In den Film «Cocktail», der im Juli 1988 in die Kinos kommt, spielt Tom Cruise einen ehrgeizigen Wirtschaftsstudenten, dessen großer Traum darin besteht, an der Wall Street Karriere zu machen. Weil es damit nicht klappt, verdingt er sich stattdessen in einer Cocktailbar, in der die erfolgreichen Aktienhändler der Stadt und sonstige Yuppies ein und aus gehen. Hier verzaubert er sein vor allem weibliches Publikum schnell dadurch, dass er in spektakulärer Weise mit Gläsern, Flaschen und Cocktail-Shakern hantiert. Beim Mixen der Getränke holt er die Flaschen hinter dem Rücken hervor, um sie hochzuwerfen und nach kunstvollen Pirouetten passgenau wieder aufzufangen. Auch übt er mit seinem Partner hinter dem Tresen synchrone Bewegungsabläufe ein, sodass die beiden wirken wie Akrobaten oder Tänzer bei der Ausführung liebevoll einstudierter, aber nun rasend schnell abgespulter Choreographien.
Hier herrscht also «high energy» hinter dem Tresen, ein gutes Bild für die wiedererblühende Barkultur in den achtziger Jahren. Während die prägenden Lebensstilszenen der Siebziger über keine nennenswerte Trinkkultur verfügen und sich ihre Angehörigen – wenn überhaupt – in schmucklosen oder auch sorgsam verranzten Kneipen ornamentfreien Getränken wie Flaschenbier oder Getreideschnäpsen hingeben, werden die Tresen im Verlauf der Achtziger wieder zum Erlebnisbereich; die Auswahl an Getränken wird differenzierter, man trinkt wieder Cocktails und nun vor allem auch solche, die in kräftigen und gerne auch lebensmitteluntypischen, unnatürlichen Farben daherkommen. Das gilt für die Kultur der Yuppies ebenso wie für die Szene, die schon Anfang des Jahrzehnts um die New-Wave-Musik herum entstanden ist. Letztere trifft sich am liebsten in Bars, die ausgekachelt sind, kalt und steril wirken und wahlweise von Neon- oder von Schwarzlicht bestrahlt werden. Entsprechend eisig, künstlich und fluoreszierend soll auch die Anmutung der Cocktails sein, die hier getrunken werden.
So kommt es zur Renaissance des am Ende der Siebziger schon fast vergessenen Gin Tonic. Der im Tonicwater enthaltene Bitterstoff Chinin fluoresziert unter Schwarzlicht bläulich – entsprechend wird die bis heute erfolgreichste Gin-Innovation aus diesem Jahrzehnt, der 1987 auf den Markt gebrachte Bombay Sapphire, auch in einer blauen Flasche verkauft. Generell ist Blau die beliebteste Cocktailfarbe in den Achtzigern, und die beliebteste Zutat ist darum Blue Curaçao. Dabei handelt es sich um einen Likör, der aus in Alkohol eingelegten Scheiben von Bitterorangen gewonnen wird. Diese löst man in einer Mischung aus noch mehr Alkohol, Wasser und Zucker auf und färbt sie anschließend mit einem von dem Chemiekonzern Hoechst entwickelten Triphenylmethanfarbstoff, der bis dahin vor allem in Gummibärchen und Götterspeise zur Verwendung kam oder als Markierung von Lymphknoten bei einer Krebsdiagnose. Der erste populäre Cocktail mit Blue-Curaçao-Färbung wird an der Wende zu den Achtzigern von dem Münchener Barkeeper Charles Schumann erdacht. Er mischt Wodka und Rum mit Ananassaft, Kokosmilch und süßer Sahne. Alles zusammen wird dann in ein sogenanntes Fancy-Glas geschüttet, ein Glas mit einem kurvigen Körper. Erinnern soll der Cocktail an die Urlaubsfreuden unter südlicher Sonne, darum trägt er den Namen «Swimming Pool».
