Es gibt einen vierten prägenden Stamm, der an der Wende zu den achtziger Jahren entsteht. Die sogenannten Popper unterscheiden sich von den Ökos und Friedensbewegten, von den Punks und Gothics vor allem dadurch, dass sie sich nicht von der sie umgebenden Gesellschaft unterscheiden wollen, sondern diese im Gegenteil toll finden; sie befinden sich weder im Widerspruch zu den politischen Verhältnissen noch im Widerspruch zu ihren Eltern und der dazugehörigen Generation. Die Popper haben an der Gesellschaft schon deshalb nichts auszusetzen, weil sie wesentlich von ihr profitieren. Es handelt sich bei ihnen wahlweise um die Kinder reicher Eltern oder um junge Menschen, die gerne so wirken, als ob es sich bei ihnen um die Kinder von reichen Eltern handelt. Popper tragen ausschließlich Markenbekleidung in bunten, aber nie grellen Farben. Anders als die mit ihnen konkurrierenden Jugendkulturen erschaffen sie sich also keinen eigenen Stil – indem sie sich ältere Stile aneignen, kombinieren, verfremden, zerstören, transformieren –, sondern lassen sich diesen von den großen Modefirmen vorgeben, deren Produkte sie kaufen.
Der Begriff «Popper» taucht erstmals im Jahr 1979 auf. Geprägt wird er von Carola Rönneburg und Mathias Lorenz in ihrem selbstkopierten und -vertriebenen Heftchen «Der Popper-Knigge». Die beiden sind damals sechzehn und achtzehn Jahre alt und besuchen ein Gymnasium im wohlhabenden Hamburger Stadtteil Eimsbüttel. Im «Popper-Knigge» wollen sie die Eigenarten ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler karikieren; freilich wird ihr Werk von den dergestalt Karikierten wohlwollend, wenn nicht zustimmend aufgenommen und bald schon wie ein echter Knigge, eine Stilfibel, weiter kopiert und vertrieben.
Auf dem Cover sieht man eine Figur mit prototypischer Popper-Frisur: einem extrem asymmetrischen Seitenscheitel, der eine Gesichtshälfte vollständig verdeckt und damit auch den poppertypischen Zyklopenblick erzeugt. Diese Scheitelfrisur gehört tatsächlich zu den wesentlichen Erkennungszeichen der Popper. Sie wird kombiniert mit scharf abrasierten Koteletten und einem ebenso scharf ausrasierten Nackenbereich. Während der Popper von hinten also geradezu militärisch straff frisiert erscheint, wirkt sein Anblick von vorne wie ein Patchwork aus den Jugend- und Subkulturen der sechziger und siebziger Jahre, vom Hippietum über den Glamrock bis zu Postpunk und New Wave.
Dieser dialektische Charakter verbindet den Popperscheitel mit einem prägenden Haarschnitt der siebziger Jahre, dessen Wirkungsgeschichte freilich bis tief in die Achtziger reicht: dem Vokuhila (oder auf Englisch: mullet). «Vokuhila» ist die Abkürzung für «Vorne kurz, hinten lang», es handelt sich also um die invertierte Variante des Popperscheitels, für den sich die entsprechend naheliegende Bezeichnung «Volahiku» aber nicht durchgesetzt hat. Wobei es auch einen entscheidenden Unterschied gibt; denn jedenfalls in seiner archetypischen, von David Bowie 1972 popularisierten Version wird der Vokuhila unter Hinzufügung großer Mengen von Haarfestiger hergestellt. Ebenso greifen auch die anderen Jugend- und Subkulturen der späten siebziger und frühen achtziger Jahre auf festigende Substanzen zurück: sei es Haarspray, Gel oder – wie bei der proletarischen Variante der Punks – getrocknete Seife; sei es – wie bei den Ökos und Friedensbewegten – das körpereigene Fett aus den Talgdrüsen der Kopfoberfläche (hier erhalten die Haare ihre unverwechselbare Fasson vor allem dadurch, dass sie nur sehr selten oder gar nicht gewaschen werden.) Die Popper hingegen legen großen Wert auf die Fluffigkeit ihrer Frisuren. Die Haare sollen wehen und schweben und sich von selber bewegen, darum werden sie so oft wie möglich gewaschen, anschließend aber vorzugsweise nicht geföhnt: ihre bessere Form gewinnen sie, wenn sie an der Luft trocknen können. Dann lässt sich der Popperscheitel bei Bedarf auch mit einer ruckartigen Bewegung des Kopfes von rechts unten nach links oben aus der Position über dem Auge entfernen, sodass der Scheitelträger wenigstens für einen Moment mit zwei Augen sehen kann. Wichtig ist, dass bei dieser Bewegung des Scheitels die Hände nicht benutzt werden. Während die Ökos und Friedensbewegten sich selber oder auch sich gegenseitig unentwegt mit den Händen in den langen Haaren herumfummeln, ist diese Art des Händegebrauchs aus dem gestischen Repertoire der Popper grundsätzlich ausgeschlossen.
