27
Umber versuchte, sich nicht durch seine Reaktion zu verraten, doch Hap sah, wie er die Zähne zusammenbiss.
»Computer? Ich weiß nicht, was du meinst, Jonathan«, sagte Umber.
Doane legte den Kopf schief und stützte ihn auf zwei an die Schläfe gelegte Finger. »Brian. Verkauf mich nicht für dumm. Natürlich hast du den Computer. Dein Intellekt arbeitet zwar ausgezeichnet, aber eine komplette Beethoven-Sonate kannst du bestimmt nicht aus der Erinnerung notieren. Oder die Pläne für diese Segelschiffe. Ganz zu schweigen von der Architektur, den Medikamenten oder beliebigen anderen von deinen Wunderwerken. Es ist vollkommen offensichtlich, dass du mit dem Reboot-Computer in diese Welt gekommen bist.«
Hap hörte den pfeifenden Atem, der aus Umbers Nase drang. »Er funktioniert schon seit Jahren nicht mehr«, sagte Umber schließlich. »Die Festplatte ist gecrasht.«
»Ach, tatsächlich? Dann zeig ihn mir«, sagte Doane und auch die letzte Spur von guter Laune wich aus seiner Miene. Er blickte Umber an wie ein Raubvogel.
»Ich habe ihn ins Meer geworfen, als mir klar wurde, dass ich ihn nicht reparieren kann.«
»Du verstehst mich wohl nicht, Brian. Mein Spion observiert dich schon seit mehr als einem Jahr. Du hast nie aufgehört, Neuerungen einzuführen. Also lügst du.«
Umber reckte den Hals vor und ließ die Schultern kreisen. »Selbst wenn er noch existierte, was sollte er dir nützen? Das Projekt Reboot sollte nie der Herstellung von Waffen dienen. Dieser Computer hat das Beste bewahrt, was unsere Zivilisation zu bieten hatte. Nicht das Schlimmste.«
Doane verzog den Mund. »Tu nicht so naiv, Brian. Technologie ist Technologie, und sie passt sich an Friedenszeiten und Kriegszeiten gleichermaßen an.« Er griff in eine Falte vorn in seiner locker sitzenden Jacke, und als er seine Hand wieder herauszog, hielt er einen kleinen Gegenstand, der Hap an die schrecklichen Gewehre erinnerte. »Aber in einem Augenblick wie diesem müssen wir Klartext miteinander reden. Die Geschichte zählt auf uns.«
Umber betrachtete den Gegenstand mit unverhohlenem Abscheu. »Ach, Jonathan. Eine Pistole auch noch?«
»Ich sehe, dass du dich gern vornehm und edel gibst. Aber du stellst dich mir in den Weg. Hör auf mit dem Unsinn und gib mir den Computer! Ich weiß, dass er hier ist. Und ich weiß auch, wie ich dich dazu bringen kann, ihn mir zu geben.« Doane drehte die Waffe, bis sie direkt auf Haps Brust zeigte.
Umbers Gesicht bebte. »Wenn du wüsstest, was ich weiß, würdest du nicht im Traum daran denken, diesem Jungen ein Haar zu krümmen.«
»Warum erzählst du mir dann nicht, was du weißt?«, sagte Doane. »Direkt nachdem du mir den Computer geholt hast.«
In der anderen Raumhälfte ertönte ein Schmerzensschrei. Einer der bewaffneten Männer griff nach unten und rieb sich den Knöchel. Doane warf ihm einen Seitenblick zu und schaute dann wieder zu Umber und Hap. »Was ist mit dem Mann?«, rief Doane.
»Mich hat irgendwas gestochen«, sagte der Mann. Er sog die Luft durch die Zähne. »Ah, tut das weh!«
Dann schrie der nächste Mann, nicht weit von ihm entfernt, vor Schmerz auf. Er sprang von einem Fuß auf den anderen. Hap bemerkte, dass beide in der Nähe einiger Kommoden standen, die an der Seite des großen Saals aufgereiht waren.
»Vielleicht haben wir Hornissen«, sagte Umber. Doane stand auf und trat vom Tisch zurück, hielt seine Waffe aber weiter auf Hap gerichtet.
Ein dritter Mann heulte auf, noch während die ersten beiden erneut jammerten, weil ihre Schmerzen schlimmer wurden. »Ich habe was gesehen, da unten!«, rief wieder ein anderer und wies mit dem Finger in die Richtung. »Kommt von den Möbeln weg! Da ist irgendwas drunter, und es ist keine Hornisse!«
»Was ist das, Brian?«, rief Doane.
»Ich habe nicht den leisesten Schimmer«, erwiderte Umber. Als Doane wegschaute, warf er Hap einen Blick zu und ließ eine Augenbraue tanzen. Hap wusste sehr genau, was los war.
Zwei der Männer packten die Kommode und kippten sie um. Hap zuckte zusammen, als Kunstgegenstände von unschätzbarem Wert zu Boden fielen. »Da!«, rief einer der Bewaffneten. Hap erblickte Thimble unten an der Wand. Mit einem vergifteten Speer in der Hand und einem verrückten Grinsen im Gesicht rannte er so schnell an der Wand entlang, wie ihn seine winzigen Füße trugen. Drei Männer zielten mit ihren Gewehren auf ihn. Thimble erreichte einen Spalt in der Wand und schlüpfte hinein, als die Schüsse fielen. Funken sprühten und kleine Steinstückchen wurden aus der Wand gerissen. Ein weiterer Mann aus der Mitte des Raums ließ sein Gewehr fallen und umfasste sein Knie.
»Hört auf, die Kugeln prallen doch von der Wand zurück, ihr Idioten!«, rief Doane und wedelte mit seiner Pistole durch die Luft. Sie zitterte in seiner Hand.
