OKTOBER

»Wir haben das Zelt vergessen«, sagte Max und drehte sich zu Katja um. Im Strahl ihrer Taschenlampe wirkten seine Züge flach. Das Gesicht war eine weiße Maske des Elends. Im Wald ringsum war es dunkel, weil sie erst so spät in Petropawlowsk losgefahren waren. Seine Packerei in letzter Minute, seine schlechten Richtungsangaben. Seine Schuld.

In dem grellen Licht war er nun fast nicht mehr schön. Die Wangenknochen waren verschwunden, das gespaltene Kinn zu hell, die Lippen leicht geöffnet. Mit aufgerissenen Augen starrte er in das blendende Licht. Katja und Max waren seit August ein Paar und seit September auch offiziell verliebt. Aber das Zelt. Wellen von Wut machten sich in ihr breit. »Das ist jetzt nicht dein Ernst«, sagte sie und packte ihren Zorn am Schwanz, bevor er davonflog. Sie musste ihn festhalten wie eine Schlange, sonst würde sie Max viel zu schnell verzeihen.

»Hier ist es jedenfalls nicht.«

Katja gab ihm die Taschenlampe und begann, im Kofferraum zu wühlen. Die Schatten über ihren Sachen wurden mal länger, dann wieder kürzer. Taschen mit Proviant, Schlafsäcke, zwei Isomatten. Eine zusammengefaltete Plane für den Zeltboden. Extra Handtücher für die heißen Quellen, zwei Klappstühle, Müllsäcke, die sich entrollten, als sie beiseitegeschoben wurden. Katja hätte den Wagen selbst packen sollen, statt vorhin am Abend im Rückspiegel zu beobachten, wie seine Muskeln unter der Haut spielten. Ganz unten im Durcheinander klirrten Töpfe.

»Max!«, sagte sie. »Wie soll das gehen!«

»Wir können im Freien schlafen. Es ist nicht so kalt.« Sie starrte auf seine Umrisse über dem Lichtkegel. »Oder im Wagen.«

»Großartig!« Wir haben das Zelt vergessen, hatte er gesagt, wir, als hätten sie zusammen ein Zelt in einem gemeinsamen Schrank ihrer gemeinsamen Wohnung gehabt. Als wären sie beide für diese Pannen verantwortlich. Als hätte sie nicht schon am frühen Nachmittag den Hafen verlassen und zwanzig Minuten quer durch die Stadt fahren müssen, um in ihrer Wohnung zu duschen und sich umzuziehen, und anschließend fünfunddreißig Minuten in Richtung Norden fahren, um rechtzeitig bei seinem Wohnblock zu sein, und dann achtzehn Minuten auf dem Parkplatz auf ihn warten müssen, bis er endlich erschien.

Anfang der Woche hatte er gesagt, dass er sein Zelt mitbringen würde. Sein schäbiger Nissan hatte keinen Allradantrieb, deshalb hatten sie ihren Wagen genommen, und er hatte Unmengen von Zeug in den Kofferraum gepackt – er musste sogar ein zweites Mal in seine Wohnung hinauf und kehrte mit vollen Armen zurück –, deswegen glaubte Katja, er hätte alles im Griff. Statt es zu überprüfen, hatte sie das Autoradio angeschaltet und sich die Lokalnachrichten angehört. Ein Ladendiebstahl, ein bevorstehender Wirbelsturm und ein weiterer Aufruf an die Bevölkerung wegen der beiden Mädchen. Sie legte die Hände ums Lenkrad. Als Max endlich neben ihr einstieg, fragte sie: »Hast du auch alles?«

Er nickte, beugte sich vor und küsste sie. »Fahren wir. Bring mich hier weg«, sagte er. Sie sah auf die Uhr (einundvierzig Minuten Verspätung) und legte den Rückwärtsgang ein.

Jetzt würden sie die Nacht in ihrem winzigen SUV verbringen. Der Suzuki konnte sie zwar zuverlässig in vier Stunden nach Norden bringen, weg von der Stadt, über Straßen, die von Asphalt zu Schotter und Feldwegen wurden, aber er war ein miserabler Schlafplatz. Zwei Türen, zwei enge Sitzreihen, keine Beinfreiheit. Der Schaltknüppel würde zwischen ihnen stehen. Keiner von beiden hätte Platz genug, um sich auszustrecken.

Katja seufzte, und Max ließ die Schultern hängen. Sie hätte sie gern berührt. »Schon gut«, sagte sie. Ihre Wut schlängelte sich davon, um auf seinen nächsten Lapsus zu warten. »Schon gut, mein Bärchen, kann passieren. Sammelst du schon mal ein bisschen Holz?«

Während der Lichtkegel der Taschenlampe zwischen den Bäumen wegtanzte, setzte Katja den Wagen auf das flache Stück Gras, wo sie das Zelt hatten aufbauen wollen. Sie war selbst schuld, sie hatte nicht rechtzeitig nachgefragt … nächstes Mal würden sie es besser machen. Max gehörte einfach – wie viele andere – zu der Art von Leuten, die sie nicht aus den Augen lassen durfte.

