Am 13. Oktober 1982 gibt Helmut Kohl im Deutschen Bundestag seine erste Regierungserklärung als Bundeskanzler ab. Er proklamiert darin die von ihm schon vielfach geforderte «geistige» und «politische» Wende, eine «Politik der Erneuerung», in der sich die Rückkehr zu traditionellen Werten mit einer optimistischen Haltung zur Zukunft verbindet. Kohl will den weiteren Ausbau der Kernenergie ebenso fördern wie die klassische Kernfamilie, die von der sozialliberalen Koalition unter Helmut Schmidt eklatant vernachlässigt worden sei. Schon in den Siebzigern hat er wiederholt «die völlig einseitige Sicht der Emanzipation der Frau» beklagt, wie sie aus dem Geist der 68er-Generation heraus rühre. «Familienpolitik», kündigt Kohl nun an, werde ein «zentraler Punkt» seiner beabsichtigten Neugestaltung der Politik sein. «Unser Leitbild ist die partnerschaftliche Familie, die geprägt ist von der Partnerschaft zwischen Mann und Frau, zwischen Eltern und Kindern. Die Gemeinschaft von Eltern und Kindern bietet Lebenserfüllung und Glück.» Zwar sähen immer mehr Frauen «im Beruf einen ebenso selbstverständlichen Teil ihrer Lebensplanung wie in der Familie». Doch: «Meine Damen und Herren, Beruf ist für uns (…) nicht nur die außerhäusliche Erwerbstätigkeit; Beruf ist für uns ebenso die Tätigkeit der Hausfrau in der Familie und bei ihren Kindern.»
Familienpolitik: Das ist auch das Thema der beiden erfolgreichsten und meistdiskutierten Fernsehserien, die während der ersten Legislaturperiode der von Helmut Kohl geführten christlich-liberalen Koalition starten. «Ich heirate eine Familie» hat am 3. November 1983 Premiere, ein Jahr nach dem Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt, das Kohl zur Kanzlerschaft verholfen hat; zwei Jahre später, am 22. Oktober 1985, folgt «Die Schwarzwaldklinik». Beide Serien befassen sich mit Fragen der Liebe und der Sexualität, mit dem Suchen, Finden, Verlieren und Wiederfinden des richtigen Partners – nicht zuletzt aber mit der Institution der Familie in einer Zeit, in der das klassische Familienbild der unmittelbaren Nachkriegszeit seine Selbstverständlichkeit verloren hat. Oder anders gesagt: in einer Zeit, die von Patchwork-Familien und Scheidungsdramen geprägt ist, von alleinerziehenden Müttern und Scheidungskindern und von Männern und Frauen mittleren Alters, die darauf hoffen, dass sie nach vielen Enttäuschungen im dritten oder vierten Anlauf vielleicht doch noch einen Menschen finden, mit dem sie den Rest des Lebens verbringen möchten.
«Ich heirate eine Familie» erzählt von dem erfolgreichen Werbegrafiker Werner, gespielt von Peter Weck, der nach zwei Scheidungen als alleinstehender Endvierziger in einer modernistischen Villa in Berlin-Lichtenrade lebt und arbeitet, unterstützt von einer Haushälterin. Werner ist sexuell noch aktiv, er unterhält wechselnde Beziehungen zu jüngeren Frauen. Nach seiner zweiten Scheidung hat er als damals schon reiferer Mann von der sexuellen Revolution der Siebziger profitiert. Doch wie viele, die in den Siebzigern die neuen Vorzüge der sexuellen Lockerung und auch der gelockerten Bindungen genossen haben, leidet Werner nun an der allgemeinen Unverbindlichkeit, die daraus resultiert.
Gleich in der ersten Folge der Serie wird der Geist der Siebziger in symbolischer Weise begraben. Wir werfen einen Blick in Werners Schlafzimmer: Auf einem Korbsessel, der dem «Pfauenthron» aus der Softpornoserie «Emmanuelle» nachempfunden ist, räkelt sich die Gespielin der letzten Nacht, barbusig und nur mit einem Unterhöschen bekleidet. Es gab offenkundig Momente, in denen man miteinander Spaß hatte, doch nun fällt die junge Frau dem älteren Mann lästig, weil sie so unternehmungslustig ist und ständig ausgehen will. Werner dagegen sehnt sich nach einer festen Beziehung mit einer Partnerin, der er auf Augenhöhe begegnen kann; und er sehnt sich nach einer Familie.
