Vorwort

Erst im 20. Jahrhundert wurde der Himmel vom Menschen erobert. Es dauerte nicht lange von der Konstruktion des ersten Flugzeuges bis zur Bewaffnung der bemannten Fluggeräte. Die zahlreichen Kriege, die im letzten Jahrhundert stattfanden, waren geprägt von Fliegerbomben, die von Piloten abgeworfen wurden. Auch in Regionen der sogenannten Dritten Welt kennt man den Tod aus der Luft bereits aus der Kolonialzeit, etwa durch die Kampfflieger der Briten, die damals schon ihren strategischen Vorteil gegen ihre Widersacher am Boden einsetzten. Damals wie heute waren meisten Menschen in diesen Regionen dem Bomben der Kampfflieger hilflos ausgeliefert. Unterdessen wurde die technologische Entwicklung der Tötungsmaschinen im Westen mit großem Eifer weiterverfolgt, und die Konstruktion von Hightech-Kampfjets und Helikoptern sollte nur der vorläufige Höhepunkt sein. Unbemannte Kampfdrohnen, die sich beliebig fernsteuern und bewaffnen lassen, haben die Kriegsführung im 21. Jahrhundert revolutioniert und erfreuen sich bei den verantwortlichen Politikern und Funktionären im Westen einer immer größeren Beliebtheit. Das verwundert nicht, denn schließlich schont der Drohnenkrieg das Leben der eigenen Soldaten und ist für die Öffentlichkeit in westlichen Ländern weitestgehend »unsichtbar«. Diese technologische Entwicklung, die die Bezeichnung »Errungenschaft« gewiss nicht verdient hat, prägt zum gegenwärtigen Zeitpunkt den Alltag in mehreren Ländern der Welt. Insbesondere die Vereinigten Staaten von Amerika haben diese Entwicklung maßgeblich vorangetrieben und dafür gesorgt, dass der Tod per Knopfdruck – nichts anderes geschieht hier tagtäglich – erfolgreich etabliert wurde. Anfang 2001 besaßen die USA weltweit nicht mehr als 50 Drohnen, 2013 waren es bereits zwischen 7 500 und 8 000. Inzwischen ist der klassische Pilot zum Auslaufmodell geworden. Das US-Militär bildet heute weitaus mehr Drohnenpiloten als konventionelle Kampfflieger aus, die meisten von ihnen sind Zivilisten, die das reale Schlachtfeld, etwa in den Bergen Afghanistans oder in den Wüsten Jemens, niemals betreten werden. Wie in einem Computerspiel töten sie Menschen, die sich viele tausend Kilometer entfernt befinden, per Knopfdruck, bevor sie wie andere Menschen mit einem normalen Arbeitsalltag ihre Schicht beenden, Feierabend machen und nach Hause zu ihren Familien gehen. »Es ist so, als ob man auf Ameisen tritt und danach nicht mehr daran denkt«, gab etwa Michael Haas, ein ehemaliger Drohnenoperator der US-Luftwaffe, später zu Protokoll.1 Während seiner sechsjährigen »Karriere« saß Haas im Luftwaffenstützpunkt Creech in Las Vegas und tötete mit dem Joystick in der Hand Menschen in Afghanistan. Wer sie gewesen sind, weiß er nicht. Obwohl Haas seine Verbrechen offen zugibt und sich gegen den Drohnenkrieg ausspricht, können die Angehörigen seiner Opfer nicht auf Entschädigung oder die Aufarbeitung seiner Taten hoffen. Für sie bleiben die Mörder ihrer Familienangehörigen, ihrer Söhne und Töchter, ihrer Nachbarn und Freunde ebenfalls unbekannt. Für die betroffenen Menschen in Afghanistan, in Jemen, in Irak und vielen anderen Ländern sind Haas und seine ehemaligen Kollegen eiskalte Mörder, die ihnen alles genommen haben und ihren Alltag terrorisieren.

Für mich selbst war der Drohnenkrieg stets etwas Dystopisches, das die meisten Menschen nur aus düsteren Science-Fiction-Filmen kennen. Die erste Predator-Drohne sah ich im Fernsehen, als das US-Militär Afghanistan, die Heimat meiner Eltern, bombardierte. Viele meiner Schulfreunde empfanden diese Waffen als »cool«, und offensichtlich waren selbst acht- bis zehnjährige Knirpse wie wir damals schon überzeugt davon, dass die USA in dieser Welt »die Guten« darstellen. Der sogenannte Krieg gegen den Terror, den das Weiße Haus nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 ausrief, begann am Hindukusch und wird dort bis heute geführt. Es war für mich beängstigend, mitanzusehen, wie andere Afghanen, deren Eltern nicht das Glück hatten, irgendwie in den sicheren Westen zu gelangen, einfach ausgelöscht wurden – und zwar nur weil sie Afghanen sind, sich wie solche verhalten oder wie sie aussehen. Schwarze Haare, ein Bart und ein Turban oder ein Pakol – eine klassisch afghanische Kopfbedeckung – reichten offenbar schon aus, um als »Terrorist« gejagt zu werden. Wäre auch ich ins Fadenkreuz geraten und hätte in der Heimat meiner Vorfahren als »Terrorist« oder »feindlicher Kämpfer« gegolten?