Die Erde unter den Reifen rutschte weg. Sie schaltete die Scheinwerfer nicht wieder an. Ihre Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Sie war schon als Kind in diesen Wäldern gewesen, und obwohl sie inzwischen zwei Jahrzehnte Wachstum hinter sich hatten, sahen die Birken im Licht der Sterne immer noch so aus wie damals, als sie ein kleines Mädchen gewesen war: alt, eindrucksvoll und voller Magie. Die Welt da draußen hatte sich immer stärker verändert, war unberechenbarer und gefährlicher geworden, doch Orte wie dieser waren geschützt. Hier gab es keine Radionachrichten, keinen Stress wie in der Stadt, keine Termine, die man durcheinanderbringen konnte. Das Zelt war die letzte Gelegenheit für eine Enttäuschung gewesen. Jetzt gab es keinen Grund mehr, sich aufzuregen. Das durfte Katja nicht vergessen.

Als sie die Tür öffnete, klimperten die Schlüssel im Zündschloss. Sie zog sie heraus, und die Nacht überwältigte sie. Fledermäuse fiepten, Insekten summten. In den Baumwipfeln raschelten trockene Blätter. Tiefer im Wald knackte es, wo Max Holz für das Feuer sammelte. Der Wasserfall an den heißen Quellen rauschte gleichmäßig.

Diese Geräusche befreiten Katjas Kopf. Max’ Gesellschaft überreizte sie. In seiner Wohnung in der Stadt ging sie manchmal ins Badezimmer und setzte sich auf den geschlossenen Klodeckel, um ruhig zu werden. Selbst seine Richtungsangaben vom Beifahrersitz aus überforderten sie. Seine Unbeholfenheit, seine Aufrichtigkeit, die schockierende Symmetrie seines makellosen Gesichts machten sie einfach nervös.

»Das sind die Schmetterlinge im Bauch«, sagten ihre Freundinnen. Oksana, die mit Max im Institut für Vulkanologie arbeitete, meinte: »Er ist ein Trottel. Das geht vorüber.« Doch Katja war mit anderen Männern zusammen gewesen, hatte mit zwanzig sogar eine Weile mit einem zusammengelebt und nie so etwas erlebt. Max hatte einen neuen Sinn in ihr zum Leben erweckt. So, wie sie Ohren hatte, um zu hören, eine Zunge, um zu schmecken, und Fingerspitzen, um zu tasten, besaß sie nun eine besonders empfindliche Stelle unter dem Bauchnabel für Max. Wenn er sie anfasste, zuckte etwas in ihrem Bauch auf. Ihr sechster Sinn: Begierde.

Schon möglich, dass er ein Trottel war, aber es hörte nicht auf.

Das Verlangen nach Max lenkte Katja von anderen Dingen ab. Zum Beispiel von dem Zelt, dachte sie, als sie ihre Stirnlampe aus dem Handschuhfach nahm. Sie setzte sie auf und machte sich an die Arbeit – ordnete die Taschen, packte die Lebensmittel aus, klappte die Sitze so weit es ging nach hinten.

Dann trat sie einen Schritt zurück und musterte alles im schwachen Schein ihrer Lampe. Sehr weit ging es nicht.

Max kehrte in ein fix und fertig aufgebautes Lager zurück. Geschälte Kartoffeln warteten in einem Topf mit Wasser aus dem Fluss. Katja hatte auf der Kühlerhaube einen halben geräucherten Lachs, Radieschen- und Tomatenscheiben und weißen Käse auf einer Plastiktasche ausgebreitet, als kleinen Imbiss vor dem Abendessen. Zusammen machten sie in der frischen Brise ein Feuer. »Ich bin da draußen gestürzt«, gestand er ihr, als die Flammen aufloderten, drehte sich um und zeigte ihr einen Schmutzfleck auf dem Rücken.

Sie fuhr mit dem Finger über sein Hemd, die Hitze der Haut darunter. Das Spiel der Muskeln. »Du hast dir aber nichts getan, oder?«

»Ich bin tödlich verletzt.«

Angesichts der Länge des Flecks musste sie lachen. »Ein Naturbursche scheinst du ja nicht gerade zu sein, mein Bärchen.«

»Doch«, sagte er. »Hör auf, Katjuscha, es ist dunkel.«

»Ich weiß«, sagte Katja. Trotzdem. Auf dem Feuer fingen die Kartoffeln an zu kochen. Sie nahm die Hände von ihm und rührte im Topf.

Das Licht des Feuers färbte sie orange und schwarz. Auch Max’ Kiefer, seine feinen Knochen, die Nasenspitze, die runde Kuppe des Kinns. Er sah viel zu gut aus. Mit einem ihrer Stiefel schob Katja ein Holzscheit im Feuer in eine bessere Position.