Diese tritt nun in Gestalt der Kinderboutiquenbesitzerin Angi, gespielt von Thekla Carola Wied, in sein Leben. Angi ist immer noch deutlich jünger als Werner, nämlich etwa fünfzehn Jahre, aber eben nicht so viel jünger wie seine letzten Kurzzeitbeziehungen. Die beiden werden von einem befreundeten kinderlosen Paar miteinander verkuppelt. Alfons und Bille sind seit zwanzig Jahren miteinander verheiratet; Alfons hat aber in all dieser Zeit niemals aufgehört, Bille mit jüngeren Frauen zu betrügen. Bille ist deswegen oft ungehalten, ihre Beziehung wird jedoch nicht dauerhaft beschädigt, denn jedes Mal, wenn wieder ein neuer Seitensprung auffliegt, wird Bille von Alfons mit einem neuen Nerzmantel beschenkt.
Bei einem extra dafür arrangierten Abendessen bringen sie also Werner und Angi zusammen, und beide verlieben sich zügig ineinander – ein Vorgang, der auch nicht ernsthaft beeinträchtigt wird, als Angi Werner nach einigen glücklich miteinander verbrachten Abenden und Nächten gesteht, dass sie drei Kinder hat. Diese stammen von ihrem ersten Ehemann Berni, von dem Angi in ähnlicher Weise enttäuscht wurde wie Werner von seinen ersten beiden Ehefrauen; Berni zahlt zwar akkurat seine Alimente, kümmert sich aber ansonsten nicht um die Kinder. Auch Angi hatte seit ihrer Scheidung einige kurze Beziehungen mit anderen Männern. Doch traf sie dabei wiederum vor allem solche, die ihrerseits noch verheiratet waren – und sich letztlich doch nicht dazu durchringen konnten, ihre Ehe, so zerrüttet sie sein mochte, für Angi aufzugeben. Werner hingegen freut sich über die neue Familie, auch wenn diese Freude von Angis Kindern zunächst nicht erwidert wird. Man zieht also zusammen und heiratet.
Über sechzehn Folgen hinweg geht es nun um die Probleme der Patchwork-Familienbildung, einschließlich eines von Werner und Angi gezeugten neuen Kindes, das von den älteren natürlich als Konkurrenz und Bedrohung empfunden wird. Vorher schon muss sich Werner beispielsweise daran gewöhnen, dass das Leben mit Kindern doch deutlich turbulenter ist als seine bisherige Junggesellenexistenz, zumal er – ein Thema, das aus heutiger Sicht noch einmal stark an Aktualität gewonnen hat – im Homeoffice arbeitet. Sein Atelier befindet sich im Souterrain des Hauses; mit der Ruhe dort ist es vorbei, als die beiden Jungen anfangen, im Garten Fußball zu spielen, und das Teenager-Mädchen Tanja im Wohnzimmer in dröhnender Lautstärke Videokassetten abspielt. Zudem pflegen Tanjas wechselnde Freunde durchweg Hobbys mit großer Geräuschintensität: Der erste bastelt in Werners Vorgarten alsbald an alten Autos herum; der andere übt in Tanjas Kinderzimmer unermüdlich auf seiner E-Gitarre.