Man sieht schon, dass die Optik hier wichtiger ist als der Geschmack, was für wesentliche Teile der Trinkkultur in den Achtzigern gilt. In vielen Fällen ist denn auch nicht mehr von Cocktails die Rede, sondern von «Fancy Drinks», zu Deutsch etwa: schicken Getränken. Die Mischung aus Sahne und Saft bleibt die beliebteste Grundlage für Mixgetränke, wobei deren generell hoher Zuckeranteil und Kalorienwert in sonderbarem Gegensatz steht zu der sich ausbreitenden Fitness- und Schlankheitskultur, von der ich an anderer Stelle schon berichtet habe. Dieser Umstand wird dadurch überspielt, dass die Cocktails durch ihre fluoreszierenden Farben besonders energetisch anmuten, so als könnten sie dem oder der Trinkenden eine besondere Energie einflößen.
Oder einen Mehrwert an Potenz. Typisch für das Jahrzehnt sind Cocktail-Innovationen mit sexuell anzüglichen Namen, die sich eher auf dem Humorniveau eines pubertierenden Knaben befinden. Tom Cruise serviert in «Cocktail» Mixgetränke, die «Orgasmus» heißen oder auch «Dirty Mother»; Letzteres besteht zur Hälfte aus Brandy und zur anderen Hälfte aus dem Likör Kahlúa, einer Mischung aus Kaffee, Zuckerrohrschnaps und Vanille. Das bekannteste Beispiel für die Traditionslinie der Achtziger-Jahre-Sex-Cocktails ist aber natürlich «Sex on the Beach». Die Mixtur wird erstmals 1987 präsentiert: Grundlage ist Cranberry-Nektar, ein Stoff, der bis dahin – und bis heute – vor allem zur Therapie von Harnwegsinfekten benutzt wird, wie sie nicht zuletzt beim ungeschützten Wechsel zwischen Vaginal- und Analverkehr entstehen; dazugegeben werden Wodka, Pfirsichlikör und Orangensaft. Bald gibt es diverse Variationen, die ebenfalls das Wort «Sex» im Titel tragen und kaum weniger befremdlich schmecken als das Original. Darunter «Sex on Fire» mit Wodka, einem Orangenlikör namens Triple Sec sowie Fanta Fruit Twist, einer Sonderausgabe der klebrigen Orangenbrause, in der sich ergänzend Spuren von Pfirsich-, Apfel- und Maracuja-Geschmack finden; oder auch «Sex on the Driveway», der aus Wodka, Pfirsichlikör und Blue Curaçao besteht sowie aus einem großen Schuss Sprite, jener klebrigen Zitronenlimonade, die der Coca-Cola-Konzern Ende der sechziger Jahre als «frischeres» Pendant zu Fanta entwickelt hat.
Das Mischen von klaren Schnäpsen und klebrigen bunten Limonaden reicht weit über das etablierte Bartenderwesen in den Metropolen hinaus, es beherrscht auch die Teenager-Partys etwa in der norddeutschen Provinz, in welcher der Verfasser dieser Zeilen seine ersten Vollräusche erlebt. Hier vermengt man bevorzugt Coca-Cola mit Rum oder Whisky. Schon nach geringerem Konsum hinterlassen Bacardi Cola oder Jack Daniel’s Cola (auch «Jacky Cola» genannt) ein bleiernes Gefühl im Kopf und Lähmungserscheinungen in den Gliedern; noch unangenehmer wird die Wirkung, wenn man die klassische Coca-Cola durch Cherry-Cola ersetzt, eine Variante mit künstlichem Kirschgeschmack, die der Konzern 1985 auf den Markt bringt – in demselben Jahr, in dem Modern Talking ihre «Cheri Cheri Lady» besingen, und passend auch zu der enormen Konjunktur, die in dieser Zeit die von dem Süßigkeitenkonzern Ferrero schon in den Fünfzigern entwickelte Praline «Mon Chéri» erlebt, eine in Branntwein eingelegte Kirsche im Schokoladenmantel. «Wer kann dazu schon nein sagen?», so lautet einer der prominentesten Werbeslogans des Jahrzehnts.
