DIE WILDBIENE

KLEIN, ABER FEIN

… oder doch eine schwarze Hornisse?

On the road again … Letztes Jahr im Frühling waren mein Freund Noah und ich unterwegs. Wir wollten auf den Großglockner, einen der größten Berge unserer Alpen. Wir hatten uns vorgenommen, mit den Mofas einen Trip durch die Berge zu machen. Wir waren ausgerüstet mit Schlafsäcken, Kocher, Hängematten, Messer, einem riesigen Outdoor-Rucksack und noch einigem mehr, was man halt so braucht, um in der wilden Natur zu überleben. Am ersten Tag waren wir eigentlich nur am Fahren, um erst mal 'n bisschen Strecke zu machen. Nachts schliefen wir in einem Stadel, also so 'ner kleinen Hütte, wo nur Stroh drinnen war.

Mitten in der Nacht wurde ich wach, weil ich einen furchtbaren Traum hatte, in dem meine Haut brannte … Irgendwie juckte es mich überall und ich musste erst mal eine Taschenlampe finden, um zu checken, was los war. Als ich endlich Licht hatte, sah ich, dass ich mich wohl in die Nähe eines Ameisenhaufens gelegt hatte … Na geilo, ich hatte die Ameisen überall, sogar im Schlafsack. Ich wechselte meine Klamotten und den Schlafplatz und versuchte, schnell wieder einzupennen, denn der vergangene Tag hatte schon gut geschlaucht.

Am zweiten Tag begann es dann auch noch zu regnen, und es wurde einige Male richtig brenzlig für uns, da die Straßen manchmal gut rutschig waren. Dann ging auch noch mein Mofa kaputt und wir mussten es selbst, so gut es eben ging, reparieren und zusammenflicken. Und das Ganze im strömenden Regen. Wir schliefen dann einfach im Wald und froren ziemlich in dieser Nacht.

Wir brauchten einfach mal 'n gescheites Bett zum Pennen.

Da wir am dritten Tag auch wieder lange gefahren waren und es schon dunkel wurde, beschlossen wir, Noahs Onkel anzurufen, der in der Nähe lebte, um einfach mal 'n gescheites Bett zum Pennen zu bekommen. Wir waren einfach voll fertig von den ersten zwei Tagen und brauchten dringend mal 'n guten Chill. Gesagt, getan. Er freute sich und wir machten uns auf den Weg.

Es war schon gegen 23 Uhr und die Kälte zog ordentlich rein. Wir fuhren eine verlassene Landstraße entlang und hofften, dass wir bald die Einfahrt zum Hof finden würden. »Boahhh, ist das eisig!«, meinte Noah und zog sich seinen Schal übers Kinn. Wir fuhren für kurze Zeit nebeneinander, da wir seit Ewigkeiten kein Auto mehr gesehen hatten. Plötzlich machte mein Mofa ein merkwürdiges Geräusch. »Oh no! Bitte kack jetzt nicht ab!« Ich gab ihm einen kleinen Schlag, und ab jetzt fuhr die Karre nur noch 15 km/h. »Na geil«, sagte ich zu Noah und wir kämpften uns weiter bergauf.

Ich war echt platt. Mir war kalt, ich hatte leichten Schnupfen und meine Füße waren gefühlte Eisklötze. »Wie weit is' denn das noch?«, fragte ich genervt. »Keine Ahnung, ich war schon ewig nicht mehr da.« Noah hatte auch keine Lust mehr. Aber der Schotterweg, in den wir nun einbogen, ging noch ein gutes Stück. Als wir endlich ankamen, begrüßte uns Onkel Achim schon im Schlafanzug. Er freute sich riesig – und wir uns auch, dass der Horrortrip endlich endete.

Jetzt war die Welt wieder in Ordnung. Wir bekamen ein richtig geiles Abendbrot, es war mollig warm im Haus und wir fielen nach kurzem Quatschen wie tot in unsere Betten. Noah und ich gaben uns 'ne Faust: »Geschafft und überlebt. Digga, war das ein Trip! Wir wollten doch nur bissel in die Natur …« Wir lachten und schliefen ein.

Wir schliefen lange, sehr lange, zu lange … Es war weit nach Mittag, als wir wieder zu uns kamen. Wir hatten in einem Tiny House am Waldrand geschlafen, mit Tür Richtung Garten. Die Sonne war heute endlich wieder am Start. Ich war überrascht, als Noah mir alles zeigte, es war viel größer, als ich letzte Nacht erkennen konnte. Das Krasseste war die mega Natur hier.

Digga, war das ein Trip! :)

Es sah alles megaschön aus. Die Bäume und Wiesen leuchteten in einem saftigen Frühlingsgrün und überall blühte es bunt. Wir gingen direkt in das Gewächshaus, dort roch es nach Jungle und es wuchsen sogar schon kleine Salate, Radieschen und noch vieles mehr. Draußen liefen wir an sechs großen Beeten vorbei, alle waren voll mit kleinen Gemüsepflänzchen.

