Kapitel 35

Auren

D ie Atmosphäre im Lager ist genau so, wie ich sie in Erinnerung habe.

Soldaten stehen um unzählige Feuer, die zwischen schneebedeckten Lederzelten brennen, und in der Luft hängt der Geruch von Rauch und gekochtem Fleisch.

Je tiefer wir ins Lager eindringen, desto mehr Soldaten bemerken mich. Ich werde nervös, als ihre Blicke mir folgen. Sie wirken nicht ganz so feindselig wie damals, als ich für sie noch eine Gefangene war, aber ich erkenne eine gewisse Wachsamkeit in ihren Augen.

Nicht, dass ich ihnen das übel nehmen könnte. Ich kann mir nur ausmalen, was sie über mich denken, nachdem ich keine Ahnung habe, was man ihnen erzählt hat – oder was die Lagergerüchte behaupten. Eine Gruppe, an der wir vorbeikommen, verstummt mitten im Satz, als sie mich bemerken. Ich schenke ihnen ein kurzes Lächeln, aber sie wenden die Blicke ab.

«Hassen sie mich?», frage ich, weil ich den Gedanken einfach nicht unterdrücken kann.

«In erster Linie vertrauen sie dir nicht», antwortet Lu an meiner Seite. «Und das werden sie auch nicht, bis sie sehen, dass du nicht mehr Midas’ Schoßtier bist.»

Ich nicke, wobei ich gegen das Bedürfnis ankämpfen muss, meine Kapuze über den Kopf zu ziehen und mein Gesicht zu verstecken. Ich will nicht wirken, als hätte ich etwas zu verbergen oder müsste mich schämen. Das würde mir bei diesen Leuten nicht helfen.

Stattdessen hebe ich den Kopf, straffe die Schultern und lasse meine Bänder hinter mir durch den Schnee gleiten, sodass ihre goldenen Enden über den frostglitzernden Boden hüpfen. Wenn ich wirklich versuchen will, mich hier einzufügen, das Vertrauen oder zumindest die Toleranz dieser Soldaten zu erwerben, darf ich mich nicht verstecken.

Neben mir nickt Lu, als hätte ich das Richtige getan, was meine Entschlossenheit nur verstärkt. Als wir weiter durch die engen Gänge zwischen den Zelten wandern, nähert sich eine Frau. Ich erkenne sie. Inga, die Soldatin, der Judd und ich begegnet sind, als wir das Weinfass von der rechten Flanke zurückgestohlen haben. Ich spüre immer noch Verlegenheit, wenn ich daran zurückdenke, wie Judd ihr erklärt hat, ich hätte Frauenbeschwerden . Dieser Mistkerl.

Genau wie damals wippen Ingas braune Locken auf ihrem Kopf, und hinter ihrem Ohr steckt eine Holzpfeife. Sie reiht sich auf Lus anderer Seite ein und hält mit uns Schritt.

«Wie ist das Training gelaufen?», fragt Lu statt einer Begrüßung.

«Gut. Wir haben einige neue Routinen eingeübt, bevor ich alle abends in die Stadt entlassen habe.»

«Prima», antwortet Lu. «Wieso gehst du nicht auch in die Stadt? Du hast es verdient.»

«Danke, aber ich bleibe lieber hier. Ranhold spricht mich nicht an. Zu beschissen kalt. Und hast du die Korsette gesehen, die die Frauen hier tragen?», fragt Inga mit angewidert verzogenen Lippen.

«Ja, oder?», meine ich und lehne mich vor, um sie an Lu vorbei anschauen zu können. «Die sind schrecklich. Ich verstehe nicht, wie irgendwer in diesem Königreich atmet.»

«Die Kleidung im Vierten ist viel besser», erklärt mir Inga.

Lu wirft ihr einen spöttischen Blick zu. «Du trägst keine Zivilkleidung. Tatsächlich habe ich dich noch nie in etwas anderem als deiner Uniform gesehen.»

Die Frau mustert ihre schwarze Lederkleidung, bevor sie die Finger über die braunen Riemen gleiten lässt, die sich quer über ihre Brust ziehen. «Sie ist bequem. Habe sie perfekt eingetragen.»

Lu schnaubt.

Inga zieht die Pfeife hinter ihrem Ohr heraus. «Brauchst du sonst noch was, Lu?»

«Nein, geh dich entspannen. Danke, Inga.»