Das einzige andere Wochenende, das Katja und Max zusammen verbracht hatten, war im August gewesen, als sie sich kennenlernten. Oksana hatte Katja eingeladen, sie zu einem Arbeitstreffen im Nalitschewo-Park zu begleiten. Katja hatte sich nicht getraut abzulehnen. Oksanas schrecklicher Sommer, den sie damit vertan hatte, im Handy ihres Mannes herumzustöbern, während ihre Ehe in die Brüche ging, hatte wenige Tage zuvor einen Tiefpunkt erreicht, als sie es geschafft hatte, mit ihrem Hund an der Entführung der beiden kleinen Mädchen vorbeizuspazieren. Oksana hatte Stunden bei der Polizei verbracht und versucht, einen Entführer zu beschreiben, an den sie sich kaum erinnerte. »Er ist mir nur deshalb aufgefallen«, erzählte sie Katja auf der Fahrt ins Wochenende, »weil sein Wagen so gut aussah. Ich dachte: Wie hält er ihn bloß dermaßen sauber? Mein Wagen sieht aus wie eine Müllhalde, wenn ich nur eine Runde durch die Stadt fahre, seiner dagegen glänzte.« Sie sah in den Seitenspiegel und wechselte auf die linke Spur, um einen Lastwagen zu überholen. »Ich habe dem Polizisten gesagt: ›Wenn Sie den Kerl finden – bevor Sie ihm Handschellen anlegen und ihn zusammenschlagen, fragen Sie ihn nach ein paar Tipps, wie man seinen Wagen so sauber hält.‹«

»Mein Gott«, hatte Katja geantwortet. »Bist du sicher, dass du diesen Ausflug machen willst?« Auf der Fahrt von der Stadt in die Hütte in Nalitschewo mussten sie sechs flache Flüsse durchqueren und, nachdem sie den Wagen geparkt hatten, die letzte halbe Stunde zu Fuß durch Marschland laufen. Katja fand Oksanas Entschlossenheit, diese Reise auf sich zu nehmen, beunruhigend. Hätte Katja auf dem Fahrersitz gesessen, sie wäre umgekehrt.

In den ersten Tagen nach der Entführung war Katja nervös, empfindlich, alles regte sie auf. Sie betrachtete ihre Freunde wie Außerirdische. Sie konnte die vermissten Schwestern nicht mit Verbrechen in Verbindung bringen, die ihr bekannt waren. Bestechungsgelder zum Beispiel konnte Katja verstehen. Bei ihrer Arbeit hatte sie ständig mit Korruption zu tun. Erst heute hatten ihre Kollegen und sie Tausende von lebendigen Schildkröten gefunden, deren bräunlichgelbe Arme sich im Licht bewegten, als Katja die Fracht eines neuen kanadischen Importeurs überprüfte. (»Was habt ihr denn mit ihnen gemacht?«, hatte Max gefragt, als sie am Abend die Stadtgrenze verließen. »Sie in die Bucht geworfen«, sagte Katja. »Nein. Nicht wirklich. Wir haben sie aussortiert und werden sie vernichten.« Er hatte schmollend den Mund verzogen, und sie hatte gelacht.)

Schmuggler, klar. Oder Wilderer, Grenzverletzer, Brandstifter, betrunkene Fahrer, Tierhändler, Männer, die sich im Streit an die Kehle gingen, Wanderarbeiter, die auf dem Bau vom Gerüst stürzten, Menschen, die in den Wintermonaten erfroren … das waren alltägliche Nachrichten in Kamtschatkas Medien. Zwei entführte kleine Mädchen waren etwas anderes. Oksana war nur zehn Meter vom Tatort entfernt vorbeigegangen, als das Verbrechen geschah, und sie hatte darüber Witze reißen können, während Katja die Plakate der vermissten Schwestern betrachtete und sich fürchtete, wenn sie daran dachte, welcher Art von Entführern sie eines Tages über den Weg laufen könnte.

»Das hier muss ich machen«, hatte Oksana während der Fahrt zu Katja gesagt. »Ich höre ja nicht zu arbeiten auf, bloß weil ich zufällig zum falschen Zeitpunkt mit Malisch unterwegs war.« Sie überholte noch einen langsamen Wagen. »Außerdem, was soll ich denn sonst machen? Den ganzen Tag zu Hause hocken und Däumchen drehen?«

Katja kannte Oksana seit mehr als zehn Jahren. Schon als Studentin war Oksana kühl und verschlossen gewesen, aber auch faszinierend. Eine willkommene Ablenkung bei der langen Reise. Den Rest der Fahrt verbrachte sie damit, Katja über ihre Kollegen zu informieren. Langweilig, schlampig und schwanger, sagte Oksana über die drei anderen Forscher ihrer Gruppe am Institut. »Reine Zeitverschwendung. Aber wir haben ja uns.« Dann folgte Katja Oksana in eine der Hütten im Park und stieß auf einen Mann, der wie ein Filmstar aussah.

