiction-Film «Star Trek II: Der Zorn des Khan» reüssierte. Die Spezialeffekte hat der Designer Robert Blalack erschaffen, der seit dem ersten «Star-Wars»-Film zum Ensemble von George Lucas gehört; 1981 wirkte er an dem Werwolf-Horror-Film «Wolfen» mit.
Auch «The Day After» kann man als eine Mischung aus Science-Fiction und Horror bezeichnen, allerdings handelt es sich um sehr konkrete Zukunftsvisionen und Ängste, die hier in Szene gesetzt werden. Die Zombies sind nämlich die Überlebenden eines Atomkriegs. Nach einer Reihe von nuklearen Explosionen über dem Mittleren Westen der USA irren sie durch die Ruinen der Zivilisation und gehen an den Auswirkungen der atomaren Verstrahlung zugrunde. Hier ist also das passiert, wovor die Anhänger der Friedensbewegung warnen: Aus dem Kalten Krieg der Supermächte USA und UdSSR ist ein heißer Schlagabtausch geworden. Wer von beiden zuerst Atomraketen abgefeuert hat, lässt der Film offen. Man erfährt nur, dass eine Auseinandersetzung um die Vier-Mächte-Stadt Berlin eskaliert ist. Nachrichtensprecher im Radio und im Fernsehen berichten, dass die UdSSR alle Verbindungs- und Versorgungswege in den Westteil der Stadt abgeriegelt hat, woraufhin NATO-Truppen über den innerdeutschen Grenzübergang Helmstedt-Marienborn in die DDR eingedrungen sind, was die sowjetischen Truppen wiederum mit dem Einmarsch in die Bundesrepublik beantwortet haben.
Am Anfang scheint das alles weit weg, denn der Film spielt im US-Bundesstaat Kansas inmitten von riesigen Weizenfeldern. Wir lernen unter anderem die Familie Dahlberg kennen: Der Vater betreibt eine kleine Schweinezucht, die älteste Tochter steht kurz vor ihrer Hochzeit, es gibt eine Auseinandersetzung über die Frage, ob sie mit ihrem Bräutigam schon vor dem kirchlichen Jawort ins Bett gehen darf. Ein Arzt am Universitätskrankenhaus hat angesichts der Weltlage dunkle Vorahnungen und schläft noch einmal mit seiner Frau, bevor er sich auf den Weg zur Arbeit macht. Dann aber öffnen sich plötzlich die geheimen Silos zwischen den Schweinefarmen und unter den Wiesen, und Atomraketen schießen in den Himmel; kurz darauf schlagen die Raketen des Gegners ein. Gewaltige Atompilze erheben sich über der Landschaft. Die bis dahin liebevoll eingeführte Provinzszenerie mit nunmehr flüchtenden Menschen und Autostaus, aber auch mit noch ahnungslos spielenden Kindern wird von einem grellen Blitz überblendet. Die im Feuerball verglühenden Lebewesen – ein Liebespaar in einer letzten Umarmung, eine Mutter mit ihrem Säugling im Arm, ein einsames Pferd auf einer Weide – sind noch für einen winzigen Moment lang als Skelette zu sehen, so als würden sie vom Licht der Bombe geröntgt. Dann fegt eine Druckwelle über das Land und weht Häuser, Straßen, Dörfer und Städte einfach davon.
Filme, die sich mit dem Atomkrieg befassen, gibt es schon seit den fünfziger Jahren, der bekannteste ist wahrscheinlich Stanley Kubricks «Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb» aus dem Jahr 1964 («Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben»). Auch finden sich seit den späten Siebzigern, passend zur allgemein apokalyptischen Stimmung der Zeit, diverse Actionfilme, die in einer nahen Zukunftswelt nach der Zerstörung der Zivilisation spielen, allen voran der enorm erfolgreiche «Mad Max» von 1979. Doch egal, ob es sich um politische, kritische, satirische oder um schlichte Ballerfilme handelt – der Moment der Atombombenexplosion selbst wird durchweg übersprungen. Nicholas Meyer und Robert Blalack sind die Ersten, die dafür nach Bildern gesucht haben. Tatsächlich sind ihre visuellen Metaphern für die Vorstellung vom Atomkrieg prägend geworden: die Skelette im Blitz, die feurige Druckwelle mit den davonfliegenden Häusern, der gewaltige Atompilz über einer weiten Landschaft und einer Straße, auf der Menschen aus ihren liegengebliebenen Autos flüchten.
