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Greenwich Village, 17. August, Glover-Anwesen

»Du bist geliefert, wenn mein Dad Wind davon kriegt!«, sagte das dunkelhaarige Früchtchen namens Luke mit dem feixenden Gesicht, das aus einer Bonbon-Werbung herausgefallen zu sein schien. »Was ist es dir wert, wenn ich dicht halte?«

Heather Carter stand immer noch wie erstarrt vor der offenen Schublade des Schreibtisches. Luke hatte sich indianerhaft angeschlichen und sie gerade zu Tode erschreckt.

Natürlich hatte sie nur erschrecken können, weil das kleine Monster genau wusste, wovon es sprach!

Heather stand seit drei Monaten in Diensten des Kosmetik-Moguls Arthur Glover. Gelungen war ihr dieser Coup dank hingebungsvoll gefälschter Bewerbungsunterlagen und einem Aussehen, das an die junge Brigitte Bardot erinnerte. Vielleicht hatte Glover ihren kleinen Betrug sogar erkannt. Aber er galt nicht gerade als Kostverächter, und es war nur eine Frage der Zeit, bis er sich seinen Großmut in Heathers Mansarde bezahlen lassen würde. So lange wollte Heather aber gar nicht warten. Sie wollte schon jetzt abkassieren.

Zu diesem Zweck hatte sie einen Tag abgewartet, an dem sie sich fast allein in der riesigen Villa aufhielt. Es hatte lange gedauert, bis die die wichtigsten Örtlichkeiten ausbaldowert hatte – aber nun wusste sie, wo das Kleingeld und wo die wirklich feinen Sachen lagerten ...

Sie hatte die Rechnung ohne Luke gemacht.

Sein unverschämtes Grinsen schien nur auf eine klatschende Ohrfeige zu warten. Aber Heather hatte sich im Griff.

»Was schwebt dir denn so vor?«, säuselte sie.

Er schien verblüfft, dass sie überhaupt auf sein unverschämtes Gehabe einging. Doch dann machte er, wie erwartet, das Beste daraus. Trotz seiner jungen Jahre – im letzten April war er acht geworden – und seiner abweichenden Schlankheit war er seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Man konnte den fetten Endvierziger bereits in ersten Ansätzen erkennen.

»Zieh dich aus!«, schnappte er. Seine Wangen hatten sich gerötet; die Augen glitzerten.

Jetzt war es an Heather, verblüfft zu sein. »Wie bitte?«

Luke wich einen Schritt zurück. »Zieh dich aus!«, zischte er. »Oder ich verpfeif’ dich!«

Seine Blicke wanderten begehrlich an Heather abwärts. Sie trug das hausübliche Kostüm, das der alte Glover vertraglich bestimmt hatte und gewiss nicht nur, weil er Nostalgie-Fan war. Heather sah aus wie eine Dienstmagd aus dem Viktorianischen Zeitalter – nur die Rocklänge wäre zu jenen Zeiten revolutionär kurz gewesen. Darunter lugten Strumpfbänder hervor.

Heather hatte akzeptiert, dass Arthur Glover solche erotischen Kicks im täglichen Leben brauchte. Dass sein frühreifer Bengel nun aber schon genauso anfing, haute sie fast um.

Was Mrs. Glover wohl dazu gesagt hätte?

Heather überlegte blitzartig. Sollte sie ihm eine scheuern und das lukrative Pöstchen kampflos sausenlassen? Oder sollte sie ...

Ihre Finger wussten bereits vor ihr, wofür sie sich entschieden hatte. Mit laszivem Augenaufschlag begann sie, ihre Bluse aufzuknöpfen.

Lukes Augen wurden groß. Seine Zunge glitt über die spröden Lippen, als Heather die Bluse abstreifte und darunter eine schwarze Korsage zum Vorschein kam, die kaum imstande war, ihre schweren Brüste zu bändigen.

Zugleich geschah etwas Unerwartetes: Heather erkannte, dass ihr die Vorstellung Spaß zu machen begann. Es geschah nur noch selten, dass sie bei erwachsenen Personen durch bloßes Auspacken solche Ehrfurcht erzeugte – eigentlich nie.

Sie hoffte nur, dass die Glovers nicht ausgerechnet jetzt von ihrem Ausflug zurückkehrten.

Als sie bei ihren schwarzen Nahtstrümpfen anlangte, geschah etwas Unerwartetes. Diesmal mit noch größerer Tragweite.

Applaus brandete auf.

Einen Augenblick lang hatte sie den Jungen aus den Augen gelassen, und als sie nun zu ihm blickte, wurde ihr heiß und kalt zugleich.

Denn sicher war: Er applaudierte nicht!

»Prima Vorstellung!«

Eine maskierte Gestalt trat in den Raum, gekleidet in einen blutroten Overall und unkenntlich gemacht mittels einer bleichen Clownsmaske, deren geronnenes Lächeln in dieser Situation blanken Horror erzeugte.

»Wer – sind Sie?«, stieß Heather hervor und raffte die abgelegten Kleidungsstücke vom Boden auf. »Was fällt Ihnen ...«

»Ich bin Marty, der Clown. Ich hole den Kleinen zu einer Privatvorstellung ab!«, schnitt ihr die Stimme hinter der Maske das Wort ab:

Der Kleine stand zwischen Heather und dem schrecklichen Clown wie zur Salzsäule erstarrt ...