Neben den Beeten stand eine große Scheune. Dort waren um die hundert Schafe, eine kleine Molkerei und das Heulager. Der Hof stellte eigenen Käse, Frischkäse, Butter und Schafsmilch her. »Das ist so geil hier, so würde ich am liebsten auch wohnen. Ich will unbedingt eine Schafherde«, meinte Noah und schaute sich gerade einen alten Steinofen an. Zwischen den Beeten waren Terrassen, die mit Wänden aus aufeinandergeschichteten Steinen verbunden waren. Zwischen den Steinen wuchsen die verschiedensten Wildkräuter und Wildblumen. »Ja, Mann, irgendwann werden wir auch so ein Stück Land haben, dann wird so eskaliert! Aber lass dann lieber Ziegen holen. Hast du so einen hier schon mal gesehen?« Ich zeigte auf einen kleinen Falter, der gerade auf einer gelben, kelchartigen Blume saß und sich den kleinen Rüssel schleckte. »Alter, wie krass sieht der denn aus!« Noah kam näher, um ihn genau zu betrachten. Erst da fiel uns auf, wie sehr es hier summte und brummte. Überall flogen Wildbienen, Schmetterlinge und andere Insekten herum. Eine unglaubliche Vielfalt! »Die sind hier alle wegen der Wildblumen und Steinmauern. Schau mal da, zwischen den Steinen im Sand, da haben die Wildbienen ihre Brutstätte.« Wir beobachteten, wie eine dicke Wildbiene in eine Ritze zwischen den Steinen flog und nach kurzer Zeit wieder herauskam. Andere nisteten auch in einem morschen, liegen gelassenen Baumstamm. Wir waren beide fasziniert. »Wildbienen sind ja mit die wichtigsten Insekten für uns Menschen und für die Natur allgemein.« Noah schaute sich um. Neben den Beeten und Steinterrassen waren eingezäunte Weiden für die Schafe. »Also hier ist die Welt noch in Ordnung«, sagte Noah.

SANDBIENEN BRAUCHEN EINFACH NUR SAND ZUM NISTEN.

Wir schlenderten zurück und gönnten uns einen sehr verspäteten Frühstücks-Mittags-Brunch. Wir quatschten mit Achim über die krasse Natur hier und wie sehr wir es feierten, dass alles so lebendig war und dass man hier gar nichts merken würde von Insektensterben und so weiter. Da erzählte er uns von einer älteren Frau, die alleine im Wald in einer Holzhütte lebte und voll den Plan hatte von Pflanzen und Tieren. »Schaut doch mal vorbei, die ist eigentlich immer da.« Da sie gar nicht so weit weg wohnte, beschlossen wir, sie zu besuchen und mal zu schauen, was die da so macht, allein im Wald. Wir schnappten uns unsere halb kaputten Mofas und tuckerten los.

Da wuchsen Blumen auf der Wiese, die hatte ich noch nie gesehen …

Irgendwann sahen wir das kleine Blockhaus auf einer Lichtung und als wir näher kamen, bemerkten wir, dass die Wiese um das Haus herum voller abgefahrener Wildblumen war. Da waren Blumen dabei, die hatte ich noch nie gesehen. Wir gingen zum Haus und klopften wie bei der Hexe von Hänsel und Gretel an der Holztür. Und tatsächlich öffnete uns eine ältere Frau mit vielen Falten im Gesicht. Sie hatte eine Schürze um und ein Kopftuch auf. Sie schien nicht wirklich überrascht, uns zu sehen, und begrüßte uns mit den Worten »Na, wia geht’s, Buam?« Wir waren ein bisschen verblüfft, aber begrüßten sie und wurden dann auch gleich zu einem Käffchen eingeladen. Sie hieß Frieda.

ROSTROTE MAUERBIENEN NISTEN EINFACH ÜBERALL, WO ES LÖCHER GIBT.

Wir unterhielten uns eine Weile und sie erzählte uns, dass sie seit 20 Jahren Wildbienen und Kräuter studierte und deswegen auch den ganzen Garten voller Pflanzen hat. Sie hatte Hunderte von Wildbienen beobachtet, ihr Verhalten und ihre Gewohnheiten analysiert. Damit war sie bei uns an der richtigen Stelle! Sie zeigte uns die verschiedensten Insektenhotels, Nistmöglichkeiten, in denen die abgefahrensten Wildbienen und andere Insekten lebten. Wildbienen sind nämlich sehr anspruchsvoll, was eine Nisthilfe angeht. Wenn ein Insektenhotel nicht die genauen Ansprüche erfüllt, dann zieht einfach keine Wildbiene ein. Es gibt eine Ausnahme: die Rostrote Mauerbiene. Diese Biene hat auch schon in Türschlössern, Gartenschläuchen, Regalholmen und Flöten genistet …

Zurück zu Friedas Blumen: Die Vielfalt an Formen und Farben war der Hammer. »Dein Garten hat ja mal den Ober-Steez«, sagte Noah. Die alte Frau schaute ein bisschen verwundert: »Wos hat er?« Wir mussten lachen.