Nach dem Atomschlag zeigt «The Day After» den rapiden Verfall zivilisatorischer Regeln im Ausnahmezustand: Am Tag nach der Katastrophe gilt das Recht des Stärkeren und besser Bewaffneten, man kämpft gegeneinander um Nahrung und vor allem um Wasser. Weil es keine Elektrizität mehr gibt, behilft man sich mit Kerzen und den letzten noch funktionierenden Taschenlampen, statt in Autos bewegt man sich bald wieder in Pferdekutschen voran. Passend dazu wird an einer Stelle Albert Einsteins in der Friedensbewegung kursierendes Sprichwort zitiert: «Ich bin nicht sicher, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen wird, aber im vierten Weltkrieg werden sie mit Stöcken und Steinen kämpfen.»
Der eigentliche monströse, weil noch völlig unvertraute Schrecken geht aber nicht von den anderen Menschen aus, von den Toten oder von den zerstörten Städten und Landschaften – sondern von dem, was man nicht sehen kann: von der atomaren Verstrahlung und von den Krankheiten, die dadurch ausgelöst werden. Den größten Aufwand verwenden die Spezialeffekt-Künstler und Maskenbildner darauf, die Körper der Überlebenden in der zweiten Hälfte des Films allmählich verfallen zu lassen. Büschelweise rupfen sich Strahlenopfer die Haare aus, ihre Haut verfärbt sich und verwest; bald fallen sie in den langsamen, schlurfenden Gang, den man aus Zombiefilmen kennt. Gegen den Gegner, der hier angreift, kann man nicht kämpfen. Denn: «Du kannst es nicht sehen, du kannst es nicht spüren, du kannst es nicht schmecken», sagt einer der Überlebenden, als er die Tochter des Schweinezüchters vergeblich daran zu hindern versucht, aus dem Familienbunker an die verstrahlte Oberfläche zu klettern: «Aber es ist da. Jetzt. Überall. Es geht durch dich hindurch wie Röntgenstrahlen. Einfach so direkt in dich rein.»
Es ist eine interessante Dialektik, die hier am Werke ist. Die visuellen Neuerungen des Zombiegenres, die spektakulären Bilder von gleichermaßen lebenden wie verwesenden Körpern, die die Schaulust des Publikums in den frühen achtziger Jahren so exemplarisch befriedigen und herausfordern – sie werden in «The Day After» gerade dazu gebraucht, die Furcht vor dem Unsichtbaren zu erregen und zu steigern, also die Furcht vor dem, was sich jeder Schaulust entzieht. Die körperlichen Auswirkungen der Strahlenkrankheit sind seit den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki im Jahr 1945 bekannt. Aber in das Bewusstsein einer breiten Masse gelangen die Schrecken der unsichtbaren Verstrahlung zumindest im Westen erst mit «The Day After».
Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass die Folgen eines Atomkriegs unterschiedslos alle Menschen auf der gesamten Welt treffen werden, weil sich ein solcher Krieg nicht lokal oder zeitlich begrenzen lässt. Das steht im Gegensatz zu den Überzeugungen, denen die US-amerikanische Politik anhängt. Seit Ronald Reagan im Januar 1981 in das Amt des US-amerikanischen Präsidenten eingeführt worden ist, folgt seine Militärpolitik der Vorstellung, dass ein Atomkrieg zwar unangenehm ist, aber noch lange nicht das Ende der Menschheit oder auch nur Amerikas bedeuten muss. Man geht davon aus, dass eine atomare Auseinandersetzung sich etwa so organisieren lässt, dass bei einem Atomschlag gegen die UdSSR vor allem und möglichst ausschließlich der russische Teil der Bevölkerung getötet wird – während die nichtrussischen Sowjetbürger in ihren Provinzen und Satellitenstaaten verschont bleiben, sodass sie sich hinterher gegen die Diktatur und Fremdherrschaft erheben können und der Vielvölkerstaat zerbricht. Diese Vision wird bereits Ende der Siebziger von Zbigniew Brzeziński, dem Sicherheitsberater des demokratischen US-Präsidenten Jimmy Carter, entwickelt.