Man merkt den Geschichten und Dialogen, den Charakterzeichnungen der Figuren und auch den Gags und scheinbar überraschenden Wendungen immer an, dass sie aus einer langen Tradition des westdeutschen Boulevardtheaters entstammen. Der Autor der Serie, Curth Flatow, gehört seit den sechziger Jahren zu den prägenden Protagonisten des Genres, nicht zuletzt in seiner Zusammenarbeit mit Harald Juhnke – der ursprünglich für die Rolle des Patchwork-Familienvaters Werner vorgesehen war, dann aber wegen seiner eskalierenden Alkoholsucht nicht mehr in Frage kam. Die Figuren sind liebenswert, ihre Stilisierungen sind heiter und niemals denunziatorisch. Die wirtschaftlichen Verhältnisse, in denen sie leben, sind im Wesentlichen stabil. Sie wohnen in einem gediegenen, bürgerlichen Viertel von Westberlin, bei dessen Anblick man kaum auf die Idee kommen könnte, dass nur ein paar Kilometer entfernt, in Kreuzberg und Schöneberg, in den Gegenden entlang des Mauerstreifens, Künstler wie die Einstürzenden Neubauten, Die Tödliche Doris und der junge Nick Cave dasselbe Berlin als apokalyptische Ruinenstadt empfinden, mithin als idealen Schauplatz endzeitlicher Selbstzerstörungsmusik.
Von Apokalypse und Endzeit ist in «Ich heirate eine Familie» nichts zu spüren, und darum ist es leicht – wie es schon in damaligen Rezensionen geschieht –, die Serie als harmoniesüchtigen Wohlfühlkitsch abzutun. Das ändert aber nichts daran, dass gerade auch in diesem harmonieseligen Wohfühlkitsch, oder sachlicher formuliert: in solch einer vom Boulevardtheater geprägten Serie, jene Erschütterungen zu spüren sind, die sich aus dem Jahrzehnt der sexuellen Emanzipation, den Siebzigern, in die gesellschaftliche Mitte der Achtziger fortgepflanzt haben. Dass Ehen nicht für immer halten und dass die Menschen gerade erst damit angefangen haben, die Verhältnisse zwischen den Geschlechtern neu auszuhandeln – das ist eine Einsicht, die sich in diesem Jahrzehnt erst wirklich flächendeckend durchzusetzen beginnt.
Von intellektuellen Beobachtern wird diese Einsicht zumeist in kulturpessimistischem Ton formuliert. Auf die euphorische Befreiungsrhetorik des vorangegangenen Jahrzehnts – endlich schienen das Ausleben der erotischen Wünsche und die Befriedigung des sexuellen Begehrens möglich, die Fesseln der monogamen Zweierbeziehung gelöst – folgt die Katerstimmung. «In allen westlichen Industrieländern gibt es die Signale steigender Scheidungsziffern», schreibt etwa der Soziologe Ulrich Beck 1986 in seinem vielgelesenen Buch «Risikogesellschaft»: «Obwohl die Bundesrepublik – etwa im Vergleich zu den USA – noch gemäßigt abschneidet, wird auch bei uns inzwischen nahezu jede dritte Ehe geschieden (in Großstädten bereits fast jede zweite, in kleinstädtischen und ländlichen Gebieten ca. jede vierte Ehe) – mit steigender Tendenz. Bis 1984 konnte der Scheidungsbilanz eine positive Wiederverheiratungsbilanz entgegengehalten werden. Inzwischen entschließen sich immer weniger Geschiedene zu einer neuen Heirat. Demgegenüber steigt die Scheidungsquote für wiederverheiratete Paare ebenso wie die Scheidungsquote für Eltern mit Kindern. Entsprechend wächst der Dschungel elterlicher Beziehungen: meine, deine, unsere Kinder mit den jeweils damit verbundenen unterschiedlichen Regelungen, Empfindlichkeiten und Konfliktzonen für alle Betroffenen.»
Der dazu passende Song ist schon im Jahr 1978 erschienen. Er trägt den Titel «Und dabei liebe ich Euch beide» und wird von der damals zehnjährigen Andrea Jürgens interpretiert. «Sag Vati, warum kann ich denn nicht öfter bei dir sein?», möchte sie wissen. «Warum geht es nur zweimal im Monat? / Sind wir zusammen, bringt mir das doch sehr viel Freude ein / Wie das eben ist, wenn man sich lieb hat / Aber die Mutti sieht das nicht gern / Warum hält sie mich denn von dir fern?» Man ahnt bereits, dass dieser Liedtext von einem Mann formuliert wurde; es handelt sich um den Sänger und Liedermacher Wolfgang Preuß. Die Melodie des Lieds stammt von dem Schlagerkomponisten Jack White: Mit Andrea Jürgens gelingt es ihm, erstmals seit den großen Erfolgen von Heintje Ende der sechziger Jahre wieder einen Kinderstar aufzubauen.