Sie nickt, dann schaut sie mich an. «Man sieht sich, Goldlöckchen.» Mit einem Winken wandert sie davon, um sich einer lauten Gruppe kartenspielender Soldaten anzuschließen.

«Dein Spitzname für mich hat sich anscheinend durchgesetzt», grummele ich.

Lu grinst breiter.

Bald schon lassen wir die eng stehenden Zeltreihen hinter uns und betreten einen Bereich mit mehr Privatsphäre – eine Freifläche um ein größeres Zelt, das ich direkt erkenne. Ein paar Schritte davor brennt ein Feuer, um das sich eine vertraute Gruppe versammelt hat. Sie sitzen auf Holzstämmen und unterhalten sich leise. Sofort verzieht ein Lächeln meine Lippen.

Kaum trete ich vor, fixiert mich ein Paar schwarzer Augen … und einfach so raubt es mir den Atem. Er ist in Riss-Form, und bei dem Anblick vollführt mein Magen einen kleinen Sprung. Slades fahles Gesicht leuchtet im orangefarbenen Licht der Flammen vor ihm, aber die Hitze zwischen uns brennt heißer.

Lu bemerkt, dass meine Schritte stocken, und mustert mich mit einem Stirnrunzeln. «Sind deine Füße kaputt?»

«Was? Nein.»

Sie sieht von mir zu Slade und wieder zu mir, dann verdreht sie die Augen und murmelt etwas, was ich nicht verstehe. Ich höre ihr auch nicht zu, weil ich immer noch Slade anstarre. Ich kann einfach nicht anders. Nicht, wenn er mich so ansieht.

Seine Aufmerksamkeit streicht langsam über meinen Körper. Es ist, als würden seine Fingerspitzen über meine nackte Haut gleiten. Ein Gefühl, das mir nach letzter Nacht sehr vertraut ist. In seinem Blick scheint sich jeder sinnliche Moment zu spiegeln, den wir gestern geteilt haben … was dafür sorgt, dass Röte in meine Wangen steigt. Slade lächelt.

Dieses Lächeln.

Oh Göttlichkeit, dieses Lächeln .

«Goldlöckchen! Schaff deinen Hintern hier rüber!»

Ich reiße den Kopf zu Judd herum, der mich heranwinkt. Ein wenig verlegen wird mir bewusst, dass Lu sich der Gruppe bereits angeschlossen hat, ohne dass ich es bemerkt habe. Ich schiebe mir eine lose Strähne hinters Ohr, dann gehe ich zum Feuer, wobei ich den Pfützen geschmolzenen Schnees auf dem Boden ausweiche.

«Ich dachte schon, ich müsste dich rüberzerren», sagt Judd mit einem Grinsen, ehe er sich über ein Fass lehnt und etwas Wein schöpft. «Hier.»

Dankbar nehme ich die Blechtasse entgegen, dann schnuppere ich einmal genussvoll daran, bevor ich lächelnd ausatme. «Du bist wirklich gut zu mir, Senf.»

Judd verzieht das Gesicht und fährt sich durch das senffarbene Haar. «So gelb ist es gar nicht.»

Ich hebe nur eine Augenbraue. «Ich bin golden, okay? Jammer mir also nicht die Ohren voll.»

Er lacht, und seine Zähne leuchten in seinem gebräunten Gesicht. «Gutes Argument.»

Als er weitere Tassen mit Wein füllt, drehe ich mich um, weil ich mir Slades Aufmerksamkeit nur allzu bewusst bin. Doch statt mich wieder in seinem Blick zu verlieren, beobachte ich, wie Osrik das gebratene Fleisch vom Spieß über dem Feuer nimmt und es in Fetzen reißt.

Der große Kerl trägt nur eine Lederweste, mit Lederbändern um die breiten Oberarme. Das braune Haar hängt offen um seine Schultern. Seine Miene ist mürrisch wie immer, doch zumindest nickt er mir zur Begrüßung zu, statt mein Leben zu bedrohen. Das ist eine echte Verbesserung im Vergleich zu unserer ersten Begegnung.

Judd geht vor mir vorbei und verteilt den Wein an die anderen. Sofort schießt mein Blick wieder zu Slade. Er beobachtet mich immer noch. Seine Aura ist rauchig, und dünne Ranken dunklen Verlangens strecken sich in meine Richtung. Meine Bänder beginnen, sich näher an ihn heranzuschieben, gleiten über den Boden, ziehen mich voran, bis ich direkt vor ihm stehe.