Reagans erster Verteidigungsminister, Caspar Weinberger, gibt 1981 die Devise aus, dass die USA einen Atomkrieg nicht nur überleben, sondern in ihm «die Oberhand behalten» sollten. Sein Berater Thomas K. Jones, der im Pentagon für die Entwicklung strategischer und taktischer Kernwaffen zuständig ist, erläutert im folgenden Jahr in einem Interview mit der «Los Angeles Times», dass die USA einen Atomkrieg leicht überstehen könnten, solange die Bevölkerung nur «genug Schaufeln» besitze: «Dig a hole, cover it with a couple of doors and then throw three feet of dirt on top. It’s the dirt that does it», so die Anweisung von Jones an die Bevölkerung. Grab ein Loch, leg ein paar Türen darüber und obendrauf eine Schicht Erde, die einen Meter dick ist. «If there are enough shovels to go around, everybody’s going to make it.» – «Enough Shovels», genug Schaufeln: Das wird in der US-amerikanischen Debatte zum geflügelten Wort für den politischen Glauben, dass sich ein Atomkrieg überleben lässt. Und dass damit auch die Hemmschwelle sinkt, einen solchen Krieg zu beginnen.
Den einfachen Ratschlägen an die Bevölkerung steht eine hochtechnologische Aufrüstung gegenüber, die während der ersten Amtszeit von Ronald Reagan eine runde Billion Dollar verschlingt. Dazu gehört die Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen in Westeuropa, von denen die ersten im November 1983 im baden-württembergischen Mutlangen aufgestellt werden. Zeitgleich beginnt ein Projekt zur Entwicklung eines Abwehrsystems im Weltall; mit Laserkanonen im Erdorbit sollen gegnerische Atomraketen beim Anflug auf die USA abgeschossen werden. «SDI – Strategic Defense Initiative» heißt dieses Vorhaben, aber der dafür gängig werdende Name ist naheliegenderweise bei jenem Film entlehnt, für den der «The-Day-After»-Designer Robert Blalack seine ersten Spezialeffekte entwickelt hat: «Star Wars».
«The Day After» kommt mitten in dieser Hochphase der US-amerikanischen Aufrüstung heraus. Dass der Film derart hohe Einschaltquoten erreicht, liegt auch an der massiven Werbung, die der Fernsehsender ABC schon Monate vorher dafür betrieben hat. Im Anschluss an die Ausstrahlung werden kostenlose Telefonleitungen freigeschaltet, an denen Psychologen zur Beratung traumatisierter Zuschauer bereitstehen; im Programm diskutieren Politiker und Journalisten aus den unterschiedlichen politischen Lagern darüber, ob man einen Atomkrieg besser durch Ab- oder durch Aufrüstung verhindern kann. Für den ehemaligen US-Außenminister Henry Kissinger tragen die spektakulären Bilder des Films nichts zur Klärung dieser Frage bei. Der General Brent Scrowcroft sekundiert ihm: Nur durch «deterrence», Abschreckung, könne man die Sowjetunion davon abhalten, ihrerseits einen Konflikt eskalieren zu lassen. Dazu würden auch die umfassenden Pläne für den «Ernstfall» gehören, die man für die Bevölkerung ausgearbeitet habe, also: wie man sie im Falle eines Atomschlags am besten in Sicherheit bringt und wie man dafür sorgt, dass sich das Leben danach schnellstmöglich wieder normalisiert. Der Astronom und Astrophysiker Carl Sagan, einer der prominentesten Pazifisten in jener Zeit, widerspricht ihm: Wie man im Film gerade gesehen habe, seien die Konsequenzen einer atomaren Verstrahlung derart dramatisch, dass es danach nicht nur kein normales, sondern gar kein Leben mehr geben werde. Darum seien alle Sicherheitspläne für diesen Fall ohnehin sinnlos.
