DIE AMMENBIENE

DENN DU WIRST, WAS DU ISST

… oder wie ich selbst zum Babysitter wurde

Im Bienenhäuschen stand so ein voll gemütlicher, fetter, alter Sessel … einfach nur perfekt, wenn man sich mal zurückziehen wollte. Ich hatte den regnerischen Vormittag damit verbracht, im Sessel im Bienenhaus zu sitzen und in meinem schlauen Buch zu schmökern. Darin ging es um die verschiedenen Arbeiten der Bienen im Stock, und ich wollte was rausfinden …

Mich faszinierte schon lange, was Ammenbienen so alles klarmachen im Bienenstock.

Es gab ja verschiedene Jobs, die die Bienen im Laufe ihres Lebens übernehmen konnten. Einer dieser Jobs war der der Ammenbiene. Um genauer zu sein, hat sie ja sogar mehrere Aufgaben auf einmal. Ammenbienen könnte man auch als Babysitter-Bienen bezeichnen und mich faszinierte schon lange, was die so alles klarmachen im Bienenstock. Ich schlürfte mein Teechen und rollte mich im Sessel unter einer Decke zusammen wie so 'n Igel. Gerade als ich mich so richtig schön eingelesen hatte, rumpelte es an der Tür und meine Geschwister plautzten herein …

»Die Kuh hat ein Baby, ein Baby«, schrien sie und ich war voll erschrocken von null auf hundert aus meinem Sessel aufgesprungen. »Mann, habt ihr mich erschreckt, boahhh krass!«, sagte ich, immer noch ganz lost. »Los, komm! Es ist noch ganz schwach und liegt in der Wiese.« Sie zogen mich aus dem Bienenhaus und wir rannten zur Kuhwiese hinter dem Garten.

Wir hatten dort keine normalen Kühe, sondern Schottische Hochlandrinder, also die mit den Riesenhörnern und dem voll wuscheligen, braunen Fell. Das waren echt friedliche, liebe Tiere und bei uns lebten sie das ganze Jahr draußen in einer kleinen Herde. Wir hatten also Nachwuchs bekommen, und tatsächlich lag in der nassen Wiese ein kleines braunes, felliges Knäuel. Wenn die Schottischen Hochlandrinder Junge bekommen, sehen sie am Anfang aus wie kleine Teddys – oder wie bei Star Wars die Ewoks … genau so sehen die aus! Das ist sowas von niedlich, dass du die nur knuddeln willst.

ICH GÖNNTE MIR EIN TEECHEN …

Als wir auf die Weide liefen, schaute die Mutterkuh aufmerksam in unsere Richtung. Das Kleine wackelte mit dem Kopf und schien irgendwie schwach. Wir setzten uns in einiger Entfernung ins Gras und beobachteten, wie die Mutter immer wieder ihr Kleines ableckte. Es wollte aber nicht wirklich aufstehen. Und so lief die Mutter immer wieder ein wenig unruhig um das Kälbchen herum. Meine Schwester sagte gleich der Familie Bescheid und alle schauten eine Weile zu.

»Es steht einfach nicht auf!« Mein kleiner Bruder begann, sich Sorgen zu machen. »Ja, es hat einfach keine Kraft, sich hochzustemmen. Dabei muss es innerhalb der nächsten paar Stunden trinken.« Die Mutterkuh begann zu grasen.

Eine Stunde später saß ich immer noch in der Wiese. Bis auf meinen kleinen Bruder war die Family mittlerweile schon abgezischt. Das Kälbchen war immer noch nicht aufgestanden und die Mutter schien langsam das Interesse zu verlieren. Sie muhte immer wieder in Richtung der anderen Kühe und wollte nicht länger allein bei dem Kälbchen bleiben. »Och Mann, das Kleine ist echt schwach! Los! Du musst aufstehen!« rief mein kleiner Bruder ihm zu. Dann lief die Mutterkuh davon. Sie ging zu den anderen Kühen und graste.

Ich ging näher zu dem Kälbchen und streichelte es. Es zitterte leicht und schaute mich mit seinen großen, runden Knopfaugen an. »Es hat auf jeden Fall großen Hunger. Wir müssen ihm etwas Milch besorgen.« Ich schaute zu meinem Bruder rüber, der sich langsam näherte. »Aber einer muss hierbleiben und aufpassen«, meinte er und streichelt das Kleine ebenfalls ganz zart. »Gut, dann fahr ich los. Ich hol Milch vom Bauern und bin so in zehn, 15 Minuten wieder da.«

Ich lief zurück in den Garten, schnappte mir mein Gokart und peste hoch ins Dorf. Der Bauer war nicht so weit entfernt. Als ich über den Schotterweg fuhr, klapperte meine Karre laut. Wie könnte das Kleine heißen? Wir brauchten auf jeden Fall noch einen guten Namen.