Gestik und Verhalten der Popper werden im «Popper-Knigge» penibel katalogisiert. Die Gangart ist «locker-flockig, nicht mit dem ganzen Fuß auftreten, leicht schwingen». Trifft man Bekannte, werden diese «stets freudig begrüßt», am besten «mit einem Aufschrei sowie einem Freudensprung» – allerdings nur, wenn es sich um «Ebenbürtige» handelt; andere und insbesondere «Nichtpopper» werden lediglich «durch ein leichtes, lässiges Kopfnicken begrüßt». Bei abendlichen Zusammenkünften mit anderen Poppern ist es vor allem wichtig, «dass man möglichst besser und interessanter als die anderen aussieht. Die Schwierigkeit besteht darin, dass die anderen eben genau das auch erreichen wollen.»
Auf einen besonderen Musikstil sind die Popper nicht festgelegt, darum bilden sie, anders als Punks und Gruftis, auch keine besonderen Bewegungsformen für die Tanzfläche aus. Viel entscheidender als das, was auf der Tanzfläche passiert, ist denn auch der erste Auftritt: Popper gehen «gewöhnlich zu mehreren in eine Diskothek – nur so ist es möglich, die anderen Besucher deutlich sehen und fühlen zu lassen, wer ‹man› ist». Darin zeigt sich das Wesensprinzip dieses Stils, mit dessen mottohafter Zusammenfassung der «Popper-Knigge» schließt: «Sehen und gesehen werden ist des Poppers Glück auf Erden.»
Die Wirkung der kleinen Stilfibel ist enorm. Sie wird nicht nur von ihren Leserinnen und Lesern weiter kopiert und vertrieben, sondern erregt auch erstaunlich viel Medieninteresse. Im Frühjahr 1980 etwa widmet der «Spiegel» dem Phänomen eine ausführliche Geschichte. Der Popper sei «nicht etwa ein Anhänger Karl Poppers», werden die Leser zunächst informiert: «Dem Pflichtoptimismus des Philosophen der Anti-Ideologie könnte ein Popper wohl Glauben schenken, doch von dem Herrn hat er in der Regel nie gehört.» Von dieser «antiideologischen» Ausrichtung der Popper ist die Autorin des Textes gleichwohl fasziniert: Sie protestieren nicht, sie interessieren sich überhaupt nicht für Politik; sie stimmen nicht in die apokalyptischen Abgesänge der Alternativkultur und der Punks ein, sondern blicken prinzipiell optimistisch in die Zukunft. Insofern erscheinen die Popper als Zeichen eines Epochenwandels am Ende der bürgerrechtsbewegten siebziger Jahre. Die «Kinder der 68er» – so der Tenor auch in anderen Artikeln, die etwa zeitgleich in großen Medien wie der «Zeit» oder dem «Stern» erscheinen – wenden sich von den Idealen ihrer Eltern ab und einem entpolitisierten und hedonistischen, aber irgendwie auch entspannteren und positiveren Leben zu.
Das ist nun insofern nicht ganz zutreffend, als es sich bei den prototypischen Poppern, wie sie in dieser Zeit an Elitegymnasien in Hamburg-Eimsbüttel und in den Oberschichtsvierteln anderer westdeutscher Großstädte gesichtet werden, gerade nicht um die Kinder von 68ern handelt – sondern vielmehr um Kinder aus wohlhabenden Familien, die mit den «Idealen von ’68» schon 1968 selber weit weniger am Hut hatten als mit der Wahrung und Mehrung des eigenen Besitzstands. Dennoch trifft die Diagnose einen wahren Punkt: nämlich den Umstand, dass trotz aller Aufmerksamkeit, die an der Wende zu den achtziger Jahren den politischen Protestbewegungen und den «unangepassten» Jugendkulturen zukommt, alle diese Bewegungen und Subkulturen nur einen kleinen Ausschnitt der gesellschaftlichen Verhältnisse darstellen. Und dass in den siebziger Jahren keineswegs eine neue Generation herangewachsen ist, die nun in den Achtzigern, da sie ins wahlfähige Alter gelangt, einen dramatischen Wandel der politischen Verhältnisse herbeiführen würde. Im Gegenteil.