Ansonsten herrschen bei den Besäufnissen Minderjähriger in den achtziger Jahren cremige und «smoothe» Alkoholkreationen vor, etwa der Sahnelikör Baileys aus irischem Whiskey und Rahm, der in Deutschland 1979 auf den Markt kommt und sich auch unter erwachsenen Barbesuchern bald großer Beliebtheit erfreut. In Erinnerung geblieben ist auch der kränklich weiß irisierende Batida de Côco, der aus Kokosmilch, Zucker und Zuckerrohrschnaps besteht; er bildet die Grundlage für den «Orgasmus»-Cocktail von Tom Cruise, weil die weiße Farbe an Spermien erinnert. Batida wird wiederum gerne mit Kirschsaft zu «Batida Kirsch» kombiniert, während man Baileys bereits fertig gemischt aus der Flasche in der besonders bizarren Geschmacksrichtung Minzschokolade genießen kann oder mit Erdbeergeschmack. All diesen Trink-Erfindungen ist dank ihres hohen Zuckergehalts die Charakteristik gemeinsam, dass sie am Morgen nach dem Konsum oder im schlechteren Fall schon währenddessen enorme Kopfschmerzen erzeugen. Das ist die Kehrseite der für die Trinkkultur der achtziger Jahre typischen Buntheit und auch der verbreiteten Neigung, sich Getränke aus möglichst vielen verschiedenen Zutaten zuzuführen: dass der Morgen nach dem Rausch besonders grau, bleiern und grobkörnig wirkt.
Den immer komplizierteren Mixgetränken aus der wieder boomenden Barkultur steht auf der anderen Seite des popkulturellen Spektrums eine geradezu dogmatische Schlichtheit entgegen: In all jenen Milieus, Szenen und Gruppen, deren Tradition sich bis in den Punkrock und Postpunk der späten Siebziger und frühen Achtziger zurückverfolgen lässt, ist das Vermischen von Flüssigkeiten jedweder Art grundsätzlich verboten. In den Punkrockkneipen des Hamburger Schanzenviertels, in denen der Verfasser dieser Zeilen gegen Ende des Jahrzehnts seine Teenager-Jahre ausklingen lässt, wird jeder, der sich zufällig dort hinein verirrt und einen Cocktail oder auch nur die damals ebenfalls populäre Fruchtsaftmischung «Kiba» (für Kirsch-Banane) bestellt, von grimmigen Tresenkräften sogleich hochkant aus dem Lokal geworfen. Wenn es hochprozentigen Alkohol gibt, dann ausschließlich pur aus kleinen Gläsern, ansonsten kann man Bier trinken oder eben wieder gehen. Das Bier wiederum wird ausschließlich aus Flaschen konsumiert. Die Vorstellung, dass man es durch einen Hahn aus einem Fass zapfen könnte, erscheint ähnlich irre wie die damals noch fernliegende Idee, Bier mit Zitrus- oder Obstaromen zu versetzen. Auch bei Konzerten wird das Bier noch durchweg in Flaschen gereicht; dass es aus Pfand- und Sicherheitsgründen in Plastikbecher umgefüllt wird, ist ebenfalls eine Entwicklung späterer Jahrzehnte. Das heißt aber, dass man seinen Unmut über mangelhafte musikalische Leistungen auf der Bühne noch drastisch durch das Werfen von Flaschen ausdrücken kann. Nicht wenige Konzerte, die ich Ende der Achtziger erlebe, münden in Glashageln oder – sofern die Musiker sich zu wehren wissen – im Hin- und Herwerfen von Flaschen aus dem Publikum auf die Bühne und von dort wieder in das Publikum zurück.
Mit der Szene der New-Wave-, der Popper- und Yuppie-Bars scheint dies nur wenig zu tun zu haben. Aber tatsächlich wird auch hier mit Flaschen geworfen zum Ausdruck der Lebensfreude wie zur erotischen Entäußerung von Maskulinität. Bei Lichte betrachtet, sind die um den Konsum von Getränken herum entwickelten Choreographien und Verhaltensweisen in diesen scheinbar entgegengesetzten Subkulturen einander gar nicht so unähnlich; die Energieabfuhr und das energetische Verhältnis zwischen den Menschen spielt in jedem Fall eine Rolle.
Diejenige Getränke-Innovation der achtziger Jahre, die am weitesten in die Zukunft und bis in unsere Gegenwart weist, ist aber natürlich der Energydrink. In ihm verbindet sich die zeittypische Liebe zur Schrillheit, zum Individualismus und zum Artifiziellen mit dem Wunsch nach der Optimierung des Körpers und der individuellen Leistungsfähigkeit. Energydrinks versprechen den Konsumentinnen und Konsumenten, dass sie nach dem Genuss wacher und leistungsfähiger sind und beim Arbeiten oder beim Feiern länger durchhalten. So erfüllen sie im Alltag vieler Menschen auf legale Weise jene Funktion, die vorher in spezielleren Kreisen illegalen Drogen zukam, bei den Yuppies dem Kokain, bei Punkrockern und New-Wave-Avantgardisten chemischen Aufputschmitteln wie Speed.