Als ich auf dem riesigen Hof ankam, sah ich niemanden. Ich fuhr zum großen Kuhstall und parkte mein Gokart neben einer Hecke. »Hallo!« Die Halle war riesig, und es war immer noch keiner zu sehen. Ich lief zu der großen braunen Holztür und zwängte mich ins Innere der Scheune. Dort war es warm und laut. Wie viele Hundert Kühe waren hier bitte?

Der Hof hatte sogar eine eigene Molkerei. Als ich darauf zuging, hörte ich schon jemanden mit einem Eimer hantieren. »Moin, Anne«, rief ich. Ich lief vorbei an den Kuhställen. Anne hatte mich gehört und kam auf mich zu. »Ja servus, Quentin. Was führt dich denn zu uns? Wir haben uns ja lange nicht gesehen.« Sie war erfreut über meinen Besuch. »Wir haben ein junges Kälbchen und die Mutter nimmt es nicht an. Es will nicht trinken und ist jetzt schon so schwach, dass ich mir dachte, ich muss es jetzt selbst in die Hand nehmen. Hättest du vielleicht noch ein bisschen Milch für uns?« Anne nickte verständnisvoll. »Ja klar, wir hatten diesen Frühling auch drei Kälber, die nicht angenommen wurden.« Sie schüttelte den Kopf. »Wartest du hier geschwind?«

DAS KLEINE KALB HAT MEGA HUNGER!

Sie verschwand in der Molkerei. Ich setze mich auf einen Holzpfosten und schaute den Kühen beim Fressen zu. Es dauerte nicht lange, da überreichte sie mir auch schon einen Eimer mit frischer Milch. Und eine kleinere Ladung Biestmilch hatte sie auch noch für mich. Diese spezielle Milch bekommen die Babys als Erstes, da sind noch 'n paar besondere Sachen drin für die kleinen Kuhmägen. Ich bedankte mich und wünschte ihr alles Gute, dann fuhr ich schnell nach Hause. Als ich zurück auf unserem Hof war, fütterten wir das Kleine. Es war sehr hungrig und gierig ließ es sich die warme Milch schmecken. Einfach zu goldig! Dabei fühlte ich mich jetzt selber wie eine Mutterkuh. Nun waren auch alle wieder da und schauten aufgeregt zu, wie das Kleine langsam zu Kräften kam. Als die Mutterkuh das merkte, kam sie neugierig und schnaubend angelaufen und machte sich sehr wichtig. Sie vertrieb uns alle von der Weide und schleckte ihr Kälbchen sorgfältig ab. Das Kleine hatte sich wieder hingelegt und musste wahrscheinlich erst mal hart verdauen.

AMMENBIENEN KÜMMERN SICH UM DEN NACHWUCHS, DIE LARVEN.

Nach einer Weile ging ich wieder in mein Bienenhaus und schnappte mir mein Buch. Ich war ja gerade bei der Stelle mit den Ammenbienen gewesen … Ich öffnete einen Kasten und schaute mir die Bienen ganz genau an.

Gelée royale = ein Superfood, ohne das im Bienenstock gar nix läuft :)

Im Stock war ein reges Treiben, alle Bienen hatten etwas zu tun. Ich versuchte zu erkennen, welche der Bienen die Ammenbienen waren. Plötzlich merkte ich, dass sich bei den Brutwaben etwas regte. Eine zugedeckelte Wabe wurde von innen aufgekratzt … heraus kroch eine kleine Babybiene. Sie sah noch sehr schwach und ein bisschen zerzaust aus. Gleich waren andere Bienen zur Stelle und kümmerten sich um die Kleine. Das waren sie, die Ammenbienen! Ich griff nach meinem Buch. Sie sind noch jung und trotzdem kümmern sie sich schon um den gesamten Nachwuchs. Sie pflegen alle Eier, Larven, Drohnen und auch die Königinnen-Larven. Und sie produzieren einen ganz besonderen Königinnensaft, Gelée royale, den füttern sie den Babybienen nur ganz am Anfang – und natürlich den Königinnen. Durch das Gelée royale kann die Königin bis zu 2000 Eier am Tag legen. Diese fleißigen Babysitter-Bienen stellen sozusagen ein Superfood her, ohne das im Bienenstock gar nix läuft.

Plötzlich platzten meine Geschwister wieder rein. »Sie steht! Sie ist aufgestanden und sie ist ein Mädchen!«, rief meine Schwester stolz. Wir liefen alle drei wieder zur Koppel. Und da stand sie, auf ganz wackeligen Beinen und trank bei der Mutter. Die Kuh schien das Kleine akzeptiert zu haben. Wir waren alle erleichtert und gaben ihr den Namen Fluffi, weil sie sooo megaweich war.

Video zur Geschichte