»Wer, Max?«, sagte Oksana. »Igitt.«

Vom ersten Abend an hatte sie dieses Zucken im Bauch gespürt. Petropawlowsk war nicht so groß und die Anzahl sechsunddreißigjähriger Singles in der Stadt noch kleiner, trotzdem hatte sie ihn in all diesen Jahren irgendwie übersehen, bis Nalitschewo. Immer wieder hatten sie beide sich davongestohlen, um einander hinter dem Holzstapel zu befummeln. Sie konnten die Stimmen der Gruppe durch die Hüttenfenster hören. Wenn Max Katja flüsternd zur Vorsicht mahnte, hatte sie nur die Arme um seinen Nacken geschlungen und ihn noch enger an sich gezogen. Seine Schönheit sollte alle Ängste vertreiben.

Jetzt waren Max und Katja auf dem besten Weg ins Familienleben. Max’ Kollegen hatten die anfänglichen Ausbrüche von Klatsch und Tratsch überwunden; und selbst Oksana war viel zu sehr mit ihrem eigenen Leben beschäftigt und zuckte bloß mit den Achseln, wenn Katja auf ihn zu sprechen kam. Katjas männliche Kollegen hatten es aufgegeben, sie zu einem Drink einzuladen, und die weiblichen behandelten sie nur geringfügig anders als eine alte Jungfer. Am Wochenende fuhren Max und Katja gemeinsam mit dem Fahrrad durch die Stadt. Sie paddelten im Kajak durch die Bucht und grillten am Meeresufer. Ein paarmal nahm er sie mit zu seiner Kletterhalle. Diese Herbstreise zu den heißen Quellen ging auf Katjas Initiative zurück.

Max stand auf, um ihr ein Stück Lachs zu holen. Auf seiner Daunenjacke prangte ein länglicher Fleck. Ich liebe ihn, sagte sie sich. Es war wie eine Übung und klang noch immer ungewohnt.

Schlampig, hatte Oksana ihn während der Fahrt warnend genannt, bevor eine von ihnen wusste, dass eine Warnung angebracht war. Als sie die Hütte erreichten, dachte Katja nur daran, wie er an den Birkenstämmen lehnte, und hörte nicht auf sie. Wie alle anderen in der Stadt lechzte auch die Nalitschewo-Gruppe nach Neuigkeiten über die verschwundenen Mädchen. Oksanas Geschichte befriedigte sie nicht. Stattdessen waren alle Blicke auf Max gerichtet, der sich mit seiner Rolle in den freiwilligen Suchtrupps hervortat.

»Oksana ist viel zu bescheiden«, erklärte er. »Immerhin verdanken wir ihr eine Beschreibung von dem Kerl und seinem Wagen. Wir suchen so lange, bis wir ihn haben.« Er reichte sogar sein Handy mit den Klassenfotos der beiden Schülerinnen herum.

Oksanas Vorgesetzter – der Langweiler – warf einen Blick auf Max’ Display. »Was war er für einer?«, fragte er sie. »Glaubst du, ein Russe? Oder vielleicht ein Tadschike? Wirkte er schmuddelig?«

Die schwangere Kollegin starrte vor sich hin. Oksana hob locker die Hand. »Er sah völlig normal aus. Nichts Außergewöhnliches.«

Der Vorgesetzte hakte nach. »Welche Haarfarbe hatte er? Wie waren seine Augen geformt?«

»Seine Augen! Glaubst du etwa, ich wäre stehen geblieben, um mich mit ihm über seine Herkunft zu unterhalten? Ob er Halbkoreaner oder Vierteltschuktsche ist?« Oksana lachte, es klang verhärmt und bitter. »Ich habe einen großen Mann gesehen. Ein großes Auto. Und zwei kleine Kinder.«

»Sie hat genug gesehen«, sagte Max.

Katja war vor der Wucht ihres unangemessenen Verlangens zurückgeschreckt: Je mehr Max über Zeugenaussagen, Einsatzbesprechungen und verzweifelte Mütter sprach, umso stärker wollte sie ihn. Ein selbstsicherer Mann, der sich freiwillig meldete, um Gefahren abzuwenden. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, in diesem makellosen Körper ein so mitfühlendes Herz zu finden.

Nun ja. So war es nicht. Jedenfalls nicht ganz. Die Golosowskaja-Schwestern waren nach wie vor verschwunden, und Max war seit Anfang des Monats nicht mehr mit den Suchtrupps losgezogen.

Das Zelt heute Abend war nur sein jüngster Plan gewesen, der sich zwischen Versprechen und Einhaltung in Luft aufgelöst hatte. Normalerweise hatte dieses Muster etwas Liebenswertes – Max’ Ideen, seine Erregung, sein ungeschicktes Sichdurchwurschteln –, trotzdem hatte Katja es nicht besonders aufregend gefunden, zu sehen, wie schon die Sonne über den Bergen unterging, als sie noch Stunden von diesem Zeltlager entfernt waren. Die Bäume zu beiden Seiten der Straße im Norden waren immer dunkler geworden, während Max mit seinem Handy herumfuchtelte, um ein GPS-Signal zu empfangen. Dazu kam Katjas glibberiger Privatkummer.