Tatsächlich ist «The Day After» in den USA das meistdiskutierte Medienereignis des Jahres, im Fernsehen und in der Presse folgen noch viele Debattenbeiträge. An den politischen Einstellungen ändert der Film freilich wenig. In einer Umfrage, die vor und nach seiner Ausstrahlung erhoben wird, plädieren jeweils genauso viele Menschen für oder gegen eine weitere Aufrüstung. Die US-amerikanische Friedensbewegung ist zu diesem Zeitpunkt schon fast völlig in der Bedeutungslosigkeit verschwunden. In Westdeutschland, wo der Film ab Dezember 1983 erst einmal in den Kinos läuft, ist das anders, hier sprechen sich laut Umfragen Ende 1983 rund zwei Drittel der Bevölkerung dafür aus, die Stationierung der US-Atomflugkörper zu verhindern. Doch wird ein Antrag der Grünen, diese Entscheidung von einer konsultativen (also: nicht verbindlichen) Volksbefragung abhängig zu machen, von den anderen Parteien einstimmig abgelehnt.
Die politischen Wirkungen des Films gehen also gegen null. Erfolgreich ist immerhin die von ihm entwickelte Ikonographie. Die Bilder des Feuersturms und der Druckwellen, die Häuser und ganze Städte wie Streichholzkonstruktionen hinwegwehen, gehen in das kollektive Gedächtnis und in die Popkultur ein. Als beliebteste Bilder der Apokalypse lösen sie die abgestorbenen, laublosen Bäume ab, die am Anfang des Jahrzehnts die Angst vor dem Waldsterben illustrieren. So sieht man die feurigen Wellen und vergeblich vor der Strahlung flüchtenden Menschen auch in diversen Musikvideos der folgenden Zeit. Die britische Band Ultravox zum Beispiel bebildert ihre Single «Dancing With Tears In My Eyes» im Frühjahr 1984 mit einem Film, der sich unmittelbar bei «The Day After» bedient. Zwar ist es hier ein Atomkraftwerk, das nach einer Kernschmelze binnen weniger Minuten in die Luft fliegt. Doch sind die Konsequenzen dieselben: Die Menschen erkennen schockartig, dass ihnen nur noch sehr kurze Zeit bleibt, um ihre Liebsten in die Arme zu nehmen oder all das zu tun, was sie schon immer tun wollten. Also eilt der Sänger der Gruppe, Midge Ure, schnell nach Hause, um einen letzten Blick auf sein kleines Kind zu werfen und sich anschließend mit seiner Frau nackt ins Bett zu legen. Dann rast auch schon die feurige Welle über sie hinweg. Am Ende des Videos sieht man ein paar vergilbte Super-8-Bilder, die die soeben ausgelöschte Familie beim glücklichen Herumtollen im Garten zeigen.
Das Gefühl, dass es mit der gesamten Welt und der menschlichen Zivilisation innerhalb weniger Minuten vorbei sein könnte, wird Mitte der achtziger Jahre zum Spiegelbild auch des ganz normalen jugendlichen Weltschmerzes. Wer sich in der Pubertät befindet, glaubt ja sehr häufig, dass die eigene Existenz nur auf Sand gebaut ist: Jeden Moment könnten die Sirenen heulen, und dann muss man sich fragen, ob man so gelebt hat, wie man es eigentlich wollte. «Two Minute Warning» heißt zum Beispiel ein Stück, das sich auf «Construction Time Again» findet, dem dritten Album von Depeche Mode aus dem Jahr 1983. «Two minute warning / Two minutes later / When time has come / My days are numbered», singt Dave Gahan darin: Nur zwei Minuten dauert die Spanne von der Ausrufung des Ernstfalls bis zu der Erkenntnis, dass die eigenen Tage gezählt sind.