Umso überraschter war ich, als mir auffiel, dass trotz der bekannten Tatsachen eine kritische Berichterstattung sowie eine öffentliche Auseinandersetzung zum Drohnenkrieg praktisch nicht stattfand. Der Terror, den die USA und ihre Verbündeten mit ihren Todesmaschinen verbreiteten, war allem Anschein nach keine Schlagzeile wert. Bis heute werden einzelne Drohnenangriffe von vielen Nachrichtenagenturen nur selten aufgegriffen. In den allermeisten Fällen werden die Opfer ohne jegliche Beweise als »Terrorverdächtige« oder »mutmaßliche Militante« abgestempelt. Dies führt dazu, dass das wahre Ausmaß dieses Krieges von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Hinzu kommt, dass jene, die diesen Krieg führen, allein schon von der klandestinen Natur der Drohnenangriffe profitieren. Bis vor kurzem konnten bewaffnete Drohnen der USA mit maximal zwei Raketen ausgerüstet werden. Eine einzelne Drohne tötete demnach meistens kleine Gruppen von Menschen, etwa vier bis sechs Personen. Derartig »kleine« Angriffe und Verluste werden oftmals als »sehr gering« oder »unbedeutend« abgetan. Das Gesamtbild des Drohnenprogramms geht dabei vollkommen unter. Für mich war klar, dass ich daran etwas ändern musste und vor Ort recherchieren und den Menschen hier von diesem Krieg berichten musste. Als erste Reaktion gründete ich Ende 2013 das »Drone Memorial«, eine virtuelle Gedenkstätte für zivile Drohnenopfer, die sonst nirgends Erwähnung fanden. Während es zahlreiche reale Gedenkstätten für die verschiedensten Kriegs- und Terroropfer gibt, ist dies bei den Drohnenopfern der USA nicht der Fall. Sie bleiben namenlos und unsichtbar, man könnte meinen, dass sie gar nicht existieren. Eine Sicht, die wohl auch im Interesse der Verantwortlichen für den Drohnenterror ist. Es ist schwer, der medialen Deutungshoheit der westlichen Medien etwas entgegenzusetzen und einer Berichterstattung, die den Wert eines Menschenlebens mit unterschiedlichen Maßstäben misst. »Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher«, schrieb George Orwell einst in seiner Farm der Tiere. Diese eiskalte Doppelmoral trifft insbesondere auf den Drohnenkrieg sowie die westliche Außenpolitik in Ländern wie Afghanistan zu.

Dieses Buch soll vor allem deutlich machen, dass kein Mensch gleicher, sondern tatsächlich alle gleich sind. Die Opfer des Drohnenkrieges haben unsere Aufmerksamkeit verdient, da es unsere Regierungen sind, die sie terrorisieren. Drohnen sind keine »präzisen« Waffensysteme, die ausschließlich »Terroristen« töten. Dieses verzerrte Bild, was sich schon längst in den Köpfen vieler Politiker festgesetzt hat, ist von Grund auf falsch. Es ist dringend nötig, diese Sicht zu dekonstruieren, um auf die realen Umstände und Auswirkungen des Drohnenkrieges aufmerksam zu machen. In diesem Buch werden Opfer genannt, über die teilweise zuvor noch niemand berichtet hatte. Ihr Schicksal muss beschrieben werden, ebenso wie die Schicksale der Opfer von Charlie Hebdo oder den Anschlägen von Madrid und London oder jenen des 11. Septembers beschrieben wurden. Wo es Opfer gibt, gibt es auch Täter. Der Drohnenkrieg macht allerdings deutlich, dass es keinen Einzeltäter gibt, sondern dass vielmehr eine ganze Tötungsindustrie hinter dem Mord per Knopfdruck steht, die es zu benennen gilt. In einer Welt, in der trotz der vorherrschenden Zustände dennoch Recht und Gesetz gilt, gibt es auch einige tapfere Menschen, die sich mutig gegen den Drohnenkrieg der USA – des größten Imperiums der Geschichte – stellen und diesen mit friedlichen Mitteln bekämpfen. Diese Menschen machen deutlich, dass jede Art von Widerstand, egal unter welchen Umständen, zählt und wichtig ist, um auf den Tötungskomplex des Weißen Hauses, der CIA, des Pentagons und all ihren Verbündeten aufmerksam zu machen. Die Hoffnung und das Engagement, die diese Menschen verkörpern, stehen über einer düsteren Realität, die gegenwärtig so zermürbend und allgegenwärtig erscheint.