Der erste ausdrücklich so benannte «Energy Booster» der Nachkriegszeit wird 1949 im US-Bundesstaat Tennessee hergestellt, er trägt den Namen «Dr. Enuf» und wird mit dem Slogan «Enuf is Enough» beworben. Das Getränk enthält große Mengen von Zucker und Koffein sowie ein wenig Vitamin B. So soll «Dr. Enuf» nicht nur für einen klaren Kopf und eine gesteigerte Sensibilität der Nerven sorgen, sondern unter anderem bei Magenschmerzen und Alkoholkater helfen. Nichts davon stimmt natürlich; insofern steht dieses Erzeugnis in einer langen Reihe von Quacksalberei-Getränken, die in den USA bis in das 19. Jahrhundert reicht, etwa bis zum Begründer der Rockefeller-Dynastie, William Rockefeller Sr., der Petroleum unter dem Namen Steinöl als angebliches Krebsheilmittel verkauft (zwei seiner Söhne gründen später die Standard Oil Company und verdienen damit erheblich mehr als ihr Vater), oder bis zu dem deutschen Immigranten William Radam, der in den 1880er Jahren mit dem Verkauf eines «Microbe Killer» genannten Getränks zu Bekanntheit gelangt.
Anders als die Erzeugnisse von Rockefeller und Radam stoßen «Energy-Booster»-Getränke wie «Dr. Enuf» oder das später konkurrierende «Morning Dew» in den Nachkriegs-USA aber zunächst nur auf geringes Interesse. Das ändert sich erst in den achtziger Jahren mit der 1985 lancierten Marke Jolt Cola, die sich ausdrücklich an leistungsorientierte Studenten und Studentinnen richtet sowie an junge Berufstätige und Yuppies. Durch den Schriftzug auf der Flasche zuckt ein gelber, rotgerandeter Blitz; versprochen wird gesteigerte Wachheit und Konzentrationsfähigkeit; die dazugehörigen Slogans lauten «All the sugar, twice the caffeine» sowie «Maximum caffeine, maximum power». Etwa zeitgleich bringt die Firma Lucozade, die schon seit den zwanziger Jahren Softdrinks mit angeblich medizinischer Wirkung vertreibt, einen «isotonischen» Energydrink heraus, der sich an Sportler und Sportlerinnen wendet und mit scheinbar naturwissenschaftlicher Exaktheit einen «fluiden und ausgeglichenen Elektrolyte-Haushalt» verspricht. Die ersten Plakatkampagnen zeigen ausschließlich durchtrainierte Athleten mit ansprechend definierten und schwitzenden Körpern.
Der Energydrink, der für die späten Achtziger und die folgenden Jahrzehnte prägend sein wird, kommt allerdings nicht aus den USA, sondern aus Österreich. Der Handelsvertreter und Marketing-Manager Dietrich Mateschitz ist 1982 auf einer Geschäftsreise in Japan, wo er auf die sagenhaften Profite der Tokioter Firma Taisho Pharmaceuticals aufmerksam wird; diese produziert schon seit den sechziger Jahren ein Getränk namens Lipovitan, mit dem sie Anfang der Achtziger zur erfolgreichsten Firma in Japan aufgestiegen ist. Lipovitan enthält die Aminosulfonsäure Taurin, die die Nervenleistung verbessert und in Kombination mit Zucker und Koffein, die ebenfalls reichlich im Getränk enthalten sind, eine schlafhemmende Wirkung erzeugt. Taurin ist ursprünglich eine deutsche Erfindung, der Stoff wurde in den 1820er Jahren erstmals aus der Galle von Ochsen gewonnen, die ansonsten vor allem zur Erzeugung von Gallseife dient. Nach Japan gelangte er während des Zweiten Weltkriegs, als Militärmediziner mit taurinhaltigen Getränken experimentierten, um die Sehleistung von Kampfpiloten zu steigern – freilich vergeblich. Das hindert Taisho Pharmaceuticals nicht daran, sein taurinhaltiges Lipovitan während des japanischen Wirtschaftswunders in riesigen Mengen an leistungswillige und gestresste Geschäftsleute zu verkaufen.