Hap schaute seitlich an Umber vorbei und erblickte einen Arm in der Wandöffnung, wo der Aufzug in den zweiten Stock hochfuhr. Die Hand hielt eine von Umbers bunten Fläschchen. Das Fläschchen fiel zu Boden und zerschellte auf dem Fußboden. Hap war sich nie ganz sicher gewesen, was aus diesen Flaschen austrat – eine Illusion oder eine einschläfernde Rauchwolke – doch diese setzte einen dichten violetten Nebel frei, der sich in ein Trio aus riesigen, sich windenden Schlangen verwandelte. Alle Männer, die noch stehen konnten, hoben ihre Gewehre und feuerten, doch die Kugeln schossen durch die Trugbilder hindurch und rissen Löcher in die Gemälde und Landkarten an den Wänden.
Zwei weitere Fläschchen zerschellten auf dem Boden. Ein roter Nebel breitete sich aus, und kaum zog er über die Männer hinweg, da gerieten sie ins Wanken und sackten zu Boden.
Als Doane sich laut brüllend seinen Männern zuwandte. wirbelte Umber herum und packte Hap am Ärmel. Sie rannten zu dem Gang, der zum Archiv und weiter in den Berg führte.
Doane rief hinter ihnen her. »Halt, stehen bleiben!« Wieder ertönte ein Schuss und Hap hörte, wie eine Kugel gerade in dem Moment die Flurwand streifte, als sie die Schwelle überquerten. Umber packte die Tür und schlug sie zu. Hap sah gerade noch, wie Doane nachlud und seine Pistole erneut auf sie richtete. Als die Tür ins Schloss fiel, bohrte sich eine Kugel in die andere Seite des Türblatts.
Umber lehnte sich gegen die schwere Tür, um sie zuzuhalten, während Doane sich mit seinem ganzen Körper dagegenwarf. Hap half ihm, indem auch er seinen Rücken gegen die Tür drückte. Irgendetwas hämmerte gegen das Holz, und Doane schrie heiser: »Ich bringe dich um, Brian! Ich … bringe … dich …« Man vernahm erst ein Husten, dann, wie Doanes Körper gegen die Tür fiel und zu Boden sank.
Erschrocken schaute Umber auf die dünne Rauchfahne, die unter der Tür hindurchkroch. »Atme das nicht ein!«, sagte er, stellte seinen Fuß vor den Spalt unter der Tür und zog sich das Hemd über den Mund. Hap tat es ihm nach.
»War das Balfour, der uns gerettet hat?«, fragte Hap durch den Stoff.
Umber nickte und Hap sah, wie sich seine Augenwinkel kräuselten. »Allerdings, das war Balfour«, sagte Umber. »Unser Actionheld! Und der kleine Thimble natürlich.«
Oates und Sophie kamen durch den Gang angelaufen. Sophie sah aus wie ein bleiches Gespenst, Oates wütend wie ein Bär. »Was war denn das für ein Krach?«, fragte Oates.
»Etwas, das nicht hierher gehört«, sagte Umber. Er ließ sein Hemd sinken.
Hap verschränkte die Arme fest vor der Brust. »Was jetzt?«
Umber wanderte im Kreis herum und verzog seinen Mund mal nach rechts, mal nach links. »Ich bin offen für Vorschläge. Auf der anderen Seite der Tür liegen zwölf Eindringlinge bewusstlos herum, zusammen mit dem gefährlichsten Mann der Welt. Unten warten zwölf weitere, hellwach und nicht im Geringsten erfreut. Welkin, Barkin und Dodd sind im Pförtnerhaus und hoffentlich in Sicherheit. Balfour ist oben; er hatte ein paar von meinen Zauberfläschchen in seinem Zimmer, aber ich nehme an, die sind inzwischen alle aufgebraucht. Habe ich irgendwas vergessen?« Er blieb stehen und kratzte sich am Kopf.
Hap, Oates und Sophie wechselten besorgte und verwirrte Blicke. Wir sitzen in der Falle, wurde Hap bewusst. Er starrte den Gang entlang, der am Archiv vorbeiführte und dann tief in die Höhlen jenseits von Aerie, in die die Hexe entkommen war. »Moment«, sagte Hap, noch während die Idee in seinem Kopf Gestalt annahm. Er drehte sich um und bemerkte, dass Umber ihn in gespannter Erwartung ansah.
»Wir holen ihn uns«, sagte Hap. »Bevor irgendwer aufwacht. Öffnen Sie kurz die Tür und ziehen Sie Ihren alten Freund hier herein. Dann können Sie ihn in Turianas Zelle einsperren.«
Oates sah Umber mit gerunzelter Stirn an. »Dein alter Freund ist der gefährlichste Mann der Welt?«
Umber ignorierte ihn. »Hap, du bist ein Genie. Das ist genau der Ort, an dem wir unsere gefährlichen Köpfe gefangen halten!« Er legte seine Hand auf die Türklinke und sagte mit gesenkter Stimme: »Der Rauch sollte sich inzwischen zum größten Teil verzogen haben. Ich öffne die Tür nur einen Spalt breit, um hindurchzuspähen. Wenn alles ruhig ist, mache ich sie ganz auf. Oates, ich möchte, dass du dir den Mann packst, der direkt vor der Tür liegt, und ihn hier hereinziehst. Bist du bereit?«
Oates schlich neben die Tür und nickte Umber zu. Umber umfasste die Türklinke. »Hap und Sophie, tretet zurück für den Fall, dass sie auf uns schießen!« Umber zog die Tür so weit auf, dass er in den großen Saal schauen konnte, und steckte seinen Kopf durch den Spalt.