Bei den Wahlen am 6. März 1983, bei denen die Grünen als parlamentarischer Arm der emanzipatorischen Bewegungen mit 5,6 Prozent erstmals in den Deutschen Bundestag einziehen, erhalten diese mit 13,9 Prozent bei den Wählerinnen und Wählern zwischen achtzehn und vierundzwanzig Jahren zwar einen überproportional hohen Stimmenanteil (bei den Fünfundzwanzig- bis Vierunddreißigjährigen sind es immerhin noch 10,8 Prozent). Doch den mit Abstand größten Erfolg bei den Erst- und Jungwählern erzielen CDU und CSU. Deren Kanzlerkandidat Helmut Kohl hat, wie schon erwähnt, Anfang des Jahrzehnts eine «geistige und politische Wende» gefordert – gegen die libertären Tendenzen des «Zeitgeistes», zurück zu traditionellen Werten und Institutionen. Gerade im Wahlkampf des Jahres 1983 tritt er aber auch für eine Gesellschaft ein, die weit stärker als bisher auf Konkurrenz und Individualismus gründet. «Fortschrittsoptimismus, Stärkung der Marktkräfte, Eigenverantwortung und Rückführung des Staates», so hat der Historiker Andreas Wirsching in seinem Buch «Abschied vom Provisorium» die Programmatik von CDU und CSU in jener Zeit auf den Punkt gebracht. Auf die sich daraus ergebenden inneren Widersprüche der konservativen Politik komme ich an anderer Stelle zurück – in jedem Fall ließe sich mit diesen vier Punkten auch das weltanschauliche Fundament des Popperwesens charakterisieren.
Für die von Helmut Kohl proklamierte Mischung aus Konservatismus und Individualismus stimmen 41,2 Prozent der achtzehn- bis vierundzwanzigjährigen Wähler und 43 Prozent der Fünfundzwanzig- bis Vierunddreißigjährigen; das sind deutlich mehr als bei den Bundestagswahlen 1980. Die stärksten Verluste muss die SPD verbuchen, deren langer Abstieg von der Volks- zur Minderheitenpartei, rückblickend betrachtet, bei den Wahlen 1983 beginnt. Wenn man sich diese Zahlen ansieht, muss man also feststellen: Von den verschiedenen Jugendkulturen, die Anfang der Achtziger miteinander konkurrieren, sind die Popper ohne Frage diejenigen mit der breitesten Massenbasis. Sie sind jene Lifestyle-Avantgardisten, die weltanschaulich am tiefsten in der Mitte der Gesellschaft wurzeln.
Für die anderen Jugendkulturen bieten die Popper damit ein ideales Feindbild. So wie sie selbst alle politisch engagierten oder gesellschaftskritisch veranlagten Jugendlichen als «Prolos» oder «Palästinenserfeudelträger» verspotten, so werden sie ihrerseits von allen anderen als angepasste Spießer und Schnösel verachtet. «Liegt der Popper tot im Keller, war der Punker wieder schneller», lautet einer von vielen geflügelten Sponti-Sprüchen aus den frühen achtziger Jahren, oder auch: «Hast du fünf Minuten Zeit, schlag dir einen Popper breit»; «Popper überfährt man mit ’nem Chopper»; «Haut die Popper platt wie ’n Whopper»; «Warum die Zeit totschlagen, es gibt doch Popper».
So beginnen die Popper Anfang der achtziger Jahre eine negative Integrationskraft zu entwickeln, wie es vor ihnen nur den Hippies gelungen ist: Sie bieten ein Feindbild, auf das sich Angehörige unterschiedlicher Jugendkulturen einigen können – auch solcher, zwischen denen ansonsten eher Konkurrenz oder Animosität herrscht. So versammelt sich am 17. Oktober 1980 ein breites Bündnis aus Punks, Skins und Rockern, um ein bundesweites Popper-Treffen in der Berliner Diskothek «Maxim» zu sprengen. An diesem Abend soll erstmals die Band Die Popper auftreten, die der Schlagerkomponist Joachim Heider passenderweise zusammengestellt hat, der Titel der ersten Single: «Wir sind die Popper». (Ein weitaus größerer Hit gelingt Heider im selben Jahr mit «Stein um Stein», der deutschsprachigen Cover-Version des Pink-Floyd-Stücks «Another Brick in the Wall Pt. 2».)