Ähnliches gelingt seit den Siebzigern dem thailändischen Unternehmen T. C. Pharmaceutical Co. mit seinem an Lipovitan angelehnten Getränk Krating Daeng (zu Deutsch: roter Bulle), das sich weniger an Geschäftsleute als vielmehr an Lastwagenfahrer und Reisbauern richtet. Der Energydrink-begeisterte Manager Mateschitz gründet mit den Produzenten von Krating Daeng, der Industriellenfamilie Yoovidhya, ein Joint Venture und bringt schließlich 1986 in Salzburg seine neue Marke Red Bull in den Handel.
Das Getränk besteht vor allem aus Wasser, Zucker und Zitronensäure, der Anteil der aufputschenden Substanzen Koffein und Taurin liegt unter einem Prozent. Das Ganze schmeckt in der Anfangszeit genauso scheußlich wie noch heute, dreieinhalb Jahrzehnte später: als hätte man einen Behälter mit Gummibärchen gefüllt, diese zermalmt und zermahlen und mit Zuckerwasser zu einer klebrigen, im Abgang leicht pelzig wirkenden Masse verrührt. Trotzdem gelingt es Mateschitz, dieses Nichtgetränk zu einer strahlkräftigen Marke aufzubauen. Der Werbetexter und Grafikdesigner Johannes Kastner entwickelt einen einprägsamen Slogan – «Red Bull verleiht Flüüügel» – und eine Werbekampagne mit eher dahingehuscht wirkenden Karikaturen und Zeichentrickspots, in denen das kühne Versprechen, Energie und Flügel zu verleihen, sogleich wieder ironisiert wird. Man sieht fliegende Kinder, die auf ihre konsternierten Eltern hinunterblicken, oder einen fliegenden Ornithologen über einem Vogelschwarm. Man sieht Leonardo da Vinci vor einer Staffelei mit dem Bild einer Red-Bull-Dose darauf, als handle es sich um eine Erfindung, die den Gang der Kunst- sowie sonstigen Geschichte verändert. Einem Stier mit hochrotem Kopf fliegen die Punkte von der Krawatte, nachdem er Red Bull konsumiert hat.
So zeigt sich hier auch das Urbild dessen, was man später als ironisches Konsumieren bezeichnet. Red Bull richtet sich an Leute, die ein Produkt nicht wegen einer bestimmten Qualität kaufen – zum Beispiel weil es gut schmeckt, gesund ist oder eine belebende Wirkung hat –, sondern weil es Ausdruck eines bestimmten Lebensstils ist. Dieser Lebensstil versieht sich einerseits mit den Symbolen des Individualismus: Mit dem Konsum von Red Bull hebt man sich vom gemeinen Volk der Bier-, Cola-, Brause- oder eben auch Cocktailtrinker ab. Andererseits demonstriert der Red-Bull-Konsument, der sich auf diese Weise vom gemeinen Volk abhebt, dass er den durch Marketing erzeugten Schein der Individualisierung als solchen durchschaut hat. Man zeigt, dass man nicht einfach nur auf Werbung hereinfällt, sondern im vollen Bewusstsein der kulturindustriellen Mechanismen zur Bedürfniserzeugung gleichwohl gern ein Produkt genießt, das sich auf geschickteste Weise diese Mechanismen zunutze macht. So ließe sich dies auch als spätkapitalistischer Individualismus der zweiten Ordnung beschreiben; oder als der postmoderne Höhepunkt in der langen Geschichte der Quacksalber-Getränke. Man trinkt etwas, von dem man weiß, dass es nicht schmeckt und nichts nützt und dass es schon gar nicht die Versprechen hält, mit denen es beworben wird – aber man trinkt es trotzdem, weil man damit zeigt, dass man sich durch solches Wissen den Spaß am Konsumieren nicht verderben lässt.