«Hallo», stoße ich hervor.

Hallo? Das ist meine Begrüßung?

Dieser Mann hat mich gestern Nacht in den verschiedensten Stellungen genommen, hat mir mehr Vergnügen bereitet, als ich je erfahren habe, und jetzt stehe ich verlegen vor ihm und sage Hallo ?

Seine Lippen zucken amüsiert. «Hallo, Goldfink.»

Er spricht den Kosenamen nicht, er schnurrt ihn förmlich. Das ist keine einfache Begrüßung, das ist eher so, als würde er mir schmutzige Worte ins Ohr flüstern. Ich spüre seinen heißen Atem an meinem Hals, sehe die Bauchmuskulatur unter der Lederrüstung.

Ich starre schon wieder. Ich weiß das, kann aber trotzdem nicht aufhören – denn die Energie, die von ihm ausstrahlt, ist durchwoben mit Lust und Zuneigung. Ich könnte mich nicht von ihm losreißen, selbst wenn ich es wollte.

Letzte Nacht hatte er seine königliche Form … aber wie wäre es, mit ihm zusammen zu sein, wenn er seine Riss-Gestalt trägt? Wie wäre es, die Spitzen der Stacheln über seinen Brauen zu spüren oder die Lippen auf die grauen Schuppen auf seinen Wangen zu pressen? Würde er mich necken, indem er seine Reißzähne über …

«Brust oder Keule?»

Ich reiße den Kopf zu Osrik herum. Meine Wangen brennen. «Was?»

Braune Augen starren ungeduldig unter buschigen Brauen heraus. «Brust oder Keule?»

«Oh. Ähm … Keule?»

Er nickt, dann reißt er das riesige Bein von dem armen Tier, das er wahrscheinlich mit bloßen Händen erdrosselt hat.

Ich stecke die Handschuhe in die Tasche meines Kleides und packe das gewaltige Stück Fleisch, das er mir reicht. Ich muss den Beinknochen mit beiden Händen greifen. Ich bin wirklich kein Essenssnob, aber das ist ein bisschen lächerlich.

Slade hat Mitleid mit mir, nimmt mir die riesige Keule ab und zieht ein kleineres Stück Fleisch ab, das er mir reicht. «Danke.» Ich setze mich auf einen freien Platz auf dem Baumstamm neben ihm und beiße ins Fleisch, das quasi auf meiner Zunge zergeht.

«Os, hör auf, so daran herumzureißen. Du massakrierst unser Essen», mosert Lu. Die drei sitzen ein paar Schritte entfernt von uns, und der Feuerschein beleuchtet ihre Uniformen.

Er zieht ein finsteres Gesicht. «Wo ist das Problem?»

«Na ja. Sieht ein bisschen aus, als hätte ein Rudel tollwütiger Wölfe sich daran zu schaffen gemacht», wendet Judd ein. Bevor Osrik ihm auch nur einen bösen Blick zuwerfen kann, drückt der Zorneskrieger mit dem senffarbenen Haar seinem Kollegen eine Tasse Wein in die Hand.

Osrik trinkt einen Schluck, bevor er im Gegenzug ein riesiges Stück Fleisch in Judds Richtung hält. Dicke Fetttropfen plumpsen auf den Boden. «Du hast Glück, dass ich Durst habe.»

Grinsend lässt Judd sich neben Lu fallen, sodass sie ein Stück zur Seite rücken muss. «Habe ich gesagt, dass du hier sitzen darfst?», fragt sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

«Wenn ich versuche, mich neben Os zu setzen, reißt er mir wahrscheinlich die Beine ab und röstet sie über dem Feuer.»

Lu legt nachdenklich den Kopf schief. «Auch wieder wahr.»

Osrik brummt, dann zerbeißt er lautstark ein Stück knusprige Haut. Aber er widerspricht nicht.

Ich beobachte das Schauspiel amüsiert, während ich esse und meinen Wein leere. Ich genieße die ungezwungenen Gespräche. Nach und nach entspanne ich mich, bis ich feststelle, dass ich … einfach zufrieden bin. Ich bin nicht nervös. Muss nicht darauf achten, was ich tue oder sage. Ich muss keine Rolle spielen. Ich kann einfach ich selbst sein, ohne ständig über die Schulter zu schauen. Wir mögen uns zwar direkt vor Burg Ranhold befinden, aber in diesem Moment fühlt es sich an, als wäre all das viele Kilometer entfernt.