Je mehr Zeit sie miteinander verbrachten, desto besser lernte sie ihn kennen. Sollte Petropawlowsk eines Tages unter Lava begraben werden, würde Katja genau wissen, welcher gut aussehende Forscher im Institut wahrscheinlich alle Anzeichen für einen unmittelbar bevorstehenden Vulkanausbruch übersehen hatte. Max hatte Schwierigkeiten, das Wichtige im Auge zu behalten. Inzwischen kam er ihr nicht mehr ganz so großartig vor.

Doch an diesem Wochenende sollte das keine Rolle spielen. Der Rauch des Feuers vermischte sich mit dem Dampf der verborgenen Quellen und verdichtete die Nacht. Verkohltes Holz, Schwefelgestank und kalte Erde: nostalgische Erinnerungen. Ihre Familie hatte diese Gegend geliebt. Seit dem Niedergang der UdSSR gab es keine Reisebeschränkungen mehr, keine Grenzen der Bewegungsfreiheit; die sowjetischen Militärbasen, derentwegen man die gesamte Halbinsel zur Sperrzone erklärt hatte, waren aufgegeben worden; endlich konnten Kamtschatkas Einwohner ihr eigenes Land erkunden. Katjas Familie war nördlich bis nach Esso gereist, um die Ureinwohner und ihre Rentierherden zu sehen, nach Westen, um die Krater zu besichtigen, und in den Süden, um Kaviar aus den nicht mehr bewachten Seen zu holen. Sie verbrachte ihre Jugend in der kurzen, unbekümmerten Phase zwischen kommunistischem Stillstand und Putins Aufstieg, und obwohl sie in die Rolle einer Grenzkontrolleurin hineingewachsen war, die Einfuhren inspizierte und Vorladungen aussprach, steckte in ihr noch immer das postsowjetische Kind. Ein Teil von ihr sehnte sich nach der Wildnis.

Katja wurde eins mit der Dunkelheit. »Meine Eltern haben jedes Wochenende mit uns gezeltet«, erzählte sie Max.

»Wirklich?«

»So gut wie.« Sie steckte sich den letzten Bissen Fisch in den Mund, und er reichte ihr eine Scheibe von dem weichen Käse. »Sobald der Schnee anfing zu schmelzen, waren wir draußen in den Wäldern. Meine Brüder und ich bekamen verschiedene Aufgaben – wir mussten Tierfährten folgen oder unterschiedliche Baumarten finden.«

Er berührte ihre Hüfte. »Wahrscheinlich wollten sie bloß ein bisschen Zeit für sich haben.«

»Das glaube ich nicht«, sagte sie.

»Könnte aber doch sein, oder?«

Als sie zehn war, waren ihre Eltern … Sie musste rechnen. Ihre Mutter war damals erst zweiunddreißig gewesen. Jünger als Katja jetzt. Sie stellte sich vor, wie sie damals gewesen waren, wie ihre langen Gliedmaßen aufeinanderprallten, und erschauderte. »Hör auf damit!«, sagte sie und schlug Max gegen die Brust.

»War nur ein Scherz«, sagte Max. »Ich bin sicher, dass sie rein pädagogische Ziele verfolgten. Und wie habt ihr eure Aufgaben gelöst? Alle Bäume gefunden?«

»Ja, klar«, sagte sie. »Ich war die Älteste. Ich habe den anderen gesagt, ohne eine vollständige Sammlung von Blättern würden wir nicht zurückkehren.«

Über weichen Kartoffeln und angekokelten Würstchen erzählten sie sich Geschichten. Wie Oksana ihr anvertraut hatte, dass sie auf dem Handy ihres Mannes Nachrichten an noch eine andere Frau entdeckt hatte. »Jeder im Büro redet darüber. Er ist wirklich ein Arschloch«, sagte Max mit vollem Mund.

»Sie sollten sich trennen.«

»Na, viel Glück mit diesem Ratschlag«, sagte Max. »Ich versuche nach Kräften, Oksana nicht mehr zu sagen, was sie tun soll.« Katja stellte ihren Teller ab und legte ihre Hände auf Max’ Bein, während er aß. Unter ihren Handflächen die Spannung seines Schenkels.

Durch den Wald kam das an- und abschwellende Johlen betrunkener Gäste von einem benachbarten Zeltplatz. Die Bäume bildeten eine schwarze Wand. Die Stimmen, die Asche in der Luft und die Geräusche der Nacht erinnerten Katja an ihr erstes gemeinsames Wochenende. »Irgendwas Neues von der Suche?«, fragte sie.

Max schüttelte den Kopf. »Und sobald es anfängt zu schneien, werden keine Freiwilligen mehr auf die Suche gehen. Inspektor Rjachowski sagt inzwischen, die Mädchen könnten von Kamtschatka fortgebracht worden sein.«

»Ach, komm«, sagte Katja. »Wie denn, in einer Passagiermaschine etwa?«

»Keine Ahnung. Auf einem Schiff?«

»Einem Kreuzfahrtschiff? Nach Sapporo?« Katjas Kollegen hätten sie gefunden. Der Zoll inspizierte jede Maschine, jedes Schiff.