Der Unterschied zwischen den beiden Jungstars ist signifikant. Auch Hein Simons alias Heintje singt in seinem Lied «Mama», das dem damals Zwölfjährigen 1967 zum Durchbruch verhilft, vom Abschiedsschmerz und von der Sehnsucht. Anlass dafür ist allerdings der Abschied, den ein erwachsen gewordener Junge von seiner Mutter nimmt. Er bittet sie, nicht traurig zu sein: «Mama / Du sollst doch nicht um deinen Jungen weinen / Ich werd es nie vergessen / Was ich an dir hab besessen / Dass es auf Erden nur Eine gibt / Die mich so heiß hat geliebt.» Bei Andrea Jürgens ist es zehn Jahre später gerade andersherum: Sie klagt darüber, dass ihre Mutter sie eben nicht so «heiß liebt», wie sie es sich wünscht – denn sonst würde die Mutter es ja möglich machen, dass der Vater wieder mehr Zeit mit ihnen verbringt. «Und dabei liebe ich euch beide / Denn ich bin doch euer Kind», heißt es im Refrain. «Warum nur kann ich nicht entscheiden / Wo ich gerne bin?»
Bei ihrem ersten Auftritt vor großem Publikum, in der Silvester-Fernsehgala des Showmasters Rudi Carrell, sitzt Andrea Jürgens in der Kulisse eines Kinderschlafzimmers im Nachthemd auf ihrem Bettchen und singt. Während Heintje zehn Jahre zuvor über das Ende seiner Kindheit und behüteten Jugend geklagt hat, klagt Andrea Jürgens nunmehr darüber, dass sie das, was er verliert, niemals besessen hat – denn die Scheidung der Eltern hat ihr die Familie und damit die behütete Kindheit genommen.
Auch einer der erfolgreichsten Hollywood-Filme des folgenden Jahres, 1979, befasst sich mit einer Ehescheidung und mit deren Folgen für das Kind: In Robert Bentons «Kramer gegen Kramer» ist es die Mutter Joanna Kramer, gespielt von Meryl Streep, die ihren Mann Ted und den gemeinsamen, fünfjährigen Sohn Billy verlässt, weil sie sich von ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter überfordert fühlt und generell unzufrieden ist mit dem Leben. Ted, gespielt von Dustin Hoffman, lernt daraufhin die Härte des Daseins als alleinerziehender Vater kennen. Von der Doppelbelastung mit Beruf und Kinderbetreuung überfordert, verliert er seinen Job – und damit auch die Aussicht, das Sorgerecht für seinen Sohn zu behalten. Denn nachdem sich die zunächst flüchtige Mutter psychisch wieder stabilisiert hat, beginnt sie einen aufwendigen Gerichtsprozess gegen ihn. Ted verzichtet schließlich auf seine Ansprüche, um Billy die Zeugenschaft vor Gericht zu ersparen, woraufhin wiederum Joanna auf das Kind verzichtet, weil sie nun glaubt, dass Ted ein guter Vater ist. Das Ende des Films legt die Möglichkeit nahe, dass alle Beteiligten nun wieder zu einer «richtigen» Familie zusammenkommen.