«Ich gehe davon aus, dass du und Lu keine Probleme hattet, die Burg zu verlassen?», fragt Slade mich.

Ich säubere meine Hände so gut wie möglich mit dem Schnee vor meinen Füßen, dann strecke ich die Finger Richtung Feuer, um sie wieder zu wärmen. «Nein. Netter Trick, den sie da draufhat.»

«Stimmt», antwortet er schlicht, bevor er einen Schluck aus seiner Tasse trinkt und die Beine ausstreckt.

«Haben alle Zorneskrieger Tricks

Er wirft mir einen schelmischen Blick zu. «Ich schätze, das musst du wohl selbst herausfinden.»

Ein Blick auf Osrik, der immer noch sein Essen zerfleischt, lässt mich zweifeln, ob ich das wirklich ergründen will.

Ich senke die Stimme und frage: «Wissen sie … Bescheid?»

Erheiterung funkelt in seinen Augen. «Worüber genau? Dass wir …»

«Nein», zische ich mit einem schnellen Blick zu den anderen. Glücklicherweise sind sie damit beschäftigt, Judd wegen irgendetwas aufzuziehen.

Slade grinst, was mir verrät, dass dieser Mistkerl das absichtlich getan hat. Die Tatsache, dass der falsche Riss eventuell gewisse Geräusche gehört hat, ist schon peinlich genug. «Nicht das. Wissen sie, dass du die Mäntel wechselst?», frage ich spitz.

Er schnaubt. «Ja, sie wissen, dass ich meine Gestalt verändere. Aber abgesehen von dir sind sie die Einzigen.»

Etwas Warmes wallt in meiner Brust auf. Bei dem Gedanken, dass ich zu seinem kleinen Kreis von Vertrauten gehöre, fühle ich mich geschmeichelt und empfinde demütigen Stolz.

«Er ist schon ein armer Kerl, was?», wirft Judd ein und beweist damit, dass sie uns belauschen. «Muss sich entscheiden, ob Stacheln aus seinem Arsch kommen oder magische Linien über sein … bestes Stück kriechen.»

Ich ziehe die Stirn kraus. «Er hat keine magischen Linien auf …» Ich breche ab, aber es ist schon zu spät. Lu verschluckt sich an ihrem Wein.

Judd lacht auf. «Ha! Hab ich’s doch gewusst!», ruft er und haut sich begeistert aufs Knie. «Zahltag, Os.»

Beschämt schlage ich die Hände vors Gesicht. «Oh, ihr Göttinnen.»

«Du musst dich nicht schlecht fühlen, Goldlöckchen», sagt Judd zu mir. «Wir wissen immer alles über alles. Ich weiß sogar, wie oft Os am Tag einen Haufen macht.» Osrik wirft ihm einen finsteren Blick zu. «Vier Mal, falls es dich interessiert.»

Igitt.

«Tut es nicht», murmele ich in meine Handflächen, weil ich noch nicht bereit bin, meine Hände zu senken. Angesichts dieses Gesprächs scheint es sicherer, mich weiter zu verstecken.

«Hey, Judd?», ruft Slade, und ich spähe zwischen den Fingern hindurch.

Er sieht auf, unglaublich selbstzufrieden. «Ja, Kommandant?»

«Halt die Klappe.»

Judd nickt schnell, dann antwortet er fröhlich. «Jepp. Wird erledigt.»

Ich lache in meinen Handflächen, bis Slade nach meinen Fingern greift und sie sanft nach unten zieht. «Beachte Judd gar nicht. Er kann nicht anders, als ein unerträglicher Trottel zu sein.»

«Das ist absolut wahr», flötet Lu. «Dafür lebt er quasi.»

«Und damit unterhalte ich euch alle», verteidigt sich Judd.

Kopfschüttelnd wende ich mich wieder Slade zu, um ihn zu mustern. «Also … nur um das klarzustellen … dir kommt nicht wirklich ein Stachel aus dem Hintern, oder?»

Lu, Judd und Osrik heulen vor Lachen.

Slade seufzt nur. «Kein Arschstachel weit und breit.»

Immerhin, ein Silberstreif.

«Und, immer noch froh, ins Lager gekommen zu sein?», fragt Lu feixend.

«Abgesehen von dem Gerede rund um Ärsche? Definitiv», antworte ich, und die anderen grinsen, als hätte ich genau das Richtige gesagt.