«Fein herausgeputzt mit Kaschmirpullovern, Seidenschals und kurzem Haarschnitt hörten sie Popmusik und feierten ihr Treffen mit Champagner», schreibt die «Welt am Sonntag» in ihrem Berlin-Teil über das Treffen – dann aber stürmen siebzig popperfeindliche Jugendliche in das Lokal und beginnen auf das Publikum einzuprügeln. Der Historiker Bodo Mrozek hat das Geschehen 2014 in seinem Essay «Vom Ätherkrieg zur Popperschlacht» folgendermaßen rekapituliert: «Es kam zu einer Straßenschlacht, an der sich zeitweise bis zu 1000 Jugendliche beteiligten und bei der 270 Polizisten eingesetzt wurden. Die Punks, verstärkt von Fans eines in unmittelbarer Nähe stattfindenden Rockkonzerts, griffen mit Pflastersteinen und Eisenketten an, stürzten Autos um und warfen einen Molotowcocktail auf das Lokal. Nach vier Stunden endete die Auseinandersetzung mit 40 Verletzten und 17 Festnahmen; 36 Ermittlungsverfahren wurden eingeleitet.»
Die Berliner Punkszene betrachtet die Ereignisse als großen Erfolg, in Anlehnung an die «Bewegung 2. Juni» feiern die Beteiligten sich als «Bewegung 17. Oktober». Der Düsseldorfer Punk-Pionier Trini Trimpop dokumentiert den Vorfall 1981 in dem Kurzfilm «Die Schlacht an der Hasenheide» – noch ein Jahr später wird Trimpop zu den Gründungsmitgliedern der bis heute tätigen Gruppe Die Toten Hosen gehören. Eine überraschende Wendung nimmt die Geschichte, als die Popper sich zwei Tage nach dem Angriff auf das «Maxim» mit einem Gegenangriff auf eine Kreuzberger Punkkneipe mit dem naheliegenden Namen «Chaos» revanchieren: «Mit dicken Autos fuhren sie an der Punk-Pinte vor», berichtet das Magazin «Stern». «Ein Stein flog durch die Scheibe ins ‹Chaos›, wo nur sieben Besucher saßen, darunter vier Mädchen. Rund 30 Popper stürmten durch die Tür. Gaspistolen knallten, Leuchtgeschosse detonierten im Lokal. Die feinen Popper zertrümmerten mit Eisenrohren und Tischbeinen das Mobiliar und droschen mit Kabeln auf die sieben Punks ein.»
Von der Gruppe Die Popper, deren Konzertdebüt den Anlass zur Eskalation bot, hat man danach nie wieder etwas gehört. Generell klingt die mediale Erregung um die Popper bald wieder ab, weil auch in den folgenden Jahren keine nennenswerte kulturelle Szene um sie herum entsteht. Zudem bringen die Popper keine Popstars oder auch nur prägende Mode-Ikonen hervor. Die Figur, die einer solchen eventuell noch am nächsten kommt, betritt erst Ende 1985 die Bühne: Es handelt sich um Dr. Udo Brinkmann, eine der zentralen Figuren aus der Serie «Die Schwarzwaldklinik», gespielt von Sascha Hehn. So trägt Brinkmann etwa gerne pastellfarbene Kaschmirpullover und eine stets locker-fluffige Mittelscheitelfrisur; er erweckt einen sorglos-optimistischen Eindruck und beherrscht insbesondere auch den schon im «Popper-Knigge» vorgeschriebenen «leicht schwingenden» Gang bis zur Perfektion. Sein charakteristischster Bewegungsablauf ist der Sprung über die Tür seines Golf-Cabrios; da er sich stets mit einem lässigen Satz hinter das Steuerrad schwingt, muss die Tür dieses Autos im Verlauf der gesamten Serie nicht ein einziges Mal von außen geöffnet werden. Ich komme auf die «Schwarzwaldklinik» an späterer Stelle zurück.
Die Popper sind eine rein westdeutsche Erscheinung, doch finden sich in anderen westlichen Industrienationen vergleichbare Phänomene: die Preppies in den USA – sowie in Großbritannien die Sloane Rangers. Beide entspringen älteren Traditionslinien, werden an der Wende zu den achtziger Jahren aber erstmals als kulturelle Szenen auf den Begriff gebracht. Dafür sorgen wiederum zwei Stilfibeln, die wie der «Popper-Knigge» satirisch-ironisch angelegt sind, sich aber ebenso als ernsthafte Anleitung zur Stilimitation auffassen lassen und mithin erheblich zur popkulturellen Verbreitung der entsprechenden Ästhetik beitragen.