Das Thema der Ehescheidung und auch die Frage, was diese für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern bedeutet, wird zu einem bestimmenden Motiv nicht nur in der Popkultur an der Wende zu den achtziger Jahren, sondern auch in den gesellschaftlichen Debatten. Von einem «war over the family» schreibt das US-amerikanische Soziologenpaar Brigitte und Peter L. Berger in einem gleichnamigen, vielgelesenen Buch aus dem Jahr 1983 (deutsch: «In Verteidigung der bürgerlichen Familie»). Die Bergers geben «militanten Feministinnen» und «homosexuellen Aktivisten» die Schuld daran, dass der «middle ground» der Gesellschaft erodiert, mithin: die «traditionelle Mittelklasse-Familie». Auch Helmut Kohl beklagt in seiner ersten Amtszeit immer wieder die «Krise der Familie», die sich zu einer Krise der gesamten Gesellschaft auszuweiten drohe. «Der dramatische Geburtenrückgang, die wachsende Scheidungshäufigkeit, die Tatsache, dass inzwischen die Hälfte aller Ehen ohne Kinder bleibt oder sich nur für ein Kind entscheidet, sind unübersehbare Warnsignale», so Kohl in einer Rede aus dem April 1984. «Ich habe keinen Zweifel daran, dass diese Entwicklung durch die Politik der letzten anderthalb Jahrzehnte, durch die materielle Vernachlässigung und die rechtliche Bevormundung der Familien, mitbeeinflusst worden ist. Und ich weiß, dass zu dieser Entwicklung auch soziale Bedingungen wie die zunehmende Berufstätigkeit junger Frauen beigetragen haben.»
Offenkundig müssen sich die Männer erst noch daran gewöhnen, dass die bislang nur der «Hausfrau» zugeschriebenen Tätigkeiten im Haushalt und bei der Erziehung der Kinder künftig auf beide Geschlechter verteilt werden könnten; das gilt auch für den eigentlich bereits recht emanzipiert wirkenden Werner aus «Ich heirate eine Familie». Nach der Hochzeit gelangt er schon bald zu der Ansicht, dass Angi ihre Arbeit in der Kinderboutique aufgeben sollte, um sich ganz auf ihre Aufgaben als Hausfrau und Mutter zu konzentrieren. «Ich verdiene doch genug für uns beide», sagt er – eine Einstellung, die Angi für einen so aufgeschlossen wirkenden Menschen erstaunlich unmodern findet. «Aber du liebst doch deine Arbeit, oder?», entgegnet sie ihm: «Und siehst du, ich liebe meine Arbeit auch.» Nach der Geburt des gemeinsamen Kindes bleibt sie zwar tatsächlich eine Weile zu Hause, doch zum Ende der Serie hin verschärft sich das Problem sogar noch. Denn nun wird Angi überraschend zur Beraterin und Imagefigur einer erfolgreichen Kindermodenkollektion auserkoren und jettet fortan zwischen internationalen Modemessen hin und her. Werner fühlt sich nunmehr wie ein «Witwer mit vier Kindern»; die Einzige, die ihn bedauert, ist seine Haushälterin, Frau Rabe, die ihrerseits wiederum etwa fünfzehn Jahre älter ist als er und deren Ideen vom Zusammenleben von Männern und Frauen noch aus einer Epoche stammen, in der dieses übersichtlicher geordnet war.
Ähnliche Motivlagen finden sich in der Serie «Die Schwarzwaldklinik», die ab November 1985 ebenfalls im ZDF ausgestrahlt wird und in Westdeutschland die höchsten Einschaltquoten des Jahrzehnts erzielt. Auch hier herrschen Patchwork-Familien, zweite oder dritte Eheanläufe oder komplizierte Drei- und Vierecksbeziehungen vor. Die zentrale Figur ist wiederum ein reiferer, aber sexuell noch aktiver Mann, dessen einzige konstante Frauenbeziehung erneut die zu seiner Haushälterin ist. Professor Klaus Brinkmann, gespielt von Klausjürgen Wussow, übernimmt in der ersten Folge der Serie die Leitung des titelgebenden Krankenhauses im idyllischen Glottertal. Brinkmanns Ehefrau ist vor zwölf Jahren verstorben, von seiner letzten Lebensgefährtin hat er sich gerade getrennt. Im Glottertal verliebt er sich sogleich in eine jüngere Frau, in die Krankenschwester Christa, gespielt von Gaby Dohm. In diesem Fall ist der Altersunterschied allerdings noch größer als der zwischen Werner und Angi in «Ich heirate eine Familie»; er ist dermaßen groß, dass Professor Brinkmann um Christa zunächst mit seinem eigenen Sohn konkurriert.