Nach ein paar hunderttausend Dosen im ersten Jahr verkauft Dietrich Mateschitz schon 1989 mehrere Millionen davon. Zur heutigen Weltmarke steigt Red Bull dann aber erst in den Neunzigern auf, als das Getränk auch außerhalb Österreichs verkauft werden darf (in Deutschland wird die Lizenz 1994 erteilt). Und als die Marketing-Strategen auf die Idee verfallen, die DJs, Tänzerinnen und Tänzer der Anfang der Neunziger erblühenden Rave- und Technokultur als wesentliche Zielgruppe ins Visier zu nehmen. Diese werden mit großen Mengen kostenloser Dosen angefixt, und ihre Veranstaltungen und Festivals werden von Red Bull immer großzügiger gesponsert, bis der individualistische Lifestyle der ravenden Mengen sich scheinbar zwangsläufig mit dem Versprechen des Getränks verbindet, mit Hilfe seiner Energie- und Wachheitszufuhren immer länger und länger durchtanzen zu können.
Zum paradigmatischen Feiergetränk der neunziger Jahre steigt denn auch die Kombination aus Red Bull und Wodka auf. Die mäßig energetisierende Wirkung der klebrigen Brause wird um den kurzen und scharfen Kick des Kartoffel- und Getreideschnapses ergänzt: Von allen in diesem Kapitel behandelten Mischgetränken ist dieses ohne Frage das widerlichste und jenes mit den unangenehmsten Folgen nach ausgiebigem Konsum. Aber wer in den Neunzigern jung war und viel getanzt hat und nicht wenigstens einmal nach exzessivem Wodka-Red-Bull-Konsum nicht mehr den Weg nach Hause gefunden hat, der hat andererseits auch etwas verpasst.
Aber das ist schon wieder eine Geschichte aus einem anderen Jahrzehnt. Einstweilen wird die energetischste Werbekampagne für Energydrinks in den achtziger Jahren weder in den USA noch in Österreich oder sonstwo in Europa lanciert, sondern wiederum in Japan. Sie gilt dem Getränk Alinamin V, das von Takeda Pharmaceutical hergestellt wird, dem größten japanischen Pharmaunternehmen und auch dem ersten, das seit den achtziger Jahren auf dem westdeutschen Markt vertreten ist – in einem Joint Venture mit der Grünenthal GmbH, die wiederum in den Fünfzigern mit ihrem Beruhigungsmittel Contergan weltweit bekannt geworden war. Alinamin V ist ein Energydrink, der ungewöhnlich bitter schmeckt und in ebenso ungewöhnlich kleinen Dosen verabreicht wird; dadurch suggeriert er noch stärker als seine Konkurrenten einen medizinischen Charakter. In den kurzen Werbespots, die Ende der Achtziger im japanischen Fernsehen geschaltet werden, scheint das Getränk geradezu überirdische Superkräfte zu stiften: Man sieht den Bodybuilder und «Terminator»-Hauptdarsteller Arnold Schwarzenegger, wie er sich nach dem Genuss von Alinamin V von einem unsicheren, von seinem Vorgesetzten geschurigelten Büroangestellten in einen vor Energie nur so strotzenden Kraftprotz verwandelt.
In einem anderen Werbespot entweicht Schwarzenegger aus der Flasche des Energydrinks wie der Geist aus Aladins Wunderlampe und spuckt mit diabolischem Lachen Unmengen von Goldtalern aus; in einem dritten sieht man ihn als um die Welt hetzenden Anzugträger, der mit vorgerecktem Kinn in die Kamera fragt: «Könnt ihr jeden Tag vierundzwanzig Stunden lang kämpfen?» Danach nimmt er einen tiefen Zug aus der Alinamin-V-Dose: «Geschäftsmann! Geschäftsmann! Japanischer Geschäftsmann!» In exemplarischer Weise ist hier das Versprechen der Energydrinks metaphorisch verdichtet. Sie verwandeln ihre Konsumenten nicht nur in stärkere und selbstbewusstere Menschen; sie stiften dabei auch beruflichen und ökonomischen Erfolg. In Wahrheit sind die Einzigen, die auf diese Weise von den Energydrinks profitieren, natürlich deren Erfinder, Produzenten und Vermarkter. Aber der phantasmatische Zusammenhang zwischen der Optimierung des Körpers und dessen optimaler Eingliederung in das sich verschärfende kapitalistische Konkurrenzsystem kommt am Ende der Achtziger vielleicht nirgendwo so klar zur Erscheinung wie in diesen Werbefilmen mit Arnold Schwarzenegger, dem aus der dunklen Zukunft in die noch pulsierende Gegenwart zurückgereisten Terminator.