Und das waren die einzigen Möglichkeiten, die Halbinsel zu verlassen. Kamtschatka war keine per Gesetz abgeriegelte Region mehr, aber durch seine geografische Lage trotzdem vom Rest der Welt getrennt. Im Süden, Osten und Westen umgeben vom Ozean. Im Norden grenzte es an das russische Festland. Hunderte Kilometer Berge und Tundra. Unpassierbar. Auf Kamtschatka selbst gab es nur wenige, kaputte Straßen: Einzelne Feldwege führten zu den zentralen Siedlungen oder in den Süden und waren fast das ganze Jahr unterspült; andere, die in die Bergdörfer führten, existierten nur im Winter und mussten aus dem Eis geschlagen werden. Keine einzige Straße verband die Halbinsel mit dem Rest des Kontinents. Niemand konnte über den Landweg kommen oder gehen.

»Auf einem Frachtschiff«, sagte Max. »Vielleicht.«

Katja musste lachen. »Aha«, sagte sie. Auf seinem Gesicht flackerte das Lagerfeuer.

»Ich wiederhole nur, was der Inspektor uns allen erzählt hat. Möglich wäre es doch, oder nicht? Schließlich haben wir überall gesucht und nichts gefunden.«

Überall, sagte er, als markierten Petropawlowsks Grenzen die Ränder der Existenz. »Diese Mädchen haben die Halbinsel nicht verlassen«, sagte sie. »Könnte er ihre Leichen nicht versteckt haben? In einer Garage, auf einer Baustelle, im Wald?«

»Wir haben alles durchsucht«, sagte er. »Wochenlang. Jeden Winkel.«

»Dann eben außerhalb von Petropawlowsk«, sagte Katja. »Meinst du nicht, dass er sie auf der Straße zur Westküste gebracht hat? Oder in den Norden?«

Max stellte seinen Teller beiseite. »Vielleicht hat er sie im Nationalpark versteckt. In einen Geysir geworfen.«

»Ja, vielleicht«, sagte Katja. Er zog eine Grimasse. »Er kann alles Mögliche getan haben, das meine ich«, sagte sie. »Er könnte sie auch sechs Stunden weit weggefahren und als seine eigenen Kinder in irgendeiner Dorfschule angemeldet haben.«

»Na ja. Die Möglichkeiten sind unbegrenzt. Daher die Bitte der Polizei, dass wir uns auf das konzentrieren sollen, was am wahrscheinlichsten ist«, sagte Max. »Mit anderen Worten, jemand aus Petropawlowsk. Oksana hat einen weißen Mann beschrieben.«

»Tatsächlich?«

»Er sah normal aus, hat sie gesagt.«

Katja war keineswegs anderer Meinung, wandte aber trotzdem ein: »Sie hat ihn kaum gesehen. Und außerdem gibt es weiter draußen nicht nur Ureinwohner.«

»Sie hat seinen Wagen gesehen«, sagte Max. »Ein glänzendes dunkles Auto, hat sie uns erzählt. Niemand kommt über diese Schotterstraßen von den Dörfern hier runter, ohne dass sein Wagen völlig verdreckt. Überleg mal: Wie würde dieser Mensch, der in der Stadt lebt, der verzweifelt, vielleicht sogar verrückt ist, sie am wahrscheinlichsten verlassen? Er würde die Schiffe kennen, die tagtäglich kommen und gehen. Der Inspektor meint, er könnte jemanden bestochen haben, damit er Zugang zu einem Schiffscontainer bekommt.«

»Oder dieser Mensch hat das gemacht, was am unwahrscheinlichsten ist«, sagte sie. »Ist am Ende zu einem Geysir gefahren. Dieser Mann hat es auf Kinder abgesehen. Wer weiß, wozu er sonst noch fähig ist?« Sie sprach wie eine Reporterin von der Regenbogenpresse, das war ihr klar, doch die Empfindlichkeit, die sie kurz nach der Entführung gepackt hatte, war auf einmal wieder da. Hätte die Polizei den Fall bereits gelöst, würde sie über so etwas nicht reden müssen. Sie erledigte ihren Job im Hafen gewissenhaft – die Mädchen konnten Kamtschatka nicht verlassen haben. Aber machten alle in der Stadt ihre Arbeit genauso gut?

»Katjuscha«, sagte Max. »Bitte. Sie sind weg. Weitersuchen ist zwecklos.«

Ausgerechnet Max wollte wissen, was zwecklos war und was nicht. Katja bewegte die Hände auf seinem Bein, und er schwieg.