Udo Brinkmann, gespielt von Sascha Hehn, wirkt beim Eintreffen seines Vaters in der Schwarzwaldklinik schon länger als Stationsarzt und unermüdlicher Schwerenöter. Er erobert eine Frau nach der nächsten und kommt dabei gelegentlich durcheinander, so gleich in der ersten Folge, als er eine Verabredung mit Christa vergessen hat und von ihr beim Techtelmechtel mit einer anderen ertappt wird; dass Christa sich daraufhin Klaus Brinkmann zuwendet, sorgt zwischen Vater und Sohn für diverse Verstimmungen. Von Udos virilen Sprüngen auf den Fahrersitz seines weißen Golf-Cabrios ist schon die Rede gewesen. Mit seinem luftigen Mittelscheitel, seinen gelben Kaschmirpullovern und seinem munteren Selbstbekenntnis zum verantwortungslosen Leben kommt er dem Archetyp des Poppers so nah wie kaum eine andere Fernsehfigur in dieser Zeit. Allerdings liegt ihm karrieristisches Denken von vornherein fern, denn auch er möchte in Wahrheit vor allem eine Familie gründen. Diesen Wunsch kann er bis zum Beginn der zweiten Staffel der «Schwarzwaldklinik» dadurch in die Wirklichkeit umsetzen, dass er die frisch geschiedene Anästhesistin Katarina Gessner heiratet, Mutter einer zweijährigen Tochter.
In Gestalt von Udo Brinkmann und Katarina Gessner werden hier, Mitte der achtziger Jahre, zwei archetypische Figuren der Siebziger besichtigt und in ihrer charakterlichen Entwicklung analysiert. Da ist zum einen der Gigolo, der die sexuelle Befreiung dazu genutzt hat, mit möglichst vielen Frauen ins Bett zu gehen – passenderweise hat Sascha Hehn seine Schauspielkarriere in den Siebzigern mit Softpornofilmen wie «Melody in Love» und «Nackt und heiß auf Mykonos» begonnen –, den nun aber die unverbindlichen sexuellen Abenteuer zusehends unbefriedigt zurücklassen. Da ist zum anderen die souverän gewordene Frau, die auch in einer festen Langzeitbeziehung oder gar Ehe ihre eigenen Vorstellungen von Selbstverwirklichung hegt. Katarina Gessner, gespielt von Ilona Grübel, ist ihrem zweiten Ehemann Udo sowohl intellektuell wie auch finanziell überlegen; sie interessiert sich zu seinem völligen Unverständnis für Konzertabende und moderne Kunst; und sie verfolgt entschlossen ihre berufliche Karriere, auch wenn sie ihre Tochter und ihren Mann dafür oftmals alleine zu Hause lässt.
Im kollektiven Gedächtnis ist «Die Schwarzwaldklinik» vor allem durch die Figur des Professor Brinkmann haften geblieben, der als Halbgott in Weiß in der zweiten Hälfte der Achtziger zum Inbegriff des vertrauenswürdigen Arztes wird. Die patriarchale Stimmung, die er verbreitet, passt gut zu dem idyllischen Ambiente des Glottertals. So wie der Vorspann der Serie von einem goldenen Rahmen eingefasst wird, der den Titelblättern der in den Achtzigern immer noch populären Arzt-Romanhefte nachempfunden ist – so ist die gesamte Handlung in eine von den Zeitläuften scheinbar unberührte und unberührbare Provinz verlegt. Das macht es den zeitgenössischen Kritikern wiederum leicht – und sogar noch leichter als im Fall von «Ich heirate eine Familie» –, die Serie als trivial und kitschig zu schmähen. Die Zeitung «Die Welt» sieht eine Szenerie «aus dem billigen Papier der Groschenhefte».