MEGARIESIG! EINE TOTAL HARMLOSE BLAUSCHWARZE HOLZBIENE

»So einen Garten müsste jeder haben, dann hätten wir das Problem mit dem Artensterben gar nicht«, sagte ich. Sie nickte und sagte: »Des Komische is ja, dass alle immer glaub’n, mia können nix beweg’n oder verändern auf der Woid. Aber des stimmt halt einfach ned. Jeder konn bei sich selber ganz kloa anfanga. A wenn es bloß a Blumentopf mit a paar Bleamln ist oder a Nistkastn für de Vögel, macht des die Woid wieder a Stückl besser.« Wir dachten alle eine Weile nach, dann fragte sie auf einmal: »Wollts amal mei Lieblings-Wuidbiene sehn?« Klar, logo!

Sie ging mit uns zu einem alten Buchen-Baumstumpf und zeigte uns viele kleine Löcher. »Da kommen’s raus, und da drüben im Lavendel kann ma’s b’sonders guad beobacht'n.« Wir gingen rüber zu einem kleinen Lavendelbeet und waren gespannt, was wir da jetzt zu sehen bekommen sollten. Schon von Weitem sahen wir es überall über dem Lavendel herumschwirren. Aber je näher wir kamen, desto weniger konnten wir es glauben. Wir dachten erst, wir irren uns. Hornissengroße schwarze Insekten flogen von Blüte zu Blüte. Schon das Geräusch war so beeindruckend, dass wir wie angewurzelt stehen blieben.

EINE BUNTE BLUMENWIESE IST EIN FETTES BUFFET FÜR WILDBIENEN!

Dieses riesige Geschöpf soll eine Wildbiene sein???

»Was ist das?«, fragte Noah. »Des san Europas größte Wuidbienen, Bua«, sagte Frieda, »und jetzt kenn's sehn, warum die meine Favoriten san.« Sie waren wirklich beeindruckend, schon allein durch ihre Größe, und sie schillerten auch leicht bläulich. Man nennt sie Blauschwarze Holzbienen. Sie sind so stark, dass sie mit ihren Beißwerkzeugen aus eigener Kraft Behausungslöcher ins Holz beißen – sogar in Hartholz. Das war besonders, denn meistens übernimmt das der Bockkäfer oder andere Insekten für die Wildbienen. Wahnsinn, dass dieses riesige, fast drei Zentimeter lange Geschöpf eine Wildbiene sein soll. Ich hatte die noch nie gesehen. Wir schlenderten noch eine Weile über ihre Wiesen und sahen noch so manche farbenfrohe Biene und Blume.

Frieda war einfach eine coole alte Frau, die voll Bock hatte, uns alles zu zeigen. Sie freute sich, dass wir auch Bienen hatten, und legte uns ans Herz, doch auch etwas für die Wildbienen zu machen. Denn die sind viel mehr bedroht als die Honigbienen. »De werd’n ja scho von de Imker versorgt«, sagte sie, »aber de Wuidbienen, de hab’n koan, der sich um sie kümmert. De geb’n ja koan Honig und deswegen san’s ned so interessant für d’Leut.« Jedoch sind sie voll mit dabei, wenn es um das Bestäuben der Bäume und Pflanzen geht. Und die verschiedenen Pflanzen brauchen zum Teil eine ganz bestimmte Wildbiene, um bestäubt zu werden. Das heißt also, stirbt eine Wildbienenart aus, stirbt oft auch gleich eine Pflanzenart mit aus.

Wir hätten Wochen bei ihr verbringen können. Es war genial, was Frieda alles wusste und herausgefunden hatte, trotzdem mussten wir los, denn wir hatten Achim versprochen, ihm beim Bäumepflanzen zu helfen. Er legte nämlich gerade eine neue Streuobstwiese an, die übrigens auch megagut für die Natur ist. Wir verabschiedeten uns von Frieda. Sie gab mir noch ein kleines Säcklein mit gesammelten Samen der wichtigsten und schönsten Wildblumen für die kleinen Wildbienen mit und ich versprach, damit eine tolle Wildblumenwiese anzulegen.

Ganz beseelt tuckerten wir mit unseren Mofas wieder zurück zum Hof von Achim und beim Abendbrot hatten wir wieder mal viel zu erzählen. Was für ein geiler Tag! Ich nahm mir fest vor, noch mehr für die Wildbienen zu tun. Wenn ich zurück bin, geht’s los mit 'ner richtig fetten Blumenwiese.

Video zur Geschichte