1980 bringt die New Yorker Autorin und ausgebildete Semiotikerin Lisa Birnbach das «Official Preppy Handbook» heraus. Aufgeführt werden darin die idealen Bekleidungs- und Verhaltensweisen der «preppies» oder auch «preps» – also der Sprösslinge alteingesessener Ostküstenfamilien, die sich auf den «preparatory schools» (kurz: «prep schools») für den Besuch der Ivy-League-Universitäten vorbereiten und ihre Freizeit vor allem mit exklusiven sportlichen Tätigkeiten verbringen, zum Beispiel mit Golf, Tennis, Squash, Polo, Fechten und Segeln. Dementsprechend finden sich im Bekleidungsstil der Preps luxuriöse wie – das unterscheidet sie von den westdeutschen Poppern – auch sportive und lässige Elemente. Das zentrale Bekleidungsstück der Preps ist das Polohemd, das von der Modefirma des ehemaligen französischen Tennisspielers René Lacoste bereits in den fünfziger Jahren verbreitet worden ist; wesentliche Konkurrenz erwächst Lacoste an der Wende zu den achtziger Jahren in dem New Yorker Modemacher Ralph Lifshitz alias Ralph Lauren. Letzterer versieht seine Kreationen noch deutlicher mit maritimen Akzenten, inspiriert vom Leben in den Wochenendrefugien der New Yorker Oberschicht in Neuengland; marineblaue Blazer und Tweedsakkos kombiniert er mit Button-down-Hemden und Khakihosen. In Westdeutschland stößt dieser Stil denn auch vor allem im Norden und in den Küstenregionen auf Resonanz, und er prägt bis in die Gegenwart das Erscheinungsbild jener schnöseligen Kinder von reichen Eltern, wie man sie auf Sylt findet und wie sie dann allerdings erst in den neunziger Jahren prototypisch repräsentiert werden von dem Schriftsteller und Journalisten Christian Kracht.
Lediglich ein Bekleidungs- beziehungsweise Nichtbekleidungsdetail aus dem Prep-Stil bringt es schon in den achtziger Jahren in Westdeutschland zu größerer Verbreitung: das Tragen von Seglerschuhen bei gleichzeitigem Verzicht auf das Tragen von Socken. Mit dem sockenlosen Auftreten, so Lisa Birnbach im «Official Preppy Handbook», lässt sich das ganze Jahr über ein lässiger «beachside look» erzeugen, der den Träger oder die Trägerin so attraktiv erscheinen lässt, dass er oder sie dafür auch gern auf den fußschützenden Tragekomfort verzichtet, den Socken gemeinhin bieten.
Auch die britischen Sloane Rangers pflegen einen Stil, der sich am Auftreten und an der Bekleidung von Sprösslingen wohlhabender Familien orientiert. Ihre bevorzugte Einkaufsmeile befindet sich am Sloane Square im Londoner Stadtteil Chelsea – dort hat sie jedenfalls der Journalist und Marketing-Forscher Peter York gesichtet, der den Begriff bereits Mitte der siebziger Jahre in einem Artikel für das Magazin «Harpers Queens» prägt. 1982 bringt er, gemeinsam mit seiner Kollegin Ann Barr, nach dem Vorbild des «Official Preppy Handbook» das «Official Sloane Ranger Handbook» heraus.
Die Bekleidung der Sloane Rangers ist wie jene der Preps dezent, aber teuer; wie bei den westdeutschen Poppern gehört ein Hermès-Schal in Pastellgelb zur Grundausstattung. Die Frauen tragen marineblaue Strickjacken oder Westen, dazu lange Faltenröcke und Perlenketten; statt sich den Hermès-Schal um den Hals zu legen, knoten sie ihn gern um die Tragekette ihrer Handtasche. Weitaus wichtiger als bei den Poppern und auch bei den Preps ist die Strapazierfähigkeit der Stoffe und Materialien. So sind die Röcke oft aus Gabardine gewirkt, einer besonders festen Woll- und Kunstfasermischung. Die Männer tragen gern Wachsjacken der Marke Barbour, die ursprünglich für die Jagd oder das Angeln entwickelt wurden.