Was den Kommentatoren entgeht, das ist der Umstand, wie sich gerade in diesem provinziellen Idyll die gesellschaftlichen Veränderungen der siebziger und achtziger Jahre eben doch niederschlagen: in der Unübersichtlichkeit der sexuellen und sonstigen zwischenmenschlichen Verhältnisse und in den Auftritten souveräner Frauenfiguren, die sich dem augenscheinlich patriarchalen Schema gerade nicht fügen. In der ersten Staffel begegnen wir etwa einer Schwangeren, die sich mit einer depressiven jungen Frau anfreundet. Die junge Frau ist nach einem Suizidversuch in die Klinik gekommen; es stellt sich heraus, dass sie eine Affäre mit dem Mann der Schwangeren hatte. Beide verbünden sich, um den Gatten gemeinsam mit seiner Untreue zu konfrontieren – angesichts dieser Solidarität der betrogenen Frauen wirkt der nach außen ganz patriarchal auftretende Mann, Bauunternehmer und Honoratior, nur noch wie ein erbärmlicher Wicht.
Daneben tritt in der Serie eine junge schwangere, mittellose Frau auf, die sich gegen jeden Kontakt mit dem Vater ihres Kindes wehrt. Sie liebt ihn nicht mehr und will nichts mit ihm zu tun haben; eher zieht sie ihr Kind in ärmlichsten Verhältnissen auf, als sich in eine Vernunftehe zu fügen. Stattdessen verliebt sie sich in den örtlichen Zivildienstleistenden und er sich in sie – dass das kurz vor der Entbindung stehende Kind nicht von ihm ist, spielt für ihn keine Rolle. Udo Brinkmann hat weniger Glück mit seiner Rolle als Stiefvater. Nachdem er sich schon kurz nach der Hochzeit mit der leiblichen Mutter des Kindes entzweit, muss er beide nach Hamburg fortziehen lassen. Wenigstens beginnt er eine Liebesbeziehung mit der Kinderfrau seiner Stieftochter, die sich wiederum um das neu geborene Kind von Professor Brinkmann und Christa kümmert – also um Udos Halbbruder, der mehr als dreißig Jahre jünger ist als er.
Für diese Art «irregulärer» Familienverhältnisse gibt es in den achtziger Jahren noch kein griffiges Etikett; dieses wird erst 1990 geprägt. In ihrem Buch «Yours, Mine, and Ours» beschreibt die US-amerikanische Familientherapeutin Anne Bernstein die Auflösung – oder Ergänzung – der traditionellen Familienformen und die Anforderungen, die daraus erwachsen, wenn sich Erwachsene und Kinder aus alten Bindungen lösen und zu neuen Familien zusammenfinden. Für den Titel der deutschen Ausgabe des Buches erfindet die Übersetzerin Margaret Minker den Begriff «Patchwork-Familie», nach dem besonders in den USA verbreiteten Hobby, aus Stoffresten verschiedener Herkunft neue Textilien zusammenzunähen. Im Buch selbst kommt das Wort nicht vor, und im englischen Sprachraum ist die «Patchwork-Familie» bis heute unbekannt, hier redet man stattdessen von «blended families», also zusammengemischten Familien. In Deutschland wird die «Patchwork-Familie» jedoch zu einem gängigen Begriff für die neuen Familienverhältnisse.
Um noch einmal aus Ulrich Becks «Risikogesellschaft» zu zitieren: «Noch in den sechziger Jahren besaßen Familie, Ehe und Beruf als Bündelung von Lebensplänen, Lebenslagen und Biographien weitgehend Verbindlichkeit. Inzwischen sind in allen Bezugspunkten Wahlmöglichkeiten und -zwänge aufgebrochen. Es ist nicht mehr klar, ob man heiratet, wann man heiratet, ob man zusammenlebt und nicht heiratet, heiratet und nicht zusammenlebt, ob man das Kind innerhalb oder außerhalb der Familie empfängt oder aufzieht, mit dem, mit dem man zusammenlebt, oder mit dem, den man liebt, der aber mit einer anderen zusammenlebt, vor oder nach der Karriere oder mittendrin.»