Einen für deutsche Verhältnisse äußerst ungewöhnlichen internationalen Erfolg feiert im selben Jahr die in Westberlin lebende Sängerin Nena, ihr Lied «99 Luftballons» wird sowohl in der deutschen wie auch in einer englischsprachigen Version in den USA zu einem Hit. Hier wird der Atomkrieg durch ein Missverständnis ausgelöst: Ein Luftwaffengeneral hält 99 Luftballons am Himmel für Ufos und schickt 99 Düsenjäger los, um sie abzuschießen; was wiederum 99 «Kriegsminister» anderer Staaten dazu bringt, ihrerseits loszuschlagen. Nach 99 Jahren Krieg streift die Sängerin über das verwüstete Land: «Heute zieh ich meine Runden / seh die Welt in Trümmern liegen / Hab ’nen Luftballon gefunden / Denk an Dich und lass ihn fliegen.»
International weniger erfolgreich, aber inhaltlich wesentlich visionärer ist ein Song, den der deutsche Rocksänger Peter Maffay schon 1982 veröffentlicht hat. Er trägt den Titel «Eiszeit» und befasst sich in melancholisch-pathetischem Ton mit den ökologischen Folgen einer atomaren Auseinandersetzung für den Planeten. «Aschenregen fällt auf uns», heißt es darin, «die Wolken sind so rot»; wenn das «Rote Telefon» versagt, ist es mit uns vorbei: «Eiszeit, Eiszeit / Wenn die Meere untergehn und die Erde bricht.» Wie man sich untergehende Meere vorstellen muss und warum gerade jetzt «Atlantis hochkommt», wie es an anderer Stelle heißt: Das ist bislang das Geheimnis von Maffay geblieben. Seine Befürchtung, dass der kurze heiße Atomkrieg zu einer lange währenden Eiszeit führen könnte, entspricht dagegen der schon seit den siebziger Jahren kursierenden Vorstellung vom «nuklearen Winter». Diese geht davon aus, dass der von Atomexplosionen hochgewirbelte Staub und der Rauch zeitgleich ausbrechender Großbrände die Atmosphäre derart verdunkeln, dass die globale Temperatur um fünfzehn bis fünfundzwanzig Grad sinkt.
Der Astronom Carl Sagan veröffentlicht kurz nach der Ausstrahlung von «The Day After» und der anschließenden TV-Diskussionsrunde in dem Wissenschaftsmagazin «Science» eine Studie über diesen «nuklearen Winter» und seine Konsequenzen. Ausgiebig durchgespielt wird das Szenario in einem Film, der wiederum ein paar Monate später im britischen Fernsehsender BBC ausgestrahlt wird. «Threads» schildert den Ausbruch des Atomkriegs vom Schauplatz der nordenglischen Stadt Sheffield aus; diesmal ist es die Invasion des Iran durch sowjetische Truppen, die für die Eskalation sorgt. Der Atombombenschlag selbst wird vergleichsweise kurz abgehandelt, es gibt brennende und vom Sturm eingedrückte Häuser zu sehen, aber sonst keine nennenswerten visuellen Effekte. Auch die maskenbildnerische Gestaltung der Überlebenden, die nun von der Strahlenkrankheit hinweggerafft werden, bleibt hinter den von «The Day After» gesetzten Standards zurück. Die optisch schockierendsten Szenen zeigen ein paar verkohlte Köpfe und Extremitäten, die aus den Schuttbergen der zerstörten Stadt hervorschauen.
Das Grauen, das dieser Film zu verbreiten versucht, entspringt nicht der Hitze der Apokalypse, sondern vielmehr der Kälte des Lebens danach. Ein paar Tage nachdem die ersten Überlebenden aus ihren Schutzbunkern und Ruinen gekrochen sind, verdunkelt sich der Himmel, und es wird bitterkalt. Wer nicht an der Strahlenkrankheit oder an einer der ausbrechenden Epidemien stirbt, der erfriert; und wer nicht erfriert, der wird von Plünderern erschossen oder, wenn er selber geplündert haben sollte, von den Kommandos der überall entstehenden Bürgerwehren. Ein Erzähler erläutert aus dem Off in sachlichem Ton, welche Krankheiten nun gerade wieder wie viele Millionen von Menschen dahinraffen. Man sieht, wie ausgemergelte Gestalten über gefrorene Straßen schleichen und sich von Ratten ernähren. Die Hauptfigur des Films, Ruth, bringt ein vor der Katastrophe gezeugtes Mädchen zur Welt. Wie alle Kinder in dieser Zeit lernt die kleine Jane kaum sprechen; als ihre Mutter vor Erschöpfung stirbt, zeigt sie keine Rührung, denn auch Empathie gibt es nicht mehr in dieser Welt. Wenig später wird Jane vergewaltigt, in der letzten Szene gebärt sie ein totes und missgebildetes Baby.