Unter die offene Hecktür geduckt, zogen sie ihre Badeanzüge an. Abseits vom Feuer bekamen sie eine Gänsehaut. Ihr Atem dampfte. Katja zupfte an ihrem Träger, und Max packte sie. Er drängte sie zurück, bis ihre Beine gegen den Wagen stießen. Sie küssten sich lange unter dem metallenen Dach, wo keiner von beiden aufrecht stehen konnte. Ineinander verschlungen wie zwei betende Hände, doch Katja dachte nicht an Gott. Sie vergaß die verschwundenen Kinder. Sie dachte an Max, seine Arme, seine Finger, seinen Mund, seine schönen Zähne, das Verlangen unter ihrer Haut.

Schließlich musste sie sich von ihm losreißen. Sie war in Bikini und Badelatschen, und die Kälte hatte ihre Füße taub werden lassen. Max, in kurzer Unterhose und alten Turnschuhen, schimmerte in der Dunkelheit.

Er verschränkte die Arme über der Brust. »Wohin jetzt?«, fragte er.

Die heißen Quellen riefen – zischend, blubbernd. »Komm«, sagte sie und führte ihn vom Lager weg am Fluss entlang über einen schmalen Pfad, durch die Bäume zu einer Lichtung.

Fünf Gebäude aus Gummi und Holz und oberirdische Becken, die durch Rohre aus den dampfenden Quellen gespeist wurden. Der Geruch nach faulen Eiern war hier durchdringend. Warmer Schlamm schmatzte unter ihren Füßen. Max und Katja streiften ihre Latschen an einer der Treppen vor den Becken ab und stiegen hinein. Die Hitze gab ihren Körpern Auftrieb. Katja atmete in der wabernden Luft aus. »Himmlisch«, sagte Max, und sie tauchte bis zum Kinn neben ihm in das schwefelhaltige Wasser.

Dampf stieg auf. Über ihnen eine Million winziger Sterne. Die Nacht war blau und schwarz, umrahmt von herbstlichen Sternbildern, und als Katja hinaufsah, entdeckte sie einen Satelliten, der funkelnd seine Bahn über den Himmel zog. Je länger sie hinsah, umso tiefer strömte die Hitze in sie hinein. Sickerte in ihre Organe. Machte ihren Kopf frei.

In seiner Nähe konnte sie an nichts anderes denken als an ihn. Doch wenn sie eine Weile getrennt waren, fand sie zu sich zurück, und die Frau, zu der sie zurückkehrte, gefiel ihr. Jemand … der fähig war. Jemand, der Standards einhielt, Pflichten erfüllte, Ergebnisse erzielte. Jemand, der enttäuscht wäre von einem wie Max, von der Art und Weise, wie er sich so oft benahm. Eigentlich müsste sie enttäuscht sein.

Max glitt durchs Wasser auf sie zu. Seine Haut war glatt von den aufgelösten Mineralien. Der hölzerne Rand des Pools im Rücken fühlte sich glitschig an. Er schob die Finger ins Unterteil ihres Bikinis, und sie erstarrte, hielt sich am letzten Rest ihrer Vernunft fest.

»Nicht hier«, sagte sie.

»Wo dann?«, flüsterte er ihr ins Ohr.

»Im Zelt«, erwiderte sie leise.

Er wich zurück.

Es hatte sich boshafter angehört als beabsichtigt. »War nur ein Witz«, sagte sie. Jetzt war er weit von ihr entfernt.

»Pah«, sagte er, eine Wand aus Dampf trennte seine Stimme von seinem Körper.

»Es war nur ein Witz.«

»Sehr witzig.«

»Nein«, sagte sie und hielt dann inne. Sollte sie sich entschuldigen? Versuchen, es zu erklären? Wenn er Fehler machte, musste er die Konsequenzen tragen. Und auch sie sollte die Wahrheit vor ihrer Nase erkennen. Was sie im August in ein Wochenendabenteuer getrieben hatte, genügte nicht, um eine Beziehung durch den Winter zu bringen. Geschweige denn darüber hinaus. Die Schlange glitt an ihrem Hals hinauf. Max konnte nun mal mit Verantwortung nicht umgehen. Langfristig wären sie beide mit jemand anderem besser dran.

Zwischen ihnen dampfte die Hitze. Das Wasser zischte und tropfte.

Zurück im Wagen, zogen sie trockene Sachen an, krochen in ihre Schlafsäcke und setzten sich auf ihre Plätze: Katja auf den Fahrersitz, Max auf den des Beifahrers. Beide schwitzten bereits vor Anstrengung. Die Nacht würde schrecklich werden. Sie zog ihr langärmeliges Hemd aus. »Sollen wir uns anschnallen?« Sie lächelte ihm zu, doch über dem Schlafsack waren seine Schultern noch immer steif und gekränkt.

So also sah ihre romantische Reise aus. Sie beugte sich über den Schaltknüppel, und er küsste sie flüchtig auf die Lippen. »Nacht«, sagte er.

»Gute Nacht.« Sie presste die Stirn gegen die Fensterscheibe und die gekrümmten Füße gegen die Bremse. Wie lange noch würde sie das mitmachen können? Max war süß, er war großartig, aber nicht der Held, als den sie beide ihn gesehen hatten.