Die unbeschwerte Kameraderie in der Gruppe ist unübersehbar, und ein Gefühl müheloser Freundschaft, wie ich es noch nie zuvor in meinem Leben erfahren habe, erfüllt mich. Ihre Scherze sind nicht von unterschwelliger Bitterkeit oder Konkurrenzdenken beherrscht. Es gibt weder Eifersucht noch Abneigung. Stattdessen strahlen sie Sicherheit aus. Als wären sie eine Familie, als kennen sie sich in- und auswendig. Und selbst wenn sie sich gegenseitig verarschen oder aufziehen, spüre ich die Loyalität, die sie füreinander empfinden.

«Also bist du heute Abend Riss», bemerke ich und mustere die Stacheln, die aus Slades Uniform ragen.

«Bin ich.» Er senkt den Blick, als zwei meiner Bänder anfangen, mit den Riemen seines Stiefels zu spielen, und lächelt leise. «Kokette kleine Dinger.»

Ich zucke mit den Achseln, weil ich es aufgegeben habe, meine Bänder zügeln zu wollen. «Wechselst du oft die Gestalt?», frage ich neugierig.

«Manchmal ist es einfach nötig. Aber hin und wieder tue ich es auch, wenn ich keine Lust habe, König zu sein und mich mit dem zu beschäftigen, was damit einhergeht.»

«Also ist es eine Art Flucht für dich.»

Er nickt. «Es ist nicht immer einfach, König Fäule zu sein», antwortet er in sarkastischem Ton. Doch ich höre die bittere Wahrheit in seinen Worten, und mein Herz fliegt ihm zu. Ich kann mir nicht mal vorstellen, was für ein Gewicht auf seinen Schultern lastet, weil er nicht einfach nur ein Herrscher ist, sondern ein gefürchteter Herrscher. Manchmal sogar ein verhasster.

«Das verstehe ich. Tatsächlich bin ich ein bisschen neidisch», gebe ich leise zu, während ich meine Bänder dabei beobachte, wie sie sich spielerisch um seinen Stiefel und seine Knöchel winden. «Wenn ich nur für eine Nacht mal nicht das goldene Mädchen sein könnte, würde ich die Chance, nicht ich zu sein, sofort ergreifen.»

Plötzlich umfasst Slade mein Kinn und hebt meinen Kopf, sodass ich ihn ansehen muss. Sein intensiver Blick bohrt sich in meine Augen. «Sag das nicht», grollt er gebieterisch. «Ohne dein Licht wäre die Welt ein trostloser Ort.»

Meine Brust wird eng, und die Art, wie sein Daumen über mein Kinn streicht, jagt Hitze durch meinen Körper.

«Scheiße», meint Judd stöhnend. «Riss ist total niedlich. Ich glaube, ich muss mich übergeben.»

Mit einem tiefen Seufzen gibt Slade mein Kinn frei. «Hey, Lu?»

«Ja, Kommandant?»

«Schlag Judd für mich.»

Schneller, als Judd ausweichen kann, klatscht sie ihm auf den Hinterkopf, fest genug, dass er grunzt. «Aua! Wieso bist du so brutal?»

Lu entblößt in einem Lächeln alle Zähne. «Weil es mich glücklich macht.»

Ich kann das Lachen nicht zurückhalten, das aus meiner Kehle aufsteigt.

«Komm schon, Senf», brummt Osrik, steht auf und zerrt Judd am Ärmel auf die Beine. «Lass uns Weinnachschub für Lu besorgen. Nach ein paar Krügen ist sie immer netter.»

«Vollkommen korrekt», stimmt sie zu.

Die drei wandern davon, sodass nur noch der stachelige Slade und ich allein vor dem Feuer zurückbleiben, dessen Flammen zum Himmel züngeln.

«Also … Goldfink.» Seine Stimme klingt heiser und kehlig, und seine dunkle Aura schließt sich um mich. Der Blick, mit dem er mich bedenkt, ist weich und sinnlich, und sofort sammelt sich Hitze in meinem Unterleib. «Was sollen wir tun, jetzt, wo wir allein sind?»

Die Worte mögen als Frage formuliert sein, aber seine Stimme hat die Antwort bereits gegeben – und ich empfinde genauso.

Ein scheues Lächeln verzieht mein Gesicht. «Ich hätte da ein paar Ideen.»