Bei der Premiere von «Threads» im September 1984 schalten knapp sieben Millionen Zuschauer ein; ein knappes Jahr später, zum Jahrestag des Atombombenabwurfs über Hiroshima, wird der Film noch einmal gezeigt. In den USA läuft er im Januar 1985, ergänzt durch eine wissenschaftliche Dokumentation, in der Carl Sagan über den Charakter und die Gefahren des nuklearen Winters aufklärt. Danach verschwindet «Threads» für zwanzig Jahre in den Archiven, in Deutschland ist er bis heute weder im Fernsehen noch im Kino zu sehen gewesen.
Weitaus mehr Menschen erreicht «Red Dawn» (deutsch: «Die rote Flut»), der erfolgreichste US-amerikanische Kinofilm des Jahres 1984. John Milius, der den Film inszeniert, ist als Drehbuchautor für Francis Ford Coppolas Vietnamkriegsfilm «Apocalypse Now» bekannt geworden sowie als Regisseur von «Conan der Barbar», mit dem Arnold Schwarzenegger 1982 der Durchbruch als Schauspieler gelingt. In «Die rote Flut» zeigt Milius, wie sowjetische Truppen in die USA eindringen; vorher haben sie unter anderem Westdeutschland überrannt, weil dort die Partei der Grünen an die Macht gelangt ist und sämtliche Atomwaffen demontieren ließ. Die Sowjets gehen mit großer Grausamkeit vor, sie vernichten die Hauptstadt Washington und andere Metropolen des Landes mit Nuklearwaffen und erschießen jeden, der sich ihnen in den Weg stellt. Allerdings haben sie nicht mit einigen patriotischen Schuljungen gerechnet, die eine Untergrundarmee mit den Namen «Wolverines» – deutsch: Werwölfe – bilden. Diese nimmt den heroischen Kampf gegen die Invasoren auf; schließlich können die Sowjets durch den Einsatz der «freien amerikanischen Streitkräfte» zurückgeschlagen und aus dem Land vertrieben werden. Vorher stirbt aber noch der Anführer der entschlossenen Schuljungen beim siegreichen Angriff auf das sowjetische Hauptquartier den Heldentod. Diese Figur mit dem Namen Jed spielt Patrick Swayze, der wiederum drei Jahre später mit dem Film «Dirty Dancing» zum beliebtesten Teenie-Idol der USA aufsteigen wird.
«Red Dawn» kommt am 10. August 1984 in die US-amerikanischen Kinos, mitten im Präsidentschaftswahlkampf, bei dem sich der konsequente Befürworter einer nuklearen Abschreckungspolitik, Ronald Reagan, um eine zweite Amtszeit bewirbt. Bei den Wahlkampfdebatten geht es aber vor allem um Reagans Überzeugung, dass die Staatsschulden weiter abgebaut werden müssen und dass die Wirtschaft weiter dereguliert werden soll. Die Rüstungspolitik spielt fast keine Rolle – abgesehen von einem scheinbaren Fauxpas, der Reagan einen Tag nach der «Red-Dawn»-Premiere passiert. Bei einer Technikprobe vor einer Rundfunkansprache scherzt er in ein zu früh eingeschaltetes Mikrofon: «Meine Mitbürger, ich teile Ihnen mit Freude mit, dass ich heute ein Gesetz unterzeichnet habe, das Russland für immer für ungesetzlich erklärt. In fünf Minuten beginnen wir mit dem Bombardieren.» Das kann die Sympathie der Amerikaner für ihn nicht schmälern, im Gegenteil, bei den Wahlen im November 1984 gewinnt Reagan gegen seinen demokratischen Herausforderer Walter Mondale mit einer überwältigenden Mehrheit von 58,8 Prozent.