So wollen die Sloane Rangers demonstrieren, dass ihr wohlhabendes Leben sich nicht nur in den Innenstadtvierteln von London abspielt, sondern auch auf den Landgütern ihrer Familien in Devon und Somerset, Cornwall und Dorset – einerlei, ob sie tatsächlich über solche Familien verfügen oder gar solche Landgüter oder ob sie sich mit ihrem Auftreten und ihrer Bekleidung nur in dieses aristokratische Paralleluniversum einzuheiraten versuchen. Wie die distinguierte Aussprache gehört auch ein distinguierter Labrador-Hund wesentlich zum Dasein des Sloane Rangers hinzu. Und wer am Wochenende nicht wirklich zum Jagen oder Angeln aufbricht, begibt sich doch zumindest für ein luxuriös ausgestattetes Picknick aufs Land, bei dem für die mitreisenden Hunde ebenso selbstverständlich aufgedeckt wird wie für den menschlichen Teil der Ausflugsgesellschaft.
Die Faszination für diesen edel-aristokratischen, im ländlichen Luxus und in vorgeblich uralten Traditionen verwurzelten Stil reicht über Jahrzehnte hinweg bis in unsere Gegenwart hinein, wie sich an der ungebrochenen Beliebtheit von Magazinen wie «Country Living» oder deutschen Pendants wie «Landlust» erweist; zuletzt wurde in sozialen Netzwerken wie Instagram und Tiktok mit dem Modestil «Cottagecore» eine Variante für die Generation Z entwickelt. Auch haben die Sloane Rangers, anders als die Popper oder die Preps, eine selbst nach Jahrzehnten noch populäre Stil- und Mode-Ikone hervorgebracht: Diana Frances Spencer, die durch ihre Heirat mit dem britischen Thronfolger Prince Charles am 29. Juli 1981 zur Princess of Wales wird. Nicht nur mit ihrem Stil, auch mit ihrer Biographie erweist sie sich als ideale Sloane Ranger: Durch ihr angenehmes Auftreten und die geschickte Nutzung gesellschaftlicher Kontakte gelingt ihr der Aufstieg aus dem alten Adelsgeschlecht der Spencers in die britische Königsfamilie.
Diana Spencer ist denn auch auf dem Cover des «Official Sloane Ranger Handbook» zu sehen, in einem schulterfreien berüschten Kleid mit einem Perlenhalsband und der jedenfalls zu Beginn ihrer öffentlichen Karriere typischen Frisur: kurz geschnitten, aber nicht steif, sondern fließend und elegant geschwungen. Unter den unterschiedlichen Typen, die das «Handbook» für den Sloane Ranger katalogisiert, wird dieser als «Pearly Princess» bestimmt; Diana Spencer selber erhält den Ehrentitel der «Supersloane».
Dianas Hochzeit mit Charles wird – in einer Zeit, die man rückblickend vor allem von Punk und New Wave, Jugendrenitenz und Protest bestimmt glaubt – zum größten popkulturellen Ereignis des Jahres 1981. Wir wissen heute, dass diese Ehe und auch das weitere Leben Dianas keinen glücklichen Verlauf genommen haben; insofern ist ihr Schicksal nicht untypisch für die Achtziger, das Jahrzehnt der instabilen Bindungen, in dem die Zahl der Ehescheidungen so dramatisch wächst und das Experiment mit neuen Familienformen ins Zentrum des gesellschaftlichen Lebens rückt. Trotzdem – oder gerade deswegen – ist es am Beginn dieses Jahrzehnts eine Märchenhochzeit, von der sich die Menschen faszinieren und begeistern lassen; eine Märchenhochzeit, bei der die Braut in einem elfenbeinfarbenen, spitzenbesetzten Kleid mit einer knapp acht Meter langen Schleppe über den roten Teppich schwebt, während der Bräutigam an ihrer Seite eine Gala-Uniform der britischen Marine trägt.
Rund sechshunderttausend Menschen säumen die Straßen in London, als Diana und Charles sich in der St. Paul’s Cathedral das Jawort geben; geschätzte siebenhundertfünfzig Millionen Zuschauer sitzen in aller Welt vor den Fernsehgeräten. Bis heute ist dies eine der meistgesehenen Übertragungen der Fernsehgeschichte – übertroffen erst sechzehn Jahre später, am 6. September 1997, durch die Live-Übertragung von Dianas Beerdigung. Bei ihr geht die Zahl der Zuschauer und Zuschauerinnen in die Milliarden.