Die Welt draußen war gedämpft. Das Zwitschern im Wald wurde leise, noch leiser, verstummte.

Ein Kratzen weckte sie.

An ihrem Fenster ein Schatten. Es war ein Mann. Ein riesiger Mann, ein Mörder – wer immer die beiden Mädchen verschleppt hatte –, Katja hatte im Schlaf die nackten Arme aus dem Schlafsack gezogen, und so saß sie jetzt stocksteif da, nur halb zugedeckt und zu Tode erschrocken. Durch eine Fensterscheibe von der Gefahr getrennt. Ihr Hemd war verrutscht. Ihre Brust pochte. Draußen war es fast schon hell. Kein Mann – ein Bär.

Ein auf den Hinterbeinen stehender Braunbär. Auf dem Verdeck über ihr ein scharrendes Geräusch. Dann plumpste der Bär neben ihrer Tür auf alle viere, Staub wirbelte aus seinem Fell auf. Er machte ein paar Schritte nach vorn, richtete sich vor der Motorhaube erneut auf und legte die Tatzen auf Katjas blauen Suzuki. Hinter der Windschutzscheibe, tief in ihren Sitz gepresst, sah sie seine Krallen auf der Haube, jede einzelne riesengroß, braun und wild.

»Max«, sagte sie mit steifen Lippen.

Er atmete schwer neben ihr. Der Bär senkte den riesigen Kopf, streckte die weiß gefleckte Zunge aus und leckte über die Kühlerhaube, auf der sie gestern Abend den Lachs ausgebreitet hatte. Ihre Schuld.

Max drehte sich um. Sein Schlafsack raschelte, doch sie konnte sich nicht umdrehen, um ihn anzusehen. Immer wieder fuhr der Bär mit dem Gesicht über die Kühlerhaube. Max nahm ihre Hand, und ihr stockte der Atem. Sie spürte seinen Herzschlag in seinen Fingern und ihren eigenen Puls am Hals, im Mund.

Das Feuer war längst erloschen. Die Bäume um sie herum wie Pinselstriche auf einem pulvrigen Himmel. In der körnigen Dämmerung wirkte der Bär überscharf, satte Farben, das Gesicht schmutzig, die Schnauze blass, und Augen, die im Halbdunkel leuchteten.

Eine kräftige Tatze schrammte über die Haube. Unter den Krallen hörte man erneut das schreckliche Kratzen.

Max ließ ihre Hand los, schob seine eigene nach oben und legte sie in die Mitte des Lenkrads. Beide saßen einfach da.

»Ja?«, fragte er leise.

Der Bär hatte sie noch nicht entdeckt. Sie konnte nicht schlucken. Max wartete mit der Hand über ihrem Schoß, bis sie wieder sprechen konnte.

»Ja«, sagte sie.

Er drückte zu, und die Hupe ging los. Der Bär flog förmlich vom Wagen. Er lief auf zwei Beinen – wie ein riesiges unbeholfenes Baby –, dann trollte er sich auf allen vieren, schneller, als sie sich hätte vorstellen können, zwischen die Bäume. Noch bevor die Hupe verstummte, war das Tier im Dunkeln verschwunden. Und Max lachte.

Er öffnete die Beifahrertür, ließ sich hinausfallen und wand sich dabei aus dem Schlafsack. »Ach, du Scheiße!«, sagte er vom Boden aus, der weiß überfroren war. Katja saß wie gelähmt auf ihrem Sitz. In seinem leichten T-Shirt ging Max um den Wagen herum und schaute sich die frischen Kratzer auf dem Lack der Kühlerhaube an. »Ach, du Scheiße!« Er musterte sie durch die Windschutzscheibe. Sein Gesicht strahlte. »Er hat deine Antenne mitgehen lassen, Katjuscha!«

Sie beugte sich vor und fuhr erschrocken zurück, als die Hupe erneut losging. »Er –« Sie öffnete die Tür und tastete nach der Stelle, wo die Antenne abgerissen worden war. Wenn sie im Zelt geschlafen hätten! »Mein Gott!«, sagte sie. Sie zitterte.

Er konnte sich vor Lachen kaum halten. Er bewegte sich so schnell. Sie dagegen war wie gelähmt, traute ihren Beinen nicht, konnte nicht aufrecht stehen, doch sie mussten ja nur abwechselnd auf der Höhe sein, Katja oder Max, und im Moment war er an der Reihe. Wundervoll sah er dabei aus. Er löste ihre Finger vom Antennensockel. Ihr Körper war eiskalt vor nachträglicher Angst; sein Mund warm. Sie schlang beide Arme um seinen Hals und klammerte sich an ihn. Sie konnte nicht aufhören, ihn zu berühren. Sie hob die Hüften vom Sitz, und er zog sie aus ihrem Schlafsack. An seine Wange gepresst, flüsterte sie das Wort Liebe, sie sagte Liebe, doch er bedeckte ihre Lippen mit seinen. Den Rest sprach sie nicht aus.