In der «Schwarzwaldklinik» wird diese neue Unübersichtlichkeit – anders als in vielen intellektuellen Kommentaren der Zeit – nicht kulturpessimistisch beklagt, sondern ganz selbstverständlich übernommen. Mit moralischen Urteilen hält sich das Drehbuch in augenfälliger Weise zurück. Das gilt gerade auch für eine der meistdiskutierten Folgen der Serie, die im Februar 1986 ausgestrahlt wird und den Titel «Gewalt im Spiel» trägt. Darin wird eine junge Frau auf dem nächtlichen Heimweg aus einer Kneipe von zwei Männern vergewaltigt. Glücklicherweise kommt Udo Brinkmann auf dem Fahrrad vorbei; er bringt die schwer verletzte Frau ins Krankenhaus. Die Frau hat beide Täter erkannt, will sie aber nicht anzeigen, da sie weiß, dass der Dorfpolizist sich nicht groß darum schert. Tatsächlich führt er die Befragung in der Klinik gelangweilt und abweisend durch. Ob er kein Interesse an der Aufklärung habe, will Professor Brinkmann hinterher von ihm wissen. Als Antwort erhält er abfällige Bemerkungen über das Opfer: «Die ist doch bekannt», sagt der Polizist, «durch Saufen und Männer.» – «Moment», hakt Professor Brinkmann nach. «Hab ich Sie richtig verstanden? Eine Frau, die öfter mal die Männer wechselt, muss es sich auch gefallen lassen, vergewaltigt zu werden?» – «Offenbar haben nur sogenannte anständige Frauen das Recht, nicht vergewaltigt zu werden», resümiert Christa, als der Polizist gegangen ist.
So wird in dieser Folge der angeblich so trivial-kitschigen Serie zum ersten Mal im deutschen Fernsehen jenes Phänomen thematisiert und kritisiert, das wir heute als «slut shaming» bezeichnen: die Umkehr der Schuld bei vergewaltigten Frauen. Im Verlauf der Folge wird klar, dass die Vergewaltigung bei den männlichen Bewohnern des Glottertals anstelle von Empörung nur ein Schmunzeln auslöst: «Na, wenn sich eine so rumtreibt!» – «Das sag ich auch immer.» Das Opfer nimmt schließlich gemeinsam mit dem Bruder die Justiz selbst in die Hand: Beide lauern dem Haupttäter auf und zerfetzen ihm mit einem Messer das Geschlecht. Da auch er aus Furcht vor der eigenen Verurteilung nicht zur Polizei gehen will, bleiben Tat und Sühne gleichermaßen außerhalb des Gesetzesvollzugs. «Jetzt tragen die ihre Schuld für sich allein, diese dummen Kinder. Jeder für sich», hält Professor Brinkmann in der letzten Szene der Folge fest.
Diese moralische Ambivalenz passt gut zu dem «Rape-Revenge»- Schema, das diese Folge der «Schwarzwaldklinik» – zur besten Sendezeit vor einem Millionenpublikum – von seinerzeit populären Horrorvideofilmen wie «Mother’s Day» übernimmt, die kurz zuvor noch zum warnenden Ausweis für die moralische Verrohung der Jugend geworden sind; ich komme später darauf zurück. Tatsächlich setzt die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften «Gewalt im Spiel» auf den Index, wegen der «brutalen Demonstration» der Vergewaltigung sowie wegen «der Verharmlosung der höchst fragwürdig – durch Vergewaltigung – gerechtfertigten straffreien Selbstjustiz». Bei Wiederholungen der Serie wird die gesamte Folge zunächst nicht mehr gezeigt und später nur in einer um die Gewaltdarstellungen bereinigten Fassung. In den «Schnittberichten» der Horrorvideo-Fangemeinde, in denen die unterschiedlich zensierten Fassungen von Zombie- und sonstigen Metzelfilmen miteinander verglichen werden, hat die «Schwarzwaldklinik» seither einen Ehrenplatz inne. Doch während selbst Filme wie «Muttertag» oder «Ein Zombie hing am Glockenseil» inzwischen in vollständigen Versionen auf DVD und als Internetstream erhältlich sind, sucht man nach der längst legendenumwobenen ungeschnittenen Fassung von «Schwarzwaldklinik – Gewalt im Spiel» bis heute vergebens.